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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 446 / 18.1.2001

Grenzen der "juristischen Politik"

Aktuelles von der Kampagne gegen die Residenzpflicht

Die Kampagne gegen die Residenzpflicht ist auf dem Karawane-Kongress in Jena im April 2000 entstanden. Seitdem gab es in verschiedenen Städten Demonstrationen zum Thema. Den AktivistInnen ist es gelungen, die in der Öffentlichkeit meist unbekannte Praxis der Residenzpflicht in die Medien und in die Politik zu tragen. Insbesondere der Gerichtsprozess gegen Cornelius Yufanyi in Worbis im Oktober 2000 (vgl. ak 442, ak 443) trug dazu bei. Jetzt zeigt sich aber, dass der Versuch der Kampagne, die Residenzpflicht über den juristischen Weg abschaffen zu wollen, an seine Grenzen stößt.

Seit 1982 unterliegen Asylsuchende, deren Anträge noch bearbeitet werden, einer Aufenthaltsbeschränkung nach dem Asylverfahrensgesetz - der sogenannten Residenzpflicht. Es ist Flüchtlingen verboten, die Kreisgrenze bzw. die Grenze des Verwaltungsbezirks, in dem sie gemeldet sind, zu überschreiten. Reisen müssen von den Behörden genehmigt werden. Da sich ein Asylverfahren unter Umständen über einen sehr langen Zeitraum erstrecken kann, führt diese Regelung im Extremfall dazu, dass ein Flüchtling bis zu zehn Jahren an dieses Gesetz gebunden bleibt. Bei mehrmaligen Verstößen gegen die Residenzpflicht, wie im Falle Yufanyis, droht eine Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr, eine Geldstrafe bis zu 5.000 Mark oder der Ausweisungsbescheid.

Yufanyi weigert sich, auch nur einen Pfennig für seine Bewegungsfreiheit zu zahlen. Geplant war, seinen Fall bis vor den Europäischen Gerichtshof zu bringen und dort die Praxis der deutschen Residenzpflicht gerichtlich überprüfen zu lassen - mit der begründeten Hoffnung, dass sie dort zu Fall gebracht würde. Nach Einschätzung seiner Anwälte ist aber Yufanyis Prozess dazu nicht geeignet. Um bis vor den Europäischen Gerichtshof zu gehen, wäre ein Fall nötig, der von Anfang an über den Rechtsweg verfolgt wurde. Sobald aber Flüchtlinge eine Reiseverweigerung der Behörden gerichtlich überprüfen lassen, erhalten sie in der Regel auch die Genehmigung. In diesem Zusammenhang weist der Asylrechtsreferent der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen, Michael Meier-Borst, darauf hin, dass das Gesetz von den Behörden nur "unnötig restriktiv gehandhabt" werde. Doch auch wenn Flüchtlinge jederzeit die Möglichkeit haben, eine Reiseverweigerung gerichtlich überprüfen zu lassen - es ändert nichts an der demütigenden Praxis, die Flüchtlingen einen nervenaufreibenden Alltag beschert. Die Kampagne ruft deshalb weiterhin zu weniger schikanösen und teuren Maßnahmen auf, damit Asylsuchende ihren Freund in einer anderen Stadt besuchen oder an einem politischen Treffen teilnehmen können: Sie sollen sich weigern, nach einer Reiseerlaubnis zu fragen und Bußgelder zu bezahlen. Die Gesetzesverletzungen sollen offensiv in die Öffentlichkeit - beispielsweise durch Selbstanzeigen bei der Polizei - getragen werden.

Mittlerweile hat Yufanyi vom Amtsgericht Worbis Post bekommen: Die Richterin will das Verfahren gegen ihn wegen geringer Schuld einstellen. Die Kosten hätte er in diesem Falle selbst zu tragen. Die Einstellung erfordert Yufanyis Zustimmung, die er aber verweigert, da das Ziel nicht ein individueller Freispruch gewesen ist, sondern die Abschaffung der Residenzpflicht. Wenn das Verfahren weitergeführt wird, drohen dem Asylsuchenden aus Kamerun 30 Tage Gefängnis.

Neben Yufanyi sind auch andere Flüchtlinge bereit, ihren Protest gegen die Residenzpflicht vor Gericht zu bringen: Am 26. Januar steht Sunny Omwenyke, einer der Organisatoren des Flüchtlingskongresses in Jena und Aktivist von The Voice, wegen der Verletzung der Residenzpflicht vor Gericht. Auch er weigert sich, eine Strafe oder Bußgelder für das Recht auf Bewegungsfreiheit zu akzeptieren. Die anstehenden Prozesse werden nicht allein deshalb offensiv geführt, um Öffentlichkeit herzustellen. Auch andere Flüchtlinge sollen darin bestärkt werden, sich gegen dieses diskriminierende Gesetz zu wehren. Die Streichung des § 58 des Asylverfahrensgesetzes über den Rechtsweg bleibt allerdings ausgeschlossen.

Auch auf politischer Ebene tut sich wenig. Eine Abschaffung der Residenzpflicht wird in der Regierungskoalition offensichtlich nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Die Residenzpflicht sei zwar ein Bundesgesetz, dennoch hätten die Länder und die einzelnen Behörden einen großen "Ermessensspielraum", der es ermögliche, die derzeitige enge Auslegung durch die Behörden zu lockern - so ließe sich der Tenor zusammenfassen. Einzig der niedersächsische Landesverband von Bündnis90/Die Grünen wendet sich gegen diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen: Die Delegierten beschlossen auf dem Landesparteitag in Wolfsburg am 19. Dezember letzten Jahres, einen Antrag zur Abschaffung der Residenzpflicht auf der nächsten Bundesdelegiertenkonferenz, die vom 9. bis 11. März in Stuttgart stattfinden wird, einzubringen.

Im Rahmen einer Anhörung der Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen zum Thema "Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus" konnte Yufanyi ganze acht Minuten über die Residenzpflicht und das Gebaren der Ausländerbehörden berichten. Er erläuterte, dass derartige Gesetze die Flüchtlinge schwach machten und damit Nazis in ihrem Hass bestärkt würden. Seine Forderung, dass auch der Gesetzgeber in dieser Frage handeln müsse und nicht nur nach zivilgesellschaftlichem Engagement rufen könne, sei aber nach Yufanyis Eindruck bei den Abgeordneten nicht so richtig angekommen.

Anke Schwarzer

Prozess gegen Sunny Omwenyke:
26. Januar, um 9.30 Uhr im Amtsgericht Wolfsburg, Saal F, Rothenfelderstr. 43. Info: The Voice e.V. Afrika Forum,
Tel.: 03641/665214