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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 447 / 22.2.2001

Querstell-Konzepte für den Tag in Gorleben

Wenn der Zug mit den sechs Castor-Behältern Ende März quer durch Europa rollt, wird die Anti-Atom-Bewegung gut vorbereitet sein. Die Erfahrungen der bisherigen Castor-Transporte nach Gorleben und Ahaus waren und sind sehr hilfreich bei der Entwicklung aktueller Widerstands-Konzepte.

Eigentlich fängt alles ja schon lange vor dem Tag X an. "Den Castor stoppen, bevor er losfährt". Dieser Slogan beschreibt, warum es wichtig ist, bereits in den Wochen vor dem Transporttermin politischen Druck zu entwickeln. Und es geht auch darum, dass die Bewegung in Schwung kommt. Nach vier Jahren Castor-Pause im Wendland gilt es Ortskenntnisse aufzufrischen oder erstmals zu erlangen. Schließlich werden viele dabei sein, für die es der erste Castor ist. Überall gründen sich jetzt neue Aktionsgruppen. Damit alle "fit für den Castor" sind, finden in vielen Städten Veranstaltungen, Trainings und erste Aktionen statt.

Woche für Woche große Aktionen

Neben den regional wichtigen Vorbereitungen gibt es auch mehr und mehr überregionale Demonstrationen und Aktionen. Am 24. Februar findet zwischen Lüneburg und Dannenberg ein Schienenaktionstag statt. Es geht darum, sich ortskundig zu machen und "neuen" Aktionsraum in Beschlag zu nehmen. Geplant ist eine Leistungsschau des Widerstandes in all seinen Facetten. Auftakt ist um 12 Uhr auf dem Marktplatz Dahlenburg.

Schon am darauf folgenden Wochenende das nächste Großereignis: "Eine Nacht im Gleis-Bett" wollen all diejenigen vom 3. auf den 4. März verbringen, denen Aktionen auf Schienen bisher eher fremd sind. Der Termin 10./11. März ist bisher noch nicht klar verplant, aber es ist davon auszugehen, dass auch an diesem Wochenende eine nette Aktion stattfindet.

Für den 17. März gibt es als vorläufige Idee das "Größte Wohnzimmer der Welt". Wie wäre es, wenn es sich viele Menschen samt ihrer Möbel (vielleicht vom Sperrmüll) auf der Transportstrecke bequem machen? Parallel dazu soll es bundesweit dezentrale Aktionen an den Bahnhöfen geben. Arbeitstitel: "Bahnhofsmission". Noch ist dieser Zeitplan nicht vollständig festgezurrt. Vieles wird sich spontan ergeben. Das ist auch gut so, denn darin liegt ja unter anderem eine Stärke des Widerstandes.

Diesmal liegt ein deutlich stärkeres Gewicht auf der Bahnstrecke zwischen Lüneburg und Dannenberg. Konzentrierten sich bislang die meisten QuerstellerInnen am Tag X auf die 18 Kilometer Straße zwischen Dannenberg und Gorleben, soll der Aktionsraum diesmal auch die 56 Kilometer Schiene ab Lüneburg umfassen. Es geht darum, dass nicht alle, wie bei einem schlechten Fußballspiel, dem Castor/Ball hinterherrennen, sondern eine taktisch kluge Raumaufteilung stattfindet.

Zweiter wichtiger Aspekt: Durch die Aufteilung der Strecke in verschiedene Abschnitte können unterschiedliche Aktionsansätze durchgeführt werden, ohne sich zu stören. So ist eine optimale Ergänzung denkbar, wenn sich z.B. an einer Stelle Leute gut vorbereitet an die Gleise ketten und es dadurch ermöglichen, dass an anderer Stelle eine größere Gruppe auf die Schienen kommen kann.

Kluger Gedanke Nummer drei: Es geht nicht in erster Linie um das möglichst lange Aufhalten des Castors. Natürlich ist es ein Erfolgserlebnis, wenn es wie 1997 zwei zwischen den Schienen einbetonierten Leuten gelingt, den Transport fünf Stunden aufzuhalten, oder die "X-tausendmal-quer"-Sitzblockade am Verladekran erst nach neun Stunden geräumt war. Aber wichtiger als diese "militärische" Auseinandersetzung - kommen sie durch oder nicht - bleibt auch am Tag X die politische Ebene. Aktionen, die öffentlich rüberbringen, was im Wendland los ist und warum es diesen Konflikt gibt, Aktionen, die deutlich machen, von wem in dieser Auseinandersetzung die Gewalt ausgeht, Aktionen, die zeigen, dass wir uns auch von einem noch so großen Polizeiaufgebot nicht einschüchtern lassen, können letztendlich mehr bewirken als manche unüberlegte Konfrontation mit der Polizei. So ist es auch ein dem Castor- und Atomkraft-Stopp gleichwertiges Ziel, dass diejenigen, die dabei waren, nachher mit einem guten Gefühl nach Hause fahren und das nächste Mal mit noch mehr Leuten wieder kommen.

Die vierte Komponente ist simpel: einfach rechtzeitig da sein. Die Erfahrung zeigt, dass die Polizei ihre volle Einsatzstärke erst erreicht, wenn der Tag X wirklich da ist. Da die gesamte Anti-Atom-Bewegung aber schon auf den Samstag, den 24. März zur großen Auftaktdemonstration nach Lüneburg mobilisiert, und da es ab diesem Tag entlang der gesamten Strecke aufnahmebereite Camps geben soll, besteht die begründete Hoffnung, dass viele Menschen nicht wieder nach Hause fahren, sondern gleich vor Ort bleiben. Denn am Sonntag und Montag wird es entlang der ganzen Strecke zahlreiche große und kleine Aktionen geben. In den Camps läuft die Vorbereitung für den Tag X (27.3.) und auch kulturell wird einiges geboten. So wird u.a. die Band "Neues Glas aus alten Scherben" auftreten, die sich aus Musikern der Rio-Reiser-Band und "TonSteineScherben" gebildet hat.

Bis zur Ankunft des Castor-Zuges liegt der Aktionsschwerpunkt also eindeutig auf der Schiene, was natürlich nicht bedeutet, dass nicht schon einzelne auch an der Straßenstrecke aktiv sein werden. Sollte der Transport den Castor-Verladekran in Dannenberg erreichen, dann werden die meisten Menschen aus den Camps entlang der Schiene sich weiter in das Wendland hineinbewegen, um sich auf der Straße ein zweites Mal quer zu stellen. Von Vorteil ist, dass die Verladung der sechs Behälter von der Bahn auf die Schwerlast-LKWs mehrere Stunden dauern wird, so dass Zeit bleibt, um auf die Straße zu kommen.

Kluge Gedanken: Das Widerstands- Konzept

Allerdings ist die Umladezeit möglicherweise deutlich kürzer als beim letzten Gorleben-Transport 1997, als der Castor-Konvoi 32 Stunden in Dannenberg pausieren musste. Weil der Kran in den letzten Monaten auf Rollen gesetzt wurde und so das aufwendige Rangieren der Waggons entfällt, kann die Verladung schätzungsweise in fünf bis sechs Stunden vollzogen werden.

Dies, so die Einschätzung, macht aber nur Sinn, wenn der Zug am Abend des 27.3. rechtzeitig eintrifft und die Verladung bis zum frühen Morgen abgeschlossen ist. Denn bisher hat die Polizei immer größten Wert darauf gelegt, dass der Straßentransport im Morgengrauen beginnt, um noch bei Tageslicht in Gorleben anzukommen. Zieht sich der Schienentransport also bis tief in die Nacht und die Verladung bis in den Mittwochvormittag, dann wird der Konvoi nach Gorleben wohl erst am Donnerstag, den 29. März rollen. Für diesen Fall soll vorgesorgt werden. Denn dann sind auch an der Straßenstrecke Camps nötig, in denen sich die AktivistInnen ausruhen und stärken können.

Jochen Stay