Offensive oder Flucht nach vorne?
Mexikanische Zapatistas auf dem Weg in die Hauptstadt
Die Zapatistas sind wieder in aller Munde. Nach Monaten des Schweigens, der politischen Nichtbeachtung und Jahren der militärischen Abschnürung bringt eine Tour der EZLN-Führung in die mexikanische Hauptstadt die zapatistische Bewegung wieder auf die Titelseiten zurück. Auch die übrige Linke in Mexiko schüttelt im Zuge der Empfangsvorbereitungen die Erstarrung ab, in welche sie seit dem Wahlsieg des konservativen Vicente Fox bei den letzten Wahlen im Juli vergangen Jahres gefallen war.
Subcomandante Marcos hat schon in der Vorbereitungsphase eine wahre Interviewoffensive gestartet. Dabei gelang es ihm, seine Thesen selbst in der New York Times an herausgehobener Position zu platzieren. Aber bedeutet dies, dass die Zapatistas auch in die politische Offensive gekommen sind? Oder ist es nicht vielmehr geradezu umgekehrt? Dass nämlich die breit angelegte, sowie in Form und Inhalt unerwartete politische Offensive des konservativen Präsidenten Fox den Zapatistas keine andere Möglichkeit mehr ließ, als die Flucht nach vorne anzutreten und sich in die Höhle des Löwen zu begeben?
Ähnlich wie schon 1994, als die EZLN mehrere Städte und Ortschaften in Chiapas militärisch besetzten, gelingt es den Zapatistas mit dem geplanten Besuch von 22 Zapatista-Kommandanten und des Subcomandanten erneut, die Achse der politischen Debatte zu verschieben. Allerdings sind die Bedingungen, unter denen dies im Februar/März 2001 passiert nicht mehr mit jenen des Jahres 1994 vergleichbar. Ebenso wenig sind es die möglichen Dynamiken, die von den Zapatistas in Gang gebracht werden können.
1994 war Mexiko das unangefochtenes Dominium der autoritären, korrupten und in breiten Bevölkerungsschichten verhassten Staatspartei PRI, die das Land seit 1929 regierte. Dies legitimierte den Aufstand in Chiapas und verlieh ihm eine tendenziell systembedrohende Bedeutung, die weit über die vergleichsweise geringen organisatorischen Kräfte der Bewegung hinausging. Dagegen ist heute ein Konservativer an der Spitze der Regierung, der demokratisch gewählt wurde und dessen Popularität bislang noch ungebrochen ist.
Der dynamische Vicente Fox hat mit seinem Modernisierungs- und Pluralismusdiskurs die Linke weit in die Defensive gedrängt. Im Fall der Zapatistas sogar so weit, dass sie sich bis kurz vor dessen Amtsantritt am 1. Dezember nicht einmal zu den tief greifenden Reformen des Wahlsystems äußerten. Erst die diversen Beteuerungen des Präsidenten, für ihn stehe ein Friedensschluss in Chiapas ganz oben auf der Tagesordnung und die in Reaktion darauf angekündigte Reise der Zapatistas haben die politische Lähmung der EZLN beendet.
Neben den geänderten Rahmenbedingungen, unter denen sie zu agieren hat, verschob sich auch die Hauptstoßrichtung der EZLN Politik. Stand 1994 eine "demokratische Revolution" mit gesamtmexikanischem Anspruch im Mittelpunkt, so hat sich die EZLN davon sukzessive entfernt hin zu der vergleichsweise niedriger gehängten Autonomie-Forderungen für die indianischen Bevölkerungsgruppen. Die bis etwa 1996 forcierte Strategie, eine große landesweite soziale Bewegung mit all jenen Kräften zu bilden, welche die armen Bevölkerungsschichten in ganz Mexiko vertreten, sei es auf dem Land oder in der Stadt, seien es Mestizen oder Indígenas, wurde de facto aufgegeben. Sie wurde abgelöst durch eine Mobilisierung rund um die Einforderung des von der PRI-Regierung auf Eis gelegten San-Andrés-Friedensabkommens von 1996, das einen rechtlichen Rahmen für indianische Autonomierechte vorsieht.
Zwar war dieses Abkommen ursprünglich nur als erstes einer ganzen Serie von Teilabkommen gedacht, aber angesichts der vollkommen neuen politischen Lage scheint es unrealistisch, dass die Zapatistas mit der in sauberen Wahlen bestimmten Regierung etwa ein Abkommen über "Demokratie" schließen könnte. Denn anders als 1994 verfügen heute staatliche Institutionen wie die Wahlbehörden über ein hinreichendes Maß an Unabhängigkeit und Legitimität, so dass die Verbesserung des demokratischen Prozedere in Abstimmung mit diesen Staatsorganen erfolgen kann und ein Abkommen zwischen Staat und Zapatistas zu diesem Punkt keinen Sinn mehr macht.
Auf den Punkt gebracht heißt das: Waren die Zapatistas 1994 angetreten, um eine nicht näher definierte "demokratische Revolution" loszutreten, so verlangen sie heute im Wesentlichen "nur" noch systemimmanente Reformen, welche die Lage der Indígenas verbessern sollen. Systembedrohend waren diese Reformforderungen nur so lange, wie das verknöcherte PRI-Regime auf blanke Gewalt setzte. In dem Maße, wie die neue Regierung auf Dialog macht, sind die Zapatistas gezwungen, sich an den Tisch zu setzen.
Schneller Foxtrott
Die neue Regierung ließ der Opposition keine Zeit, ihre Wahlniederlage zu verdauen. Mit seinem Kommunikationstalent und einer plural zusammengesetzten Regierungsmannschaft im Rücken punktet Präsident Fox nicht nur im Chiapas-Konflikt. Mit einer ganzen Serie symbolischer Aktionen wie etwa der Aufhebung einer Reihe von Straßensperren, der Freilassung von etwa 20 inhaftierten Zapatistas (von insgesamt 120), der Schließung von vier (von 259) Militärgarnisonen in der Konfliktzone und dem Einbringen des San Andrés-Friedensabkommens ins Parlament untermauerte Fox seine Ankündigung, dass ein Friedensschluss in Chiapas für seine Regierung hohe Priorität haben werde. In dieselbe Stoßrichtung geht die Ankündigung der Migrationsbehörde, dass die Anfeindung und Ausweisung internationaler Beobachter in Chiapas zu Gunsten einer deutlich offeneren Haltung korrigiert werde.
Diese Teilzugeständnisse, an die unter der PRI-Regierung von Präsident Zedillo nicht einmal im Traum zu denken war, haben in der mexikanischen Gesellschaft den Eindruck entstehen lassen, dass es Präsident Fox ernst sei mit der Absicht, den Chiapas-Konflikt zu befrieden. Selbst in der linksliberalen Tageszeitung La Jornada, dem wichtigsten publizistischen pro-zapatistischen Medium mit Massenwirksamkeit läuft eine ernsthafte und kontroverse Debatte, ob und wie weit die Regierung den Zapatistas wirklich entgegenkommt. Da gibt es sowohl Stimmen, die von "sehr positiven Signalen" sprechen wie etwa Miguel León Portilla (28.01.2001), als auch solchen wie des bekannten linken Romanciers Carlos Montemayor, der aus der "Überfülle der Erklärungen" und den "unzureichenden und schwächlichen Handlungen" "sehr negative" Schlüsse zieht. (17.1.2001)
Allein die Existenz dieser Debatte in La Jornada, um vom deutlich rechts davon angesiedelten Mainstream gar nicht zu reden, zeigt aber, dass die Zapatistas unter Zugzwang gekommen sind. Der schwarze Peter des "Verweigerers" von ernsthaften Verhandlungen ist auf Grund der oben genannten Teilzugeständnisse eben nicht mehr von vorneherein und völlig eindeutig im Feld der Regierung. Diese Schritte bringen die Zapatistas in der Gesellschaft in Erklärungsnot und zwingen sie, ein konkretes Verhandlungsangebot zu formulieren.
Man kann die bisherigen Regierungszugeständnisse auch einfach als "kosmetisch" werten, wie dies in ak 446 zu lesen war. Die Frage ist nur, was dann der Maßstab für diese Bewertung ist. Aus meinen bisherigen Überlegungen dürfte klar geworden sein, dass dies keinesfalls die Vorgängerregierung sein kann. Denn von dieser ist jedes einzelne Zugeständnis über Jahre und strikt abgelehnt worden. Die PRI war sogar dazu bereit, einen hohen Preis in Form internationalen Prestigeverlustes zu bezahlen. Dies ist der neuen PAN-Regierung offensichtlich bewusst. Denn sie begründet ihre neue Politik nicht zuletzt damit, dass sie die negative Auslandssicht gerade vermeiden möchte, weil sie für die erwünschten ausländischen Kapitalinvestitionen hinderlich sei.
Die Zapatistas sind nicht die Einzigen, die mit der Regierung Fox ihre liebe Mühe haben. Den sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und der links-zentristischen Partei der demokratischen Revolution (PRD) unter Cuauthémoc Cárdenas geht es nicht viel besser. Sie haben es bisher nicht geschafft, der Mischung aus unternehmerfreundlicher Wirtschaftspolitik und demokratischer Öffnung der politischen Sphäre etwas entgegenzusetzen. Denn was ist aus linker Sicht zu kritisieren, wenn der bekannte argentinische Folteroffizier Cavallo nach Spanien ausgeliefert wird, wenn die USA aufgefordert werden, die absurde "Zertifizierung" der Drogenpolitik aufzugeben oder wenn Fox eine Verfassungsreformdebatte anstößt mit dem Ziel, den Zentralismus und die Vormacht des Präsidenten zu verringern? Was soll man daran aussetzen, dass Ricardo Pascoe, ein ausgewiesender Kuba-Kenner mit trotzkistischer Vergangenheit, der gegenwärtig der Führungsriege der links-zentristischen PRD angehört, Mexikos Mann in Havanna wird. Fidel Castro jedenfalls, war des Lobes voll für Präsident Fox.
Linke Defensive in ersten 100 Tagen
Mit anderen Worten, der Politik-Mix, den die neue bislang Regierung pflegt, ist äußerst geschickt. Sie vermeidet Konfrontationen mit linken und sozialen Bewegungen, bindet gemäßigt linke Persönlichkeiten in verantwortungsvolle Positionen ein und maximiert so die Konfusion in den gegnerischen Reihen. Die PRD beispielsweise schwankt zwischen prinzipieller Opposition und Zusammenarbeit in Sachfragen wild hin und her. Es muss sich zeigen, ob das drum herum um die Zapatista-Tour in die Hauptstadt so viel in Bewegung bringt, dass sich die erste Welle der Fox-Euphorie bricht. Wenn dies gelänge, wäre einiges erreicht.
Die nahezu dreiwöchige Karawane eignet sich gut zur Sammlung von Aktivisten und als Ausgangspunkt für vielfältige politische und organisatorische Aktivitäten. Insofern hat diese Initiative sicherlich ein offensives Moment. Was jedoch den Ausgangspunkt betrifft, die Reaktion auf die schnellen Vorgaben der neuen Regierung, sowie die inhaltliche Grundlage der Aktion, die Verteidigung des San-Andrés-Abkommens, so handelt es sich um eine Flucht nach vorne. Es ist anzuzweifeln, ob auf der Grundlage des San-Andrés-Abkommens eine weitertragende Bewegung aufgebaut werden kann, einfach deshalb, weil es sich dabei um Regelungen handelt, die vor allem Indígenas, also lediglich 10-15% der Gesamtbevölkerung betreffen. Die aktuelle Aufregung erinnert eher an im Prinzip ähnlich gelagerte Märsche der Zapatistas, die zwar immer viel Aufmerksamkeit und Sympathiebezeigungen brachten, jedoch nie den Sprung schafften, diese Sympathie auch dauerhaft zu binden und politisch zu organisieren. Aber was bleibt, außer es immer wieder zu versuchen?
Albert Sterr