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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 449 / 12.4.2001

Slobo im Knast

Die Balkankrise geht weiter - ein Kommentar

Mit einer spektakulären Polizeiaktion in der Nacht zum 1. April konnte der ehemalige serbische und jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic gezwungen werden, sich "freiwillig" der serbischen Justiz zu stellen. Der Mann, der von den westlichen Medien und Politikern zum Hauptverantwortlichen für die Kriege in Ex-Jugoslawien erklärt wird, ist damit endgültig am Ende seiner Karriere als Politiker. Jetzt erwarten Milosevic als Angeklagten Gerichtsprozesse in Serbien und aller Wahrscheinlichkeit nach auch vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag.

Die Liste der Beschuldigungen gegen Milosevic, der 13 Jahre lang die serbische und jugoslawische Politik bestimmte, ist lang. Die Belgrader Justiz wirft ihm Mordanschläge gegen innenpolitische Konkurrenten, Korruption und die Gründung einer Organisation zur Begehung von Straftaten vor. Die Anklägerin in Den Haag, Clara Del Ponte, macht Milosevic verantwortlich für Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Krieges um das Kosovo und in Bosnien. Wann, wie und wo die Prozesse stattfinden, wird in den nächsten Wochen zwischen der serbischen und jugoslawischen Regierung sowie der "internationalen Gemeinschaft" ausgehandelt werden.

Die anstehenden Prozesse werden in Jugoslawien und international in jedem Fall die Diskussion über die Ursachen, den Verlauf und die Folgen der Kriege auf dem Balkan weiter intensivieren. Dabei wird stets auch die Frage der Verantwortung gestellt werden. Es kann kaum Zweifel darüber geben, dass Slobodan Milosevic und seine Gefolgschaft eine treibende Kraft bei der Zerstörung Jugoslawiens bildeten, die beinahe 300.000 Menschen das Leben gekostet und Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht hat. Durch die Re-Vitalisierung des großserbischen Nationalismus als Reaktion auf die tiefe soziale und politische Krise im Jugoslawien der 80er Jahre nach seinem Amtsantritt als Chef der Kommunistischen Partei Serbiens 1986 wurde sein Regime zur kriegstreibenden Kraft.

Aber die serbische Führung stand dabei nicht allein, und schon gar nicht die Einzelperson Milosevic. Die Nationalisten der anderen ex-jugoslawischen Republiken, allen voran der vergangenes Jahr gestorbene Staatsgründer Kroatiens, Franjo Tudjman, waren ebenbürdige Partner bei der Zerschlagung des einstigen Vielvölkerstaates. Und viele, die in Serbien heute an der Regierung sitzen und sich als "Demokraten" gebärden, standen in ihrem Nationalismus Milosevic in nichts nach. Die "internationale Gemeinschaft" und ganz maßgeblich das wiedervereinigte Deutschland wiederum intervenierten in die jugoslawische Krise hauptsächlich dadurch, dass sie Benzin ins Feuer kippten, wie gerade in diesen Wochen im Mazedonien-Konflikt wieder deutlich wird. Dort haben albanische Freischärler, die seit Ende der 90er Jahre im Kosovo von der NATO aufgepäppelt worden waren, eine neue Front eröffnet, die auf die Zerstörung Mazedoniens zielt - mit unabsehbaren Folgen.

Slobo sitzt im Knast - aber die Balkankrise wird weitergehen. Solange keine wirtschaftliche und soziale Perspektive für die Region sichtbar ist, und die bietet die freie Marktwirtschaft in einer Region nicht, die sich nicht auszubeuten lohnt, werden sich die ethnifizierten Konflikte endlos weiter reproduzieren. Kriegshelden, die daran verdienen, und Politiker, die sich damit an der Macht halten, gibt es im Überfluss. Und die "internationale Staatengemeinschaft" wird die Konflikte weiter dazu nutzen, Konkurrenzkämpfe auszutragen, strategische Positionen zu sichern oder auf dem Rücken der Balkan-Bevölkerung innenpolitische Ziele durchzusetzen, wie es die Rot-Grüne Regierung mit der Legitimierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr durch den "humanitären" Kosovo-Krieg glänzend vorgeführt hat.

Ob die Prozesse gegen Milosevic dazu dienen werden, die Zerstörung Jugoslawiens aufzuarbeiten, darf bezweifelt werden. Letztlich wird wohl eher der Versuch unternommen werden, die Verantwortlichkeit einem personalisierten Bösen in die Schuhe zu schieben, um sich selbst rein zu waschen. Das gilt für die neue serbisch-jugoslawische Führung - der ehemalige Krieg führende Generäle ebenso angehören wie ausgewiesene Propagandisten "Großserbiens" - genauso wie für die "internationale Gemeinschaft". Die für die Zivilbevölkerung katastrophalen Folgen der Nato Bombardements auf Industrieanlagen wie in Pancevo werden dagegen wohl nie strafrechtlich verfolgt werden. Und das ist kein juristisches Problem sondern eine Widerspiegelung von Machtverhältnissen.

Boris Kanzleiter