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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 450 / 10.5.2001

Der Kapitalist in uns allen

"Arbeitskraftunternehmer" als neues Leitbild der Ware Arbeistkraft

Wenn Linke quer durch die Republik reisen, um sich auf Beratungstreffen die Köpfe heiß zu reden, so klagen sie sich in den Pausen ihr Leid - über Politik, Leben, Liebe und Arbeit. Dass Arbeit Stress macht, wissen alle, wie dem zu entgehen ist, nicht. "Gib doch einfach einen gelben Zettel ab!", lautet ein pragmatischer Vorschlag. Ein Vorschlag, der Fragen provoziert, vor allem bei denen, die dahinter mal wieder eine betriebslinke Fachterminologie vermuten. Was ist ein gelber Zettel? Wo krieg ich den her? Und vor allem: Wem gebe ich ihn?

Der alte Ökonom Josef A. Schumpeter ist seit einigen Jahren wieder im Kommen. Von ihm scheinen im wesentlichen zwei Aspekte in Erinnerung geblieben zu sein: Zum einen beschrieb er den Prozess kapitalistischer Entwicklung als "schöpferische Zerstörung", wobei alte Strukturen aufgebrochen, aber zugleich neue geschaffen würden. Und er benannte zum anderen als Hauptfigur dieses Vorgangs den Unternehmer. Das war vor knapp sechzig Jahren, aber man sollte nicht denken, dass die Idee mit ihrem Denker im Januar vor 51 Jahren starb. Heute wird das Unternehmerische stärker als je zur Speerspitze der Entwicklung erhoben: "Existenzgründer und Jungunternehmer sind vielfach die ,Avantgarde` des Wandels von der Industrie zur Wissensgesellschaft", stellt die Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen fest. (1). Das wäre nichts wirklich Neues, wenn nicht, die individuelle Spitzenleistung zum Motor der ganzen Gesellschaft und zur Aufgabe eines jeden Gesellschaftsmitglieds in der "unternehmerischen Wissensgesellschaft" erklärt würde: "Der Mensch als Unternehmer seiner Arbeitskraft und Daseinsvorsorge", lautet das Leitbild der freistaatlichen Zukunftskommission.

Auch den Industriesoziologen Günter G. Voß und Hans J. Pongratz (2) geht es um eine grundsätzliche Neubestimmung der Gegenwart. Auch für sie befindet sich der Nachkriegskapitalismus seit Mitte der siebziger Jahre in einer grundlegenden Krise. Es geht also ums große Ganze. Voß und Pongratz gehen von einer "analytischen Arbeitskraft-Perspektive" aus und fragen nach dem Wandel der Ware Arbeitskraft. Ihre These ist, dass sich die Ware Arbeitskraft strukturell vom "Verberuflichten Arbeitnehmer" zum "Arbeitskraftunternehmer" (AKU) wandle. Im Mittelpunkt der Überlegungen steht die Annahme, dass sich mit neuen Anforderungen am Arbeitsplatz sowohl die "Ware Arbeitskraft" selbst als auch das Bewusstsein der ArbeiterInnen grundlegend verändern. Während der Arbeits- und Lebenszusammenhang des "verberuflichte Arbeitnehmers" des Fordismus auf Kontinuität angelegt war, steht beim AKU die Diskontinuität bzw. die beständige Anpassungsbereitschaft und -notwendigkeit im Vordergrund. Das führe zu einem unternehmerischen Verhältnis der Arbeitskräfte zu ihrer eigenen Arbeitskraft und zu einer veränderten Verfasstheit von Arbeitskraft insgesamt.

Sei dein
eigener Boss!

Vollkommen neu sind derartige Arbeitsverhältnisse nicht: Ausgehend von der Diskussion um die Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses, Niedriglohnsektoren, "Dritter Sektor" und "neue Selbstständigkeit" analysieren Caroll Haak und Günther Schmid, SozialforscherInnen am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), ob die Charakteristika der Arbeitsmärkte von KünstlerInnen und PublizistInnen künftige Entwicklungen des gesamten Arbeitsmarktes bereits vorwegnehmen. Neue Selbstständige, Free Lancer und auch ArbeitskraftunternehmerInnen prägen diesen Teilarbeitsmarkt. Sie verbinden ihr Misstrauen gegenüber sozialstaatlich regulierten Arbeitsverhältnissen mit einer Vision von selbstbestimmter Eigenarbeit und stehen sowohl mit ihren Ansprüchen als auch in ihren tatsächlichen Erwerbsverhältnissen jenseits des sogenannten Normalarbeitsverhältnisses. Das heißt jedoch nicht, dass KünstlerInnen und PublizistInnen nicht auch in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen zu finden wären. Üblich ist vielmehr, dass sie entweder parallel oder abwechselnd in unterschiedlichen Erwerbsformen ihr Geld verdienen.

"Der Widerwillen der Arbeiter, Tag für Tag einen ganzen Arbeitstag zu bestreiten, war die Hauptursache für den Bankrott der ersten Fabriken." (3) Anders formuliert: Der frühkapitalistischen Produktionsweise fehlte eine entsprechende Lebensführung der ProduzentInnen. Genau so wenig wie der Lohnarbeiter spontan aus den Trümmern des Industrialisierungsprozesses hervorgekrochen ist, wird auch die fordistische Massen- bzw. Facharbeiterin nicht von heute auf morgen zum AKU mutieren. Es gibt keinen Automatismus, der dafür sorgt, dass sich die Lebensführung der Arbeitskräfte spontan den neuen ökonomischen Erfordernissen anpasst.

Andererseits ist ein kultureller und moralischer Wandel, der zur Herausbildung des Typus "Arbeitskraftunternehmer" beiträgt, nicht zu leugnen. Die "Neuen Sozialen Bewegungen" mit ihrer ökologischen, antikapitalistischen und feministischen Ausrichtung haben dazu beigetragen, das fordistische Modell der Lebensführung aufzubrechen. Das betrifft zum einen die feministische Kritik an den Geschlechterrollen in der Normalfamilie mit dem lohnarbeitenden Mann und der im Haushalt tätigen Frau. Diese Kritik hat dazu geführt, dass das Normalarbeitsverhältnis als Leitbild aufgelöst wurde: "Wenn man von einer 'Krise' des 'Normalarbeitsverhältnisses' sprechen kann, dann nur insofern, als sich seine wesentliche Voraussetzung - das darin enthaltende Geschlechtermodell - überlebt hat." (4)

Aber auch die Diskurse um "Befreiung in der Arbeit", um ein größeres Maß an Zeitautonomie sowie eine Kritik an dem staatsbürokratisch regulierten Lebenslauf Ausbildung-Arbeit-Rente sind Bestandteile des sogenannten "Wertewandels", auf den eine neoliberale Hegemoniepolitik zurückgreifen kann. Statt (einengender) Sicherheit und Stabilität herrscht Ungewissheit: "Das Individuum muss aus sich heraus jeweils von neuem mit der Kontingenz, also der Tatsache, dass auch alles andere möglich sein könnte, fertig werden." (5)

Selbstveredelungs-strategien

Voß und Pongratz kennzeichnen die neue Arbeitskraftstrategie auf betrieblicher Ebene als "fremdorganisierte Selbstorganisation". Der Arbeitskraft fallen zwar einerseits erweiterte Freiräume und ein gewisses Maß an Autonomiegewinnen zu, andererseits wird jedoch der Leistungsdruck ganz im Sinne eine "management by stress" massiv erhöht. Selbstkontrolle und Selbstdisziplinierung stehen stärker im Vordergrund. Von den Arbeitskräften wird unternehmerisches Denken verlangt. Vor der Hoffnung, diese neuen Freiräume zu nutzen, steht jedoch die Einsicht, dass weder betriebliche Herrschaftsverhältnisse noch Ausbeutung verschwinden. Im Gegenteil: Die Ausbeutung durch die Unternehmer wird durch die Selbstausbeutung der Arbeitskräfte ergänzt. Während der proletarische Lohnarbeiter des Frühkapitalismus seine Arbeitskraft als "Roh-Stoff" lieferte, und die verberuflichte ArbeitnehmerIn Teil einer an standardisierte Berufsformen gebundenen "Massenware Arbeitskraft" war, liefert der AKU des Postfordismus sich und seine Arbeitskraft als "veredeltes Halbfertigprodukt".

Bei außerbetrieblichen AKUs - wie Free Lancer und Neue Selbstständige - scheint eine weitere Bastion fordistischer Lebensführung zu fallen: die Trennung von Arbeit und Freizeit. Diese verflüchtigt sich z.B. in bierseligen privat-geschäftlichen Absprachen womöglich nach dem Polittreffen. Das permanente Selbstmanagement kennt keine Arbeitszeiten.

Claus Offe und Gero Lenhardt (7) bezeichneten die Auswirkungen der Industrialisierung als "passive Proletarisierung". Sie war in diesem Sinne eine notwendige, jedoch noch nicht hinreichende Bedingung für die Konstituierung des Lohnarbeiters. Den Part der "aktiven Proletarisierung" weisen sie der staatlichen Sozialpolitik zu. Diese erst habe die Alternativen zur Lohnarbeit wie Bettelei, Raub, etc. unterbunden. Staatliche Sozialpolitik - so Lenhardt und Offe - sei die ständige Transformation von Nicht-Lohnarbeitern in Lohnarbeiter. Welchen Beitrag leistet demnach heute staatliche Sozialpolitik bei der Herausbildung von ArbeitskraftunternehmerInnen?

Wichtig ist in diesem Zusammenhang das Leitbild des "aktivierenden Staates". Hier finden sich die Ansatzpunkte für eine staatliche Regulation, die den Typus ArbeitskraftunternehmerIn zum Ziel hat. Im Kabinettsbeschluss "Moderner Staat - Moderne Verwaltung" hat die Bundesregierung bereits im Dezember 1999 die Schlüsselbegriffe dieses Leitbildes formuliert. Der Staat wird als Moderator gesellschaftlicher Selbstorganisationsprozesse konstruiert und verklärt. Er soll dabei im Kern "eine neue Balance zwischen staatlichen Pflichten und zu aktivierender Eigeninitiative und gesellschaftlichen Engagement" herstellen. Im "Nationalen Beschäftigungspolitischen Aktionsplan 2001", den das Kabinett Anfang März diesen Jahres beschlossen hat, werden die für die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik relevanten Maßnahmen als vier Säulen dargestellt.

Modell:
aktivierender Staat

Säule I: Da Arbeitslosigkeit von der Bundesregierung als Qualifikationsproblem der Einzelnen gesehen wird, rangiert an erster Stelle die Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit (employability).

Säule II: Wer schon nicht lohnabhängig arbeitet, sollte sich zumindest selbstständig machen. Die "Entwicklung des Unternehmergeistes und Schaffung von Arbeitsplätzen" sollen die Wirtschaft zum boomen bringen (entrepreneurship).

Säule III: Künftig müssen Menschen auf ständige Veränderungen vorbereitet sein. Die "Förderung der Anpassungsfähigkeit der Unternehmer und ihrer Beschäftigten" (adaptability) wird deshalb wichtig.

Säule IV: Schließlich gilt "Gender Mainstreaming" der Bundesregierung als Leitlinie zur Verwirklichung der Chancengleichheit von Frauen und Männer.

Zusammengefasst könnte man sagen: von der Regulierung der Kontinuität zur Regulierung der Diskontinuität.

Folglich stehen Teile der Linken vor dem Problem, Widerstand gegen sich selbst leisten zu müssen. Ihre Arbeitsweisen entsprechen zwar ihren eigenen Lebensvorstellungen, aber genauso gut dem herrschenden Leitbild erneuerter Ausbeutung. Sie sind nicht nur ein Faktor innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft, sondern anscheinend sogar deren ProtagonistInnen. Kein Wunder also, dass der "gelbe Zettel" als Teil eines fordistischen Arbeitsalltages in Vergessenheit gerät. Widerstandsformen werden sich also jenseits des "gelben Zettels" und anderer Insignien des "verberuflichten Arbeitnehmers" entwickeln müssen. Der Weg zurück kann nur in einer Sackgasse enden.

Christian Brütt

Anmerkungen:

1) Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen: "Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit in Deutschland. Entwicklung, Ursachen, Maßnahmen" Teil III: Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungslage, S. 51

2) Voß, Günter G. / Pongratz, Hans J. (1998): "Der Arbeitskraftunternehmer. Eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft", in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 50, H. 1, 131-158

3) André Gorz: "Kritik der ökonomischen Vernunft. Sinnfragen am Ende der Arbeitsgesellschaft", Hamburg 1994, S. 39

4) Alexandra Wagner: "Krise des ,Normalarbeitsverhältnisses'? Über eine konfuse Debatte und ihre politische Instrumentalisierung", in: Claus Schäfer (Hg.): Geringere Löhne - mehr Beschäftigung? Niedriglohnpolitik, Hamburg 2000, S. 200-246

5) Alex Demirovic: "Hegemoniale Projekte und die Rolle der Intellektuellen", in: Das Argument 239, H. 1/2001, S. 63

6) Lenhardt, Gero / Offe, Claus (1977): "Staatstheorie und Sozialpolitik. Politisch-soziologische Erklärungsansätze für Funktionen und Innovationsansätze der Sozialpolitik", in: Christian v. Ferber / Franz-Xaver Kaufmann (Hg.): Soziologie und Sozialpolitik, SH 19 Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Opladen: Westdeutscher Verlag, 98-127