SM-Debatte
Über Macht, Identität und Politik
In ak 440 stellte Michael Gümbel das "Manifest der Schlagwerker" vor, ein neuerer SM Zusammenschluss in Hamburg. Die Aktivitäten von Schlagwerk interpretierte Gümbel im Zusammenhang mit einem neuen Selbstbewusstsein unter SadomasochistInnen. Ferner betonte er die Notwendigkeit, einen Abwehrkampf gegen verschärfte Zensurbestimmungen von Pornografie zu führen, die sich katastrophal für die SM-Subkultur auswirken könnten. Das Hauptthema der Diskussion wurde allerdings nicht die Legitimität von Zensur, sondern von SM-Praktiken selbst. Detlef Georgia Schulze reagierte in ak 441 mit einer moralisierenden Kritik, die auf der Gleichsetzung von SM mit der Erotisierung heterosexueller Gewaltverhältnisse aufbaut. Petra hat in ak 442 gezeigt, dass diese Auffassung erstens nicht richtig sein muss und zweitens ein repressives Klima schafft. Schulze führte ferner Michel Foucault mit dem Zitat "Sag Nein zum König Sex" für seine Anti-SM-Position an. Dass das der durchaus positiven Haltung Foucaults gegenüber Experimentation mit SM nicht gerecht wird, hat M. Gümbel in ak 442 ausführlich und sachlich begründet.
In meinem Beitrag möchte ich noch einmal die von Schulze problematisierten Kategorien diskutieren. Ich werde mich erst kritisch mit seinem Verständnis von Selbstbestimmung und Konsens und dann mit Gümbels Begriff der Minderheit auseinander setzen. Beide Analysen artikulieren ihr Politikverständnis unzureichender Weise über Identität.
Schulze argumentiert, dass der Slogan "safe, sane, consenual", mit dem SM Gruppen Pathologisierung und Kriminalisierung begegnen, ideologische Verschleierung betreibt. Selbstbestimmung als die Basis von Konsens sei nicht möglich, da SM-Begegnungen im Rahmen eines heterosexuellen Gewaltverhältnisses stattfänden. Aber warum heterosexuell? SM, so behauptet er, erotisiert die Dominanz des Mannes und die Unterwerfung der Frau in einem Verhältnis, das von vornherein als - heterosexuelles - Gewaltverhältnis definiert ist.
Letztendlich beruht Schulzes entscheidendes Argument für die Verwerfung von SM auf dessen Konstruktion als heterosexuell.
Natürlich ist die Kritik von Heterosexualität(en) und der durch sie vermittelten repressiven gender Konstruktionen und Heterosexismen wichtig. Natürlich gibt es auch heterosexuellen SM. Es gibt aber auch lesbischen, schwulen und bisexuellen SM. Es gibt keinen Grund, SM in diesen Beziehungen von der Diskussion auszuschließen, vor allem weil es in den respektiven Szenen wichtige Diskussionen über SM gegegeben hat. Die Verengung der Diskussion hin auf Heterosexualität ist Ausdruck eines unkritischen Heterozentrismus. Würde Schulze sexuelle Vielfalt berücksichtigen, dann würde seine eindimensionale Analyse, die Gewaltverhältnisse einfach von Identitäten abliest, auch keinen Bestand haben. Aber selbst in der willkürlichen Begrenzung auf heterosexuelle Begegnungen vereinfacht Schulze Realitäten, indem er/sie behauptet, dass in SM in der Regel Männer dominierende und Frauen submissive Rolle einnähmen. Diese Annahme ignoriert den häufigen Rollentausch in SM und übergeht die Tatsache, dass in vielen heterosexuellen SM-Szenen dominante Frauen sich über Angebote submissiver Männer kaum retten können. Es ignoriert ferner das Argument, dass die Umkehrung und Parodierung normativer heterosexueller Sex-Rollen Machtverhältnisse transformieren kann (s. Petra; ak 442).
Für solche Ambivalenzen und Kompliziertheiten ist wenig Platz in Schulzes totalisierender Sichtweise. Seine Argumentation bezieht sich auf die US-amerikanische Feministin Catherine McKinnon, deren Kritik von Heterosexualität starken Einfluss in den radikal- und lesbisch-feministischen Bewegungen hatte. Radikal-feministische Analysen sehen in Sexualität den Angelpunkt repressiver gender Konstruktionen und das Zentrum von Frauenunterdrückung. In einer häufigen Lesart heißt das: Hetero-Sex(ualität) ist Gewalt. Die britische lesbisch-feministische Gruppe Leeds Revolutionary Feminists argumentierte so in den späten 1970ern: "Für eine Feministin heißt das Ficken aufzugeben, ihre Politik ernst zu nehmen". Und später: "Wir denken heute, dass es Schwachsinn ist zu sagen, das Frauen ficken; was wirklich passiert ist, dass Männer Frauen ficken oder dass Frauen von Männern gefickt werden" (meine Übersetzungen).
Viele heterosexuelle Feministinnen fanden solche Analysen zu Recht bevormundend und anmaßend. In dieser Theorie wird die Politisierung von Heterosexualität gleichgesetzt mit einer Moralisierung von Identität und sexueller Präferenz. Die Analyse mündet in einem stereotypen Geschlechterbild. Frauen können nur noch als - schlimmstenfalls willige - Opfer von Sexismus wahrgenommen werden. Selbstbestimmung und Konsens im Rahmen heterosexueller Begegnungen und Beziehungen werden somit zur Unmöglichkeit.
Es waren aber nicht nur heterosexuelle Frauen, die so in ihrer Sexualität kritisiert wurden. Da in einem theoretischen Kurzschluss Dominanz und Aggressivität als männlich definiert wurden, konnte auch feministischen Lesben mit Spaß an Rollenspiel und gewaltbesetzter Sexualität Komplizität mit heterosexuellen Mustern vorgeworfen werden. Der feministische Widerstand gegen eine solche moralisierende Gängelung in den 80er Jahren (in den USA und Großbritannien) muss als eine der Vorreiterinnen der Formierung von Queer Politics gesehen werden.
Eine Kritik von Heterosexualität ist absolut notwendig. Es gibt aber meiner Meinung nach verschiedene "Versionen" von Heterosexualität und es ist grundsätzlich möglich, Spielregeln der sexuellen Begegnung zu umkämpfen - mit dem Ziel, sie zu verändern. Eine Analyse, die Frauen nur als Opfer sieht oder als Trägerinnen eines falschen Bewusstseins, ist entmündigend und paternalistisch. Ein solcher Standpunkt verschleiert auch den Blick auf andere Machtverhältnisse, die sexuelle Begegnungen ebenso mitstrukturieren: namentlich Ethnizität, race, Klasse, Alter, und körperliche Normen. Frauen jedweder sexuellen Identität mit privilegiertem Status in diesen Dimensionen können so auch Macht gegenüber anders positionierten Individuen ausüben. Situative Machtverhältnisse lassen sich eben nicht einfach aus einer sozialen Kategorie ablesen. Viele feministische Theoretikerinnen haben darauf hingewiesen, dass Identitäten vielfältig konstituiert werden und dass die Konstruktionen von gender, Ethnizität/race, Klasse, und Sexualität sich gegenseitig bedingen.
Schulzes Analyse von Machtstrukturen ist simplifizierend und deterministisch. Die Machverhältnisse, die auf jede einzelne sexuelle SM-Begegnung einwirken, sind viel komplexer als er suggeriert. Das unterminiert aber nicht grundsätzlich die Möglichkeit von Konsens. Ich gebe zu, dass Konsens eine Klarheit und Eindeutigkeit suggeriert, die in konkreten Situationen oft nicht gegeben sein mag. Auch wenn angestrebter Konsens aus vielerlei Gründen Grenzüberschreitungen nicht immer verhindern mag, so ist er als Ideal dennoch unabdingbar. Das gilt für alle sexuellen Begegnungen, Beziehungen und Handlungen. Das Bemühen um Konsens ist einer der wichtigsten Bestandteile sexueller Verantwortlichkeit. Weil viele Formen von SM ein erhöhtes Risiko mit sich bringen, hat die SM-Kultur einige Umgehensweisen institutionalisiert, die Konsens sicherstellen sollen (wie z.B. die Einigung auf Sicherheitsworte, um Szenen schnell und klar zu beenden). Es gibt Argumente, dass wegen der Betonung auf Verständigung gerade SM-Sex die Basis für eine egalitäre sexuelle Begegnung geschaffen hat.
Der Slogan "safe, sane, consenual" mag dennoch ein bisschen zu unproblematisch klingen. Er betont Einverständnis und vielleicht Spiel mit Macht. Macht als grundsätzliches strukturierendes Element von Sexualität gerät aus dem Blick. Auch wenn ich prinzipiell von der Idee angetan bin, dass bewusst eingesetzte sexuelle Fantasie normative sexuelle Muster unterlaufen kann, so ist das real in SM-Kulturen leider nicht immer der Fall.
Ich habe z.B. meine Schwierigkeiten mit bestimmten Formen von Uniform Fetischismus (insbesondere wenn Symbole an politische Regimes oder Nazi-Terror erinnern). Ich bin auch davon überzeugt, dass hetero-, bisexuelle, und schwule Mainstream-SM-Ästhetik und Pornografie geeignet ist, machistische Männerbilder zu verstärken.
Ich bin oft entsetzt über den unkritischen Exotismus, der in verschiedenen SM-Kreisen zelebriert wird. Nur ein Beispiel: Der jährliche Sex Maniac's Ball der gemischten Fetisch/SM Szene in London im Jahre 1999 hatte den Titel "Eastern Promise" (Östliches Versprechen). Die TeilnehmerInnen wurden eingeladen in griechischer, türkischer, ägyptischer, arabischer, indischer, tibetischer, thailändischer, balinesischer, chinesischer oder japanischer Kleidung oder in Fetischinterpretationen derselben zu erscheinen. Die Attraktionen versprachen unter anderem "Sultans und Sultanass Wohnzimmer" und "Japanische Sklaven Rennen". Die OrganisatorInnen zeigten keinerlei Bewusstsein über die konstitutiven Machteffekte von stereotyper Sexualisierung in Prozessen von Ethnisierung und Rassisierung. Gümbel hat Recht, wenn er auf die Notwendigkeit hinweist, auch in SM Kreisen "die Frage nach Machtstrukturen (...) offen zu halten" (ak 442). Er meint, die Chancen ständen nicht schlecht dafür. Wie Petra (ak 442) teile ich diesen Optimismus nicht. Sie stehen dort nicht besser also irgendwo sonst.
Ich würde gerne noch einige Fragen zu der Rolle der Kategorie Minderheit in der Debatte aufwerfen. "Das Schlagwerk-Manifest bezeichnet SM als einen möglichen Sammelbegriff für alle Formen von Grenzerfahrungen mit Körpern und Lüsten, für den spielerischen Umgang mit Macht, den freiwilligen, sicheren, selbstbestimmten Akt des Gebens und Nehmens und die Einbeziehung von Schmerz in das Repertoire der Lust. Es geht um das fantasievolle Erleben von Körperlichkeit, und ein vertrauensvolles Aneinander-Annähern" (Gümbel in ak 440). Viele argumentieren zu Recht, dass SM in einer so breiten Definition, in den letzten Jahren in Mainstream Kultur eingegangen ist. Ist es richtig, bzw. ist es politisch sinnvoll, sich als sexuelle Minderheit zu präsentieren? Wenn wirklich etwas Subversives an dem Spiel und der Experimentation unter dem Label SM ist, dann halte ich es für falsch, das als Charakteristik einer Minderheit zu begrenzen. Das Konzept der sexuellen Minderheit macht nur Sinn im Vergleich zu sexueller Normalität (heterosexuell, Paarbeziehung, vanilla, reproduktiv). Es schafft Gegensätze in denen Normalität und auch Marginalität reproduziert werden.
Minderheiten Politik ist meist eine Politik der gleichen Rechte. Politik im Namen von Rechten ist oft als liberal und begrenzt im Potenzial politischer Kritik zurückgewiesen worden. Die Forderung nach (gleichen) Rechten bleibt oft systemimmanent. Innerhalb der Proklamation eines abstrakten Individuums mit dem prinzipiellen Recht auf Autonomie, scheiterten die meisten Spielarten von Liberalismus, strukturelle Ungleicheiten zu benennen. Das resultiert in einem impliziten Widerspruch zu einer Politik, die Rechte fordert, ohne die Unterdrückungsverhältnisse, die Ungleichheit produzieren, zu erkennen oder zu bekämpfen (z.B. Klassengesellschaft, Rassismus, Geschlechterhierarchien, Heterosexismus).
Die Geschichte der lesbischen und schwulen Bewegung hat gezeigt, dass eine Orientierung des Kampfes hin auf gleiche Rechte für eine Minderheit mit einer Abkehr von radikalen auf Gesellschaftsveränderung zielenden Politiken einhergeht. Aus einer Forderung nach der Überwindung sexueller Identitäten, starrer gender Kategorien und normativer Beziehungsformen in den frühen Jahren der Gay Liberation wurde schließlich der Ruf nach gleichen Rechten mit gleichgeschlechtlicher Ehe zu einer der Hauptforderungen. Wenn sich SM-Gruppierungen auf dem Standpunkt einer Minderheitenidentität einrichten befürchte ich ähnliche Effekte. Der Widerstand gegen Zensur, gegen sexuelle Normierung, und für sexuellen Pluralismus wird besser nicht im Namen einer Identität geführt werden.
Christian Klesse
christianklesse@hotmail.com