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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 448 / 15.3.2001

Entschädigung nicht erst in 50 Jahren

Opfer der Apartheid fordern Schuldenstreichung von deutschen Banken

Vom 30. November bis zum 1. Dezember fand in Bonn die dreitägige Konferenz "Für die Opfer der Apartheid - Entschädigung jetzt - nicht erst in 50 Jahren" statt. Initiiert wurde die Konferenz von dem deutschen Zweig der Internationalen Kampagne für Entschuldung und Entschädigung im Südlichen Afrika. Die Ziele der Kampagne sind die sind die Streichung und Verwerfung der apartheidverursachten Schulden, da sie als "sittenwidrig" im Sinne des Völkerrechts einzustufen sind.

Die Internationale Kampagne für Entschuldung und Entschädigung im Südlichen Afrika lud im Dezember 2000 im Rahmen der Konferenz "Für die Opfer der Apartheid - Entschädigung jetzt - nicht erst in 50 Jahren" VertreterInnen der Deutschen, der Dresdner und der Commerzbank sowie PolitikerInnen der Bundestagsparteien zu einer öffentlichen Podiumsdiskussion ein. BankenvertreterInnen und PolitikerInnen sollten vor den rund hundert KonferenzteilnehmerInnen Auskunft geben über die Beziehungen, die sie vornehmlich in den 80er und frühen 90er Jahren zum südafrikanischen Apartheidregime unterhielten. Es fand sich niemand zur Debatte bereit; manche der Geladenen hielten nicht eine formelle Absage für nötig. Ihr Fernbleiben war natürlich auch eine Antwort.

Apartheid noch nicht überwunden

Deutsche Politik und deutsches Kapital sind gegenwärtig weder an der Streichung der apartheidverursachten Schulden noch gar an Reparationen interessiert. Im Gegenteil: im Absageschreiben der Deutschen Bank wird süffisant vermerkt, dass man sich in dieser Frage in enger Übereinstimmung mit der demokratischen Regierung Südafrikas wisse, die ausdrücklich bestreite, dass es überhaupt so etwas wie "apartheidverursachte Schulden" gebe.

Tatsächlich war diese Haltung der ANC-Regierung auch der Grund, warum die von den Kirchen, den Gewerkschaften und den Jubilee-2000-Bewegungen des südlichen Afrika sowie der NGO-Koalition SANGOCO gestartete Kampagne um den Beistand europäischer Nicht-Regierungs- und Solidaritätsorganisationen nachgesucht hatte. Durch Aufklärungs- und Lobbyarbeit im Norden soll der Druck auf die eigene Regierung verstärkt werden, deren verwunderliche Haltung sich aus dem Zwang erklärt, in der Schuldenfrage als absolut zuverlässig und dadurch kreditwürdig zu erscheinen. Off the records erklärten höhere ANC-Funktionäre, dass man trotz der öffentlichen Zurückhaltung nichts gegen die Aktivitäten der Kampagne habe und dass man deren Verstärkung sogar begrüßen würde.

Nachdem die wichtige südafrikanische Wochenzeitung mail & guardian und Zeitungen in Sambia auf ihren Titelseiten von der in Deutschland kaum beachteten Tagung berichtet hatten, ließ die Deutsch-Südafrikanische Industrie- und Handelskammer auf Nachfrage umgehend mitteilen, dass ihre Mitglieder bereits beträchtliche Zuwendungen an lokale Entwicklungsprogramme leisteten, zu Gesprächen über etwaige Reparationen und im Interesse demokratischer Entwicklung auch zur Zusammenarbeit mit der Kampagne bereit seien. Christoph Köpke, Manager der südafrikanischen Niederlassung von DaimlerChrysler, räumte demselben Journalisten gegenüber ein, sein Unternehmen sei sogar zu Reparationsleistungen bereit, wenn es in Südafrika dafür einen gesetzlichen Rahmen gebe (mail & guardian, 11.12.2000). Der südafrikanische Präsident Thabo Mbeki kündigte an, sich zur Frage apartheidverursachter Schulden mit dem ehemaligen sambischen Präsidenten Kenneth Kaunda treffen und beraten zu wollen.

Kaunda war der Schirmherr der Bonner Konferenz. Die deutsche Kampagne - getragen vom AfrikaSüd-Aktionsbündnis (AAB), den Frauen für Gerechtigkeit, der Koordinierungsstelle Südliches Afrika (KOSA), der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA), medico international und dem Solidaritätsdienst-International (SODI) - hatte ihn eingeladen, weil ihre Forderungen nicht allein auf Südafrika, sondern auch auf die umliegenden Länder, die ehemals sog. "Frontstaaten", bezogen sind. Unter der Regierung Kaundas war Sambia über beinahe drei Jahrzehnte sicheres Hinterland nicht nur des ANC, sondern auch für die Befreiungsbewegungen Angolas, Namibias, Mosambiks und Simbabwes. Umschlossen von rassistischen und kolonialistischen Regimes war das Land zahllosen politischen, militärischen und ökonomischen Attacken ausgesetzt.

Entschädigung jetzt!

Die finanzielle und organisatorische Unterstützung der Befreiungsbewegungen und die Versorgung der Tausenden von Flüchtlingen, die in Sambia Schutz vor ihren Verfolgern suchten, belasteten die Ökonomie in drastischer Weise. Als das Apartheidregime und seine rhodesischen und portugiesischen Verbündeten zur systematischen Blockade des eingeschlossenen Sambia übergingen, zwangen sie die Regierung in Lusaka zeitweilig dazu, dringend benötigtes Öl auf dem Luftweg einzuführen. In der Folge des so erzwungenen wirtschaftlichen Niedergangs, allerdings auch infolge eines nach 27-jähriger Alleinregierung nicht unbegründeten "Perestroika"-Effekts, wurde die von Kaunda geführte United National Independence Party (UNIP) 1991 abgewählt. Die zunächst zur demokratischen Musterregierung hochgejubelte, schon bald auf einen rechtsautoritären Kurs einschwenkende Regierung des neuen Präsidenten Frederick Chiluba lieferte das Land den Strukturanpassungsprogrammen des IWF aus. Die von der UNIP nationalisierten Kupferminen wurden an transnationale Konzerne verkauft. Durch die neoliberalen "Reformen" verschärfte sich die ökonomische Krise so weit, dass heute über zwei Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben. Dabei wendet auch Sambia einen erheblichen Teil seiner Ressourcen für den Schuldendienst auf.

"Die Apartheid ist noch lange nicht überwunden", erklärte Kaunda denn auch in seiner Eröffnungsrede, in der er darlegte, dass die Kampagne Schuldenstreichung und Reparationen nicht allein zum Ausgleich der unmittelbar vom Apartheidregime zu verantwortenden Schäden, sondern auch für die Folgen langjähriger politischer, ökonomischer und sozialer Destabilisierung, also für die damit verschlossenen und bis jetzt nicht realisierten Möglichkeiten einer anderen Entwicklung einfordere.

Dass diese Forderungen auch und gerade an deutsche Banken und Industrieunternehmen gerichtet werden, hat mit deren damaliger Politik zu tun. Bereits 1973 hat die UNO-Vollversammlung das System der Apartheid als "Verbrechen gegen die Menschheit" verurteilt. In der Zeit von 1962 bis 1993 wurden politische und ökonomische Sanktionen gegen Südafrika verhängt. Unter bewußter Umgehung dieser Sanktionen haben deutsche, aber auch schweizerische, britische und amerikanische Unternehmen die Apartheid durch Investitionen und Kredite gestützt und damit über Jahre hinaus verlängert. Zwischen 1985 und 1993 betrug allein der deutsche Nettokapitalexport nach Südafrika 4,27 Milliarden DM. Der weitaus größte Teil der Kredite wurde vom Regime zur Finanzierung des Öffentlichen Sektors, d.h. für die Kosten des eigenen Staatsapparats sowie zum Unterhalt von Staatskonzernen verwendet. Deutsches Kapital floss somit unmittelbar, gezielt und wissentlich in die ökonomische Infrastruktur der rassistischen Herrschaft. Aus ihren Geschäften mit der Apartheid erzielten deutsche Unternehmen und Banken in der Zeit von 1971 bis 1993 8,4 Milliarden DM ebenso blutiger wie völkerrechtswidriger Profite. Noch 1993 beanspruchten sie darüber hinaus ein Viertel der 26 Milliarden US-Dollar Auslandsschulden Südafrikas für sich. Dessen Regierung muss noch heute ein Fünftel ihres nationalen Budgets und den Großteil ihrer Devisenreserven zur Begleichung der zumeist aus der Zeit der Apartheid stammenden Schulden von 50 Milliarden US-Dollar verwenden.

Wie eng der Kampf um Schuldenstreichung und begleitende Reparationsforderungen mit dem sozialen Kampf um die Vergangenheit verbunden sind, führte Ntombi Mosikare, Koordinatorin der Khulumani Support Groups, einer hauptsächlich von Frauen gebildete Selbstorganisation von Opfern des Apartheidterrors, in ihrem Tagungsbeitrag aus. Die Khulumani-Gruppen organisieren psychosoziale und medizinische Assistenz für ihre in ihrer physischen und psychischen Gesundheit noch immer stark beeinträchtigten Mitglieder, denen sie zugleich ökonomischen und juristischen Beistand gewähren und eine politische Plattform bereitstellen. Im Prozess der "Wahrheits- und Versöhnungskommission" haben die Khulumani-Frauen umfangreiche ZeugInnenaussagen über das Ausmaß und die Brutalität des rassistischen Terrors geleistet. Die an die Aussage geknüpften Entschädigungszahlungen werden ihnen von der südafrikanischen Regierung unter Verweis auf fehlende finanzielle Ressourcen noch immer verweigert.

Schulden Südafrikas sind
illegitim

Der südafrikanische Koordinator der Jubilee-2000-Bewegung, Neville Gabriel begründete in seinem Vortrag, warum es im südlichen Afrika nicht bloß um einen ökonomisch und finanzpolitisch begründeten Schuldenerlass, sondern um die ausdrückliche Verwerfung der Schulden als "sittenwidrig" und deshalb auch um die Rückerstattung der bereits geleisteten Zahlungen gehe. Die Doktrin der "sittenwidrigen Schulden" ist seit dem 19. Jahrhundert Teil des Völkerrechts und besagt im Kern, dass demokratische Regierungen Schulden vorangegangener Diktaturen nicht anerkennen müssen, weil die sie begründenden Kredite zur Unterdrückung der Menschen verwendet wurden, die jetzt für ihre Begleichung aufkommen sollen. Mehrere Regierungen haben sich historisch auf diese Doktrin berufen, darunter auch die Sowjetunion, die nach der Oktoberrevolution die Rückzahlung von Schulden des zaristischen Regimes unter Verweis auf deren Sittenwidrigkeit verweigerte. Für Neville Gabriel liegt darin auch die Option, die die Kampagne der eigenen Regierung vorschlägt.

In Bezug auf die weltweiten Kämpfe um die Streichung der Schulden des Südens geht die Internationale Kampagne für Entschuldung und Entschädigung im Südlichen Afrika noch einen Schritt weiter. Für sie ist die offenbare Illegitimität der apartheidverursachten Schulden im südlichen Afrika kein Ausnahme-, sondern der besonders eindringliche Regelfall der Schuldenfrage überhaupt. Zwar sind rassistische Herrschaft, koloniale Ausbeutung und der Profit, den sich deutsche wie internationale Banken und Konzerne daraus verschafft haben, nicht immer so evident wie im Fall des Apartheidregimes und seiner Finanziers in der Dresdner, der Deutschen und der Commerzbank sowie anderer Unternehmen wie VW, Mercedes, Bayer, Hoechst u.v.a.m. Strukturell liegt auf der ganzen Welt dasselbe Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnis vor. Kreditvergabe und nachfolgende Zins- und Zinseszinsforderungen dienen derselben infamen Ausbeutung. Deshalb ist für die Kampagne - im Unterschied zu den nördlichen Sektionen der Jubilee-2000-Bewegung (Erlassjahrkampagne in der BRD) - die faktische Nichtrückzahlbarkeit der Schulden gar nicht der wesentliche Punkt. Sie verwirft die Schulden wegen ihrer im Sinn der Doktrin sittenwidriger Schuld rechtlichen und politischen Illegitimtät, nicht aber "nur", weil der bisher schon geleistete Schuldendienst die Länder an den Rand des Bankrotts und in neo-koloniale Abhängigkeit gegenüber den sog. "Geberländern", ihren Banken, Konzernen und internationalen Finanzinstitutionen gebracht hat. Die Kampagne verfolgt darüber hinaus das Ziel, einen Präzedenzfall zu schaffen, auf den sich andere werden berufen können. Um ihren Druck auf die Finanziers und Profiteure der Apartheid verstärken zu können, ist die Kampagne auf weitere Unterstützung angewiesen. Dies gilt vor allem für Aktivitäten, die über die Möglichkeiten der sie tragenden NGOs hinausgehen.

Thomas Seibert

Weitere Informationen einschließlich des auf der Konferenz verabschiedeten "Bonner Aufrufs" können über medico international bezogen werden,
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