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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 449 / 12.4.2001

Erzwungene DNA-Analysen

Speichelproben als Druckmittel der Behörden

Mittlerweile überrascht es kaum noch, mit welchen unsäglichen Mitteln die Law-and-Order-FanatikerInnen des Landes versuchen, ihre Datensammelwut zu befriedigen und ihre Vision von perfektionierter Überwachung umzusetzen. Ist die Bevölkerung durch die Medien erst einmal ausreichend hysterisiert, fällt es dem Staat nicht mehr schwer, unter dem Schlagwort "Innere Sicherheit" Maßnahmen vorzuschlagen, die Orwell's "1984" wie kindgerechte Schlaraffenland-Prosa erscheinen lassen.

Während die eingesetzte Sonderkommission im Fall Ulrike "nur" einen Massen-Gentest für die Männer der Region Eberswalde per richterlichem Beschluss durchsetzen wollte, ging der Bundestagsabgeordnete Norbert Geis (CSU) noch einen Schritt weiter. Ginge es nach ihm, so würden die Daten aller in Deutschland lebenden Männer in einer zentralen Gen-Datei gespeichert.

Wie wird sich ein derartiger Ansatz infolge der nächsten Massensuggestion weiterentwickeln? Wie lange dauert es, bis auch alle Frauen zwangsgetestet werden, weil "festgestellt" wurde, dass jeder? Mensch im Grunde erst einmal "böse" ist ? Wann wird mensch anfangen, alle Kinder bei der Geburt zu testen, um die Katalogisierung der Bevölkerung komplett zu machen? Wann wird die Nutzung der Zentraldatei von "Straftaten mit erheblicher Bedeutung" auf kleinere Vergehen, wie geringfügige Eigentumsdelikte oder wildes Plakatieren ausgedehnt?

Mit den geforderten Massen-Screenings wird die Unschuldsvermutung, also das Recht eines jeden Individuums, bis zum Ende eines fairen Verfahrens als unschuldig zu gelten, negiert. Die Kernaussage eines solchen Massen-Tests ist, dass jeder Mensch potenziell verdächtig ist, irgendwann einmal eine Straftat von erheblicher Bedeutung zu begehen. Schon jetzt wird die DNA-Analyse so inflationär eingesetzt, dass die zentrale Datei des BKA's bereits die Genom-Informationen von über 90.000 Menschen beherbergt. Die Regelung, dass für die Entnahme einer Speichelprobe ein richterlicher Beschluss vorliegen muss, wird von Polizei und Staatsanwaltschaft häufig durch die Begründung "Eilfall" außer Kraft gesetzt. Diese "Ausnahmeregelung" bietet den Verfolgungsbehörden die Möglichkeit, öfter als notwendig an die Erbinformationen eines/einer Verdächtigen zu gelangen, selbst wenn die DNA im Verfahren später keine Rolle spielt oder dieses sogar eingestellt wird. Hinzu kommt, dass der Speicheltest als zusätzliches Druckmittel gegen unliebsame Verdächtige eingesetzt wird.

Ein Beispiel: Ein 17-jähriger Antifaschist wurde im vergangenen November dabei beobachtet, wie er am späten Abend eine Telefonzelle im bayrischen Rothenburg ob der Tauber mit Aufklebern (Spuckis) und Faserschreiber "verzierte". Da die Telefonzelle fünf Stunden später in Flammen aufging, hielt es die Polizei für angebracht, ihn kurze Zeit später aus dem Unterricht zu holen und ihm mitzuteilen, dass ein Ermittlungsverfahren wegen Sachbeschädigung gegen ihn angelaufen sei. Nach einer einstündigen Hausdurchsuchung wurde er auf der Wache fünf Stunden lang erkennungsdienstlich behandelt und verhört. Weil er sich nicht besonders kooperativ verhielt, drohte ihm die Polizei mit einer Speichelprobe und darauf folgender DNA-Analyse. Da er sich diesem Versuch mit der Begründung widersetzte, er sei noch minderjährig und einE AngehörigeR müsse informiert werden, wurde ihm die Speichelprobe gewaltsam von vier Beamten abgenommen.

Dieser Fall zeigt, wie willkürlich die Strafverfolgungsbehörden mit ihrem Recht auf Eilverfügung umgehen und es als weiteres Repressionsmittel gegen Verdächtige einsetzen.

Wir fordern deshalb:

1. Die Streichung der Eilgenehmigung von Speichelproben.

Dieses Verfahren dient lediglich der Repression und hat keinerlei praktischen Nutzen, da die/der Verdächtige nicht in der Lage ist, Beweismittel zu beseitigen bzw. seine DNA zu verändern. Es besteht somit auch keine Legitimation für ein "Eilverfahren".

2. Die Auflösung der bestehenden Gen-Datei.

Speichelproben werden zum Normalfall

Es besteht die Gefahr, dass diese hochsensiblen Daten bei fortschreitender Entwicklung der Genentschlüsselung zu anderen Zwecken missbraucht werden. Bereits jetzt ist es möglich, gewisse persönliche Merkmale über die DNA festzustellen. Der Schritt zu einer Selektierung der Menschen nach "gutem" und "schlechtem" Erbgut ist nicht mehr weit.

3. Den Stopp der Massen-Screenings.

Durch dieses Vorgehen wird jedeR BürgerIn per se kriminalisiert und ihre/seine Daten erfasst. Die Unschuldsvermutung wird somit aufgehoben.

4. Keine Gewichtung der DNA-Analyse in Strafverfahren.

Das Ergebnis der genetischen Untersuchung gibt lediglich an, ob sich der/die Verdächtige zu einem beliebigen Zeitpunkt am Tatort aufgehalten hat. Eine Zuordnung der Tat ist damit trotzdem oft nicht möglich.

5. Kein Mitwirken der Polizei bei der Speichelprobe.

Fälle wie der oben genannte zeigen, dass sich die Polizei oftmals nicht an ihre eigenen Regeln hält. Zum einen wurde der verdächtige Jugendliche nicht auf die Rechtsgrundlage der Speichelprobe hingewiesen, wie es das Bayrische Polizeiaufgabengesetz verlangt. Zum anderen wurde trotz des Hinweises des Jugendlichen keinE ErziehungsberechtigteR von der Speichelprobe informiert (Jugendgerichtsgesetz). Da für den Vorwurf "Sachbeschädigung" keine Rechtsgrundlage existiert, wird an diesem Fall besonders deutlich, dass die Speichelprobe lediglich als Einschüchterungsmaßnahme zu verstehen ist, mit der der Druck auf unerfahrene, politisch aktive Menschen erhöht werden soll. Selbst der bayerische Datenschutzbeauftragte, Reinhard Vetter, kritisierte, dass die Strafver-folgungsbehörden mit DNA-Analysen systematisch die gesetzlichen Vorschriften verletzen.

Rote Hilfe, Nürnberg