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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 446 / 18.1.2001

"Legaler Arm" der braunen Gewalt

Die NPD und das Konzept der "national befreiten Zonen"

Anfang 2001 soll die Klage gegen die NPD beim Verfassungsgericht eingereicht werden. Damit hat die monatelange Diskussion um den Verbotsantrag gegen die NPD ihren vorläufigen Abschluss gefunden. Das Material der Bundesregierung zum Nachweis der Verfassungswidrigkeit der NPD weist jedoch immer noch eine große Leerstelle auf: die Rolle der NPD für den rechten Terror.

Mit ihren Anti-Antifa-Strukturen, die für die Verfolgung und Vernichtung politischer Gegner werben, ihrer Verherrlichung des Nationalsozialismus (Parolen wie "Ruhm und Ehre der Waffen-SS"), ihrem aggressiven und uniformierten Auftreten in der Öffentlichkeit, ihrem Eintreten für einen völkisch-autoritären Staat und dem Konzept so genannter "national befreiter Zonen", die jeden anders Denkenden und alle MigrantInnen und Flüchtlinge aus diesen "Zonen" vertreiben wollen, erweist sich die NPD als eine gefährliche neonazistische Kraft.

Ihre organisatorische Potenz reicht deutlich über die offiziell genannten 6.000 Mitglieder hinaus, ihre Verbindungen und ihre Zusammenarbeit mit gewalttätigen Skinheads und "Kameradschaften", die sie mit ihren Parteistrukturen deckt, für die sie Aufmärsche anmeldet und die sie auf andere Weise fördert, machen sie zu einer ernst zu nehmenden Gefahr.

Diese Erkenntnisse haben sowohl die bisherigen Bundesregierungen als auch die jetzige lange verharmlost und bagatellisiert. Selbst der Verfassungsschutz hat offiziell erst in jüngster Zeit das besonders aggressive und verfassungsfeindliche Agieren der NPD zur Kenntnis genommen, in seinen jährlichen Berichten sucht man dies vergebens.

Keimzellen einer neofaschistischen Ordnung

In der Neonazi-Szene wächst nach Einschätzung des Verfassungsschutzes die Terror-Bereitschaft. Verfassungsschutz-Chef Heinz Fromm erklärte, es gebe "Ansätze für das Entstehen terroristischer Strukturen". Der Verfassungsschutz wisse von "Neonazis, die sich auf den bewaffneten Kampf vorbereiten". Ausdrücklich betonte er, dass die NPD und die Jungen Nationaldemokraten (JN - laut Satzung "integraler Bestandteil" der Mutterpartei) eine "Nahtstelle zum gewaltbereiten Spektrum" geworden seien. (dpa, 9.6.2000)

Seitdem Udo Voigt im März 1996 den NPD-Bundesvorsitz übernahm, ist es der Partei jedoch gelungen, das Image einer Altherrenpartei abzustreifen. Sie versteht sich heute als "Speerspitze des Nationalen Widerstandes". Ihr seit 1997 bestehendes "Drei-Säulen-Konzept" sieht neben dem "Kampf um die Köpfe" und dem "Kampf um die Parlamente" ausdrücklich auch den "Kampf um die Straße" vor. Unter der Führung von Voigt hat sich die NPD zu einer aktionsorientierten Partei entwickelt. Alleine 1999 wurden von NPD/JN ca. 60 Demonstrationen angemeldet. (Focus, 33/2000) Diese Demonstrationen stellen zugleich den organisatorischen Rahmen dar für die Aufmärsche von Skinheads und so genannten Freien Nationalisten, die vielfach verbotenen Neonazi-Gruppierungen entstammen. Freie Nationalisten, die bundesweit in ca. 150 Freien Kameradschaften organisiert sind, und Skins bilden ein erhebliches Rekrutierungs- und Mobilisierungspotenzial von NPD/JN. Von ihnen geht eine latente Gewaltbereitschaft aus.

Die NPD sieht im Konzept der so genannten " national befreiten Zonen" für sich die Möglichkeit, hier und heute zusammen mit den Freien Kameradschaften die Keimzellen einer neofaschistischen Ordnung zu entwickeln. In den neuen Bundesländern kann sie dabei - zusammen mit anderen Gruppierungen - beträchtliche Erfolge verzeichnen. Schon seit geraumer Zeit gibt es in der öffentlichen Debatte sowie in den Medien und aus Kreisen der Wissenschaft Angaben zum Aufbau dieser Angstzonen, von denen bereits 1998 etwa 30 existierten.

Bereits 1991 schrieb ein gewisser Thomas Hetzer in der Zeitschrift Vorderste Front des Nationaldemokratischen Hochschulbundes (NHB) zum Konzept der "national befreiten Zonen", dass es um die "Etablierung einer Gegenmacht" gehe. Gefordert wird die Errichtung einer "Gegenmacht von unten", die aus autonomen Freiräumen für die rechtsextreme Szene und einer Verdrängung der staatlichen Macht erwachsen solle: "Wir betrachten die befreiten Zonen aus militanter Sicht, also aus der Sicht des politischen Aktivisten. Es geht keinesfalls darum, eigenständige staatliche Gebilde oder ähnlichen Unsinn ins Leben zu rufen. Nein, befreite Zonen bedeutet für uns zweierlei. Einmal ist es die Etablierung einer Gegenmacht. Wir müssen Freiräume schaffen, in denen wir faktisch die Macht ausüben, in denen wir sanktionsfähig sind, d.h. wir bestrafen Abweichler und Feinde, wir unterstützen Kampfgefährtinnen und -gefährten, wir helfen unterdrückten, ausgegrenzten und verfolgten Mitbürgern."

Weiter heißt es: "Aus militanter Sicht befinden wir uns dann in einer befreiten Zone, wenn wir nicht nur ungestört demonstrieren und Info-Stände abhalten können, sondern die Konterrevolutionäre dies genau nicht tun können." In diesem Artikel wurde also ein programmatischer neofaschistischer Gegenentwurf zur bestehenden Gesellschaftsordnung entwickelt: "National befreit" muss in diesem Zusammenhang wie folgt verstanden werden: ausländerfrei, judenfrei, frei von jeder Form der Demokratie, der Gewerkschaften usw. Es ist dies vor allem ein Konzept der politischen Gewalt und der Einschüchterung, die sich gegen den politischen Gegner und missliebige Personen richtet; und es ist ein Konzept, das einer arisch-völkischen Subkultur zur Dominanz verhelfen will.

In der Folge hat die NPD diese Ideen immer wieder propagiert. So schwadronierte der österreichische Neonazi Christian Rogler, bis zu Ausgabe 4/2000 Redaktionsmitglied der NPD-Postille Deutsche Stimme (DS) unter dem Titel "Couragierte Gegenmacht. Die Eroberung kultureller Freiräume ist Aufgabe und Ziel nationalistischer Politik" in der Oktober-Ausgabe des Jahres 1999 der DS: "Die Schaffung und Bewährung ,befreiter Zonen` ist und bleibt der erste Schritt zur Schaffung eines befreiten Landes. Von der Geschichte der Arbeiterbewegung über jene der IRA über die baskische Gegenkultur und die politisch-kulturelle Alltagsarbeit italienischer und französischer Nonkonformisten bis hin zu strukturellen Erfahrungen der Linken in der Zeit der 68er-Revolte und der ,Notstandsgesetze` gibt es (...) genügend Denkanstöße, die im Hinblick auf die Schaffung befreiter Zone zur Reflexion einladen. Innerhalb der herrschenden Systembedingungen vermag die Vertrauensbildung innerhalb der Alltagskultur jedenfalls für die nationale Bewegung mittel- bis langfristig wesentlich mehr auszurichten als vereinzelte systemkonform-rechte Protest-Sternschnuppen an der Wahlurne."

VS schaut nach dem Rechten

Auf der Ebene des Bundes war die Existenz "national befreiter Zonen" zumindest schon 1997 bekannt. Bei der Vorstellung ihres Jahresberichtes erwähnte die damalige Beauftragte für Ausländerangelegenheiten der Bundesregierung, Schmalz-Jacobsen, dass es ihrer Kenntnis nach mindestens 25 "no-go-areas" gebe. In einer Presseerklärung teilte sie mit: "Es gibt heute, hauptsächlich in den neuen Ländern, Stadtteile und Gegenden, die von Rechtsradikalen triumphierend als ,national befreite Zonen` bezeichnet werden. Ausländischen Einwohnern und Gästen wird empfohlen, zumindest nach Einbruch der Dunkelheit nur noch in Begleitung oder gar nicht mehr aus dem Haus zu gehen." (Pressemitteilung, 10.12.1997)

Nur das Bundesministerium des Innern hat diese Entwicklung völlig verschlafen. In den Verfassungsschutzberichten wurden die theoretischen Debatten und vor allem die praktischen Auswirkungen lange Jahre nicht dargestellt. Erstmals fand die Theorie der "befreiten Zonen" 1999 Erwähnung im VS-Bericht. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (VS) schrieb, die "national befreiten Zonen" würden in den Medien mit der Studentenorganisation der NPD in Verbindung gebracht. "Eine systematische Umsetzung des Strategiepapiers" konnte der VS "bislang" nicht feststellen. "Ein Grund hierfür dürfte die Tatsache sein, dass es in den unstrukturierten gewaltbereiten Szenen keine Führungspersönlichkeiten gibt." (VS-Bericht 1999)

Angesichts dessen überrascht es nicht, dass die Bundesregierung keine Maßnahmen - beispielsweise koordiniert über die Innenministerkonferenz (IMK) - gegen diese neofaschistische Strategie entwickelt hat. Und es verwundert auch nicht, dass in das Material der Bundesregierung zum NPD-Verbot keine Darstellung des gewalttätigen rechten Terrors eingeflossen ist.

Helmut Schröder, Simon Yehudi