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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 450 / 10.5.2001

Ein ganz "normaler" Vergewaltigungsprozess?

Bremer Vergewaltigungsprozess endet mit dem Freispruch der Täter

In Bremen fand seit Mitte Januar 2001 vor dem Landgericht ein Vergewaltigungsprozess statt. Angeklagt waren zwei Angestellte eines Imbisses, die im Sommer 2000 im Keller desselben eine Frau mehrfach vergewaltigt haben. Nach der Anzeige durch die Frau wurden beide Männer auf Grund dringenden Tatverdachts und der schweren Beweislast (unter anderem einer DNA -Analyse eines Täters) in Untersuchungshaft genommen. Die Frau trat im Prozess als Nebenklägerin auf. Ende Februar wurden die Männer nach gut sieben Monaten aus der U-Haft entlassen. Der jüngere und schwerer belastete Angeklagte Ari tauchte daraufhin unter, erschien im April jedoch wieder zum Prozess. Am 30. April wurden die Täter aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

Der Prozess im Bremer Landgericht fand nach einem festgelegten Setting statt: Der Vorsitzende Richter Oetken und sein Beisitzer Harms waren umringt von einem Schöffen (direkt neben dem Vorsitzenden) und einer Schöffin (etwas abseitiger zwischen Beisitzer und Gerichtsschreiberin). Zu ihrer Rechten saßen die Verteidiger Joester und Jenkel, zur Linken die Staatsanwältin Piontkowski. Die Nebenklägerin und ihre Anwältin befanden sich einige Stufen tiefer den Richtern gegenüber. Die Kommunikation fand fast ausschließlich zwischen den vier Männern statt. Genervte Blicke, verständnisvolles oder Beifall heischendes Grinsen, gemeinsames Lachen demonstrierten die Einigkeit dieses Männerbundes. Seitens der Verteidiger wurde die Staatsanwältin gerne in Sachen korrekter Prozessführung väterlich herablassend ("Nun seien Sie doch mal vernünftig") belehrt. Während der Vorsitzende Richter aggressives Überbrüllen, beleidigende Unterstellungen etc. seitens der Verteidiger regelmäßig überhörte, "übersetzte" der Beisitzer gelegentlich verständnisvoll einzelne "emotionale Aussagen" von Zeuginnen, wenn deren Aussagen nicht in seinen Erfahrungshorizont passten. Die junge Staatsanwältin erschien einerseits auf Grund der frauenfeindlichen Grundstimmung und der permanenten Angriffe auf ihre Rolle bzw. Person in schlechtem Licht, andererseits aber wirkte sie häufig schlecht vorbereitet und schöpfte ihre Einflussmöglichkeiten auf den Verlauf des Prozesses bei weitem nicht aus. So verpasste sie es, eine/n ExpertIn zum Thema "posttraumatische Reaktionen" zu laden, und sie war nicht in der Lage, unverschämte Fragen der Verteidiger abzuwehren. Sie reagierte vor allem dann scharf, wenn sie bzw. ihre Behörde in die Kritik der Verteidigung gerieten, nicht jedoch, wenn die Verteidigung die betroffene Frau mit verwirrenden, beleidigenden und aggressiven Fragen überhäufte. Diese Stimmung beeinflusste den Prozessverlauf in jeder Hinsicht und machte ihn vor allem für die vergewaltigte Frau schwer erträglich.

Männerbünde im Gerichtssaal

Die juristische Sachlage erschien auf den ersten Blick zumindest relativ klar. Es gab zwei Angeklagte, die zum Teil widersprüchliche Angaben machten, zunächst eine Begegnung mit der Frau abstritten, später Geschlechtsverkehr zugaben und sich die Anzeige der Frau damit erklärten, sie habe Geld von ihnen gewollt und wolle sich nun wohl rächen. Unabhängig davon kam hinzu, dass die ehemalige Lebensgefährtin des Angeklagten Ari zwischenzeitlich ebenfalls Anzeige gegen ihn wegen Vergewaltigung und Körperverletzung erhoben hatte. Unverständlich also auf den ersten Blick, weshalb sich die Verhandlung so lange hinzog. Verständlich wird dies jedoch schnell, betrachtet mensch neben der beschriebenen Grundstimmung die in Vergewaltigungsprozessen übliche Strategie der Verteidigung, die Glaubwürdigkeit der betroffenen Frau in Frage zu stellen. Dazu war den beiden Verteidigern jedes Mittel recht. Sie behielten sich vor, die Frau jederzeit zu befragen, so dass sie zu fast jedem Verhandlungstermin zu erscheinen hatte. Immer wieder wurde sie zu ihren Lebensgewohnheiten, ihrer Familie, ihrer Vergangenheit, ihren Beziehungen, ihrer lesbischen Lebensweise und vergangenen Gewalterfahrungen befragt.

Retraumatisierung durch den Prozess

Die Tatsache, dass sie in der Tatnacht Alkohol konsumiert hatte, stand von Anfang an im Mittelpunkt des Prozesses. Um die Wichtigkeit dessen zu unterstreichen, befand sich von Anfang an ein Gerichtsmediziner, der 76-jährige Dr. von Karger, als Alkoholgutachter und permanenter Beobachter im Gerichtssaal. Unter medizinisch fragwürdigen Begründungen erlangte er eine Befreiung von der Schweigepflicht der behandelnden Ärzte der Frau, in deren Akten er sodann einen Hinweis auf mögliches Vorliegen eines AGS (adreno-genitales Syndrom; eine Hormonsynthesestörung der Nebenniere mit verminderter Bildung von Kortison und vermehrter Bildung männlicher Geschlechtshormone) fand. Daraufhin scheute er sich nicht, Zusammenhänge zu möglichen Wahrnehmungsstörungen und einer gesteigerten Aggressivität zu konstruieren. Er bescheinigte der Frau ohne jegliche körperliche bzw. psychiatrische Untersuchung "grobe psycho-physiologische Auffälligkeiten" und erfand eine vermeintliche Erklärung für ihr äußeres Erscheinungsbild und ihre "sexuelle Abartigkeit". Er machte deutlich, dass er sie für nicht glaubwürdig hielt. Bei einer Anzeige wegen Falschaussage könne ihr dann ja auf Grund "krankhafter seelischer Störungen und Abartigkeit" Schuldunfähigkeit bescheinigt werden, was bei gerichtlicher Feststellung einer Psychiatrisierung Tür und Tor öffnen würde. Zwar wurde von Karger drei (!) Wochen später wegen Befangenheit vom Prozess ausgeschlossen, dennoch haben sich seine abstrusen Thesen in den Köpfen der Richter und SchöffInnen festgesetzt. Dies war nur eines der perfidesten Beispiele für die Frauen- und Lesbenfeindlichkeit während dieses Prozesses.

Ein weiterer "Höhepunkt" war die Vorladung eines weiteren Vergewaltigers, des ehemaligen Taxifahrers Frahm aus Bremerhaven, der die Nebenklägerin vor neun Jahren vergewaltigt hatte. Das Verfahren war seinerzeit eingestellt worden, weil Aussage gegen Aussage stand. Einwänden gegen die Zeugenvorladung angesichts fehlenden Zusammenhangs mit dem aktuellen Geschehen und massiver Retraumatisierung der betroffenen Frau wurde seitens der Richter nicht stattgegeben. Auch hier sollte die Glaubwürdigkeit der Frau erschüttert werden und das Bild einer "Männerverführerin" gezeichnet werden, die nach vollzogenen Geschlechtsverkehr die Männer (weshalb auch immer) anzeigt. Der Täter wurde von Richtern und Verteidigern mit großer Sorgfalt behandelt. Die Richter entschuldigten sich für die "Retraumatisierung", die er durch seine erneute Aussage durchlitten habe, und er konnte sich weinend als Opfer präsentieren.

Unmittelbar danach beantragten die Verteidiger die Aufhebung der Untersuchungshaft für ihre Mandanten, da insgesamt ja erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Frau aufgekommen seien und der dringende Tatverdacht gegen die Angeklagten hinfällig sei. Diesem Antrag wurde am 28.2. stattgegeben. In ihrer Begründung formulierten die Richter immer wieder die ihrer Auffassung nach zunehmende Unglaubwürdigkeit der Frau. Sie sahen Widersprüche zwischen ihren Aussagen und denen einzelner ZeugInnen der Verteidigung, deren Aussagen als wahr angesehen wurden. Aussagen der BelastungszeugInnen im Sinne der Anklage wurden nicht gewürdigt. Über wichtige weitere Beweisanträge der Staatsanwaltschaft sowie der Nebenklage war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht entschieden, offensichtlich wurde ihnen keine Bedeutung für das weitere Verfahren beigemessen. Zudem äußerten sie Zweifel an der "Nachhaltigkeit und Erkennbarkeit ihres Abwehrverhaltens". Die Aufhebung der U-Haft war somit als Vorentscheidung auf den Ausgang des Prozesses zu sehen.

Bereits am nächsten Verhandlungstag erschien der durch DNA-Analyse schwerer belastete Angeklagte A. nicht mehr. In der Zwischenzeit erfolgte die zweite Anzeige gegen ihn durch seine ehemalige Lebensgefährtin wegen Vergewaltigung und Körperverletzung. Auch sie wurde daraufhin als Zeugin geladen, zog dann jedoch ihre Aussage vermutlich aus Angst wieder zurück. Die Staatsanwältin versuchte nun, diese für die Anklage sehr wichtige Zeugin unter Druck zu setzen, um sie zur Aussage zu bewegen. Prozesstaktisch ist dies nachvollziehbar, jedoch funktionalisierte sie damit die betreffende Frau und zeigte einmal mehr fehlendes Einfühlungsvermögen in die Lebensrealität von Frauen mit Gewalterfahrung.

Rechtsanwalt Joester hingegen gab sich in diesem Fall sehr "einfühlsam" und setzte sich dafür ein, dass die Frau von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen könne. Auch die Richter zeigten sich sehr "bemüht", ihr diese Möglichkeit zu eröffnen. Damit sie sich nach ihrer für den 19. April terminierten Scheidung von ihrem Noch-Ehemann als Verlobte des Angeklagten Ari auf ihr Zeugenverweigerungsrecht berufen könne, haben Verteidigung und Richter ihre Vernehmung so lange hinausgezögert. Auf Grund der wochenlangen Nicht-Bearbeitung von Beweisanträgen der Anklage und der offensichtlichen Prozessverzögerungen, die der Verteidigung zu Gute kamen, stellte die Nebenanklage einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter. Dieser Antrag wurde am 19.4. "mangels hinreichender Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters" abgelehnt. Trotz der Blitzscheidung konnte die Verlobte des Angeklagten Ari sich dann doch nicht auf ihr Zeugenverweigerungsrecht berufen. Sie verweigerte aber dennoch die Aussage unter Berufung auf 55 StPO, nach der sie sich selbst durch eine solche Aussage belaste. Die Staatsanwaltschaft wird nun ein Verfahren gegen sie wegen Falschanschuldigung einleiten müssen.

Freispruch für Vergewaltiger

Während des ganzen Prozesses fand weder juristisch noch menschlich die Traumatisierung der vergewaltigten Frau Beachtung. Hingegen wurde kaum eine Möglichkeit der Retraumatisierung ausgelassen. Der Frau wurde ihre Wahrnehmung abgesprochen, ihre Grenzen wurden permanent überschritten, ihre Intimsphäre verletzt, sie wurde immer wieder mit den Tätern und gar einem zusätzlichen Täter aus der Vergangenheit konfrontiert. Die US-amerikanische Psychiaterin Judith L. Herman, die jahrzehntelang mit Überlebenden sexualisierter, häuslicher und politischer Gewalt gearbeitet hat, beschreibt die Dynamik von Vergewaltigungsprozessen folgendermaßen: "Die Versuchung, sich auf Seiten des Täters zu schlagen, ist groß. Der Täter erwartet vom Zuschauer lediglich Untätigkeit. Er appelliert an den allgemein verbreiteten Wunsch, das Böse nicht zu sehen, nicht zu hören und nicht darüber zu sprechen. Das Opfer hingegen erwartet vom Zuschauer, dass er die Last des Schmerzes mitträgt. Das Opfer verlangt Handeln, Engagement und Erinnerungsfähigkeit. Die ersten Verteidigungstaktiken des Täters sind Geheimhaltung und Schweigen. Wenn Geheimhaltung nicht mehr möglich ist, greift der Täter die Glaubwürdigkeit des Opfers an. Wenn er das Opfer ganz und gar nicht zum Schweigen bringen kann, sorgt er so weit wie möglich dafür, dass dem Opfer niemand zuhört. Zu diesem Zweck bietet er ein erstaunliches Arsenal an Argumenten auf, von offenkundiger Ableugnung der Tat bis hin zu ausgefeilten und feinsinnigen Rationalisierungen. Nach jeder Gewalttat sind die gleichen Ausreden zu erwarten: Es ist nie geschehen; das Opfer lügt; das Opfer übertreibt; das Opfer ist selbst schuld." (1)

In den Abschlussplädoyers der Verteidigung wurde die große Öffentlichkeit der Verhandlung bedauert, "auch wenn die Betroffene das genieße"! All diese und noch viele andere Widerwärtigkeiten ließen die Richter stehen und schlossen sich schließlich in ihrer Urteilsbegründung voll und ganz der Strategie der Verteidigung an: mangelnde Glaubwürdigkeit und Alkohol.

Es ist verständlich, zu hoffen, dass in einem juristischen Verfahren den Opfern zugehört und geglaubt wird, dass Täter zum Reden gezwungen werden und angemessen sanktioniert werden, realistisch ist es - und das zeigt nicht nur dieser Prozess - nicht. FrauenLesben müssen anderweitig dafür sorgen, dass sich Täter nirgends sicher fühlen können und dass Opfer nicht schweigen müssen.

Petra Piranja

1) Judith Lewis Hermann: Die Narben der Gewalt. Traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden, München 1998, S. 18.

Spendenkonto für Prozesskosten und Öffentlichkeitsarbeit: Verein zur Förderung der Kommunikation unter Frauen e.V.; Kto Nr: 1681873, Sparkasse Bremen, BLZ 29050101