Ein Kronzeuge, der sein Geld wert ist
Vorspiel zum Berliner RZ-Prozess: Tarek Mousli erfüllt die Erwartungen
"Er arbeitet mit derselben Einsatzbereitschaft und Lockerheit mit dem Gericht zusammen, mit der er sich früher in der Szene eingebracht hat", so kommentierte ein Prozessbesucher das Verhalten Tarek Mouslis vor dem 2. Senat des Berliner Kammergerichts. Dort wurde im Dezember gegen ihn verhandelt wegen "Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung (§129a) ,Revolutionären Zellen (RZ)`, des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion und wegen Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz". Der Deal mit der Bundesanwaltschaft (BAW) hat sich für Mousli ausgezahlt: Zwei Jahre Haft auf Bewährung lautet das Urteil.
Der Prozess gegen Mousli war reine Formsache. Vier Verhandlungstage dauerte die Vorstellung, deren Ergebnis von vorneherein feststand. Die Beweisaufnahme beschränkte sich auf das Geständnis des Angeklagten und das Verlesen von Bekennerschreiben und Texten der RZ. Als einzige ZeugInnen wurden eine ehemalige Freundin von Mousli und zwei BKA-Beamte vernommen. Keiner der Prozessbeteiligten stellte dem Angeklagten unangenehme Fragen. Vielmehr war mit dem Vorsitzenden Richter Eckhart Dietrich die richtige Besetzung für diese Show gefunden. Fast väterlich, immer wieder wohlwollend ermunternd, ging er mit Mousli um. Der befindet sich seit Ende April im Zeugenschutzprogramm des Bundeskriminalamtes (BKA) und erhält monatlich 2.400 Mark plus Krankenversicherung, Miete, Telefonkosten und Leihwagen.
Detailliert, ausführlich, unbeteiligt erzählte Mousli über seinen Werdegang in der autonomen Szene im Westberlin der 80er und frühen 90er Jahre. Dabei korrigierte er an manchen Punkten seine Aussagen, die er gegenüber den Vernehmungsbeamten des BKA und der BAW gemacht hatte. An anderen Stellen holte er weit aus, und erzählte detailliert, was er über die linke Berliner Szene weiß bzw. zu wissen vorgab. Widersprüchen und Ungereimtheiten, die dabei zu Tage traten, wurde nicht nachgegangen - kein Nachfragen, kein Insistieren. Wie auch - wurde Mousli doch von gleich drei Anwälten verteidigt: den beiden Bundesanwälten, die formal eigentlich die Anklagevertreter waren, und seinem Verteidiger. Von ihm selbst war während der vier Verhandlungstage fast nichts zu vernehmen. Bei seinem Plädoyer beschränkte er sich auf einen einzigen Satz: "Ich schließe mich den Anträgen der Bundesanwaltschaft an."
Kaufe Aussage, gebe Strafrabatt
Mehr war von seiner Seite an Einsatz auch nicht notwendig. Schon am ersten Verhandlungstag hatte der Vorsitzende Richter Eckhart Dietrich das zu erwartende Strafmaß angekündigt: Das Gericht pflege "nicht ohne zwingende Gründe über die Strafanträge der Staatsanwaltschaft hinauszugehen". Die Bundesanwaltschaft hatte zuvor klar gemacht, dass sie eine Bewährungsstrafe beantragen würde, falls Mousli seiner Rolle als Kronzeuge gerecht werde. Den Erwartungen seitens der BAW entsprach Tarek Mousli in jeder Weise. Bundesanwalt Rainer Griesbaum war vollauf zufrieden: "Er hat uns Verbindungen gezeigt, von denen wie bislang überhaupt nichts wussten." (SZ, 7.12.2000) Kein Wunder, dass Bundesanwalt Christian Monka in seinem Plädoyer zu dem Schluss kam, an der Zuverlässigkeit der Aussagen von Tarek Mousli bestehe kein Zweifel. Sie seien "klar widerspruchsfrei, differenziert, das Wissen eines Insiders". Das Geständnis des Angeklagten sei von "Schuldeinsicht und Reue geprägt".
Tarek Mousli redet über alles und jeden, selbst Erlebtes und - vor allem wenn es um die RZ geht - Zugetragenes. Mousli kam Anfang der 80er Jahre nach Berlin. Über die Hausbesetzerbewegung fand er Anschluss an die autonomen Zusammenhänge. Dort engagierte er sich in einer sogenannten Funkgruppe, die eine Art Gegen-Aufklärung betrieb, in dem sie den Funkverkehr von Polizei, Landeskriminalamt und Verfassungsschutz abhörte. Über Mittelsmänner sei man an moderne Polizei-Funkgeräte gekommen. Ein Kontaktmann bei der Alternativen Liste habe über den Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses Einsatzpläne der Polizei und andere interne Unterlagen beschafft. "Ich würde es so formulieren: Wir waren recht gut informiert", so Mousli. Finanziert wurde die "Funkgruppe" von einem Gremium, er nennt es "Koordinierungsausschuss", das beachtliche Geldmengen an legale und illegale Projekte der Kreuzberger Szene verteilt habe. 10.000 Mark habe jährlich die "Funkgruppe" erhalten, 100.000 bis 150.000 Mark sollen pro Jahr an die RZ geflossen sein.
In der detaillierten Schilderung der autonomen Szene in Berlin kommt offensichtlich das "Insider-Wissen" zum Tragen, von dem Bundesanwalt Monka in seinem Plädoyer sprach. Und Mousli nennt auch Namen. So z.B. von denjenigen, die im "Koordinierungsausschuss" saßen, oder von denen, die am Brandanschlag auf die Berliner Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) der "RZ-Jugendorganisation Revolutionäre Viren" im Juli 1987 beteiligt waren, bei dem 6.000 Asylakten vernichtet wurden. "Wir hören alles mit großen Ohren", erklärte Bundesanwalt Griesbaum und deutete damit an, dass es weitere Ermittlungen in dieser Sache geben könnte.
Nach eigenen Angaben will Tarek Mousli von 1985 bis 1995 Mitglied der RZ gewesen sein. Während seiner aktiven Zeit bis 1990 habe es drei RZ-Regionen gegeben: die Struktur "Pott" im Ruhrgebiet, den "Norden" mit Zellen in Hamburg und Bremen sowie die "Insel" Berlin mit zwei Zellen. Die Frankfurter Gruppe habe sich im Zuge der Proteste gegen die Startbahn West Anfang der 80er Jahre aufgelöst.
Tarek Mousli - Allzweckwaffe
der BAW
Über Gerd Albartus, der im November 1987 im Nahen Osten von Palästinensern liquidiert wurde, sei er zu den RZ gekommen, erzählt Mousli. Dessen Ermordung, aber auch die Schusswaffenattentate auf Harald Hollenberg und Günther Korbmacher, die er nicht befürwortete - weswegen er als "bürgerlicher Moralist" kritisiert wurde -, hätten ihn zum Ausstieg bewogen. Erschreckt habe ihn, wie man sich persönlich in der Stadtguerilla verändere: "Wir wurden kalt und hart." Offensichtlich bemüht sich Mousli, seine Rolle bei den RZ als unbedeutend und zweitrangig darzustellen. Hauptsächlich habe er als Technikexperte gewirkt. Bei den Knieschussattentaten auf den damaligen Leiter der Berliner Ausländerbehörde Harald Hollenberg am 28.10.86 und den ehemaligen für Asylfragen zuständigen Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Günter Korbmacher am 1.9.87 sowie bei dem Sprengstoffanschlag auf die ZSA am 6.2.87 habe er jeweils nur logistische Zuarbeit geleistet, nämlich Tatorte und Fluchtwege ausgekundschaftet, Autos beschafft oder den Funkverkehr überwacht. Zwar sagte seine frühere Lebensgefährtin vor Gericht aus, ihrer Erinnerung nach habe Mousli ihr erzählt, selbst beim Attentat auf Günter Korbmacher geschossen zu haben, doch das Gericht folgte der Aussage Mouslis, der sich im Gegensatz zu früher heute als kleines Licht darstellt.
Unumwunden gab der mittlerweile pensionierte RZ-Spezialist des BKA während der Verhandlung zu, dass Mousli während der Vernehmungen massiv unter Druck gesetzt wurde: "Wir hatten den Eindruck, dass Mousli zu der einen oder anderen Person noch mehr sagen könnte, und ihm deutlich gemacht, dass die Kronzeugenregelung nur greift, wenn er rückhaltlos Angaben zur Sache macht." Das Ergebnis ist bekannt. Gegen sechs Personen - unter ihnen auch sein "bester Freund" Lothar Ebke, gegen den zurzeit in Kanada ein Auslieferungsverfahren läuft - wurde Haftbefehl erlassen. Fünf Leute sitzen in Untersuchungshaft, vier von ihnen seit über einem Jahr.
Was Mousli über die sechs während seines Prozesses zu berichten wusste, war nicht sehr konkret. Nach seinen Angaben sei Rudolf Schindler, der zusammen mit Hans-Joachim Klein bislang in Frankfurt am Main beim sogenannten OPEC-Verfahren auf der Anklagebank saß, der Schütze der RZ gewesen. Er habe bei den beiden Berliner Knieschussattentaten geschossen, ebenso wie bei der Ermordung des hessischen Wirtschaftsministers Heinz Karry im Mai 1981. Beweisen bzw. mit eigenen Beobachtung untermauern kann Mousli diese Anschuldigungen nicht. Das sei ihm so berichtet worden, bzw. habe er bei Erzählungen und Diskussionen den Eindruck gewonnen, dass dies so gewesen sei, erzählt Mousli. Vieles was er berichtet, weiß er nur vom Hörensagen. Für die BAW reicht das aus, um ihn als Zeugen der Anklage in das Frankfurter OPEC-Verfahren, so geschehen am 30. November, oder in den anstehenden Berliner RZ-Prozess zu schicken.
Die Ermittlungsbehörden halten wacker an Mousli fest. Ohne ihn, so der BKA-Spezialist, wäre es nicht möglich gewesen, in Berlin "irgendeine Person der Mitgliedschaft in den RZ zu bezichtigen". Angeblich würden sich die Aussagen Mouslis mit Unterlagen der Stasi über Struktur und Decknamen der RZ in Berlin decken. Auch habe das BKA erst durch Mouslis Angaben erkannt, dass hinter einer Urkundenfälschung, für die Harald Glöde Ende der 80er Jahre verurteilt wurde, eine RZ-Aktion stand. Mit gefälschten Postsparbüchern hätten die RZ 1987 über 300.000 Mark erbeutet.
Anscheinend ist sich die BAW mit ihrem Kronzeugen sehr sicher. Doch so richtig hat sie nichts gegen Axel Haug, Harald Glöde, Matthias Borgmann und Sabine Eckle in der Hand, gegen die im Frühjahr der Prozess in Berlin eröffnet werden soll. Das angebliche Sprengstoff- und Waffendepot im Berliner MehringHof, nach dem bei der zweiten MehringHof-Durchsuchung im Mai letzten Jahres sogar per Videostandleitung unter direkter Anleitung von Mousli gesucht wurde, gibt es z.B. nicht. Nun meint die BAW die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen dadurch retten zu können, dass im Sommer 1999 4,8 kg Sprengstoff in einem Wassergraben, zu dem Mousli sie geführt hat, gefunden wurde. Aber ist das ein Beweis, der die Anschuldigungen gegen die anderen Beschuldigten erhärten könnte, hat doch Mousli - nach eigenen Angaben - den Sprengstoff selbst dort versenkt?
Wo nichts ist, da muss man wenigsten versuchen, den Eindruck zu erwecken, als hätte man viel in der Hand. Und so ist sich Bundesanwalt Monka auch nicht zu schade, selbst die Hilfe der Berliner Szene in Anspruch zu nehmen: "Es ist die Berliner Szene selbst, die wertvolle Hinweise auf Mouslis Glaubwürdigkeit liefert." Er werde ja nicht als Lügner bezeichnet, sondern als Verräter. (Berliner Zeitung, 19.12.2000) Sein Kollege Griesbaum argumentiert mit der gleichen seltsamen Logik: "Wenn nur Lügen erzählt worden wären", wäre es wohl nicht zu Anfeindungen aus dem Publikum während des Prozesses gekommen. (FR, 7.12.2000)
Alles in allem ist die BAW wohl mit dem Prozessverlauf zufrieden. Wolfgang Kaleck, der Anwalt von Matthias Bergmann, hatte schon im Vorfeld des Prozesses darauf hingewiesen, um was es der BAW dabei ging. Dadurch, dass Mousli nun abgeurteilt ist, sollen Fakten gegen die anderen Beschuldigten geschaffen werden. "Mouslis Aussagen können ungeprüft in ein erstes Urteil einfließen, weil niemand da ist, der kritische Fragen stellt." Zwar hatten sich die Anwälte der anderen Beschuldigten bemüht, ein Befragungsrecht auch im Prozess gegen Mousli zu erhalten, doch dies wurde vom 2. Senat des Kammergerichts abgelehnt. So ist es der BAW auch gelungen, ohne kritisches Nachfragen ein Konstrukt vor Gericht durchzusetzen, das ihr im anstehenden Berliner RZ-Prozess sehr nützlich sein wird. Tarek Mousli war nach eigenen Angaben bis 1990 in den RZ aktiv, danach soll er bis 1995 ein so genannter "Schläfer" gewesen sein, der für unterstützende Tätigkeiten zur Verfügung stand. Seine aktive Mitgliedschaft endete also nach seinen eigenen Angaben 1990, gleichwohl wurde er für die Mitgliedschaft bis 1995 verurteilt.
Was nicht ist,
muss man erfinden
Damit hat das Gericht ein Konstrukt sanktioniert, das es beim anstehenden RZ-Prozess unter Umständen nicht mehr notwendig macht, konkret nachzuweisen, was die anderen Beschuldigten getan haben, um den Vorwurf der Mitgliedschaft nach §129a zu erhärten. Letztendlich ist damit auch der erklärte Ausstieg kein Hinderungsgrund mehr für eine Verurteilung nach §129a, denn es reicht aus, dass irgendjemand behauptet, der Ausgestiegene habe sich auch danach für Unterstützungsaktionen bereit gehalten. Die BAW führt jetzt also auch noch die Mitgliedslisten, aus denen sie nach Gutdünken Mitglieder streicht oder hinzufügt - ganz so, wie es ihr passt.
mb., Berlin