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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 447 / 22.2.2001

Scharping Syndrom weitet sich aus

Verteidigungsminister lenkt weiter von Gefahr der DU-Munition ab

Rudolf Scharping weiß: Angriff ist die beste Verteidigung. Auf die Vorwürfe, die von der Nato im Kosovokrieg verwendete Uranmuniton könne schwerwiegende Gesundheitsschäden verursachen, reagiert der Verteidigungsminister mit einer Gegenoffensive. Die Vorwürfe seien ungerechtfertigt, argumentiert Scharping beleidigt. Doch an wirklicher Aufklärung scheint dem Minister nicht gelegen. Auf konkrete Fragen antwortet das Verteidigungsministerium nicht.

Als medienwirksame Heldentat nahm Rudolf Scharping vor laufenden Kameras ein Geschoss aus Depleted Uranium (DU) selbst in die Hand. Damit wollte er Soldaten und Journalisten die angebliche Ungefährlichkeit dieser Munition demonstrieren. In einem ZDF-Interview verwies er sogar auf die heilsame Eigenschaft von Uran, da es ja auch zur Abschirmung von Strahlung genutzt werde. Scharping hat in einem recht: solides, massives Uran außerhalb des Körpers kann als Abschirmungsschutz verwendet werden und gefährdet die Gesundheit zunächst nicht, man kann es sogar kurze Zeit in der Hand halten. Dennoch muss man diese Äußerungen als Volksverdummung und Augenwischerei eines Ministers bezeichnen, der zur Zeit vor allem sich selbst verteidigen muss: wider besseres Wissen lenkt Scharping damit von der tatsächlichen Gefahr dieser Geschosse ab: nämlich die Gefahr, die erst durch die Inkorporation von Uranpartikeln im menschlichen Körper entsteht.

Chemotoxische und radiotoxische Wirkung

Uran ist ein natürlich vorkommendes Schwermetall mit einer extrem hohen Dichte von 19,1 g/cm. Auf Grund dieser Eigenschaft eignet es sich waffentechnisch gesehen besonders gut, um Panzerungen aus Stahl zu durchdringen. Beim Auftreffen und Zersplittern solcher Urangeschosse kommt es zu einer Feinverteilung von Uranpartikeln, die sich dann selbst entzünden. Das getroffene Zielobjekt geht in Flammen auf, und es entsteht giftiges Uranoxid. Dieses wird vom Menschen direkt durch die Mundschleimhaut, die Lunge oder über offene Wunden in den Körper aufgenommen. Dosisabhängig findet man bei einem solchen Patienten Symptome und Schweregrade einer Schwermetallvergiftung. Neben anderen Auswirkungen sind dieses Nierenschäden, Nervenlähmungen, Schädigungen des Herzens, des Verdauungstraktes und der Kapillaren.

Abgesehen von dieser chemotoxischen Wirkung wirkt Uran zusätzlich radiotoxisch, der Organismus wird also zusätzlich durch Strahleneinwirkung geschädigt (1). Uran ist ein Alpha-Strahler mit sehr geringer Reichweite. Durch die Unlöslichkeit der eingeatmeten Uranpartikel verbleibt es zunächst über Monate bis Jahre in der Lunge und den angrenzenden Lymphknoten; langsam wird es "angelöst" und somit in die Blutbahn geschwemmt. Es wird in menschlichen Knochen wie Kalzium eingelagert. In der Lunge können bösartige Tumore, durch Bestrahlung des Blut bildenden Knochenmarks Leukämien, Anämien sowie Knochentumore entstehen. Uran wirkt außerdem embryoschädigend, da es die Plazentaschranke passieren kann. Fehlgeburten, Missbildungen und kindliche Tumorerkrankungen sind mögliche Folgen.

Urangeschosse wurden erstmals 1991 im Golfkrieg eingesetzt. Das "Golfkriegssyndrom" bei ehemaligen Soldaten wird damit assoziiert. (2)

Zusätzliches Problem: Die Urangeschosse enthalten offensichtlich nicht nur abgereichertes Uran 238. An der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Spiez/Schweiz wurde bei der Analyse eines Geschosses auch Uran 236 festgestellt. Dieses Isotop kommt weder in der Natur vor, noch entsteht es bei dem Anreicherungsverfahren von Uran 235, als dessen Abfallprodukt Uran 238 anfällt. Es ist zu vermuten, dass es daher aus Wiederaufbereitungsanlagen stammt und zusätzlich wesentlich gefährlichere Transurane enthält. Das ARD-Fernsehmagazin monitor berichtete über ein Schreiben des US-Energieministeriums, in dem es heißt: "Das abgereicherte Uran enthält Spuren von Plutonium" (monitor, 18.1.2001). Plutonium ist einer der gefährlichsten Stoffe auf dieser Erde - hochgiftig bereits in winzigsten Mengen. Der Begriff "Spuren" ist sehr dehnbar und abhängig von den Nachweisgrenzen des jeweiligen Untersuchungsverfahrens.

Das Bundesverteidigungsministerium hat selber bislang lediglich ein einziges Geschoss von insgesamt mehr als 40.000 über Bosnien und dem Kosovo abgeschossenen bei der GSF, einem Forschungsinstitut bei München, untersuchen lassen. Und daraufhin gab Scharping Entwarnung. Nur zum Vergleich: Wenn 40.000 Patienten mit Husten in die Sprechstunde kämen, und man würde einen von ihnen auf ein Grippevirus untersuchen, würde man bei negativem Befund wohl kaum darauf schließen, dass die anderen keine Grippe haben. Daher erscheint es als überfällig und dringend erforderlich, dass jetzt eine ausreichend große Anzahl von DU-Geschossen auf ihren Plutonium-Gehalt hin untersucht werden - und zwar von mehreren unabhängigen Laboratorien.

Zur Zeit verfügen wir über keine verlässlichen Informationen, wie viel Atommüll die US-Armee mit Wissen ihrer Verbündeten im Kosovo, in Serbien und Bosnien vor allem auf Kosten der dort lebenden Zivilbevölkerung "entsorgt" haben. Wenn man das Argument des Kriegseinsatzes ernst nimmt, dass es um den Schutz der Zivilbevölkerung gehen sollte, dann steht diese Art der Kriegsführung allerdings in jedem Fall in krassem Widerspruch dazu.

Bevölkerung nicht aufgeklärt

Im vergangenen Jahr konnte ich mich persönlich auf einer Reise in den Kosovo davon überzeugen, dass selbst das Wenige, was man dann noch hätte tun können, nicht passiert ist: weder die Bevölkerung noch die ärztlichen Kollegen sind je über die Gefahren von Uranmunition informiert worden. Selbst der UNMIK, also der Zivilverwaltung im Kosovo, sind Informationen über die genaue Lage der kontaminierten Gegenden trotz Nachfragen vorenthalten worden, wie mir ihr Leiter Tom Königs in einem Gespräch bestätigte. In einer von monitor zitierten vertraulichen Studie des Verteidigungsministeriums heißt es: "Bei der Einrichtung von Biwaks (sollten) Geländeteile gemieden werden, auf denen eine Kontamination durch Beschuss stattgefunden hat oder wo kontaminierter Staubniederschlag den Boden verseucht hat".

Die Bevölkerung im Kriegsgebiet wurde also bewusst über die Gefahren im Unklaren gelassen, die darin bestehen, dass belastetes Wasser aus offenen Brunnen getrunken wird, dass Kinder in kontaminierten Böden im Staub spielen und Lebensmittel dort angebaut werden. Soldaten importieren ihre Lebensmittel, für die Bevölkerung dagegen wurde noch nicht einmal ansatzweise der Zugang zu unbelasteter Nahrung geschaffen. Als Gipfel des Zynismus kommt hinzu, dass derzeit Menschen in Kenntnis dieser Gefahr aus Deutschland ins Kriegsgebiet abgeschoben werden.

Umweltschäden von unbekanntem Ausmaß

Was ist nun zu tun? Es müssen ausreichende finanzielle Mittel bereitgestellt werden, um den Menschen im ehemaligen Jugoslawien den Zugang zu unbelasteten Lebensmitteln zu ermöglichen. Boden- und Wasserproben müssen entnommen werden, belastete Gebiete so weit wie möglich dekontaminiert oder unzugänglich gemacht werden. Darüber hinaus sollten epidemiologische Langzeitstudien von unabhängigen Wissenschaftlern sowohl bei Soldaten wie gerade auch bei ZivilistInnen durchgeführt werden, um klare Aussagen über die Auswirkungen von DU-Munition und eventuell anderer Ko-Faktoren treffen zu können. Uranuntersuchungen im Urin allein reichen hierfür bei weitem nicht aus, sie sind lediglich ein Baustein von vielen anderen notwendigen Untersuchungen.

Uranmunition ist aber nicht der einzige Stoff, von dem Gefahren ausgehen. Insbesondere in Serbien sind gezielt Industrieanlagen wie Petrochemische Betriebe, Erdölraffinerien, Düngemittelfabriken, Treibstofflager, Kraftwerke und Chemiewerke bombardiert worden. In einer vertraulichen Studie des Umweltbundesamtes heißt es: "Es ist davon auszugehen, dass durch die Zerstörung dieser Anlagen die darin befindlichen Stoffe zu großen Teilen in die Umwelt gelangt sind." (3) Man wusste also, was man tat.

Bei der Bombardierung von Industrieanlagen ist mit einer Unzahl von freiwerdenden Giftstoffen zu rechnen - angefangen von Giftgasen wie beispielsweise Chlorgas oder Vinylchlorid bis hin zu Dioxinen, Schwermetallen und Öl, die die Böden, Grund- und Oberflächenwasser und die Luft belasten und schwere Folgen für die menschliche Gesundheit haben:

- Beispiel Chlorgas: Verätzung der Schleimhäute, Atemnot und Tod durch qualvolles Ersticken

- Beispiel Ethylenchlorid: Hautausschläge, Leber -und Nierenschäden, zentrale Depression, krebserzeugende Wirkung

- Beispiel Dioxine: Dosisabhängig Leberschäden (bis hin zum Tod im Leberkoma), Chlorakne, Krebs, Infertilität und schwere Missbildungen in den nachfolgenden Generationen, insbesondere Anenzephalie (Geburt ohne Gehirn, nicht lebensfähig), Anophtalmie (Augenlosigkeit), Lippen- Kiefer- Gaumenspalte, Phokomelie (Gliedmaßenmissbildung), Siamesische Zwillinge, Spina bifida (Rückenmarksdefekt). Insbesondere ist hier das als Seveso-Gift bekannt gewordenen 2,3,7,8-Tetrachlorodibenzo-p-Dioxin (TCDD) zu nennen, welches auch Bestandteil vom im Vietnamkrieg angewandten Agent-Orange war.

Diese giftigen Substanzen werden sowohl in die Luft wie auch in Grund- und Oberflächenwasser und den Boden freigesetzt. Die Folgen: akute und chronische, langanhaltende Vergiftung und Verseuchung ganzer Ökosysteme einschließlich sämtlicher Lebewesen.

Eine Gruppe von WissenschaftlerInnen des Regional Environmental Center for Central and Eastern Europe (REC) kommt zu dem Schluss, dass die Umwelt im gesamten Staatsgebiet Jugoslawiens betroffen ist. (4) Eine weitere Studie des United Nations Environmental Program (UNEP) soll hierzu im März veröffentlicht werden. Auch die Anrainerstaaten sind geschädigt. In Bulgarien ging demzufolge vom 23.-26.5.1999 saurer Regen nieder als Folge der Brände in Jugoslawien. In die Donau wurde laut BBC News vom 19.4.1999 Ethylenchlorid abgelassen, um Explosionen zu verhindern. Ebenso wurden Ölteppiche auf der Donau gesichtet.

In einer monitor-Sendung vom 20.5.1999 berichtete der Umweltchemiker Prof. Spyridon-Rapsomanikis von der Universität Thessaloniki über eigene Messungen in Griechenland, die bis zu 15fach erhöhte Werte in der Luft für Dioxine, Furane, PCB und andere Schadstoffe ergaben, die auf brennende Fabriken in Jugoslawien zurückzuführen sind. Man kann derzeit nur spekulieren, wie katastrophal die Werte im Umkreis der bombardierten Industrieanlagen waren und sind.

Dr. Gina Mertens
Internationale Ärzte für die
Verhütung des Atomkrieges

Anmerkungen:

1) Miller Alexandra C et al., Transformation of Human Osteoblast Cells to the Tumorigenic Phenotype by Depleted_Uranium_Uranyl Chloride, in: Environmental Health Perspectives Volume 106, No.8, August 1998.

Au WW et al., Population monitoring: experience with residents exposed to uranium mining /milling waste. in: Mutat Res 1998 Sep 20; 405(2): 237-45

2) U.Gottstein, Gesundheitsschäden durch "abgereichertes Uran" im Irak? Hessisches Ärzteblatt, 56 JG (1995), Seiten 237-239.

D.Fahey, Case Narrative. Depleted Uranium (DU) Exposures. Sept.2nd, 1998. Swords to Plowshares, inc./ National Gulf War Resource Center, Ic. / Military Toxics Project, Inc.

3) Umweltbundesamt, Erste Einschätzungen zu den ökologischen Auswirkungen des Krieges in Jugoslawien. Unveröffentlichtes Manuskript vom 5.5.1999, S.2

4) Regional Environmental Center for Central and Eastern Europe, Assessment of the Environmental Impact of Military Activities During the Yugoslavia Conflict. Preliminary Findings. Report für die Europäische Kommission DG-XI-Environment, Nuclear Safety and Civil Protection. Juni 1999.

weitere Informationen: www.ippnw.de