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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 447 / 22.2.2001

Ein Prozess und seine Folgen

OPEC-Prozess: Staatsanwaltschaft kennt kein Pardon

Nach 25 Verhandlungstagen hat das Landgericht in Frankfurt am Main am 15. Februar die Urteile im so genannten OPEC-Prozess gesprochen. Der 53-jährige Hans-Joachim Klein wurde wegen seiner Beteiligung an der Besetzung der Wiener Konferenz der Erdöl exportierenden Staaten (OPEC) am 21. Dezember 1975 zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Rudolf Schindler (58), dem die Staatsanwaltschaft Beihilfe vorgeworfen hatte, wurde freigesprochen. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft legte bereits einen Tag später Revision gegen das Urteil ein.

Es waren vor allem die zahlreichen prominenten Zeugen, welche die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf den Frankfurter OPEC-Prozess zogen. Zeitweise traten die Angeklagten völlig in den Hintergrund zurück. Es war ja auch eine illustre Runde, die dort als Zeugen vernommen wurden: Ilich Ramírez Sánchez, besser bekannt als "Carlos", Daniel Cohn-Bendit, Matthias Beltz oder etwa Joschka Fischer. Zum ersten Mal in der (west-)deutschen Justizgeschichte musste ein amtierender Minister als Zeuge vor Gericht erscheinen. Kein Wunder also, dass andere Aspekte des OPEC-Prozesses kaum zur Geltung kamen. Etwa das Anliegen der Bundesanwaltschaft (BAW), "ihren" Kronzeugen in Sachen "Revolutionäre Zellen" (RZ), Tarek Mousli, ins Spiel zu bringen. Oder die Versuche der Frankfurter Staatsanwaltschaft, immer wieder bei Zeugenbefragungen die Ermordung des hessischen Wirtschaftsminister, Heinz Herbert Karry 1981 zum Thema zu machen.

Der Vorsitzende Richter der 21. Kammer des Frankfurter Landgerichtes hatte diese Entwicklung vorhergesehen. "Das ist ein Gericht und kein historisches Seminar", so Heinrich Gehrke zu Beginn der Verhandlung. Er betonte, dass es dem Gericht nicht um geschichtliche Aufarbeitung gehe, sondern um die individuelle Tatbeteiligung der Angeklagten. Hans-Joachim Klein wurde gemeinschaftlicher Mord und Mordversuch in drei Fällen sowie Geiselnahme vorgeworfen. Der Mitangeklagte Rudolf Schindler habe Klein für das Kommando-Unternehmen angeworben und logistische Hilfe bei der Besetzung geleistet, behauptet die Anklage.

Von Zeugen und Kronzeugen

Am 21. Dezember 1975 drang ein sechsköpfiges Kommando, das sich "Arm der Arabischen Revolution" nannte, in die OPEC-Zentrale in Wien ein und nahm über 70 Geiseln, darunter elf Minister aus den verschiedenen OPEC-Staaten. (vgl. ak 443) Bei der Besetzung kam es zu einem Schusswechsel mit der österreichischen Polizei, bei dem der Polizist Anton Tichler ums Leben kam. Hans-Joachim Klein erlitt einen Bauchschuss. Zuvor hatte bei einem Handgemenge "Carlos", der Anführer des Kommandos, ein libysches Delegationsmitglied erschossen. Auch der irakische Leibwächter Ali Hassan Khafali überlebte den Überfall nicht.

Die Staatsanwaltschaft ging davon aus, dass Hans-Joachim Klein den Iraker erschossen hat. Sie stützte sich dabei auf eine Aussage von "Carlos". Klein hingegen versicherte, dass er niemanden bei diesem Überfall getötet habe. Stattdessen beschuldigt er Gabriele Kröcher-Tiedemann, die 1995 an Krebs starb.

25 Jahre nach diesen Ereignissen sollte nun mit den Mitteln der Justiz das Tatgeschehen rekonstruiert und ein Urteil gesprochen werden. Richter Gehrke selbst machte auf die Schwierigkeiten aufmerksam: Nach 25 Jahren berge das Verfahren "naturgemäß eine Reihe von Problemen". Mögliche Zeugen hätten Erinnerungslücken, andere Beteiligte seien tot. Hinzu kommt, dass unmittelbar nach dem Abzug des Kommandos mit ihren Geiseln zeitgleich mit den ermittelnden Beamten eine Putzkolonne mit der Reinigung des Gebäudes begann und dadurch von einer Spurensicherung eigentlich ernsthaft keine Rede sein kann. Die Beteiligung von Hans-Joachim Klein an diesem Anschlag stand nie in Frage. Offen war, ob Klein den Iraker in Wien erschoss. Das konnte allerdings während des Verfahrens nicht geklärt werden. Wie Gehrke jedoch feststellte, war dies für den Schuldspruch so wiesounerheblich. Juristisch spielt es nämlich keine Rolle, wer wohin oder auf wen geschossen hat.

Eine Verurteilung von Klein stand also von vorne herein fest. Dieser Tatsache war es geschuldet, dass Rudolf Schindler neben Hans-Joachim Klein auf der Anklagebank saß. Für Mord droht lebenslange Haft, ein Strafnachlass ist nicht möglich - es sei denn, es kommt die Ende 1999 ausgelaufene Kronzeugenregelung in Anwendung. Hans-Joachim Klein hatte diesen Weg gewählt.

Hans-Joachim Klein lebte seit seinem Ausstieg aus den "Revolutionären Zellen" (RZ) in der Illegalität. Unterstützt wurde er von ehemaligen Frankfurter Genossen, allen voran Daniel Cohn-Bendit. Mit deren finanzieller und logistischer Hilfe konnte er sich bis 1998 dem Zugriff der bundesdeutschen Behörden entziehen. Angeblich durch die Telefonüberwachung einer Journalistin, die sich Ende der 90er Jahre öfter mit Klein getroffen hatte, wurden die Fahnder auf seinen Aufenthaltsort aufmerksam. Im September 1998 wurde Klein dann von Beamten des Bundeskriminalamtes (BKA) im französischen Sainte-Honorine-La-Guillaume festgenommen.

Frankfurter Inszenierungen

Erste Kontakte mit bundesdeutschen Sicherheitsbehörden hatte Klein allerdings schon 1988. Auf Vermittlung von Cohn-Bendit trafen sich damals Klein und ein Verfassungsschützer mit dem Decknamen "Benz". "Benz" war verantwortlich für das "Aussteigerprogramm" des Verfassungsschutzes. Bei diesem und zwei weiteren Treffen 1993 in Paris bot er Klein an, seine Schilderung des Tathergangs an die BAW weiterzuleiten. Bei einer "nachvollziehbaren Aussage" würde - so die Versprechung von "Benz" - eventuell der Mordvorwurf fallen gelassen. Eine Rückkehr Kleins aus der Illegalität ohne Prozess schloss "Benz" aus. Für Klein ein Angebot, auf das er nicht eingehen konnte.

Nach seiner Festnahme in Frankreich im September 1998 machte Klein dann umfangreiche Aussagen vor der BAW. Dabei bezichtigte er Rudolf Schindler und brachte die bundesdeutschen Fahnder auf die Spur von Sonja Suder und Christian Gauger. Die beiden wurden am 16. Januar 1999 in Paris festgenommen. Klein beschuldigte Sonja Suder, ebenfalls den Anschlag auf die OPEC-Konferenz mit vorbereitet zu haben. (vgl. ak 438) Den französischen Behörden reichten bislang allerdings die Beweise nicht aus, die die deutschen Ermittlungsbehörden im laufenden Auslieferungsverfahren vorlegten. Seit Monaten befinden sich die beiden in Frankreich bis zu einer endgültigen Entscheidung auf freiem Fuß.

Das Urteil gegen Rudolf Schindler im Frankfurter OPEC-Prozess zeigt, dass die Skepsis der französischen Behörden gegenüber den Anschuldigungen Kleins gerechtfertigt ist. Die Behauptung Hans-Joachim Kleins, Schindler habe ihn für das OPEC-Attentat angeworben und bei dem Anschlag logistische Hilfe geleistet, hielt jedenfalls auch vor dem Frankfurter Gericht nicht stand. Die Kammer erklärte dazu in ihrem Urteilsspruch, sie habe eine Tatbeteiligung "nicht verifizieren können", da sich die Aussagen Kleins nicht als glaubwürdig erwiesen hätten. Der hatte z.B. behauptet, Schindler hätte in den RZ die Decknamen "Max" und "Sharif" getragen. Dem widersprach das ehemalige RZ-Mitglied Gerd Schnepel, der heute in Nicaragua lebt. Er gab bei seiner Zeugenvernehmung in Frankfurt an, er selbst sei innerhalb der RZ "Max" bzw. "Sharif" gewesen. Bundesanwalt Morré bestätigte diese Aussage indirekt. Als als Zeuge sagte er aus, der Deckname von Schindler sei den Erkenntnissen seiner Behörde zufolge "Philip" gewesen. Ein Freispruch Schindlers zeichnete sich insofern schon seit Wochen ab.

Daran konnte auch der Auftritt des zweiten Kronzeugen in diesem Verfahren nichts ändern. Was der 41-jährige Tarek Mousli zu den Vorgängen in Wien 1975 berichten sollte, wird wohl immer das Geheimnis der Frankfurter Staatsanwaltschaft bleiben. Laut eigenen Angaben war er von 1985 bis 1990 aktives RZ-Mitglied. Seine Tatbeteiligung konnte also nicht nur alleine auf Grund seines Alters ausgeschlossen werden. Bei Gesprächen innerhalb der RZ und mit Schindler will er allerdings den Eindruck gewonnen haben, dass Rudolf Schindler an der OPEC-Aktion beteiligt gewesen sei. Wenn die Frankfurter Staatsanwaltschaft und die BAW jetzt auch noch behaupten, sie seien nun auch bei der Aufklärung des Mordfalls Karry ein gutes Stück weiter, dann bezieht sich das auch auf Tarek Mouslis Erzählungen. Der hatte während seiner Zeugenvernehmung in Frankfurt Schindler in den Zusammenhang mit dem versehentlich tödlich verlaufenen Knieschuss-Attentat auf den ehemaligen hessischen Wirtschaftsminister Karry gebracht. Dabei hatte Mousli diese Anschuldigung zum ersten Mal bereits im Frühjahr letzten Jahres gegenüber der BAW geäußert - bislang jedoch erhob sie keine Anklage in dieser Sache. Kein Wunder, steht diese Aussage - wie alle anderen von Mousli auch - auf wackeligen Beinen. Nach seinen eigenen Angaben wurden nämlich alle wichtigen Aktionen der RZ in der Gesamtorganisation besprochen, so dass auch Nicht-Beteiligte Insiderwissen haben könnten.

BAW erlebt ein Desaster

Die Staatsanwaltschaft hat mit ihren beiden Kronzeugen Klein und Mousli in diesem Verfahren nichts anderes als Schiffbruch erlitten. Kleins Einlassungen zu Schindler wurden selbst von der Bundesanwaltschaft demontiert. Und Mouslis Aussagen waren substanzlos, weitgehend Spekulation, eben reine Interpretationen von Zugetragenem. Das Frankfurter OPEC-Verfahren ist für die BAW ein Desaster. Der erste Auftritt "ihres" Kronzeugen in Sachen RZ endete mit einem Freispruch für den Beschuldigten. Dass die Frankfurter Staatsanwaltschaft in Revision geht, hat mit dem anstehenden Prozess gegen Rudolf Schindler wegen RZ-Aktionen in Berlin zu tun: Ein rechtskräftiger Freispruch Schindlers trotz der Aussagen Mouslis - eine bessere Demontage des Kronzeugen Mousli hätten sich Schindler und die anderen Angeklagten in Berlin nicht vorstellen können.

mb., Berlin