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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 448 / 15.3.2001

Italien wählt rechts

Zwei Monate vor den italienischen Parlamentswahlen, die am 13. Mai stattfinden werden, scheint das Rennen so gut wie gelaufen. Wenn man den Umfrage-Ergebnissen trauen kann, dann wird das Rechtsbündnis Casa delle libertà ("Haus der Freiheiten"), kurz auch Polo ("Pol") genannt, mit deutlichem Abstand zur regierenden Mitte-Links-Koalition (Centrosinistra) gewinnen.

Neuer Ministerpräsident würde der Medien-Mogul Silvio Berlusconi (Forza Italia), der im Dezember 1994, als er nach nur 226 Tagen als Regierungschef zurücktreten musste, ein für allemal politisch erledigt schien. Ihm zur Seite stehen dieselben Partner, die schon vor sieben Jahren den kurzen Triumph der Rechten ermöglicht hatten: Gianfranco Fini von der neofaschistischen Alleanza Nazionale (AN) sowie Umberto Bossi, der demagogische Anführer der regionalistischen Lega Nord.

Stärkste Kraft im Mitte-Links-Bündnis mit seinem Spitzenkandidaten Francesco Rutelli (vgl. ak 443) sind die Linksdemokraten (Democratici di sinistra/DS), die Mehrheitsfraktion der 1991 aufgelösten kommunistischen Partei PCI. Neu formiert hat sich ein Bündnis im Zeichen der Marguerite (Margherita), dessen offizieller Name knapp und inhaltsarm Democrazia e libertà lautet; dazu gehören die christdemokratischen Parteien PPI (Volkspartei), UDEUR (Europäische Demokraten für die Republik) , RI (Rinnovamento Italiano) und die 1999 gegründeten Democratici mit Rutelli und Prodi. Auch die Grünen und Reste der Sozialisten (SDI) haben sich zusammengetan und die Sonnenblume (Girasole) als Symbol gewählt.

Wegen der Besonderheiten des italienischen Wahlsystems müssen all diese Gruppierungen sich möglichst schon bei der Aufstellung der WahlkreiskandidatInnen einig werden: Denn an diese fallen drei Viertel der Mandate (Mehrheitswahl), nur das restliche Viertel wird an die Listen der Parteien bzw. Parteienverbindungen vergeben (Verhältniswahl mit 4-Prozent-Klausel). 1996 hatte sich das Mitte-Links-Bündnis Ulivo mit seinem Spitzenkandidaten Romano Prodi auch mit der Linkspartei Rifondazione Comunista (RC) flächendeckend auf gemeinsame KandidatInnen verständigt. RC gehörte dann fast zweieinhalb Jahre der Regierungsmehrheit an, ohne selbst Minister zu stellen. Im Herbst 1998 spaltete sich die Partei, als die Mehrheit um Fausto Bertinotti der Regierung Prodi wegen derer unsozialen Politik die Unterstützung entzog. Die Minderheit unter Armando Cossutta (die in der Parlamentsfraktion die Mehrheit hatte) gründete die Partei der italienischen Kommunisten (PdCI). Im Januar nun hat Bertinotti klargestellt, dass seine Partei diesmal auf ein Zählbündnis mit den Mitte-Links-Parteien verzichten und im nächsten Parlament in jedem Fall Opposition sein will. (siehe Kasten)
Den Einwand, ein Wahlbündnis mit dem Centrosinistra sei die einzige Möglichkeit, um den Sieg der Rechten zu verhindern, lässt Bertinotti nicht gelten. Offensichtlich ist er der Meinung, nur eine völlig eigenständige und bedingungslos oppositionelle Wahlkampagne werde seiner Partei das überlebensnotwendige Profil verleihen. Solche Überlegungen mag man partei-egoistisch nennen, aber die von Cossuttas "Regierungskommunisten" vorexerzierte Alternative ist alles andere als attraktiv: Der PdCI hat jede politische Eigenständigkeit verloren und dümpelt in Umfragen bei zwei Prozent, dürfte aber auf Grund von Wahl-Absprachen in alter Stärke im Parlament vertreten sein.

Zählbündnisse mit Blumenschmuck

Bertinotti dagegen ist bereit, den Preis für die Unabhängigkeit zu zahlen. Ohne eigene, vom Mitte-Links-Bündnis unterstützte WahlkreiskandidatInnen wird RC allein über die Zweitstimme Mandate in der Abgeordnetenkammer gewinnen können. Mehr als zehn (von 630) werden das kaum sein. Im Sinne der Schadensbegrenzung hat Bertinotti dem Mitte-Links-Bündnis zugesichert, bei der Wahl zur Abgeordnetenkammer ganz auf die Nominierung eigener WahlkreiskandidatInnen zu verzichten. So müssen der Regierungsmehrheit nicht sämtliche RC-WählerInnen (derzeit fünf bis sechs Prozent) verloren gehen: Im entscheidenden Moment werden etliche von ihnen mit der Erststimme das kleinere Übel wählen, um das größere zu verhindern.

Rutelli hat in der ersten März-Woche seinen Giro d'Italia (per Bahn) beendet. Er hat in den vergangenen Monaten alle größeren Städte in sämtlichen Regionen besucht, Hände geschüttelt, gestrahlt und Optimismus verbreitet. Den vielbeschworenen Stimmungsumschwung aber konnte er damit nicht bewirken. Denn nicht nur die Bilanz von fast fünf Jahren Mitte-Links-Regierung unter drei Ministerpräsidenten ist enttäuschend, auch Rutellis Programm für die kommenden fünf Jahre kann keine Begeisterung wecken. Während Berlusconi allen alles verspricht - insbesondere Steuersenkungen - versucht Rutelli das "Weiter So" als Neuanfang zu verkaufen. Sein wichtigstes Wahlversprechen ist die Schaffung von 1,5 Millionen Arbeitsplätzen innerhalb von fünf Jahren, nicht nur in der New Economy, sondern auch durch den Ausbau des Straßen- und Schienennetzes.

Allein eine Million Jobs sollen im ökonomisch zurückgebliebenen Süden des Landes entstehen. Der Weg dorthin soll der gleiche sein wie in den bekannten "Jobwunder"-Ländern. Das Zauberwort heißt "Flexibilität", auch im Sinne von "Mobilität": Notfalls sollen Erwerbslose gar vom Süden in den boomenden Norden transferiert werden. Erstmals eingeführt werden soll ein Arbeitslosengeld (in Höhe von 50 Prozent des letzten Netto-Lohns); es entfällt, wenn der Geförderte mehr als zwei angebotene Stellen ablehnt.

Ein weiteres wirtschaftsliberales Rezept, auf das Rutelli setzt, ist die Förderung mittelständischer Unternehmen durch Steuererleichterungen, staatliche Lohnzuschüsse und Einschränkung des Kündigungsschutzes. Mit diesem Programm sind die Unternehmer im Prinzip einverstanden, nur wollen sie bei Neu-Einstellungen nicht nur Billiglöhne sondern auch Zeitarbeitsverträge (mit bis zu 36 Monaten Laufzeit) zur Regel machen. Dagegen opponiert insbesondere der Gewerkschaftsflügel der Linksdemokraten, auf den auch Rutelli Rücksicht nehmen muss.

Für Berlusconi dagegen sind Gewerkschaften überflüssig und schädlich, weil sie den "Fortschritt" behindern. Sein Wirtschaftsprogramm deckt sich nur zum Teil mit dem Rutellis, etwa was den Ausbau der Verkehrswege angeht. In wichtigen Punkten aber setzt es dem "Neoliberalismus light" des Centrosinistra die unternehmerische Allmacht entgegen. Giulio Tremonti, der in einer Regierung Berlusconi das Superministerium für Wirtschaft, Finanzen und Haushalt leiten soll, will Flächentarifverträge gänzlich abschaffen und durch "Arbeitsverträge nach amerikanischem Vorbild" ersetzen: generell befristet und ohne Kündigungsschutz. Reinvestierte Unternehmensgewinne sollen nur zur Hälfte besteuert werden und Unternehmen, die Neu-Einstellungen vornehmen, sollen ebenfalls bis zur Hälfte von der Steuer befreit werden. Was auf eine gigantische Umverteilung zu Gunsten der Unternehmen hinausläuft, wird in der Propaganda natürlich als Gewinn an Freiheit verkauft - Freiheit von staatlicher Bevormundung, weil in Berlusconis "neuem Italien" der Staat "dem Bürger dient und sich aller Aktivitäten enthält, die der freien Initiative der Privaten anvertraut werden können, die sie für gewöhnlich besser und billiger durchführen"; Hauptaufgabe dieses Staates ist die Förderung "unternehmerischer Talente". (Forza Italia: "Cosa vogliamo")

Die kommenden Wochen werden hektische Aktivitäten der Parteizentralen bringen. Jetzt gilt es, die aussichtsreichen Wahlkreise zur Zufriedenheit aller Beteiligten zu verteilen. Auch der Rechtsblock hat da seine Probleme. Soll er ein offenes Bündnis mit rechtsextremen Gruppierungen wie Pino Rautis Fiamma Tricolore oder der in den letzten Jahren boomenden Forza Nuova eingehen? Bei den Regional- und Kommunalwahlen im vergangenen Jahr gaben die WählerInnen der Rechtsextremen in einigen Fällen den Ausschlag zu Gunsten rechter Kandidaten. Andererseits könnte eine formelle Allianz mit den Ultrarechten das "konservativ-demokratische" Image des Polo beschädigen. Rauti ist nicht nur ein glühender Anhänger von Mussolinis "Sozialrepublik" der Jahre 1943ff.; er wird auch bis heute der Mitverantwortung für die rechtsterroristische "Strategie der Spannung" verdächtigt. Und Forza Nuova, die Kontakte zur NPD pflegt, war erst kürzlich beschuldigt worden, an dem Bombenanschlag gegen Il Manifesto (vgl. ak 446) beteiligt gewesen zu sein.

Neoliberalismus light gegen Turbokapitalismus

Auch die politische "Mitte" bereitet dem großen Bündnispolitiker Berlusconi einige Sorgen. Während er seine eigene Partei Forza Italia dreist als wahre Erbin der aufgelösten Democrazia Cristiana ausgibt, könnte ihm eine lästige Konkurrenz erwachsen: Die Gruppierung Democrazia Europea erfreut sich nicht nur bester Kontakte zur katholischen Kirche, sondern geht auch mit einer echten Führerfigur ins Rennen - hinter den Kulissen agiert Giulio Andreotti (82), Italiens bedeutendster Staatsmann der vergangenen Jahrzehnte, Senator auf Lebenszeit, ein mit allen Wassern gewaschener Machtpolitiker mit dem wohlverdienten Spitznamen "Beelzebub".

So ist denn rechnerisch vielleicht doch noch nicht alles gelaufen. Schon 1996 verdankte der Ulivo seinen Sieg der Zersplitterung der Rechten, deren Stimmenmehrheit sich nicht in einer Parlamentsmehrheit niederschlug. Die regierende Koalition hat es fünf Jahre lang versäumt, die Gewichte nach links zu verschieben. Sie hat der gesellschaftlichen Rechtsentwicklung vielmehr Vorschub geleistet und tut dies auch weiterhin. Als Staatspräsident Ciampi jüngst eine "Mauer" gegen illegale Einwanderer forderte, beeilte sich Innenminister Enzo Bianco (PPI) zu versichern, die Politik der Regierung befinde sich "in perfekter Übereinstimmung" mit den Ansichten des höchsten Repräsentanten der Republik. Das Ergebnis dieser Politik kann man in italienischen Fußballstadien, auf Straßen und Plätzen besichtigen, wo sich rassistische Ausbrüche bis hin zu Menschenjagden und Anschlägen häufen.

So muss der Berichterstatter wieder einmal "das kleinere Übel, das zu immer größeren Übeln führt", geißeln. Dass er gleichzeitig eben diesem "kleineren Übel" den Sieg wünscht, soll nicht verschwiegen werden ...

Js.