DNA-Zwangstests für Flüchtlinge
In Essen sind in den letzten Wochen auf richterlichen Beschluss bei Asylsuchenden in mindestens 40 Fällen DNA-Analysen durchgeführt worden, weil die Ausländerbehörde Anzeige wegen Betrugs erstattet hat. Die Behörde vermutet, dass von den etwa 1500 Flüchtlingen, die angeben, aus dem Libanon zu stammen, möglicherweise 800 tatsächlich aus der Türkei geflohen sind und somit falsche Angaben über ihre Nationalität gemacht haben. Hintergrund dieser Kampagne ist der Umstand, dass nach einem Erlass des NRW-Innenministers aus dem Jahr 1991 Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon, die vor dem 31.12.1988 eingereist sind, als "De-facto-Flüchtlinge" ein Aufenthaltsrecht in der BRD haben. Um dem unterstellten Betrug auf die Schliche zu kommen, wurden bei mittlerweile mindestens 40 Personen unter Polizeieinsatz Speichelproben erzwungen. Der Essener Rechts- und Ordnungsdezernent, Ludger Hinsen (CDU), behauptet, mit Erfolg: In 35 der 40 Fälle habe eine türkische oder syrische Herkunft nachgewiesen werden können. Richtig allerdings: Bei 35 der bisher vierzig Proben wurden eindeutig Verwandtschaftsverhältnisse festgestellt. Nein, das Staatsangehörigkeits-Gen ist auf der menschlichen DNA bisher nicht entschlüsselt worden.
CDU-Ratsmehrheit und Verwaltung verteidigen die Aktion, während SPD, Grüne und die PDS die Zwangstests nachdrücklich verurteilen und die Verhältnismäßigkeit in Frage stellen. Der Fraktionssprecher der Grünen Mehrdad Mostofizadeh betont, dass es hier um die "Stigmatisierung und Schikanierung bestimmter ausländischer Bevölkerungsgruppen" geht. Das Verfahren der DNA-Analyse zur Ermittlung der Staatsangehörigkeit sei völlig untauglich, wie auch seine eigene Geschichte zeige. Als Deutscher iranischer Herkunft habe er eine Großmutter mit iranischer, eine Tante mit amerikanischer und einen Vater mit deutscher Staatsbürgerschaft. "Ein Gentest würde sicherlich nachweisen, dass ich mit allen Dreien verwandt bin" so Mostofizadeh (jungle World, 07.02.01).
Eine Gesamtsicht der Erfassungsinstrumente in Bezug auf Ausländerinnen und Ausländer ergibt, dass es sich "hierbei um die am intensivsten durchleuchtete Bevölkerungsgruppe in Deutschland handelt", so der Tätigkeitsbericht des rechtswissenschaftlichen Instituts der HU Berlin (1998), und weiter: "Es drängt sich immer wieder der Eindruck auf, als würden an dieser Gruppe neue Überwachungsinstrumente erprobt, die, wenn sie sich ,bewährt` haben, auch gegenüber anderen Menschen eingesetzt werden."
Der BGH hatte 1990 erstmals den genetischen Fingerabdruck als ergänzende Methode zur Feststellung der Vaterschaft gebilligt. Seitdem ist er als Ermittlungsmethode immer breiter eingesetzt worden, vor allem bei der Ermittlung von Straftätern bei Kapitalverbrechen wie schweren Sexualdelikten.
Das Essener Amtsgericht hat die Gentests gegen die Flüchtlinge mit den Artikeln 81c und 81g der Strafprozessordnung begründet; hier wird die erkennungsdienstliche Behandlung geregelt. Danach sind im Verdachtsfall "Untersuchungen zur Feststellung der Abstammung und die Entnahme von Blutproben ohne Einwilligung des zu Untersuchenden zulässig, wenn kein Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten und die Maßnahme zur Erforschung der Wahrheit unerlässlich ist. Die Untersuchungen dürfen stets nur von einem Arzt vorgenommen werden". Der Artikel 81g der StP0 lautet seit Beschluss des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes (vom 7.9.1998, BGBl.I., S.2646): "Zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren dürfen dem Beschuldigten, der einer Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere eines Verbrechens, eines Vergehens gegen die sexuelle Selbstbestimmung, einer gefährlichen Körperverletzung, eines Diebstahls in besonders schwerem Fall oder einer Erpressung verdächtig ist, Körperzellen entnommen und zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters molekulargenetisch untersucht werden, wenn wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Beschuldigten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zur Annahme besteht, dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen einer der vorgenannten Straftaten zu führen sind."
Hessens Datenschutzbeauftragter Rainer Hamm hatte noch im März 1999 das Bundesgesetz zur Speicherung von DNA-Analysen als "schlampig" bezeichnet. Weder sei exakt geregelt, bei welchen Personen der genetische Fingerabdruck entnommen werden dürfe, noch gebe es Angaben darüber, welches Gericht die Entnahme anordnen müsse. Hamm kritisierte auch, dass das im Herbst 1998 in Kraft getretene Gesetz die Speicherung von Erbinformationen bereits bei Personen erlaube, die lediglich eines Verbrechens "verdächtig" sind - wie im Falle der Essener Flüchtlinge. (Frankfurter Rundschau, 24.3.99)
Juristische Fragen, die sich hieraus für die DNA-Zwangstests in Essen ergeben sind: 1) Sind die Speicheltests von einem Arzt genommen worden? 2) Handelt es sich beim Verschweigen der Nationalität "um eine Straftat erheblicher Bedeutung", vergleichbar mit etwa gefährlicher Körperverletzung oder Erpressung, die im Gesetz ausdrücklich erwähnt sind? 3) Selbst wenn ein Betrug in Sachen "Nationalität" vorliegt: Besteht für die Flüchtlinge ein Grund, diese "Straftat" wirklich noch einmal zu begehen, was laut Art. 81g StPO erst die Entnahme der Speichelproben rechtfertigt?
Aber der Einsatz von DNA-Tests in Asylangelegenheiten hat schon Geschichte. 1997 beschloss die Innenministerkonferenz, künftig Gentests einzusetzen, um illegalen Kinder-Nachzug zu verhindern. Damals ging es vor allem um kurdische Flüchtlinge aus dem Nordirak. Inzwischen wurden die Gentests in verschiedenen Bundesländern eingesetzt, doch bisher ist in den seltensten Fällen ein Betrug nachgewiesen worden.
Angeboten hatte die Technik damals der Münsteraner Rechtsmediziner Prof. Brinkmann. Der Test wurde an den Familienmitgliedern, die den Nachzug nach Deutschland beantragt hatten, von einem Vertrauensarzt der deutschen Botschaft in Ankara und gleichzeitig an den schon hier im Lande weilenden Angehörigen von einem Amtsarzt durchgeführt. Für das NRW-Innenministerium waren die Tests 1997 noch eine "private und freiwillige Angelegenheit" zwischen den Antragstellern und dem Münsteraner Institut. Eine Ablehnung des Tests hätte allerdings eine Einreiseverweigerung zur Folge gehabt. Die Kosten von ca. 660 DM mussten die betroffenen Flüchtlinge auf ein Privatkonto von Prof. Brinkmann überweisen. Die damalige Monopolstellung des Münsteraner Professors ist heute aufgehoben. Inzwischen bieten auch andere Firmen die Tests an: Über Internet z.B. die Firma "BJ Diagnostik GmbH" zu einem Preis von 790 DM oder die Firma "MediGenomix".
Immer wieder wurden auch Zweifel an der Sicherheit der Gentests geäußert. Vor allem bei der Verwendung so genanntet "mitochondrialer DNA-Proben" treten erhebliche Schwächen auf. Diese Methode wird vor allem bei Haarproben verwendet: In einem einzigen Haar ein und derselben Person können zwischen Spitze und Wurzel mehrere verschiedene DNA-Profile vorhanden sein. Auch zwischen unterschiedlichen Zelltypen des Körpers gibt es oftmals erhebliche Abweichungen. Amerikanische Kriminalexperten sind sich sicher, dass es bereits zu fälschlichen Verurteilungen auf der Grundlage von DNA-Tests gekommen ist, etwa im Fall eines Mannes, der in Tennessee als Mörder einsitzt.
Erika Feyerabend
BioSkop-Forum zur Beobachtung der Biowissenschaften e.V., Bochumer Landstr. 144a, 45276 Essen