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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 446 / 18.1.2001

Uranmunition löst Scharping-Syndrom aus

Verteidigungsminister wiegelt Folgen des Einsatzes von Uranmunition ab

"Unsere Warnungen sind einfach in den Wind geschrieben worden", erklärte Lars Pohlmeier von den Internationalen Ärzten für die Verhütung eines Atomkrieges (IPPNW) bereits im März letzten Jahres zur Weigerung der Bundesregierung, die möglichen Folgen des Einsatzes von Muntion aus depleted uranium (DU) im Kosovo-Krieg ernst zu nehmen. "Absurd ist doch, dass die NATO die Menschen, die sie zu schützen vorgibt, selbst gefährdet, Hilfswillige und eigene Soldaten noch dazu", kommentierte er schon damals dieses Verhalten.

Es scheint sich seither wenig geändert zu haben: Nachdem Berichte über Leukämie-Erkrankungen italienischer Soldaten, die im Kosovo eingesetzt waren, für allgemeine Aufregung gesorgt haben, wiegeln die offiziellen Stellen ab. Das Strahlenrisiko durch Uranmunition sei für Soldaten "vernachlässigbar", erklärte Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD), um die Gemüter zu beruhigen. Ein "wissenschaftliche Studie" hat er auch gleich im Gepäck. Im Auftrag der Bundeswehr stellt die Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF) fest, dass es keinen Zusammenhang zwischen den Leukämiefällen und dem Einsatz von Munition aus abgereichertem Uran gebe.

Damit wiederholt sich ein Verhaltensmuster, das den Kritikern des Einsatzes von Uranmunition wohl bekannt ist. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Das ist auch nicht weiter verwunderlich. Würden die offiziell für den Kosovokrieg Verantwortlichen eingestehen, dass sie die Munition eingesetzt haben, obwohl ihre Langzeitfolgen unabschätzbar sind, dann würde ein ohnehin erheblich angekratztes zentrales Argument für den Einsatz der NATO im Frühjahr 1999 weiter zusammenbrechen. Denn wie kann man einen Krieg zur "Befreiung" einer Bevölkerung führen, wenn man gleichzeitig ihre Lebensgrundlagen zerstört?

Lässt man Scharpings vollmundige Beteuerungen beiseite und blickt auf die internen Handlungsanweisungen der NATO, wird deutlich, dass der Verteidigungsminister einmal mehr versucht, die Öffentlichkeit zu täuschen. Es sei "nicht auszuschließen, dass Schwermetall-Toxizitätsreste in gepanzerten Fahrzeugen, die von DU-Geschossen getroffen wurden, ein Gesundheitsrisiko für Personen darstellen, die Zugang zu solchen Fahrzeugen haben", heißt es in einer internen Warnung der NATO an ihre Soldaten vom 30. Juni 1999, kurz nach dem Einmarsch ins Kosovo. "KFOR-Soldaten sollten sich daher nur dann in beschädigte Fahrzeuge begeben, wenn dies für den Auftrag unerlässlich ist oder wenn lebensrettende Maßnahmen dies erfordern, und die Berührung verschossener DU-Geschosse oder anderer möglicherweise kontaminierter Materialien vermeiden", heißt es weiter. Falls das Betreten eines von DU-Munition getroffenen Objektes unumgänglich sei, müssten "besondere Schutzmaßnahmen" wie das "Tragen eines zugelassenen Atemschutzgerätes" ergriffen werden. (1)

Auch die Balkan Task Force des United Nations Enviromental Programm (UNEP), einer Unterorganisation der UNO, hat bereits im Herbst 1999, also nur wenige Monate nach dem Ende des Kosovo-Krieges, vor den Gefahren der Uranmuntion gewarnt. In ihrem Bericht stellen die Experten fest, dass es nicht auszuschließen ist, dass Menschen "schwerer kontaminiert" worden seien. Sie forderten umfassendere Informationen durch die NATO über das Ausmaß und die Orte des Einsatz der DU-Munition, sowie die schnelle Durchführung von Messungen in potenziell gefährdeten Gebieten. Beschossene Gebiete seien abzusperren und die örtlichen Behörden zu informieren. Der Bericht wurde von den Mitgliedern einer Desk Assessment Group on Depleted Uranium erstellt, der je zwei Mitglieder des Swedish Radiation Institute (SSI), der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Internationalen Atomenergie Agentur (IAEO) angehörten, alle samt Organisationen, denen man keine prinzipielle NATO-Feindschaft unterstellen kann. (2)

"Warnungen in den Wind geschrieben"

Zum von Scharping in Auftrag gegeben Gutachten der GSF meint der Chemieprofessor Alfred Schott von der FU-Berlin, der sich seit vielen Jahren mit dem Thema uranabgereicherte Muntion befasst: "Diese Untersuchung bietet überhaupt keine Grundlage für eine Aussage über Gesundheitsgefährdung." Für die GSF Studie seien lediglich 121 KFOR Soldaten auf Uranspuren im Urin untersucht worden, und das maximal zehn Monate nach ihrem Einsatz im Kosovo. Seriöse Feststellungen ließen sich aber erst nach einer Langzeitbeobachtung über acht bis zehn Jahre treffen. Schott verweist außerdem darauf, dass die DU-Muntion schon deshalb nicht unbedenklich sein könne, weil es für strahlende Substanzen "grundsätzlich keine unteren Schädlichkeitsgrenzen gibt."

Neben der radioaktiven Wirkung müsse die hochtoxische Wirkung der explodierten Geschosse berücksichtigt werden. "Bei der Explosion von DU-Munition in einem Panzer laufen wegen der extrem hohen Hitzeentwicklung ganz neuartige chemische Prozesse ab. Neben der DU-Munition verbrennen alle möglichen Metalle, Kunststoffe und andere Materialien aus dem Panzer. Dabei entstehen neue, möglicherweise radioaktive und hochgiftige Aereosole und Radionuklide, die vielleicht Auslöser sein könnten für verschiedene Krankheitssymptome, die inzwischen im Irak, bei Golfkriegsveteranen und in Bosnien aufgetreten sind." (taz, 13.1.2001)

Attraktiv für militärische Einsätze ist das DU hauptsächlich auf Grund seiner extremen Dichte, die Projektilen mit einem DU-Mantel eine besonders hohe Durchschlagskraft verleiht. Außerdem verbrennt der Uranstaub bei den beim Einschlag eintretenden Temperaturen an der Luft und kann dabei beispielsweise einen Treibstofftank zur Explosion bringen. DU-Munition eignet sich also hervorragend etwa zur Zerstörung von gepanzerten Fahrzeugen.

Zum ersten Mal überhaupt wurde die DU Munition von den britischen und US-Streitkräften im Krieg gegen den Irak 1991 verwendet. 300 Tonnen abgereichertes Uran in Form von Projektilen sind damals verschossen worden. In Bosnien setzte 1994/95 die US Armee 10.800 30 mm-DU-Geschosse zur Bekämpfung der jugoslawisch-serbischen Truppen ein. Dabei wurden insgesamt drei Tonnen DU verschossen. Während des Kosovo Krieges sind 31.000 30 mm-Geschosse mit insgesamt 8,4 Tonnen DU von US-Flugzeugen abgefeuert worden. (3)

Auch wenn ungeklärt ist, welche genauen Krankheitsbilder der ungeschütze Umgang mit von DU-Geschossen zertrümmertem Material auslöst, kann ein Zusammenhang zwischen DU und dem "Golfkriegsyndrom" oder dem "Balkansyndrom" alles andere als ausgeschlossen werden. Zu zahlreich und plausibel sind die Berichte der Betroffenen. So erzählte beispielsweise der Golf-Veteran Mike Stancy, der nach einem Kontakt mit Splittern der DU Munition erkrankte: "Ich habe chronische Gedächtnisstörungen, Atemprobleme, ich habe Hautausschläge, es sind ganz verschiedene Symptome bei mir festgestellt worden. Ich habe auch ein Geschwür in der Brust. Oft habe ich Herzrhythmusstörungen und häufig solche Herzattacken, dass ich glaube sterben zu müssen." (Monitor, 24.4.1999)

Tausende US-Soldaten sind nach dem Golfeinsatz erkrankt. Doch Hauptleidtragende ist die Zivilbevölkerung. Im Irak hat sich in den letzten zehn Jahren die Zahl der Leukämie-Fälle vervielfacht, die Zahl der Miss-und Todgeburten ist enorm gestiegen. Rätselhafte Krankheitsbilder häufen sich. Da die NATO, und insbesondere das US-Verteidigungsministerium, die Untersuchungen der Folgen des Einsatzes von DU-Munition behindern, sind qualitative und quantitative Angaben schwer zu treffen. Manche Experten sprechen von tausenden von Opfern: "Der kanadische Chemiker Dr. Hari Sharma, der die Folgen der Uranmunition dokumentiert, rechnet mit bis zu 35.000 zusätzlichen Toten im Irak durch den Einsatz dieser Muntion." (4)

8,4 Tonnen Uranmunition abgefeuert

Ganz so ernst kann Rudolf Scharping seine Unbedenklichkeitserklärung für die DU-Geschosse wohl selbst nicht nehmen. Sonst würde die Bundesregierung zusammen mit der italienischen Regierung wohl kaum ein Moratorium für die Munition fordern, was der NATO-Rat am 10. Januar allerdings ablehnte. Selbst das verharmlosende von der Bundeswehr gesponserte GST-Gutachten warnt davor, dass die Zivilbevölkerung, insbesondere Kinder, durch den Einsatz der DU-Munition sehr wohl gefährdet sei.

Im Kosovo liegen 31.000 DU-Geschosse herum. Seit dem Einmarsch der KFOR sind Dutzende Zivilisten von explodierenden Sprengsätzen der NATO-Splitterbomben zerfetzt worden. Völlig unabsehbar ist das ökologische Desaster, welches die Inbrandbombardierung der Chemiefabriken von Pancevo und Novi Sad in Serbien hinterlassen haben. Nur eines kann als sicher gelten: Der "humanitäre Krieg" hat eine humanitäre Katastrophe hinterlassen.

Boris Kanzleiter

Anmerkungen

1) Das NATO-Zitat, befindet sich im Text einer "Initiative zur Ächtung von Munition mit abgereicherten Uran", welche die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen am 17.5.2000 verabschiedet hat.

2) Vgl. den Text "Einsatz von abgereicherten Uran (depleted uranium / DU) im Jugoslawien-Krieg" auf der Homepage der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs.

http://www.ippnw.de

3) Vgl. WISE Uranium Project, 8.1.2001

http://www.ippnw.de

4) vgl. Anm. 2