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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 444 / 23.11.2000

Das tödliche Element Plutonium

Die "schadlose Verwertung" als Entsorgungsnachweis

Die USA und Russland werden in den nächsten Jahren insgesamt 68 Tonnen der hochgefährlichen Plutoniums aus ihren Raketensprengköpfen entfernen (vgl. ak 442). In Sachen ziviler Atomenergie erzeugt die Bundesrepublik mit ihren 19 Reaktoren bis zum Ende der Wiederaufarbeitung in Frankreich und England über 50 Tonnen dieses Stoffs. Doch was geschieht mit dem radioaktiven Schwermetall, dessen Giftigkeit und militärische Eigenschaften derart gravierend sind, dass es für mehrere zehntausend Jahre vollkommen sicher von der Umwelt abgekapselt werden muss, sollen ökologische und militärische Katastrophen verhindert werden.

Als Bestandteil der Entsorgung der Atommeiler geht die Atomwirtschaft den Weg über sogenannte MOX-Brennelemente. Das in der WAA gewonnene Plutonium wird zu MOX verarbeitet, geht dann in die Reaktoren zurück und soll dann - in einem Lager das es bis heute weltweit nicht gibt - endgelagert werden. Im Atomgesetz nennt sich das Ganze verharmlosend "schadlose Verwertung". Im folgenden wird aufgezeigt, auf Grund welcher Entscheidungen der zivile Plutoniumberg entstanden ist, wie er beseitigt werden soll, welche Anlagen bei der Abarbeitung eine Rolle spielen und welche Probleme es dabei gibt.

Schon seit Jahrzehnten ist die Wiederaufarbeitung der durch den Betrieb der Reaktoren anfallenden hochradioaktiven Brennelemente heftig umstritten. Die AKW-Betreiber und die damals noch von einem Bundeskanzler Helmut Schmidt geführte sozial-liberale Bundesregierung hatte die Wiederaufarbeitung als Notlösung erfunden, nachdem in den (juristischen) Auseinandersetzungen um den Bau des AKW Brokdorf die Gerichte Regelungen zur Entsorgung des Atommülls gefordert hatten, denn ein Endlager war Ende der 70er Jahre im Grunde kein Thema.

Sozial-liberale Entsorgung

Aus dieser Notlage heraus entwickelte die Bundesregierung in Absprache mit den Ministerpräsidenten der Länder und der Atomwirtschaft die Lösung in Form der Wiederaufarbeitung. Den AKW-Betreibern wurde auferlegt, jeweils für die nächsten sechs Jahre den Verbleib der radioaktiven Abfälle nachzuweisen. Der sogenannte Entsorgungsvorsorgenachweis war erfunden. Dieser war ab 1980 zwingende Voraussetzung für den Betrieb eines AKW. Die Wiederaufarbeitung wurde fortan als "schadlose Verwertung" bezeichnet und später ins Atomgesetz geschrieben. Zusätzlich wurde der Entsorgungsvorsorgenachweis um den Punkt erweitert, dass es bei der Forschung und Errichtung eines Endlagers "Fortschritte" geben müsse. Konnten die AKW-Betreiber entsprechende WAA-Verträge nachweisen, war die Sache geregelt. Konkrete Regelungen oder Vorschriften, wie denn die Schadlosigkeit und die Verwertung nachzuweisen wären, gab es nicht. In der Praxis führte dass dazu, dass die Aufsichtsbehörden damit zufrieden waren, wenn der Nachweis über den Aufenthaltsort des Materials erbracht werden konnte. Ob die Betreiber das Plutonium (bzw. das spaltbare Uran) auch tatsächlich verwertete interessierte faktisch nicht. Diese Konstruktion ist bis heute geltendes Recht (siehe nebenstehenden Artikel).

An Kritik an diesen Regelungen mangelte es nie. Zunächst wiesen zahlreiche Umweltorganisationen auf die ökologischen und militärischen Gefahren der Wiederaufarbeitung hin. Waffenfähiges Plutonium im industriellen Maßstab wurde tonnenweise hergestellt und öffnete Tür und Tor für den militärischen (Miss)Brauch. Enorm hohe radioaktive Emissionen in die Umgebung der Anlagen, ebenso wie die Einleitung radioaktiver Flüssigkeiten in die Nordsee führten zu extremen radioaktiven Belastungen. Von Schadlosigkeit keine Spur. Darüber hinaus vergrößerte die WAA die Menge des insgesamt anfallenden Atommülls um ein Vielfaches und verschärfte dadurch das Problem der ungelösten Entsorgung zusätzlich. Immer wieder machten Ökonomen darauf aufmerksam, dass der Umweg über die WAA unter ökonomischen Gesichtspunkten blanker Wahnsinn sei. Sowohl die WAA selbst, als auch die anschließend erforderliche Verarbeitung des angefallenen Plutoniums führten gegenüber der sogenannten "direkten Endlagerung" (d.h. zunächst in Zwischenlagern wie Gorleben und Ahaus) zu Mehrkosten des vier- bis zehnfachen.

Mitte der 90er Jahre, in verschiedenen Bundesländern waren inzwischen rot-grüne oder atomkritische SPD-Regierungen im Amt, legten Landesregierungen diverse Studien vor, die nachwiesen, dass die Wiederaufarbeitung in Frankreich und England nach bundesdeutschen Strahlenschutzmaßstäben rechtswidrig und nicht genehmigungsfähig wäre. Ausdrücklich hatten die Gutachter festgestellt, dass für die schadlose Verwertung deutsches (Strahlenschutz-)Recht anzuwenden sei.

Weder schadlos noch verwertet

Doch nicht allein die Frage der Schadlosigkeit wurde kritisiert. Ab Anfang der 90er Jahre geriet auch die Verwertung immer mehr in den Blickwinkel, nicht zuletzt auf Grund der Auseinandersetzungen um die Hanauer Plutoniumfabrik (vgl. ak 442 und 421).

In der WAA wird zunächst lediglich das Plutonium und das spaltbare Uran aus den abgebrannten Brennelementen rausgelöst und separiert. Das aber ist noch keine Verwertung. Die erfolgt erst dann, wenn das Plutonium und das Uran wieder in die Brennstoffspirale eingespeist werden. Das Plutonium sollte in der Form von sogenannten Mischoxid-Brennelementen (MOX) erneut in die Reaktoren. Damit war aber lediglich eine technische Lösung für das Plutonium in Sicht. Für das in erheblich größeren Mengen anfallende WAA-Uran bestanden erhebliche technische Probleme, da dieses Material mit Verunreinigungen behaftet war, die eine Kernspaltung enorm erschwerten.

Da aber entgegen den damaligen Erwartungen die Preise für Natururan nicht nur konstant blieben, sondern sogar leicht sanken (u.a. weil immer neue Vorkommen entdeckt wurden), wäre die erforderliche Reinigung dieses WAA-Urans wirtschaftlich blanker Unsinn gewesen. Die Atomwirtschaft legte das Zeug - geduldet von der Bundesregierung - einfach auf Halde. Eine Verwertung dieses Urans findet bis heute faktisch nicht statt.

Die MOX-Brennelemente waren auf Grund der für die Verarbeitungsanlagen erforderlichen hohen Sicherheitsmaßnahmen gegenüber herkömmlichen Natururan-Brennelementen deutlich teurer. In diversen Studien wurde ein Kostenunterschied um den Faktor 10 errechnet. Daher beantragten nur wenige AKW-Betreiber Genehmigungen für deren Einsatz. Bis heute wird lediglich in neun der insgesamt 19 in Betrieb befindlichen bundesdeutschen Reaktoren MOX eingesetzt. Einige AKWs haben den Einsatz zwar beantragt, verfolgen real aber damit keine Genehmigung. Allein das Verfahren für das AKW Brunsbüttel läuft nun schon seit über 10 Jahren. Für AKWs wie Stade oder das inzwischen stillgelegte Würgassen wurde von Anfang an sogar auf den MOX-Einsatz verzichtet, obwohl diese Anlagen munter ihren Müll nach Frankreich schickten und daher rechtlich zur schadlosen Verwertung verpflichtet gewesen wären.

Durch den nur schleppenden MOX-Einsatz hat sich inzwischen ein Plutoniumüberhang entwickelt. Jährlich wird mehr Plutonium separiert, als in den AKWs verheizt wird.

Die Bundesregierung unter den UmweltministerInnen Töpfer und Merkel (beide CDU) scherte sich darum jedoch wenig. Als die rot-grüne Landesregierung in Hessen in der zweiten Hälfte der 90er Jahre von RWE als Betreiber des AKW Biblis einen konkreten Nachweis über die Verwertung einfordern wollte, ging Merkel dazwischen und wies das von den Grünen geführte Umweltministerium an, derartige Stichelein zu unterlassen. An diesen Auseinandersetzungen war vor allem Rainer Baake, heutiger Staatsekretär im Bundesumweltministerium und einer der Grünen Chefverhandler beim Atomkonsens, maßgeblich beteiligt.

Nachdem die Herstellung von MOX-Brennelementen in Hanau Mitte der 90er Jahre endgültig vom Tisch war und Siemens den Standort Hanau aufgab, verlegten die Betreiber die MOX-Fertigung ins Ausland. Mit Frankreich vereinbarte man die Produktion von MOX in der Anlage in Cadarache, die jährlich rund 35 Tonnen Brennstoff herstellt. Noch rund 260 Tonnen MOX sollen in den nächsten Jahren an deutsche AKWs ausgeliefert werden.

Zusätzlich vereinbarte man mit der belgischen Anlage in Dessel Lieferverträge. Fast 150 Tonnen MOX-Brennstoff sollen dort noch für hiesige Reaktoren gefertigt werden. Die Anlage ist auf 40 Jahrestonnen MOX ausgelegt.

Und Ende der 90er Jahre stellte die britische BNFL am Standort der WAA Sellafield eine neue MOX-Anlage fertig, die über eine Verarbeitungskapazität von 120 Jahrestonnen verfügt. Insgesamt 34 Tonnen MOX sollen hier für bundesdeutsche Abnehmer gefertigt werden. Die MOX-Anlage der BNFL ist jedoch faktisch nicht verfügbar, nachdem Ende des letzten Jahres bekannt wurde, dass die Betreiber die erforderlichen Qualitätskontrollen bei den Brennelementen nicht sonderlich ernst genommen haben. Ganze Serien wurden einfach mit gefälschten Nachweisen ausgeliefert. Japan, Deutschland und die Schweiz setzten darauf die bestehenden Verträge einstweilen außer kraft. Der MOX-Weg aus Endland ist bis heute dicht.

Neben der ausschließlich für deutsche Abnehmer laufenden Anlage in Cadarache verfügt Frankreich über eine weitere MOX-Anlage in Marcoule (MELOX), die jedoch vor allem für die französischen und japanischen Reaktoren arbeitet. Hier werden zur Zeit rund 100 Tonnen des MOX-Brennstoffes pro Jahr hergestellt. Die Betreiber planen die Ausweitung auf eine Menge von 250 Jahrestonnen. Diese Erweiterung ist derzeit jedoch auf Grund einer Regierungsvereinbarung blockiert. Mit dem Einstieg der französischen Grünen in die Regierung einigte man sich darauf, den Ausbau der MELOX-Anlage nicht zu genehmigen.

So hängt der größte Teil der sogenannten Plutoniumverwertung an der Anlage in Cadarache. Und um diese Anlage verschärft sich in Frankreich der Streit.

DSe

Weitere Artikel zu Plutonium in ak 420, 421 sowie 442