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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 450 / 10.5.2001

Hate Parade der Autonomen

Provokation des Berliner Innensenators souverän zurückgewiesen

Auch das Rekordaufgebot von 9.000 PolizistInnen konnte die seit 14 Jahren traditionelle Feiertagsgestaltung am 1. Mai in Kreuzberg nicht verhindern. Ganz im Gegenteil: Das Verbot der Revolutionären 1. Mai-Demonstration spornte zusätzlich an. Über 50.000 Pflastersteine lagen am späten Abend auf den Straßen von SO36. Die Strategie des Berliner Innensenators Eckart Werthebach (CDU) ist nicht aufgegangen. Er hatte sich zum Ziel gesetzt, Kreuzberg an diesem Tag zu befrieden und "autonomenfrei" zu machen.

Der 1. Mai in Kreuzberg ist so etwas wie ein linker Pop-Event. Mensch geht auf die Straße, schaut beim Fest auf dem Mariannenplatz vorbei, das von der Kreuzberger PDS und den Grünen veranstaltet wird, und beteiligt sich an einer der beiden Demonstrationen, deren politische Aussagen und Stoßrichtung dabei eine eher untergeordnete Rolle spielen. Dass dies alles in einer Konfrontation mit der Polizei endet, ist - für nicht wenige - fester Bestandteil dieser "Maifestspiele".

Teile Berlins dürften nicht Kriminellen für ihre alljährlichen Gewaltrituale überlassen werden, tönte Werthebach schon Wochen vor dem 1. Mai. Kurzerhand verbot er deshalb eine der beiden Kreuzberger 1. Mai-Demonstrationen. Die Demo, die um 18 Uhr auf dem Oranienplatz beginnen sollte, war in den vergangenen Jahren regelmäßig unter Polizeiknüppeln aufgelöst worden. Ebenfalls verboten wurde ein Aufmarsch von Neonazis am 1. Mai (siehe nebenstehenden Artikel). Doch während das Verbot der Nazi-Demonstration aufgehoben wurde, bestätigten die Gerichte das Verbot der 18 Uhr-Demo in Kreuzberg. Die Ausgangslage war also eindeutig: Nazis dürfen unter dem Schutz der Polizei marschieren, während in Kreuzberg staatlicherseits der Ausnahmezustand inszeniert wird.

Das Motto des Berliner Innensenators lautete: "Null Toleranz". Im Vorfeld kündigte er das harte Eingreifen seiner BeamtInnen an. Gleichzeitig rief er sie zu verstärkter Eigeninitiative im Einsatz auf, denn ab dem späten Nachmittag sollte Ruhe in Kreuzberg herrschen. Bereits in den frühen Morgenstunden hatte sich der Bezirk in eine Polizeifestung verwandelt. Überall waren massive Polizeikräfte aufmarschiert. Schon seit dem Vortag stand ständig ein Polizeihubschrauber am Himmel. Trotzdem kamen am Nachmittag des 1. Mai an die 6.000 Menschen zusammen, um gegen das Verbot der 18 Uhr-Demonstration zu protestieren. Die PDS-Bundestagsabgeordnete Angela Marquardt hatte die Demo angemeldet, die von der Humanistischen Union, dem Komitee für Grundrechte und Demokratie, dem Republikanischen Anwaltsverein und anderen Organisationen unterstützt wurde. Zeitgleich beteiligten sich rund 2.500 Menschen an der Demonstration kommunistischer und maoistischer Organisationen, deren Auftaktkundgebung wie üblich um 13 Uhr am Oranienplatz begann. Beide Demos endeten ohne besonderen Vorkommnisse.

Währenddessen hatte auf dem Mariannenplatz das 1. Mai-Fest begonnen. Bei strahlendem Wetter tummelten sich dort mehrere tausend Menschen, darunter viele Familien mit Kindern. Die FestbesucherInnen vertrieben sich die Zeit, indem sie entweder an den zahlreichen Infoständen der diversen sozialen und politischen Organisationen entlang flanierten oder sich in der Mitte des Platzes auf die Wiese setzten, um sich mit FreundInnen und Bekannten zu unterhalten. Nachdem sich die beiden Demonstrationen aufgelöst hatten, begannen PolizistInnen einige hundert Meter weiter in Richtung Oranienstraße, Menschen wegen angeblicher "Verstöße" gegen das für 18 Uhr ausgesprochene Demonstrationsverbot auseinander zu treiben. Entgegen der Absprachen zwischen den VeranstalterInnen des Mariannenplatzfestes und der Polizei - die hatte in ihrer Dienstanweisung für den 1. Mai ausdrücklich festgelegt: "Unter allen Umständen ist eine Konfrontation auf dem Mariannenplatz zu vermeiden" - stürmte dann gegen 18 Uhr die berüchtigte Berliner 23. Einsatzhundertschaft ohne Ankündigung den Platz.

Es kam zu zahlreichen Festnahmen. Angesichts der unübersichtlichen Lage zogen sich die Bullen allerdings kurze Zeit später zurück. Was dann folgte, war ein Akt spontaner Organisierung. Mehrere hundert Leute deckten von der Mitte des Mariannenplatzes aus eine Einsatzgruppe der Polizei, die die Muskauer Straße abriegelte und von zwei Wasserwerfern unterstützt wurde, in einer Art Dauerbeschuss mit Steinen und Flaschen ein. Zwei Autos gingen in Flammen auf. Rund zwei Stunden dauerte die Schlacht am Mariannenplatz. Dann räumte die Polizei den Platz, kesselte an dessen Rand annähernd 400 Menschen ein, die zum Teil bis um drei Uhr dort ausharren mussten, und besetzte nach und nach ein Gebiet, das vom Lausitzer Platz bis zum Oranienplatz und vom Mariannenplatz bis zum Kottbusser Tor reichte. Dort wurden alle Menschenansammlungen sofort auseinander getrieben. Das Gebiet um den Mariannenplatz - die Straßen mit Pflastersteinen übersät - glich einem Heerlager in Feindesland. Bullen posierten in Siegerpose für ein Erinnerungsfoto vor einem ausgebrannten Autowrack. 616 Personen wurden vorläufig festgenommen, 148 wegen angeblicher Straftaten, der Rest wegen "Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung". Neun Leute sitzen immer noch in Untersuchungshaft. Rund 160 PolizistInnen erlitten Verletzungen; wie viele Opfer der Polizei es gab, ist bislang unbekannt.

Der sich immer mehr zum würdigen Nachfolger des Ex-Generals Jörg Schönbohm mausernde Innensenator verteidigte unverdrossen sein Vorgehen am 1. Mai. Obwohl SPD, Grüne und PDS den Innensenator für die Militanz in Kreuzberg verantwortlich machen, ficht das den Hardliner nicht an. "Die Taktik stimmte, und ich werde sie auch in Zukunft verfolgen", erklärte Werthebach und kündigte bereits das Verbot der Revolutionären 1. Mai-Demonstration im kommenden Jahr an.

mb., Berlin