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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 451 / 7.6.2001

Die albanische Frage

Die Krise in Mazedonien wirft Fragen über Fragen auf - Lösungen sind nicht in Sicht

Trotz hektischen Krisenmanagements der Europäischen Union (EU) und der NATO droht der Konflikt zwischen albanischen NationalistInnen und der mazedonischen Armee weiter zu eskalieren. Auch die nach wie vor ungelöste Frage des künftigen politischen Status des Kosovo birgt weiterhin Konfliktpotenzial. Wenn die Situation auf dem südlichen Balkan auch widersprüchlich und verworren scheint, ist doch eines klar: Die "albanische Frage" lässt sich durch Friedensappelle nicht von der Tagesordnung verbannen. Gefangen in ethno-nationale Diskursen, Macht- und Verteilungskämpfen politischer Eliten setzt sich die Dauerkrise in Mitten wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit fort.

Die Kämpfer der albanischen Nationalen Befreiungsarmee UCK konnten in den vergangenen Wochen durch ihre Provokationsstrategie zu einem politischen Faktor avancieren, an dem in Mazedonien niemand mehr vorbei kann. Durch Überfälle auf Polizei- und Militäreinheiten forderten sie die mazedonische Armee zu einer Offensive heraus, unter der auch die albanische Zivilbevölkerung zunehmend leidet. Die slawisch-orthodoxe Mehrheit steht der albanischen Minderheit heute mit tieferem Misstrauen denn je seit der Staatsgründung 1992 gegenüber, als sich das Land von Jugoslawien abspaltete. Gleichzeitig treiben die militärischen Operationen der mazedonischen Armee die albanische Bevölkerung zunehmend ins Lager der bewaffneten Nationalisten. Das Kalkül der UCK geht auf: Die Spaltung der Gesellschaft vertieft sich und der Weg zur territorialen Teilung des Staates entlang ethnischer Grenzen wird immer sichtbarer.

OSCE Chef
löst Krise aus

Daran scheint auch die Bildung einer Allparteien-Regierung in der mazedonischen Hauptstadt Skopje nichts zu ändern. Unter dem Druck von EU und NATO erklärten sich Mitte Mai die beiden albanischen Parteien PDP und DPA sowie die Parteien der slawischen Mehrheit bereit, eine Große Koalition unter Ministerpräsident Ljubco Georgievski zu formieren. Die offiziellen Vorgaben der EU- und NATO-Abgesandten an die neue Regierung bestanden in zweierlei: Einerseits sollen Reformen dafür sorgen, den Status der albanischen Minderheit zu verbessern. Andererseits soll die mazedonische Armee gegen die UCK vorgehen. Dabei allerdings möge sie die "Zivilbevölkerung schonen", mahnte der außenpolitische Koordinator der EU Javier Solana die mazedonische Regierung.

Obwohl die "internationale Gemeinschaft" die UCK zum Gewaltverzicht und zur Abgabe der Waffen aufruft, bläst sie ihr andererseits Wind in die Segel. Unter internationalem Druck hat sich der mazedonische Präsident Boris Trajkovski bereit erklärt, den Forderungen der UCK entgegenzukommen. Mittlerweile willigt er ein, innerhalb der nächsten drei Monate die Verfassung des Landes zu Gunsten der AlbanerInnen zu ändern. Unter anderem sollen die Albaner als zweites Staatsvolk anerkannt werden und das Albanische als zweite Staatssprache zugelassen werden. Mit einigem Recht kann sich die UCK nun als Vorkämpferin der Interessen der AlbanerInnen in Mazedonien profilieren. Sie habe mit ihrer Strategie in wenigen Wochen mehr erreicht als die politischen Parteien der AlbanerInnen zusammen in zehn Jahren, argumentiert ihr Sprecher Ali Ahmeti. Die auf Grund von Korruptionsskandalen und Bereicherungsversuchen ihrer Funktionäre ohnehin nicht sonderlich angesehen albanischen Parteien verlieren zusehends an Unterstützung.

Kernpunkte der Forderungen der UCK sind die Anerkennung der Albaner als Staatsvolk, das Albanische als Staatssprache, die Verteilung der öffentlichen Stellen nach Bevölkerungsanteil und ein Vetorecht der albanischen Parlamentarier gegen Beschlüsse der mazedonischen Mehrheit. Zwar ist von einer territorialen Abspaltung derzeit vordergründig nicht die Rede, Vertreter der UCK schließen das aber auch nicht aus. Und im Kontext ethno-nationaler Einheitsbestrebungen auf dem Balkan steht die Bildung eines "Großalbaniens" oder zumindest eines "Großkosovo" als territorialer Zusammenschluss albanischer Siedlungsgebiete immer im Hintergrund.

Falls ihre Forderungen nicht erfüllt würden, kündigte UCK Kommandant Sokoli an, auch slawisch-mazedonische ZivilistInnen angreifen zu wollen. Bisher habe die UCK sich an die Genfer Konventionen gehalten und nur auf Uniformierte geschossen, meinte er gegenüber einer kosovarischen Nachrichtenagentur. Dies könne sich aber ändern, falls die mazedonische Armee nicht aufhöre ZivilistInnen zu bombardieren.

Kaum war Mitte Mai die fragile Allparteienregierung gebildet, drohte auch schon ihr Ende. Auslöser waren Geheimverhandlungen zwischen der in der Regierung vertretenen albanischen Parteien mit der UCK. Am 22. Mai traf sich UCK-Chef Ahmeti in Prizren, der Hauptstadt des deutschen Sektors des Kosovo, mit den Führern von DPA, Arben Xhaferi, und PDP, Imer Imeri. In einer bisher nicht veröffentlichten "Plattform von Prizren" sollen sie sich unter anderem auf die Forderung nach einer Amnestie für die UCK-Kämpfer verständigt haben, wie es in Presseberichten heißt. Die UCK-Kämpfer sollten außerdem in die Polizei- und Militärstrukturen in den mehrheitlich albanisch bevölkerten Landesteilen integriert werden.

Eingefädelt hatte das Treffen Robert Frowick, Chef der Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSCE) in Mazedonien und langjähriger Mitarbeiter des US-Außenministeriums. Zuvor war er maßgeblich am Zustandebringen der Großen Koalition in Skopje beteiligt, deren Ende er nun beinahe provozierte. Denn nachdem das Treffen bekannt wurde, sprachen slawisch-mazedonische Medien und Politiker von einer "Kriegserklärung" und "Hochverrat".

"gekämpft
und dabei
nichts gewonnen"

Durch das Treffen finden die Befürchtungen in der slawisch-mazedonischen Bevölkerung Nahrung, die albanischen Gruppen könnten gemeinsam auf eine gewaltsame Teilung des Landes zusteuern. Die staatliche Nachrichtenagentur berichtete unter der Überschrift "Neue anti-mazedonische Konspiration", dass das Treffen dem Schutz "von Terroristen und ihrem politischen und ideologischen Ziel eines Großalbanien" diente.

Auch die Repräsentanten von NATO, USA und EU zeigten sich erbost über Frowicks Initiative. Die US-Botschaft nannte die Vereinbarung einen "komplett inakzeptablen Versuch, die UCK in die Staatsstrukturen zu integrieren." Die OSCE distanzierte sich von Frowick und behauptet, er habe "allein gehandelt". Frowick selbst ging auf Tauchstation und verließ einige Tage nachdem das Treffen der "Plattform von Prizren" bekannt wurde Mazedonien in Richtung Rumänien.

Viele Beobachter halten die offiziellen politischen Ziele der UCK lediglich für eine vorgeschobene Programmatik, um die Machtinteressen der Führung der Truppe zu legitimieren. In einem Report des Londoner Institute for War and Peace Reporting (1) wird ein kosovo-albanischer Beobachter zitiert, der sich mit der Führung der UCK getroffen hat. "Sie sagten mir, dass sie militärisch in einer recht guten Lage seien, sich aber politisch isoliert fühlen", meint der Beobachter. "Die meisten ihrer Führer haben niemals etwas anderes getan, als ihr ganzes Leben mit Kämpfen zu verbringen." Über ihre Motivation eine Front in Mazedonien aufzubauen, erklärte er: "Sie haben im Kosovo gekämpft und dabei nichts gewonnen. Thaci und die (kosovarische) UCK erhielten einige Macht, Kontrolle über Tankstellen, schöne Autos und einigen Respekt. Aber die mazedonischen Jungs konnten noch nicht einmal nach Hause gehen. Sie wollen etwas für sich selbst: Macht, Geld, Respekt und sind bereit das Land dafür zu zerstören." NATO-Generalsekretär George Robertson erklärte zur UCK: "Einer Bande bewaffneter Schläger sollte nicht erlaubt werden, eine multi-ethnische Demokratie zu zerstören."

Nun scheint es zwar einigermaßen absurd, dass ausgerechnet die NATO vor den durchsichtigen Motiven der UCK-Führung warnt. Schließlich hat sich das westliche Verteidigungsbündnis der kosovarischen UCK-Strukturen, aus denen der mazedonische Ableger hervorgegangen ist, lange Zeit bedient und diese politisch unterstützt sowie mit Logistik und Waffen versorgt. Die Einschätzung über die Motive der mazedonischen UCK dürfte dennoch der Realität recht nahe kommen. Denn ginge es der UCK tatsächlich um eine Verbesserung der Lage der albanischen Bevölkerung in Mazedonien, dann wäre der bewaffnete Kampf genau das falsche Mittel.

Schließlich war Mazedonien zwar keine "multi-ethnische Demokratie", wie Robertson behauptet, aber die Gesellschaft barg vor der Offensive der UCK zumindest die Möglichkeit ethnische Grenzen zu überwinden. Davon zeugen die Reformen der vergangenen Jahre, welche den Status der albanischen Bevölkerung verbessert haben. Jetzt scheinen die Gräben so unüberwindbar, dass die unter internationalem Druck erzwungenen Zugeständnisse der Regierung Georgievski an die AlbanerInnen zur Folge haben werden, die aggressiven NationalistInnen auf der slawisch-mazedonischen Seite zu stärken. Die angestrebte Verfassungsänderung kann schnell zu einem Phyrussieg der selbst ernannten NATO-Friedensstifter werden, wenn in den nächsten Wochen die slawisch-mazedonische Rechte die Regierung für ihren "Verrat" angreifen wird. Schon operieren paramilitärische Gruppen, denen an Vergeltung an der albanischen Bevölkerung liegt.

Brisanz birgt die Krise in Mazedonien nicht zuletzt auch auf Grund der Entwicklung im benachbarten Kosovo. Gerade die von den mazedonischen AlbanerInnen geforderte Verfassungsänderung kann nicht aus diesem Kontext gelöst werden. Denn im Kosovo zielt die albanischen Führung beharrlich auf die Unabhängigkeit und das bleibt der slawisch-mazedonischen Gesellschaft alles andere als verborgen. Und die Unabhängigkeit des Kosovo würde einen Anschluss der albanischen Gebiete Mazedonien unweigerlich auf die Tagesordnung setzten.

Am 15. Mai kündigte der Chef der UN-Übergangsverwaltung im Kosovo, Hans Haekkerup an, dass am 17. November Wahlen für ein Kosovo-Parlament stattfinden sollen. Dieses soll dann einen Präsidenten wählen, während Haekkerup selbst den Regierungschef ernennen wird. Die neue Regierung wird die Provinz zusammen mit der UN verwalten. Zwar verspricht Haekkerup, dass er dafür sorgen wolle, dass sich die "provisorische Selbst-Regierung an die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates" hält. Diese betrachtet Kosovo als ein Bestandteil Serbiens. Die kosovo-albanischen Politiker aller Parteien sehen das aber ganz anders. Sie bestehen nach wie vor auf einer Unabhängigkeit der Provinz und sehen die Wahlen als einen weiteren Schritt in diese Richtung.

Hasim Thaci, Ex-Kommandant der UCK und heute Chef der PDK, kritisiert Haekkerups Initiative, weil sie explizit kein Referendum über die Unabhängigkeit vorsieht, wie dies noch in der Resolution 1244 versprochen wurde. Auch LDK-Vorsitzender Ibrahim Rugova und Ramush Haradinaj von der AAK, die beiden anderen führenden kosovo-albanischen Politiker, beklagen sich über die Absage an das Referendum. Dennoch werden alle drei Parteien an den Wahlen teilnehmen. Mit der Legitimität einer gewählten Regierung im Rücken wird die Chance auf ein Unabhängigkeitsreferendum in nicht allzu fernen Zukunft steigen, spekulieren sie nicht ohne Grund.

Kosovo Wahlen - Schritt zur Unabhängigkeit

Die im Kosovo verbliebenen SerbInnen und die Regierung in Belgrad lehnen die Wahlen dagegen ab. Der serbische Premierminister Zoran Djindjic kündigte einen Boykott der Wahlen durch die serbische Bevölkerung an, sollte sich die "internationale Gemeinschaft" bis dahin weiterhin weigern, den Beginn der Rückkehr der über 200.000 seit Sommer 1999 aus dem Kosovo vertriebenen SerbInnen zu gewährleisten. Er warnte vor einer "großen Krise" während des Sommers, falls diese Forderung nicht erfüllt werde.

Die "albanische Frage" ist alles andere als gelöst und die "internationale Gemeinschaft" trägt durch ihr widersprüchliches Handeln auch nicht dazu bei, die Situation zu stabilisieren. Solange es keinen ethnisch-homogenen albanischen Einheitsstaat gibt, werden albanische Nationalisten für ihn kämpfen. Dabei nutzen sie die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der miserablen sozialen Situation und die trügerische Hoffnung eine Einigung der AlbanerInnen auf dem Balkan werde diese verbessern, um ihre eigenen Machtinteressen durchzusetzen. Mit der mittlerweile etablierten Kriegsökonomie können die bewaffneten Gruppen gut leben, bietet ihnen der Griff zur Waffe doch Kontrolle über Ökonomie und Handel. Doch die Bildung eines "Großkosovo" oder "Großalbaniens" setzt voraus, Grenzen gewaltsam zu verschieben - mit unabsehbaren Folgen für die zahlreichen anderen Konflikte, welche der Ethno-Nationalismus auf dem Balkan noch bereit hält.

Boris Kanzleiter

Anmerkung:

1) Balkan Crisis Report, No. 251, 30 May 2001.