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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 449 / 12.4.2001

Konsens ist Nonsens

Befriedung der Anti-Atom-Bewegung in Gorleben gescheitert

"Ein solcher Castor-Transport ist mit rechtsstaatlichen Mitteln nicht durchsetzbar." Dieses Resumee zieht Heidi Klein, Pressesprecherin der Anti-Atom-Kampagne X-1000-mal-quer, nach den massiven Auseinandersetzungen um den Atommülltransport nach Gorleben.

Und in der Tat: Das gesamte Wendland befand sich in der letzten Märzwoche in einer Art polizeilichem Belagerungszustand. Ein generelles Demonstrationsverbot entlang der gesamten Schienen- und Straßentransportstrecke; die weitgehende Zerschlagung von Camps und sonstiger Infrastruktur der AtomkraftgegnerInnen innerhalb einer Fünf-Kilometer-Sicherheitszone beiderseits der Strecke; Schlagstockeinsatz gegen gewaltfreie SitzblockiererInnen; mehrtägiges Unterbindungsgewahrsam gegen sog. Rädelsführer; massive Behinderungen der bäuerlichen Stunkparade und weiterer Treckerdemonstrationen; das Verbot für Einheimische, mehr als zwei auswärtige Gäste zu beherbergen; permanente Observationen und Fahrzeugkontrollen sowie die allgegenwärtige Präsens einer ganzen Armada von Polizeihubschraubern, Wasserwerfern, Räumpanzern und Polizeiwannen sorgten für ein wahres Bügerkriegsszenario in der sonst so beschaulichen Region. Knapp 700 DemonstrantInnen wurden nach offiziellen Angaben in polizeiliches Gewahrsam genommen. Über 18.000 Polizeibeamte im Wendland (fast 30.000 bundesweit) sollten mit einem rigiden Konzept jeden ernsthaften Widerstand bereits im Keim ersticken. Um den demokratischen Schein zu wahren, wurden der Protestbewegung lediglich einige harmlose Spielwiesen zugestanden.

Doch trotz martialischem Bürgerkriegsapparat und polizeilichem Ausnahmezustand gelang es den AtomkraftgegnerInnen immer wieder mit fantasievollen Aktionen den Transport zu behindern. Die Aktion von fünf Robin-Wood-AktivistInnen, die sich bei eisiger Kälte im Gleisbett einbetoniert hatten, hielten den Castor nicht nur für fast 20 Stunden auf. Sie sorgte auch dafür, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Atommülltransporte der Castor-Zug den Rückwärtsgang einlegen musste. Brückenblockaden von Greenpeace, mehrstündige Gleisbesetzungen von X-Tausend-mal-quer, Unterhöhlungen des Schienenbetts, auf den Schienen abgelegte Bäume, etliche Spaziergänge entlang der Gleisanlagen, Kundgebungen, Mahnwachen und vieles mehr sorgten dafür, dass die Polizei die Sache nicht in den Griff bekam. Die Vielzahl, Vielfältigkeit und Unberechenbarkeit der Aktionen hat das gigantische Polizeiaufgebot überfordert. Entlang der fünfzig Kilometer langen Bahnstrecke von Lüneburg nach Dannenberg fanden die AtomkraftgegnerInnen immer wieder Lücken für ihre mehr oder weniger perfekt vorbereiteten Aktionen.

Ein derartiger Polizeieinsatz lässt sich nicht - wie in der deutsch-französischen Regierungsvereinbarung vorgesehen - zweimal im Jahr wiederholen. Selbst für den niedersächsischen Innenminister Heiner Bartling ist ein solches Szenario nicht mit demokratischen Zuständen vereinbar. Für die Fraktionsvorsitzende der Grünen im niedersächsischen Landtag, Rebecca Harms, steht bereits jetzt fest: "Das Gorleben-Projekt ist politisch nicht durchsetzbar."

Rechtsstaatlich nicht durchsetzbar

Doch bei den Protesten geht es nicht nur um den Zwischen- und Endlagerstandort Gorleben. Der Widerstand ist auch ein deutliches Signal dafür, dass der Atomkonsens zwischen Bundesregierung und Energiekonzernen kein gesellschaftlicher Konsens ist. Der erste Castor nach dem dreijährigen Transportstopp war auch ein Test dafür, ob durch den Atomkonsens eine Befriedung der Anti-Atom-Bewegung eingetreten ist. Das Testergebnis ist eindeutig: Die rot-grüne Konsensstrategie hat den Widerstand eher verstärkt. Grüne Spitzenpolitiker wurden überall im Wendland scharf attackiert. Ihr Versprechen, für einen schnelleren Atomausstieg zu kämpfen, glaubt ihnen in der Anti-Atom-Bewegung niemand mehr. Der grüne Spagat, nicht gegen den Castor und den Atomkonsens zu demonstrieren, aber gegen Gorleben als Endlagerstandort und für einen schnelleren Ausstieg, endete mit einer politischen Bruchlandung. Wer die Bilder von Claudia Roths Flucht vor aufgebrachten Bauern bei der Treckerparade gesehen hat, für den wirkt ihr trotziges Bekenntnis "Wir verstehen uns immer noch als Teil der Anti-Atom-Bewegung" nur noch lächerlich.

Das Risiko, dass der Widerstand dadurch geschwächt wird, dass die Führungskräfte der Grünen in Partei, Fraktion und Regierung unbeirrt und gegen alle Realitäten weiter von einem Ausstiegskonsens reden, ist nach Gorleben kleiner geworden. Die Grünen befinden sich nun auf der anderen Seite der Barrikade. Und die Anti-AKW-Bewegung tut das, was sie schon immer stark gemacht hat. Sie vertraut nicht auf Parteien, sondern auf die eigene, außerparlamentarische Kraft und sie hat sich eindeutig gegen den rot-grünen Konsens positioniert.

Ob es sich bei den Auseinandersetzungen in Gorleben um ein einmaliges Aufbäumen oder um den Beginn eines neuen Widerstandszyklus der Anti-Atom-Bewegung handelt, wird sich bereits sehr bald herausstellen. Wie immer wieder von den Initiativen betont, ist der Gorleben-Transport auch der Türöffner für eine Vielzahl von Transporten in die Wiederaufbereitungsanlagen in La Hague und Sellafield. An verschiedenen AKW-Standorten stehen die Betreiber mit fertig beladenen Castor-Behältern in den Startlöchern. Kurz nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe sollen die ersten Transporte (am 10. April) aus den Atomkraftwerken Philippsburg, Biblis und Grafenrheinfeld auf die Reise nach La Hague geschickt werden. Weitere Transporte aus Neckarwestheim, Biblis und Stade sollen in Kürze folgen. Sollten auch diese Transporte nur noch mit einem großen Polizeiaufgebot durchsetzbar sein, dann hat die Atomindustrie ein echtes Problem. Denn nur an wenigen Standorten sind bereits sog. Interimslager zur Lagerung der abgebrannten Brennelemente einsetzbar und die Abklingbecken der AKWs sind nach der langen Transportpause bis zum Bersten gefüllt. Ohne Wiederaufbereitung wäre also die Atommüllentsorgung ernsthaft gefährdet.

Mehr Widerstand gegen anstehende WAA-Transporte?

Gelingt der Anti-Atom-Bewegung hier allerdings nicht die Organisierung eines relevanten Widerstandes, dann sieht sie sich zu Recht mit dem Vorwurf konfrontiert, lediglich den Müll vor der eigenen Haustür verhindern zu wollen. Das Wendland wäre dann nicht mehr als ein regionales Widerstandsbiotop. Mit Aktionen gegen die WAA-Transporte und der Beendigung der Plutoniumwirtschaft steht der Anti-AKW-Bewegung die entscheidende Nagelprobe also noch bevor.

Tom Binger