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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 448 / 15.3.2001

Tanz den
Friedrich
Wilhelm!

Vor exakt 300 Jahren krönte sich der Brandenburgische Kurfürst Friedrich III. zum König Friedrich I. von Preußen. Für bundesdeutsche Politprominenz Anlass genug, das Jahr 2001 zum sogenannten "Preußenjahr" zu erklären, das mit über 600 Veranstaltungen, rund 100 Ausstellungen und einer ganzen Flut von Publikationen begangen wird. 25 Millionen Mark machen die Bundesländer Berlin und Brandenburg für diese Feierlichkeiten locker, in denen hauptsächlich die schöngeistigen Seiten der Hohenzollern-Dynastie in den Vordergrund gestellt werden sollen. Besonders die Brandenburgische Hauptstadt Potsdam hofft, mit dem Preußenkult zusätzliche Touristen anlocken zu können.

Doch die neue deutsche Preußenwelle ist mehr als nur eine harmlose Touri-Attraktion. "Das Preußische" soll für eine wachsende politische Anhängerschaft in einer zunehmend ausdifferenzierten und flexibilisierten Gesellschaft auch als identitätsstiftendes Leitbild dienen. Dessen antidemokratischer Gehalt kommt den Anforderungen eines neoliberalen Kapitalismus dabei durchaus entgegen.

Dass mit Manfred Kanther oder Roland Koch jener Teil der CDU, der den rechtskonservativen Burschenschaften entstammt, zu allen Zeiten Preußen anbetete, ist ein offenes Geheimnis. Doch im Moment kann sich kaum jemand aus der bundesdeutschen Politprominenz dem allgemeinen Preußenhype entziehen. Ob Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe, Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen oder Bundespräsident Johannes Rau: Alle sind voll des Lobes über das preußische Vermächtnis. Besonders der rechte Brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm hat in der öffentlichkeitswirksamen Werbung für die Jubiläumsveranstaltungen sein Steckpferd gefunden. Der Ex-General hat den Militärstaat Preußen schon bei mehreren Gelegenheiten zum positiven Vorbild für die heutige Berliner Republik verklärt: "Preußische Herrscher haben aus Gehorsam gegen Gott und aus Respekt vor der Schöpfung ihre Regentschaft so verstanden, dass ihr Staat seinerzeit Toleranz, Rechtsstaatlichkeit, sozialen Ausgleich und anständigen menschlichen Umgang in dem seinerzeit möglichen Maß verwirklichte. Das war modern und ist es bis heute geblieben. Die Grundrechte des Grundgesetzes stehen in historischer Kontinuität dazu", gab er zum Beispiel in einem Interview für die Zeitschrift des Deutschen Reservistenverbandes Loyal zum Besten.

Um die Verbindung zur heutigen Berliner Republik ziehen zu können, werden der preußischen Geschichte beliebig positive Eigenschaften zugeschrieben, ohne große Rücksichten auf den etwaigen historischen Wahrheitsgehalt: Hohes Verantwortungsbewusstsein, Pflichtgefühl, Toleranz, Ordnungssinn, Arbeitseifer, Dienst am Gemeinwesen, Bescheidenheit und Unbestechlichkeit werden so leichtfertig zu typisch preußischen Werten proklamiert. Im Preußenjahr wird vor allem die angebliche Hochachtung der Hohenzollern für Kunst und Kultur zur positiven Bezugnahme ausgewalzt, was sich auch sehr gut als Tourismusmagnet eignet. Besonders das mit preußischen Baudenkmälern überhäufte Potsdam, das in den letzten Jahren viel für sein Image als "Preußenmetropole" getan hat, fördert das Kitschbild einer in erster Linie architektonisch und kulturell prunkvollen preußischen Geschichtsepoche. Mit dieser entpolitisierten Betrachtung wird die preußische Geschichte ästhetisiert und letztlich verharmlost. Ausgeblendet wird dabei Militär-Fetischismus, rücksichtslose Machtpolitik und chauvinistische Großmannssucht, welche die preußische Gesellschaft über Jahrhunderte wesentlich prägte.

Mit der Krönung Friedrichs I. im Jahr 1701 begann der rasante Aufstieg der Hohenzollern vom territorial zerrissenem Kurfürstentum zum mächtigsten Königreich Nordeuropas und zur alles dominierenden Macht im Deutschen Reich. Sein Nachfolger Friedrich Wilhelm I. (1713-1740), der als "Soldatenkönig" in die Geschichte einging, ließ zum Ausbau seiner Armee in ganz Europa junge Männer brutal verschleppen und unterzog sie einem menschenverachtenden militärischen Drill, was ihm schon zeitlebens den Ruf als "Menschenfresser" einhandelte. Seit dieser Zeit war die gesamte preußische Gesellschaft durchzogen vom Denken in militärischen Kategorien von "tauglichem" und "untauglichem Menschenmaterial".

Tradition
des Militarismus

Dagegen wird der Sohn von Friedrich Wilhelm I. meist als Vorbild eines aufgeklärten Regenten angeführt: Friedrich II. (1740-1786), der auch den Beinamen "der Große" erhielt, gilt als vernunftorientierter Schöngeist, der die Wissenschaften im preußischen Königreich förderte, religiös Verfolgte aus anderen Staaten ansiedeln ließ, die Folter abschaffte und die Pressezensur lockerte. Diese schöngefärbte Sichtweise unterschlägt, dass es gerade der "Philosophenkönig" war, der die preußischen Angriffs- und Eroberungskriege in Schlesien, Böhmen und Sachsen vom Zaun brach und große Teile Polens annektierte. Bis zu 80 Prozent der preußischen Staatseinnahmen flossen unter Friedrich II. in den Ausbau seiner Armee. Kritik an Person und Politik des Königs war weiterhin verboten und trotz der angeblichen Religionsfreiheit waren Juden auch weiterhin in vielen gesellschaftlichen Bereichen nicht gleichberechtigt.

In Friedrich Wilhelm II. (1786-1797) hatte der große Friedrich einen Nachfolger, der es mit seiner ausgeprägten Günstlingswirtschaft fertig brachte, den preußischen Staat innerhalb kürzester Zeit zu ruinieren und heute bestens geeignet ist, das Bild von preußischen Tugenden wie Unbestechlichkeit und Bescheidenheit zurecht zu rücken.

Seine Thronfolger im 19. Jahrhundert dürfen es sich dagegen als "Verdienst" anrechnen, mit repressiver Gesetzgebung bzw. brutaler Gewalt sämtliche nach der Französischen Revolution aufgekommenen demokratischen Bestrebungen auf deutschem Gebiet erfolgreich niedergeschlagen zu haben. Unter dem Oberbefehl des späteren deutschen Kaisers, Wilhelm I., wurde 1849 zum Beispiel die gesamte badische Revolutionsarmee bei Rastatt regelrecht abgeschlachtet.

Dass dieses Preußen nach der Zerschlagung der demokratischen Bewegung die deutsche Reichsgründung 1871 nach seinen Vorstellungen diktieren konnte, erklärt den extrem reaktionären Charakter, den das Deutsche Reich in der Folgezeit im Vergleich zu anderen europäischen Nationalstaaten einnahm. Das deutsche Bürgertum arrangierte sich schon bald mit dem undemokratischen, preußischen Obrigkeitsstaat, zumal die beschleunigte Industrialisierung hohe Profite in Aussicht stellte und die halbfeudalen, autoritären politischen Strukturen eine wirksamere Bekämpfung der aufkommenden Arbeiterbewegung versprachen, als dies zum Beispiel im benachbarten Frankreich der Fall sein konnte.

Der Machthunger der preußischen Staatsführung war mit der Bildung des Deutschen Reiches unter ihrer Vorherrschaft noch lange nicht gestillt. Militaristische Grundhaltung und der Jahrhunderte lange, stetige Machtzuwachs hatten unter Wilhelm II. (1888-1918) einen nationalen Größenwahn erzeugt, der zunächst die Unterwerfung und Kolonisierung überseeischer Gebiete rechtfertigte und schließlich 1914 im "Griff nach der Weltmacht" (Fritz Fischer) einen ersten Kulminationspunkt erreichte. Trotz des verlorenen Weltkriegs und der demokratischen Revolution 1918/19 erwies sich die preußisch-monarchisch geprägte, politische Kultur als äußerst resistent. Die weit verbreitete Sehnsucht großer Teile des deutschen Bürgertums nach dem alten preußischen Obrigkeitsstaat hatte entscheidenden Anteil am Scheitern der Weimarer Republik.

Der deutsche Faschismus dagegen, der sich verbal so gerne vom adeligen Standesdenken der alten Monarchie abzugrenzen versuchte, verstand es, den preußischen Untertanengeist perfekt für seine Zwecke zu nutzen. Denn Herrenmenschentum und Kadavergehorsam waren hervorragende Voraussetzungen für die Eroberungs- und Vernichtungspläne des NS-Regimes. Nicht umsonst galt Preußen bei den Alliierten der Anti-Hitler-Koalition als "Wurzel allen Übels" (Winston Churchill). Nach der konsequenten Zerschlagung Preußens durch die Alliierten Siegermächte 1947 versuchten die bundesdeutschen politischen Eliten zunächst, ein modernisiertes deutsches Nationalbewusstsein in weitgehender Abgrenzung zur diskreditierten preußischen Tradition heraufzubeschwören. Die positive Bezugnahme auf die preußische politische Kultur war jedoch nie ganz verloren gegangen. Dies zeigt sich beispielsweise in der bundesdeutschen Stilisierung des Hitlerattentats vom 20. Juli 1944 zum vorbildlichen Widerstand der preußisch geprägten Teile der deutschen Wehrmacht gegen den Nationalsozialismus. Dass die Attentäter nie ein demokratisches Gesellschaftssystem errichten wollten, dass sie im Dritten Reich jahrelang die gewaltsame Zerschlagung jeglicher Opposition, den Eroberungs- und Vernichtungskrieg und die Shoa an der jüdischen Bevölkerung mitgetragen haben und sich erst zum Attentat entschlossen, als das Scheitern von Hitlers Plänen bereits unwiderruflich feststand, bleibt bei der Beweihräucherung ihres "preußischen Gewissens" unberücksichtigt.

Preußen-Revival im Dienst der Standortlogik

Nachdem mit der deutschen Einheit auch die Nachkriegsära für beendet erklärt wurde und Deutschland keine allzu großen Rücksichten mehr auf die alliierten Siegermächte zu nehmen brauchte, ist auch eine vorsichtig vorgebrachte Revision des Geschichtsbildes von Preußen für einen Teil der bundesdeutschen politischen Elite wieder ins Blickfeld gerückt. Dass damit autoritäre, antidemokratische Positionen wieder verstärkt hoffähig gemacht werden, scheint dabei nicht zu stören. Gerade in der "Neuen Weltunordnung", in der die Transformation der Bundeswehr von einer Wehrpflichtigen-Armee zu einem Berufsheer mit der Fähigkeit zu schnellen Offensivschlägen in vollem Gang ist, scheint die positive Bezugnahme auf die preußisch-militaristische Tradition wieder angesagt.

Die Identifikation mit preußischen "Tugenden" kommt darüber hinaus auch den Anforderungen einer neoliberalen Standortlogik sehr entgegen. Der "nationale Wettbewerbsstaat" (Joachim Hirsch) benötigt ein anspruchsloses und entsolidarisiertes Leistungsdenken, ein widerstandsloses Funktionieren des/der Einzelnen ebenso wie die Akzeptanz eines repressiven Staatsapparates, der in der Lage ist, den Auswirkungen der sich verschärfenden sozialen Gegensätze Herr zu werden. Demokratische Partizipationsmöglichkeiten sind in dieser Phase der kapitalistischen Gesellschaftsordnung nicht mehr zeitgemäß. Insofern könnte sich Anfang des 21. Jahrhunderts gerade der preußische Anachronismus als besonders modern erweisen.

Joachim Kolb

Für den 24. März rufen die
Antifaschistische Aktion , die Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär und die Antifa Jugend Aktion (alle Potsdam) zu einer Demonstration unter dem Motto "Preußen bleibt scheiße!" in Potsdam auf. Beginn ist 14 Uhr auf dem Platz
der Einheit.