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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 443 / 26.10.2000

Kalt erwischt

Die deutsche Einheit, die radikale Linke und das Ende des Kommunistischen Bundes

Es tue ihm leid für den Rest der Welt, verkündete Herr Beckenbauer nach der Weltmeisterschaft 1990 - aber nach der Eingliederung der DDR-Fußballelite "sind WIR auf Jahre hinaus unschlagbar". Bei der Europameisterschaft 2000 schied die DFB- Truppe in der Vorrunde aus.

Wie kein anderes Ereignis hat die deutsche Vereinigung die Linke durcheinander gewirbelt. Der Kommunistische Bund (KB) - früher Herausgeber dieser Zeitung - überlebte den Einheitsprozess nicht. Heftigste Debatten und Spaltungen innerhalb der radikalen Linken prägten das Jahr 1990. Die inhaltliche und organisatorische Spaltung einer kaum noch handlungsfähigen radikalen Linken wurde durch den Vereinigungsprozess noch verstärkt. Schlimmer noch: Ein Teil dieser Linken - auch und gerade GenossInnen aus dem KB - erhoben "die Kraft der Negation" und deren Verkürzung auf das Antideutschsein zum neuen Dogma. Der Forderung nach direkter Intervention in den Umgruppierungsprozess wurde die reine Ideologiekritik gegenübergestellt. Was blieb, ist ein neues Deutschland und eine kaum noch wahrnehmbare radikale Linke.

Den großen Jubelorgien, die noch das Bild um den Vereinigungstag 1990 prägten, ist längst Ernüchterung gefolgt, insbesondere auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, wo die Folgen des schnellen Anschlusses an die BRD offensichtlich geworden sind. Die von Alkohol und Vereinigungseuphorie trunkenen Massen der Jahre 1989/90 haben anderen politischen Akteuren Platz gemacht: den Nazis, die den 10. Jahrestag der deutschen Einheit begehen, indem sie jüdische Einrichtungen angreifen und schänden. Die Staatselite macht in Betroffenheit und fährt fort im Tagesgeschäft.

Zehn Jahre später hat auch die Linke allen Grund zu (selbst-)kritischer Rückschau. In diesem Artikel sollen die tatsächlichen "Frontverläufe" im KB der Jahre 1989/90 dargestellt werden. Selbstgerechte Geschichtsklitterungen, wie sie das KB-Eigengewächs Gaston Kirsche in der jungle world vom 11. Oktober vornahm, werden einem kritischen Umgang mit der eigenen Geschichte nicht gerecht. (siehe Kasten)

"Nie wieder Deutschland" ...

Im Dezember 1989 erklärte das Leitende Gremium (LG) des KB: "Wir lehnen die Wiedervereinigung nicht gezwungenermaßen oder unwillig, nicht bedrückt oder als Verzicht von etwas ab, das man eigentlich gerne hätte. Wir lehnen sie ab, weil es nach dem dritten kein viertes Reich geben darf und weil wir Internationalisten sind: weil wir mit Türken, Iranern, Pakistanern, Polen, Chilenen, Senegalesen, Jugoslawen, Franzosen, Italienern und allen anderen, die hierher gekommen sind, zusammen leben, arbeiten und Politik machen. Mit ihnen zusammen wollen wir ,Deutschland` bekämpfen und durchsetzen, was ansteht: Die Anerkennung der DDR!" (ak 313, 11.12.89)

Das war, wie sich ziemlich schnell heraus stellen sollte, die letzte gemeinsame Erklärung des LG. Angenommen mit 18 gegen drei Stimmen bei zwei Enthaltungen, gab diese Verlautbarung ein Stimmungsbild innerhalb der radikalen Linken wieder, die von dem ausbrechenden nationalen Taumel vollkommen überrascht wurde. Zu sehr hatte man sich in der alten BRD, im Denken des Kalten Krieges eingerichtet und war dabei immer radikale Opposition gewesen, Opposition gegen revanchistische Bestrebungen jedweder Couleur. Und plötzlich wurde dies von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung in der DDR in Frage gestellt.

Natürlich hatte man als radikaler Linker den Einheitssozialisten in der DDR nie über den Weg getraut. Aber dass die Mehrheit der DDR-Bevölkerung nun schnurstracks dem Imperialismus (so wurden die führenden kapitalistischen Staatsgebilde damals unisono genannt) in die Arme lief und noch nicht mal mehr Versatzstücke des Realsozialismus retten wollte, das brachte Weltbilder zum einstürzen.

Die Erklärung des LG ist ein schönes Beispiel, wie sich schon mal kräftig in die Tasche gelogen und Wunschträume schriftlich fixiert wurden. Die dort behauptete internationalistische Zusammenarbeit mit Menschen aus aller Welt fand weder im Kampf gegen "Deutschland" noch in anderen Fragen statt, noch wurden in der politischen Praxis konkrete Anstrengungen dafür unternommen. Dies galt für die Organisation KB in ihrer Gesamtheit.

Die Widerspruchslinien innerhalb des Kommunistischen Bundes waren sehr schnell abgeklärt. Die Mehrheitsströmung sah es als zentrale Aufgabe an, "eine politische Front aufzubauen, die alle Elemente, die sich gegen das Großmachtstreben wenden, anspricht.(...) Es wäre die Aufgabe, eine ,radikale Linke` zu schaffen, die sich nicht entlang ideologischer Übereinstimmung in der antinationalen Auffassung findet, sondern in dem Bestreben, in praktisch politischer Hinsicht alle radikalen Gegner der Großmacht BRD zu vereinigen." (ak 317 vom 2.4.1990)

...oder "DDR
muss bleiben"

Für die KB-Minderheit war die alleinige Messlatte und einziger Orientierungspunkt der Widerstand gegen Großdeutschland und gegen das drohende "Vierte Reich". In schlechter alter Dogmatikertradition wurde jedeR, der diese Einschätzung nicht teilte, mindestens zum verkappten Nationalisten und Befürworter der drohenden gesellschaftlichen Entwicklung gemacht. Wortradikal erklärte es die Minderheit in einem Papier zur Mitgliederversammlung des KB im März 1990 zur zentralen Aufgabe, dass "die BRD-Linke den Hass auf das eigene Vaterland schüren und es bekämpfen" müsse. Nur wie und mit wem, wurde nicht gesagt. Da wurde gar die Zusammenarbeit mit der DDR-Linken abgelehnt, weil das schon eine Art der Akzeptanz des Einheitsprozesses darstelle. Als "konstituierend für eine neue radikale und sozialistische Linke" sah die KB-Minderheit die "Stellung zum deutschen Wiedervereinigungsprozess, dem neuen Großdeutschland und dem deutschen Nationalismus." (ak 319, 28. Mai 1990) Der neue Hauptwiderspruch war gefunden, und alles, aber wirklich alles diesem Thema untergeordnet.

Die Vereinigung war nicht
zu verhindern

DDR muss bleiben! hieß dagegen die Parole, mit der der KB im Januar 1990 auf der Liebknecht/Luxemburg-Demo mit einer ak-Sonderausgabe (damals noch Arbeiterkampf/Zeitung des Kommunistischen Bundes) intervenierte. Im Aufmacher heißt es: "Uns liegt daran, mit Euch zusammen die Existenz einer souveränen, nicht-kapitalistischen DDR zu verteidigen. Die DDR soll keine ,Bananenrepublik`, keine billige Produktionsstätte der BRD-Konzerne werden. Sie soll auch kein etwas ärmeres Abziehbild der BRD-Gesellschaft werden. Es muss auf deutschem Boden ein Staat bleiben, der sich wenigstens ein Stück weit dem totalen Zugriff der BRD-Konzerne entzieht."

Alle Pläne, die DDR als eigenständigen Staat zu erhalten, eine Föderation einzugehen oder eine schrittweise Annäherung und Integration zu versuchen, wurden von zwei Seiten in die Zange genommen: von den konservativen Kräften in der BRD und der überwiegenden Mehrheit der DDR-Bevölkerung. "Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht geh'n wir zu ihr!" war die Hauptparole auf den Leipziger Montagsdemos zu Beginn des Jahres 1990. Eine Drohung, die hervorragend in die Strategie der westdeutschen Vereiniger passte und den Prozess der Annexion drastisch beschleunigte. Die einen wollten die "geschichtliche Mission" erfüllen (d.h. die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges revidieren), die anderen möglichst rasch am westdeutschen Wohlstand partizipieren.

Die deutsche Vereinigung war ein Abfallprodukt beim Zerfall der realsozialistischen Hemisphäre und für die Herrschenden in Westdeutschland ein vollkommen unerwarteter "Glücksfall". Unbestritten ist, dass die imperialistischen Staaten mit ihrer Politik der militärischen Bedrohung (der Strategie des "Totrüstens"), verknüpft mit der sozialliberalen Politik des "Wandels durch Annäherung", den Zerfallsprozess voran trieben. Aber die Probleme der RGW-Staaten waren vor allem hausgemacht; große Teile der deutschen Linken, die diesen entscheidenden Tatbestand übersahen, rannten wie kopflos durch die Gegend.

Großmachtpolitik ist nicht gleich Expansion

Fast nie wurde in der linken Diskussion die Frage gestellt, wie die Vereinigung gestoppt werden konnte. Das einzige Mittel wäre eine militärische Intervention der SU oder der Westalliierten gewesen, die denn auch - umschrieben als "Vollbremsung der Alliierten" (Detlef zum Winkel in konkret 1/1990) - in die Debatte geworfen wurde. Dass eine militärische "Lösung" der realsozialistischen Krise überhaupt nicht wünschenswert war, hatte ak-Redakteur Kt. schon im Juni 1989 hervor gehoben, als er schrieb: "Es scheint, dass diese erste experimentelle Form des Sozialismus nicht mehr zu retten ist, so dass es am zweckmäßigten wäre, wenn sie sich ohne große Konflikte und Massaker transformieren und damit die relativ günstigen Bedingungen für einen neuen Anfang offen lassen würde. Die schlimmste Variante wäre, dass das chinesische Beispiel Schule macht." (ak 308, 26.6.1989; gemeint ist das von der chinesischen Staats- und Parteiführung angeordnete Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking im Juni 1989)

Die Defizite der realsozialistischen Gesellschaftsordnung wurden in einem Thesenpapier zur KB-Mitgliederversammlung am 17./18.3. 1990 so formuliert: "Die realsozialistischen Staaten waren über die vergangenen 40 Jahre hinweg nicht in der Lage, ein Gesellschaftssystem aufzubauen, das sich für die Mehrzahl der Menschen als ein dem kapitalistischen überlegenes oder zumindest gleichwertiges erwiesen hätte. (...)Trotz hohen Standes der Industrialisierung haben diese Staaten für die Menschen im wesentlichen eine Mangelwirtschaft hervorgebracht. Demokratie, demokratische Rechte für Gruppen und Individuen, freie Entfaltung des Individuums sind scheinbar innerhalb der kapitalistischen Struktur weiter entwickelt als in der realsozialistischen." (ak 317)

Mit dem Kollaps des Realsozialismus wurde nicht nur die Nachkriegsordnung ausgehebelt; auch die wenigen Grundfesten der westdeutschen Linken stürzten ein. Die von der antideutschen Fraktion in aller Eile gezimmerten Analysen der neuen Lage beschworen die Gefahr, dass die innerimperialistischen Widersprüche beim Wegfall des gemeinsamen Gegners wieder aufbrechen und eskalieren würden - bis hin zum Krieg.

Ich wage die These, dass dieses Imperialismusverständnis heute keine Gültigkeit mehr hat. Im Vordergrund steht die ökonomische Durchdringung und nicht die direkte Landnahme. Die räumliche Annexion ist für die Eroberung von Märkten nicht mehr vonnöten (solange es in diesen Ländern keine ernst zu nehmenden Bestrebungen gibt, sich dem Einfluss der Konzerne zu entziehen). Die Verwertungsbedingungen des Kapitals richten sich heute noch weniger als vor Jahren nach den nationalen Grenzen aus. Die Großkonzerne haben immer weniger ein Vaterland. (Hier wäre sicherlich noch einiges an Untersuchungstätigkeit zu leisten.)

Das einzige imperialistische Land, das territoriale Veränderungen anstrebte, war (West-)Deutschland. Mit der Einverleibung der DDR scheint mir dieser Prozess abgeschlossen zu sein. Ich kann keine Entwicklungen erkennen, sieht man von den Vertriebenenverbänden und faschistoiden Kräften ab, die die jetzigen Grenzen, insbesondere die polnische Grenze zu Deutschland, in Frage stellen; Bedingung für die Zustimmung der Alliierten zur deutschen Vereinigung war die Anerkennung der polnischen Westgrenze durch die Bundesregierung.

Zurück zum KB, der zunächst als organisatorische Hülle zweier Strömungen bestehen blieb. Die politische Praxis differenzierte sich insofern aus, als die einzigen Bezugspunkte der KB-Minderheit das Projekt Radikale Linke (falls sich noch jemand an dessen Existenz erinnert) und die Initiative "Nie wieder Deutschland" wurden (an der fast ausschließlich Westlinke beteiligt waren). Innerhalb der KB-Mehrheit beteiligte sich ein großer Teil der GenossInnen am Herausbildungsprozess der PDS-Linken Liste - mit einigen Illusionen, was linke Einflussnahme anging.

Zehn Jahre danach ist die linke Weltenlage wieder einfach und überschaubar. Der Zustand der radikalen Linken in Deutschland ist noch erschütternder als damals. Organisierte radikal linke Politik hat de facto aufgehört zu existieren. Nach wie vor gibt es Teil"kämpfe", aber keine gesamtgesellschaftlich agierende radikale Linke. Das ist bedauerlich; wiewohl Versuche, diesen Zustand zu überwinden, zur Zeit nur voluntaristische Züge haben können.

gw.