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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 449 / 12.4.2001

"Der König ist nackt."

Interview mit Sean McGuffin über den Berliner RZ-Prozess und die humorlose deutsche Linke

Sean McGuffin, Autor zahlreicher Kurzgeschichten und Bücher wie "Der Hund" oder "Der Fette Bastard", ist Mitglied der Internationalen Prozessbeobachtergruppe zum Berliner RZ-Prozess. McGuffin gehörte in den siebziger Jahren der "Internationalen Untersuchungskommission zum Tod von Ulrike Meinhof" an. In den neunziger Jahren lebte und arbeitete er als Anwalt in San Francisco. Vor zwei Jahren ist er nach Derry zurückgekehrt.

ak: Was sind deine Beweggründe, als Prozessbeobachter dieses Verfahren zu begleiten?

Sean McGuffin: Wenn es mir zeitlich möglich ist, werde ich überall hinkommen, um solche Dinge zu unterstützen. Dafür gibt es einen einfachen Grund: Ich bin hier aus Solidarität mit den Angeklagten, meine Solidarität gilt den politischen Gefangenen.

An diesem Prozess finde ich allerdings besonders widerlich, dass unter einer so genannten sozialdemokratischen Regierung immer noch solche Schauprozesse stattfinden, die nichts anderes als eine Farce sind. Es ist eine gefährliche Entwicklung, obwohl es beileibe kein Präzedenzfall ist, dass die deutschen Ermittlungsbehörden versuchen, die Angeklagten alleine auf Grund der Aussagen eines gekauften Zeugen zu verurteilen. Eine Praxis, die die Briten z.B. längst aufgegeben haben. Die Deutschen müssen verrückt sein, einen Prozess über die Bühne zu ziehen, der einzig auf den Aussagen eines gekauften Zeugen und Meineid-Schwörers beruht. Ich verstehe auch nicht, wovor der deutsche Staat solche Angst hat, dass er heute mit einem solchen Aufwand Geschichten aufrollt, die über zehn Jahre her sind.

Meiner Meinung nach sollten die deutschen Staatsanwälte lieber Helmut Kohl ins Visier nehmen, anstatt gegen die Angeklagten mit dem §129a vorzugehen. Helmut Kohl hat dem deutschen Steuerzahler wesentlich mehr Schaden zugefügt als einer der Angeklagten. Verhandelt wird über einen Sprengstoffanschlag, der lediglich einen Sachschaden von 5.000 DM verursachte.

Du hast in den USA zahlreiche politische Gefangene verteidigt. Was hältst du davon, dass die Anklage in diesem Prozess im Wesentlichen auf den Aussagen eines Kronzeugen beruht?

Von einem rechtsstaatlichen Standpunkt betrachtet, wäre ein solcher Prozess in den USA unmöglich. Um dort ein solches Verfahren eröffnen zu können, braucht man unterstützendes Beweismaterial. So weit ich weiß, gibt es in diesem Prozess neben den Aussagen des Kronzeugen Mousli nichts, was die Anklage stützt, kein forensisches Beweismaterial, keine Geständnisse oder andere Zeugen. Ganz im Gegenteil, viele Aussagen Mouslis sind dadurch gekennzeichnet, dass sie auf Hörensagen beruhen. Also Mousli sagt nicht: A hat das getan, B das, sondern: X hat mir erzählt, dass A das getan hat. Das ist nichts weiter als Klatsch! Eigentlich sollte man Leute nicht auf Grundlage von Klatsch verurteilen können. Kein einziges Gericht in den USA und selbst in England - und Gott weiß, das sind Bastarde - würde Leute für 15 Monate auf Grundlage von Klatsch in Untersuchungshaft stecken.

Ist dir schon einmal so eine Anklage untergekommen?

Ja, das waren die Versuche, in Nordirland zwischen 1981 und 1983 politische Verfahren alleine auf den Aussagen von so genannten supergrasses, von Superspitzeln, zu führen. Es gab damals 21 "supergrasses", die alle eine Menge Geld bekommen hatten. Sie sind im Zeugenschutzprogramm wirklich gut entlohnt worden. Einige von ihnen hatten bis zu fünf Morde gestanden. Dafür wurden sie allerdings nie zur Rechenschaft gezogen. Die Vorwürfe gegen sie sind fallen gelassen worden, sobald sie anfingen, Namen zu nennen. 477 Menschen sind auf Grund dieser Aussagen festgenommen worden und saßen für mehr als zwei Jahre in Untersuchungshaft. Vor den Diplock-Courts, das sind Sondergerichte mit nur einem Einzelrichter, brach allerdings jede dieser Anklagen komplett in sich zusammen. In einigen Fällen haben die Kronzeugen ihre Aussagen zurückgezogen. In den restlichen Fällen kam der Richter zu der Überzeugung, dass die Zeugen einfach unglaubwürdig sind. Offensichtlich seien die Kronzeugen von der Polizei hinsichtlich ihres Aussageverhaltens trainiert worden. Im Ergebnis haben dann die Briten bereits vor 20 Jahren die Kronzeugenregelung abgeschafft.

Denkst du, das Berliner Kammergericht entscheidet ebenso?

Nein, da habe ich keinerlei Vertrauen. Das Gericht erscheint mir extrem dumm zu sein. Was ich am ersten Verhandlungstag erlebt habe, ist ein Kangaroo-Court, eine Gerichts-Farce. Die Bundesanwälte haben auf mich einen absolut inkompetenten Eindruck gemacht. Die beiden kamen mir vor wie zwei Figuren von George Grosz. Eigentlich war das gesamte Gericht eine einzige George-Grosz-Zeichnung.

Es war schon beinahe lächerlich, was wir vor und im Gerichtssaal erlebt haben. Zuerst mussten wir ewig vor dem Gerichtsgebäude im Schneetreiben warten, dann wurden wir jeweils nur zu zweit auf einmal hineingelassen und penibel durchsucht. Alles wurde uns abgenommen. Weder einen Stift, noch ein Stück Papier durften wir mit in den Gerichtssaal nehmen. Sie haben sogar einem von uns das Wörterbuch weggenommen.

Für mich war das der erbärmliche Versuch, Macht zu demonstrieren. Allerdings in einer schlechten Inszenierung, wie es für ein B-Movie üblich ist.

Alles in allem glaube ich sowieso, es geht bei diesem Prozess gar nicht um die vier Angeklagten als Person. Der Grund für den Prozess liegt darin, die Leute und alle, die sie unterstützen, zu kriminalisieren. Durch das Verfahren soll ein Signal der Entmutigung gesetzt werden. Und es sollen die Leuten, die z.B. in antifaschistischen Zusammenhängen aktiv sind, eingeschüchtert werden. Ihnen soll drastisch vor Augen geführt werden, dass Widerstand nicht toleriert wird.

In Deutschland bist du weniger als An-walt, vielmehr als Schriftsteller be-kannt. Wie bist du zum Schreiben ge-kommen?

Ich habe mit dem Schreiben im Gefängnis begonnen. 1971 wurde ich von den Briten interniert. Ich ging damals in die Gefängnisbibliothek und fragte nach einem Buch über die Geschichte der Internierung in Irland. Mir wurde aber gesagt, es gäbe keins. Da dachte ich mir, ich weiß nicht wie lange ich hier interniert sein werde, aber ich bin hier mit Männern zusammen, die in den 20er, 30er, 40er, 50er und nun den 70er Jahren interniert wurden, dann schreibe ich das Buch einfach. So bin ich dann im Gefängnis herumspaziert und habe mich mit den Männern über die Internierung unterhalten und so über deren Geschichte gelernt. 1973 ist dann das Buch unter dem Titel "Internment" erschienen.

Nach drei Monaten wurde ich aus der Internierung entlassen, weil im englischen Parlament Anfragen gestellt wurden. Ein paar Abgeordnete hatten gefragt, warum auch Leute aus der Bürgerrechtsbewegung interniert worden seien. Da haben sie die Antwort bekommen: Na ja, das waren die ersten, die dagegen protestiert haben, und da haben wir die gleich auch interniert.

Im Gefängnis habe ich auch das erste Mal von den Experimenten über die sensorische Deprivation, die Isolationsfolter, gehört. Nachdem ich entlassen war, habe ich weitere Nachforschungen über die Folterexperimente mit dem Mittel der sensorischen Deprivation angestellt. Dass der Verlag Pinguin das Buch dann 1974 unter dem Titel "The Guineapigs" veröffentlicht hat, darüber war ich sehr glücklich. Möglich war das nur, weil sich Niel Midilton sehr dafür eingesetzt hat. Als Dank wurde er vom Verlag gefeuert. Von "The Guineapigs" wurden innerhalb einer Woche 20.000 Exemplare verkauft. Dann wurde es vom Verlag zurückgezogen und von der britischen Regierung verboten. Bis heute ist das Buch in England verboten, weil die Wahrheit darin steht. 1981 habe ich in den USA eine überarbeitete Neuauflage veröffentlicht. In dieser Ausgabe war es mir möglich, die Namen der Folterer zu nennen. In der englischen Ausgabe war das noch nicht möglich, weil Pinguin zu viel Angst vor Verleumdungsklagen hatte.

Von diesen beiden Büchern bis zu deinen Kurzgeschichten und Romanen war es aber noch ein langer Weg?

Nicht wirklich, nein. Ich bin nur einer, der das Leben studiert. Meine Kurzgeschichten sind wie Metaphern des Lebens. Es ist eben eine Literatur, die nichts für Bastarde und Peace Wankers ist.

Bei allem Vergnügen, das das Lesen deiner Bücher macht, du schreibst doch nicht nur zur Unterhaltung?

Ob ich mit meinem Schreiben überzeugen will, ob da ein tieferer Hintergrund ist? Ich schreibe jedenfalls nicht, um Geld damit zu machen. Ich war Dozent, ich war Anwalt - beides habe ich aufgegeben, um zu schreiben. Im Grunde mache ich immer wieder dieselbe Aussage. Ob das nun die "The Guineapigs" sind oder "Zum Lobe des Poitín", das ich überwiegend deshalb interessant fand, weil es sich mit Schwarzbrennerei beschäftigt, egal ob ich einen Polit-Thriller wie "Der Hund" schreibe oder die Kurzgeschichten, es ist immer wieder die Aussage: Wacht auf. Ihr lebt in einem potemkinschen Dorf, wacht auf! Wenn ich mein Werk auf zwei Worte destillieren sollte, dann würde ich sagen: Wacht auf. Ich habe das nie so gesagt, aber wenn du mich fragst, warum ich meine Zeit mit Schreiben verschwende, dann ist es gerade deswegen.

Die meisten deiner Bücher sind in Deutschland erschienen. Das kann doch nicht daran liegen, dass sich die Deutschen und Iren in ihrem Sinn für Humor so ähnlich sind?

Kultur ist Deutschlands guter Wille, Geschichte ist sein schlechter Atem. Es ist bizzar, aber ...

In Berlin war ich bei einer Veranstaltung über die Revolutionären Zellen. Dort haben die beiden Genossen Klaus Viehmann und Stefan Wisniewski u.a. darüber berichtet, dass die RZ damals Untergrundzeitungen herausgegeben haben. Ich kann mich gut erinnern. Das waren Schriften, die von Soziologiestudenten geschrieben worden waren. Aber bei Gott, Soziologen sind keine normalen menschlichen Wesen. Soziologen haben einfach keinen Sinn für Humor. Schon vor 20 Jahren haben ich den Genossen immer wieder vorgehalten: Ihr habt überhaupt keinen Sinn für Humor, ihr seid langweilige, dumme Wichser. Ich respektiere das, was ihr tut, aber ihr könnt unmöglich gewinnen, weil ihr keine Basis in der Arbeiterklasse habt. Ihr sprecht nicht deren Sprache. Ihr redet, als seid ihr von einem anderen Stern.

Verstehe mich jetzt bitte nicht falsch, ich habe diesse Leute unterstützt und ich unterstütze sie immer noch - keine Frage. Aber immer, wenn wir uns treffen, muss ich wieder sagen, ihr habt immer noch keinen fucking Sinn für Humor. Habt ein wenig mehr Freude am Leben!

Deshalb kann ich es nicht so richtig nachvollziehen, wenn du sagst, es gebe eine Ähnlichkeit zwischen dem deutschen und dem irischen Sinn für Humor.

Aber auf der anderen Seite ist da offensichtlich etwas dran. Meine Verlegerin in Deutschland, Hanna Mittelstaedt von der Edition Nautilus, sagt immer wieder, na ja wir geben so 1.000 Exemplare raus, du hast eine eingefleischte Fangemeinde, die McGuffin-Fans, bei denen können wir das absetzen. Es gibt offensichtlich einen festen Stamm von Leuten, die meine Bücher gerne lesen.

Das liegt vielleicht daran, dass ich der kleine Junge bin, der sich immer wieder hinstellt und sagt, der König ist nackt. Jedes Königreich braucht so einen kleinen Jungen. Aber das heißt nicht, dass ihm irgend jemand irgendeine Art von Aufmerksamkeit schenkt. Sie geben ihm meist eine Ohrfeige und sagen, geh zurück ins Bett.

Interview: Beat Makila

Im November 2000 erschien unter dem Titel "Last orders, please!" ein Sammelband mit 24 Kurzgeschichten aus 25 Jahren, darunter sieben Geschichten, die erst im Laufe des Jahres bei der Edition Nautilus auf deutsch erscheinen werden.
McGuffin: Last orders, please!, Derry, Irish Resistance Books, 2000, ISBN 0-9539482-0-X, 200 S., Pfund Sterling 8.99, Bestellungen: irb@mcguffin.freeserve.co.uk. "The Guineapigs" sind
unter www.mcguffin.freeserve.co.uk abrufbar.

Bei Edition Nautilus sind folgende Bücher erschienen: Der fette Bastard, Roman, S. 320, DM 39,80; Der Hund. Eine Verschwörung, S. 208, DM 29,80; Der Mann, der mit Chuck Berry getanzt hat. Sämtliche Erzählungen, S. 176, DM 29,80, Zum Lobe des Poitín. Geschichten aus der irischen Schwarzbrennerei, S. 192, DM 29,80