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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 451 / 7.6.2001

Kommunist ohne Parteibuch

Am 19. Mai starb Hans Mayer - Nachruf auf einen freien Intellektuellen

Wenige Wochen nach seinem 94. Geburtstag verstarb am 19. Mai der Literaturwissenschaftler und Essayist Hans Mayer. Als Jude, Linker und Homosexueller gehörte er gleich drei verfolgten Minderheiten an. Die Jahre der Nazi-Diktatur überlebte er in der Schweiz. 1948 wurde er Professor in Leipzig, 1963 kehrte er, zunehmend angefeindet, von einer Westreise nicht in die DDR zurück. Bis zu seinem Tod lebte Mayer in Tübingen.

In den Chor der dankbaren Nachrufer reihte sich auch der Spiegel ein, für den der Schriftsteller Christoph Hein seinen großen Meister lobte. Noch zu Mayers 90. Geburtstag hatte das selbe Blatt den "Mythos im Ruhestand" gnadenlos niedergemacht: "Ernst Jünger vergleichbar", habe Mayer eine Fan-Gemeinde um sich versammelt, er sei "dermaßen von sich eingenommen", dass er sich Diskussionen um sein Werk verweigere. Autor des Verrisses war der notorische Antikommunist Henryk M. Broder, der sein Motiv nicht verbarg: Mayer lasse keine Gelegenheit aus, "die DDR postum schönzureden" (Der Spiegel, 9.6.1997).

In Wahrheit war Hans Mayers Verhältnis zur DDR sehr viel differenzierter, wie das 1991 erschienene Buch Der Turm von Babel zeigt, in dem Mayer seine "Erinnerungen an eine Deutsche Demokratische Republik" notiert hat. Der "Turm von Babel", die DDR, schreibt er, "wurde nicht demoliert wie die Bastille. Ein Erdbeben ließ ihn zusammenstürzen. Es kam aus dem Osten." An der "friedlichen Revolution" der DDR aber hatten auch SchriftstellerInnen Anteil, "die es müde waren, in der Sklavensprache zu schreiben." Dass ihn die 15 fruchtbaren Jahre in der DDR dennoch nicht gereut haben, hatte er schon in seinem bekanntesten Buch, den zweibändigen Erinnerungen Ein Deutscher auf Widerruf, zu Protokoll gegeben.

Mayer war ein Deutscher "auf Widerruf", weil er Jude war. 1933, kurz nach der Großen Juristischen Staatsprüfung, wurde er aus dem Staatsdienst entlassen - gemäß dem Gesetz "zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums"; 1938 wurde ihm auch die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen. In der Schweiz, wo Mayer bis Oktober 1945 lebte, wurde die Literatur sein Lebensthema, die "gelebte Literatur" im Dienste der Menschen, allerdings nicht in dem engen Sinne des "sozialistischen Realismus". Seine Wertschätzung auch für die Modernen war der SED verdächtig, die von ihm geschätzten Autoren Kafka, Musil, Beckett u.a. galten im Staat der Arbeiter und Bauern als "dekadent".

Mayers zweibändiges Erinnerungswerk schildert die Zeitumstände, seine eigene geistige und politische Entwicklung, wenig "Privates", dafür umso mehr Erlebnisse mit Literatur und LiteratInnen. Namentlich die im gymnasialen Deutsch-Unterricht strapazierten "Klassiker" (die des 20. Jahrhunderts eingeschlossen) werden von Mayer auf neue Weise als zeitlos spannende AutorInnen präsentiert.

Auch als brillanter Vortragskünstler gelang es ihm, das Interesse des Publikums vor allem auf den Gegenstand seiner Rede zu lenken. Das waren nicht nur immer wieder SchriftstellerInnen und ihr Werk, sondern auch die Musik, "das eigene Land", Städte und politische Ereignisse, in einer Rede aus dem Jahr 1987 dann "die Beredsamkeit der Deutschen". Eine kurze Passage daraus könnte auch als Grundregel für linken Journalismus gelten: "Über die Sprache zu reden, das ist immer der Rede wert. Was heißen soll: Alle Aufklärung und alles klärende Denken beginnt damit, dass man die Worthülsen, die Sprechblasen, die Klischees, die gedankenlosen Floskeln der Umgangssprache vermeidet, als solche erkennt, wenn möglich bekämpft."

Auch im engeren politischen Sinne hat Mayer Anregendes zu bieten. Da sind zunächst seine eigenen Aktivitäten in einer viel zu wenig bekannten Strömung der deutschen Linken. Ab 1928, nach seiner "Erweckung" durch Lukacs' Buch Geschichte und Klassenbewusstsein, engagierte er sich in dem Spektrum zwischen KPD-Opposition und Sozialistischer Arbeiterpartei (SAP). Ende 1931 trat er der SAP bei, zusammen mit seiner Kölner Gruppe um die "Marxistische Arbeiter-Zeitung" mit dem schönen Namen "Der Rote Kämpfer". Die Gruppe betrieb einen "fröhlichen Eklektizismus", orientierte sich an originellen Köpfen wie August Thalheimer und Karl Korsch.

Wenn es in der Fülle der Mayerschen Schriften so etwas wie ein "politisches Vermächtnis" gibt, dann ist es das 1994 erschienene Buch Der Widerruf. Über Deutsche und Juden. Der Widerruf hat ein Datum: den 30. Januar 1933, als Hitler Reichskanzler wurde. Widerrufen wurde das ohnehin zweifelhafte Angebot aus der Zeit der Aufklärung, "assimilierte" Juden als Deutsche zu akzeptieren. Dieser Widerruf war problemlos möglich, weil die "Assimilation" der Juden an die deutsche Gesellschaft, die zwar zur Freundschaft von Mendelssohn und Lessing führte, am Judenhass der Mehrheit nichts ändern konnte. Und der Widerruf von 1933 - die Ausbürgerung, Verfolgung und Ermordung der Juden - wurde seinerseits nicht widerrufen: Alle deutschen Regierungen nach 1945 verzichteten auf eine Einladung an die überlebenden Juden, nach Deutschland zurückzukehren. Im Deutschland des Jahres 1993 sah Mayer, der kein Deutscher mehr war und auch keiner mehr sein wollte, eine "zahlenmäßig ernst zu nehmende ,Sehnsucht nach dem Dritten Reich`" und einen "angreiferischen Judenhass".

Hans Mayer war nicht nur der bedeutendste deutschsprachige Literaturwissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Er war auch ein durch Erfahrung geschulter Warner vor dem Faschismus. Die BildungsbürgerInnen, die seine Kunst goutieren, sollten auch seine politischen Warnungen ernst nehmen. Die Linken, die in der politischen Analyse mit Hans Mayer konform gehen, tun sich selbst einen Gefallen, wenn sie von seinem tiefen Verständnis für die Literatur zu profitieren suchen.

Js.