Atomenergie von Ost nach West
Temelin ist keine tschechische Angelegenheit
Die internationalen Auseinandersetzungen um die Inbetriebnahme des tschechischen AKWs Temelin sind in vollem Gange. Vor allem AtomkraftgegnerInnen aus Österreich leisten seit Monaten aktiv Widerstand gegen die Pläne, den nach westlichem Standard nicht genehmigungsfähigen Atomreaktor Anfang nächsten Jahres ans Netz zu schalten. Über die wesentlichen Kritikpunkte gegen die Inbetriebnahme gibt der folgende Artikel einen Überblick.
Dabei hat der Widerstand gerade in den letzten Wochen und Monaten massive Unterstützung bekommen. Eine breite Protestbewegung über alle Parteigrenzen und Gesellschaftsschichten hinweg ist in den Grenzregionen OÖs und NÖs entstanden. Die Gründung einer neuen STOP-Temelin Plattform in Bayern und das Engagement vieler Einzelpersonen, Wirtschaftstreibender, etc. während der Protestaktionen an den Grenzen zeigen deutlich, dass Tschechien hier nicht mit dem sog. "Mochovce-Effekt" (Aktivierung = AUS des Widerstands) rechnen kann. Am 1. Dezember 2000 stellten sich tschechische Entscheidungsträger und Experten auf einem "Hearing" im österreichischen Linz den Fragen von rund 4.000 (!!) GegnerInnen aus Österreich, Tschechien und Deutschland. Aus Sicht der AKW-GegnerInnen eine Farce, da die Verantwortlichen vor allem eine geschickte Ausweichtaktik bei allen offenen Fragen praktizierten. Eine Propaganda-Veranstaltung statt Information, die sicher nicht zur Beruhigung beigetragen hat. Zu einem politischen Spitzentreffen zwischen dem österreichischen Bundeskanzler Schüssel und Premier Zeman kam es am 12. Dezember (parallel zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe). Danach soll nun eine EU-Kommission an der Bewertung der Sicherheit in Temelin beteiligt werden.
Das AKW Temelin ist eine ungeheure Altlast für die tschechische Republik aus den frühen 80er Jahren, von der selbst Premierminister Zeman noch vor seinem Amtsantritt klar festgestellt hat: "Temelin ist ein stupides Projekt". Auch Präsident Havel hat noch im Mai 1999 festgestellt: "Warum sollte ich CEZ (tschechischer Energiekonzern und Temelin-Betreiber) glauben? CEZ hat mich neun Mal belogen, ich habe keinen Grund, ihnen ein zehntes Mal zu glauben." In Temelin wurde 1986 mit dem Bau begonnen und sollte bereits 1992 mit vier Blöcken (je 1000 MWel) und Gesamtkosten von 2 Mrd. DM ans Netz gehen. Doch daraus wurde nichts. 1990 wurden 2 Blöcke ersatzlos gestrichen. 1993 beschloss die Regierung, die Fertigstellung von zwei Blöcken mit Westinghouse-Nachrüstung auf Weststandard auszuführen. Die geplante Inbetriebnahme 1994 veranschlagte neue Gesamtkosten für zwei Blöcke: 4,9 Mrd. DM. Heute soll Temelin mit Kosten knapp 6 Mrd. DM Anfang 2001 ans Netz gehen. Die Kettenreaktion in Block 1 ist seit Anfang Oktober im Gang, eine Reihe von gravierenden technischen Problemen sind mittlerweile in der physikalischen Inbetriebnahmephase aufgetreten.
Das SUJB (Staatliches Amt für Kernsicherheit, oberste staatliche "unabhängige" Nuklearaufsichtsbehörde in Prag) hat jahrelang in seinen Berichten an die tschechische Regierung gravierende Mängel am Bau und in der Bauausführung festgestellt und auch Millionenstrafen an die Betreiber bzw. ausführenden Unternehmen am Bau verhängt. Seit Jahren wird gegen CEZ (Betreiber), Genehmigungsbehörden und Aufsichtsbehörden in Tschechien prozessiert und eine intensive Anti-Atomkampagne auf allen Ebenen in Tschechien und im benachbartem Ausland geführt. Die arrogante und ignorante Atompolitik einiger weniger Verantwortlicher in Tschechien wird auf Kosten der tschechischen Bevölkerung und zu Lasten eines ganzen Staates ohne Rücksicht auf Verluste und künftige Probleme eisern durchgezogen und Europa schaut wissend zu. Österreichische, tschechische und deutsche AtomgegnerInnen forderten, unterstützt durch Blockaden an der tschechischen Grenze, einen sofortigen Baustopp für Temelin bzw. eine Nachdenkpause von mindestens einem halben Jahr (Abschaltung der Kettenreaktion und Überprüfung der Anlage durch internationale Experten bzw. Gesamt-UVP). Ihre Argumente:
- Das AKW Temelin besitzt Prototypcharakter, da es bei diesem Reaktortyp erstmals zu einer bisher nicht erprobten Verbindung westlicher und östlicher Technologie gekommen ist. Zu den Risiken, die sich aus den bekannten Mängeln der Reaktorreihe WWER 1000 ableiten, gesellen sich zusätzliche Risiken auf Grund des Technologiemixes. Das baugleiche AKW Stendal in der ehemaligen DDR ist sofort nach der Wende abgebrochen worden, weil es nicht auf deutsches Sicherheitsniveau nachgerüstet werden konnte. Die GRS (Gesellschaft für Reaktorsicherheit) bestätigt: Temelin wäre in Deutschland nicht genehmigungsfähig.
- Immer wieder hatten die Betreiber CEZ und den Regierungsverantwortlichen in Tschechien mit drohenden Engpässen in der Energieversorgung argumentiert. Dabei produziert die Tschechische Republik bereits jetzt ohne Temelin einen erheblichen Stromüberschuss. Bereits vor dem Beginn des kommerziellen Betriebes des ersten Blocks des AKW Temelin beträgt die Überkapazität mindestens 15.000 GWh pro Jahr. Nach der Inbetriebnahme beider Blöcke des AKW Temelin würde die Überkapazität auf mindestens 26.500 GWh oder die Hälfte des tschechischen Endverbrauches ansteigen. Die Erlöse aus dem Stromverkauf am europäischen Markt, zu mehr als 90% gehen diese nach Deutschland, decken nicht einmal die Hälfte der Produktionskosten und müssen durch überhöhte Preise für tschechische Stromkunden quersubventioniert werden. Angesichts der über dem Durchschnitt des bestehenden Kraftwerkparks liegenden Produktionskosten des AKW Temelin wäre die Fertigstellung (Block 2) und Inbetriebnahme des AKW Temelin mit weiteren Milliardenverlusten verbunden. Temelin ist somit schon vor dem Beginn des kommerziellen Betriebs ökonomisch tot und wird nur durch unfreiwillige Finanzspritzen der tschechischen Stromkunden am Leben erhalten.
- Sollte Tschechien trotz der offensichtlichen ökonomischen Nachteile auf der Inbetriebnahme des AKW Temelin bestehen, so muss die Forderung nach dem "aktuellen Stand der Technik der EU-Länder", wie im Beschluss des EU-Rates vom September 1998 festgehalten, erhoben werden. Da zur Zeit keine gemeinsamen EU-Standards definiert sind, erscheint die Heranziehung deutscher Sicherheitsstandards auf Grund der geographischen Nähe als gerechtfertigt. Es wird jedoch ausdrücklich betont, dass es sich aus österreichischer Sicht um eine Mindestforderung handelt, da auch ein Atomkraftwerk mit aktuellem Stand der Technik der EU-Länder eine beträchtliche Risikoquelle darstellt. Die Atomgegner fordern daher, die Kettenreaktion in Temelin umgehend zu beenden. Das gesamte Projekt AKW Temelin muss einer internationalen Umweltverträglichkeitsprüfung nach internationalem Standard noch vor der endgültigen Inbetriebnahme unterzogen werden.
Außerdem muss eine Bewertung der Wirtschaftlichkeit der Fertigstellung und Inbetriebnahme des AKW Temelin unter besonderer Berücksichtigung der niedrigen Exporterlöse, der Arbeitsplatzverluste in Nordböhmen (ca. 20.000 Arbeitslose sind durch die Inbetriebnahme Temelins zu erwarten) sowie der Liberalisierung des Strommarktes erfolgen. Die Ergebnisse müssen der tschechischen und der internationalen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Josef Pühringer
Der Autor ist Geschäftsführer der OÖ Überparteilichen Plattform gegen Atomgefahr, Linz und des Centrum ENERGIE, Budweis. Weitere Informationen: www.temelin.at