Immer mehr Hot Air
Klimaschutz mutiert zum Bestandsschutz für eine etablierte Minderheit
Was bleibt von den hehren Zielen des 1992 beschlossenen Rahmenvertrages für den Klimaschutz? Die Antwort könnte wie folgt zusammengefasst werden: Triff im eigenen Land Vorsichtsmaßnahmen gegen Waldbrände, bau ein Atomkraftwerk in Indien und verhindere eine wirtschaftliche Entwicklung in Russland, dann kannst so viel Auto fahren wie bisher. Das jedenfalls hatten sich USA, Kanada, Japan und Australien von den Klimaverhandlungen im November 2000 in Den Haag erhofft. Wir können uns glücklich schätzen, dass ein Teil der EU sich wenigstens so weit einig war, sich gegen diese Absichten zu stellen. Aber sind wir dem Klimaschutz einen Schritt näher gekommen? Wohl kaum. Und nachdem die Verhandlungspartner ohne eine Einigung auseinandergegangen sind, bleibt wenig Hoffnung auf die Nachverhandlungen im Mai 2001 in Bonn.
Dabei hatte alles mit relativ guten Absichten begonnen. Mit dem Kyoto-Protokoll von 1997 verpflichteten sich die Industrieländer, einschließlich der Transformationsländer Mittel- und Osteuropas zu einer Verminderung der Emissionen von Treibhausgasen bis spätestens 2012 um durchschnittlich 5,2% gegenüber 1990. Während Russland und die Ukraine ihre Emissionen auf dem Niveau von 1990 stabilisieren sollen, sind Entwicklungsländer zu keiner festgesetzten Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen verpflichtet. Aber selbst eine Reduzierung um 5,2% reicht nicht aus, um den Klimaveränderungen entgegenzuwirken, denn nach wissenschaftlichen Erkenntnissen wäre dazu eine Halbierung der weltweiten Treibhausgas-Emissionen bis zum Jahr 2050 notwendig. Auch neueste wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, dass sich bis zum Ende diesen Jahrhunderts die Erde um 1 bis 6 Grad und nicht wie bisher angenommen um maximal 3,5 Grad erwärmen wird, machen deutlich, dass es höchste Zeit ist zu handeln.
Handel mit Emissionslizenzen
Deshalb hatten sich vom 13. bis 25. November 2000 Vertreter aus 160 Staaten in Den Haag versammelt, um die bisher offenen Punkte des Kyoto-Protokolls zu verhandeln. Mit dem Kyoto-Protokoll war festgelegt worden, dass ein Teil der jeweiligen Emissionsminderungen sowohl durch indirekte Maßnahmen erfolgen kann als auch durch Reduzierungen im Ausland. In Den Haag sollten die Vertragspartner sich diesbezüglich auf konkrete Regelungen einigen, damit das Kyoto-Protokoll rechtskräftig werden kann. Dazu wäre es notwendig, dass 55 Staaten, die 55% der Industrieländer-Emissionen repräsentieren, das Protokoll unterzeichnen.
Aber genau an der Festlegung bezüglich der flexiblen Maßnahmen, dazu zählen der Handel mit Emissionslizenzen, die Anrechnung von CO2-Senkungen, die gemeinsame Umsetzung und der Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung, ist die Konferenz in Den Haag gescheitert.
Die im Kyoto-Protokoll aufgeführten Vertragspartner können untereinander mit Emissionslizenzen handeln. Jedes Land, das die festgelegte Emissionsmenge unterschreitet, kann an den meistbietenden Käufer Emissionsrechte verkaufen. Der Käufer wiederum kann sich die erworbenen Emissionsrechte gutschreiben lassen und dementsprechend mehr CO2 produzieren.
Wer eine Minute über dieses Handelssystem nachdenkt, wird schnell erkennen, dass dies kein Instrument ist, um Anreize dafür zu schaffen, die Emissionen stärker als gesetzlich festgelegt zu mindern. Der Emissionshandel führt lediglich zu einer Verschiebung der globalen Emissionen, die, falls das Kyoto-Protokoll umgesetzt wird, etwas niedriger liegen als heute.
Der Emissionshandel funktioniert wie jeder andere Handel auch: Wer finanzielle Mittel hat, erkauft sich seine "Verschmutzungsrechte" und wer Geld braucht, der verkauft das wenige, was er zu bieten hat, sei es auch nur heiße Luft. Mit "Hot Air" werden die Emissionsreduzierungen bezeichnet, die sich in Russland, der Ukraine und anderen osteuropäischen Ländern auf Grund des wirtschaftlichen Zusammenbruchs ergeben. In diesen Ländern liegen die Emissionen heute 20-30 Prozent niedriger als 1990. Ob der Verkauf dieser Hot-Air-Lizenzen zulässig ist, sollte in Den Haag festgelegt werden.
Auch die Frage der Haftung blieb in Den Haag ungeklärt. Was passiert zum Beispiel, wenn ein Land Emissionslizenzen verkauft, obwohl es sein Reduktionsziel nicht unterschritten hat oder gar mehr Treibhausgase ausgestoßen hat als erlaubt? Soll hier der Verkäufer haften oder auch der Käufer? Und wie sollen die Strafen festgesetzt werden? Darauf gibt es bisher keine Antworten.
Wundermittel
zur Rettung
des Klimas
Als wahre Wundermittel zur Rettung des Klimas entpuppten sich die nordamerikanischen Wälder. Dass Bäume CO2 binden, wissen wir schon aus der Schule. Dass wir die Klimaveränderungen durch Aufforstungen stoppen können, haben wir erst jetzt erfahren. Zunächst scheint der Zusammenhang und die daraus abgeleiteten Maßnahmen logisch. Je mehr Wälder existieren, um so mehr CO2 kann gebunden werden und um so schneller der Treibhauseffekt aufgehalten werden. Was die Amerikaner und Kanadier aber nicht bedacht haben, ist, dass Pflanzen CO2 nur speichern solange sie leben. Bei der Zersetzung toter Pflanzen wird das CO2 wieder an die Atmosphäre abgegeben. Dies kann im Fall von Schädlingsbefall oder Waldbränden sehr rasch erfolgen. Erinnern wir uns nur an die Waldbrände diesen Sommer in Nordamerika und Südeuropa. Letztendlich sind Wälder also CO2-neutral.
Bezüglich der Anrechnung von Senkungen haben die Verhandlungen in Den Haag absurde Formen angenommen, denn einige Länder wie z.B. Japan wollen zwar Aufforstungen als Emissionsminderung anrechnen, Holzernte jedoch nicht mit CO2-Emissionen gleichsetzen. Kanada machte sogar den Vorschlag, die Errichtung von Wachtürmen, die eine frühzeitige Erkennung und Bekämpfung von Waldbränden ermöglicht, als Klimaschutzmaßnahme anzurechnen.
Es steht auch zu befürchten, dass bei der Anrechnung von Wäldern als Klimaschutzmaßnahme Urwälder abgeholzt und durch Plantagen ersetzt werden, weil alte Waldbestände nicht so viel Biomasse produzieren wie junge Plantagen und dementsprechend weniger CO2 aus der Luft aufnehmen.
Da die Anrechnung von Senkungen auch im Rahmen der gemeinsamen Umsetzung und des Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung möglich sein soll, müssten weltweit die Wälder mit einem nicht realisierbar hohem Aufwand wissenschaftlich erfasst werden.
Im Rahmen der gemeinsamen Umsetzung (Joint Implementation, JI) können Investitionen eines Industrielandes in einem anderen Industrieland dem Emissionskonto des Investorlandes gutgeschrieben werden. Hier ist zu erwarten, dass vor allem die Länder Osteuropas als Empfängerländer in Frage kommen. Ähnlich verhält es sich mit dem Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (Clean Development Mechanism, CDM), mit dem Unterschied, dass die Investitionen in einem Entwicklungsland stattfinden, wobei die Entwicklungsländer im Rahmen des Kyoto-Protokolls keine Reduktionsverpflichtungen übernommen haben. Bei beiden Instrumenten ist strittig, ob die Errichtung von fossilen Kraftwerken, Atom- und Wasserkraftwerken, sowie die Anrechnung von Senkungen zulässig ist.
Mai 2001
in Bonn
Bei Projekten in Entwicklungsländern besteht die Schwierigkeit festzustellen, wie hoch die CO2-Minderungen tatsächlich auf Grund dieses speziellen Projektes sind. Im Voraus müsste also eine Abschätzung darüber erfolgen, wie sich die wirtschaftliche Situation des Landes und der Ausstoß von Treibhausgasen entwickeln würde, wenn das jeweilige Projekt nicht stattfände. Grundsätzlich ist es problematisch, Emissionen in jenen Ländern zu ermitteln, in denen illegale Brandrodungen stattfinden, Kuhdung und Holz zum Kochen verbrannt wird, die Bevölkerungszahlen nicht genau ermittelt werden, etc.
Außerdem besteht die Gefahr, dass nicht zusätzliche Entwicklungshilfe-Projekte initiiert werden, sondern Projekte, die sowieso geplant sind, als Klimaschutzprojekte deklariert werden. Möglich wäre auch die Umschichtung von Entwicklungshilfemittel, denn durch das Kyoto-Protokoll könnte der Bau von Kraftwerken attraktiver werden als Investitionen in Bildung und medizinische Versorgung.
Nach den Verhandlungen 1997 in Kyoto konnte man den Vertragsstaaten noch guten Gewissens unterstellen, sie würden wenigstens versuchen, Klimaschutzmaßnahmen zu etablieren, wenn auch auf einem Level, mit dem Umweltschutzgruppen nicht zufrieden sein können. In Den Haag wurde dagegen deutlich, dass einige Staaten alles daran setzen, aus den festgelegten Vereinbarungen möglichst billig rauszukommen.
Für die vorgesehene Klimakonferenz im Mai 2001 in Bonn bleibt nur zu hoffen, dass die EU in ihren Positionen hart bleibt. Die Industrieländer sollten sich ein Jahr vor "Rio plus 10" den Entwicklungsländern gegenüber verpflichtet fühlen, ihren Willen zur Umsetzung der Agenda 21 deutlich zu machen. Eine Aufweichung des Kyoto-Protokolls lässt nicht nur Klimaschutz zur Farce werden, es wäre auch ein Schlag ins Gesicht jener Länder, die nur 20% der weltweiten Treibhausgase produzieren, aber wesentlich von den Folgen der Klimaveränderungen betroffen sind.
Annette Littmeier