Lufthansa canceled
Vom Streik der Piloten und gewerkschaftlichen Neidern
Mit zwei ganztägigen Streiks haben Piloten der Lufthansa versucht, ihre Forderung nach einer Gehaltserhöhung um 35 Prozent durchzusetzen. Da ihre Einkünfte am oberen Ende der Gehaltsskalen zu finden sind, war schnell von "Luxusstreik" die Rede. Doch dieses Mal war es nicht die gegnerische Seite, die zur Waffe der Denunziation im Arbeitskampf griff, sondern SpitzenfunktionärInnen der Gewerkschaften. Ein ungewöhnlicher Tarifkonflikt, um dessen Schlichtung sich nun Ex-Vielflieger Hans-Dietrich Genscher bemüht. Insofern ist alles wieder in den üblichen (Flug-)Bahnen.
Anfang der neunziger Jahre steckte Lufthansa in einer erheblichen Gewinnkrise. In die Krisenbewältigung wurden, wie fast immer in solchen Situationen, alle Beschäftigten einbezogen. Durch Lohn- und Gehaltsverzicht und Entlassungen wurden Personalkosten gespart, der Kranich flog wieder in die Gewinnsphäre. Der Umsatz stieg kontinuierlich (von 16,1 Mrd. DM 1991 auf 29,7 Mrd. DM in 2000), die Gewinne beliefen sich auf 1.233 Millionen DM (1999) bzw. 1.347 Millionen DM (2000). Die AktienbesitzerInnen wird es gefreut haben; weniger erfreulich waren die "Ausschüttungen" an die Beschäftigten. Die letzte Tariferhöhung für das Bodenpersonal, abgeschlossen im März dieses Jahres, lag bei 3,5 Prozent. Das war zwar deutlich über den sonstigen Abschlüssen, Jubelstürme konnte der Abschluss aber nicht auslösen.
Zumal dann nicht, wenn kurz danach die Berufsgruppe der Piloten eine Gehaltsforderung von 35 Prozent auf den Tisch legt und mit einem ersten Warnstreik zeigt, dass es ihr mit dieser Forderung durchaus ernst ist. Sicherlich stand die Vereinigung Cockpit (VC) gegenüber ihren Mitgliedern unter erheblichem Legitimationsdruck. Die Piloten organisierten sich in der VC neu, weil sie befürchten, dass ihre Interessen innerhalb von ver.di (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft) nicht mehr ausreichend berücksichtigt werden. Vor der ver.di-Gründung war die DAG für die Piloten, die ÖTV für das Bodenpersonal bei der Lufthansa zuständig.
Wohl wissend, dass sie gegenüber Lufthansa am längeren Hebel sitzt, nutzte die VC diese strategische Stärke und forderte 35 Prozent Gehaltserhöhung. Als Vorbild dienten dabei die KollegInnen der United Airlines, die ein Gehaltsplus von 28 Prozent durchsetzen konnten. Dass die Verhandlungsführer aus den DGB-Gewerkschaften angesichts der sonstigen Abschlüsse blass um die Nase wurden, verwundert also nicht. Ihre Reaktionen waren vom Allerfeinsten: "Wir lassen nicht zu, dass sich Besserverdienende zu Lasten der unteren Einkommensgruppen bereichern. Wir lehnen die von Cockpit angestrebte massive Umverteilung des für die Lufthansa-Beschäftigten insgesamt zur Verfügung stehenden Anteils am Einkommen ab," verkündete der Landesbezirksleiter von ver.di Hamburg und ehemalige ÖTV-Ortschef Wolfgang Rose. (Hamburger Abendblatt, 17.5.) Durchaus erhellend, was der ver.di-Gewerkschafter da über sein Verständnis von Verteilungskämpfen von sich gibt. Vielleicht sollte er vor der nächsten Tarifrunde bei Lufthansa den "insgesamt zur Verfügung stehenden Anteil" der Beschäftigten mal quantifizieren - bei einem Unternehmensgewinn von 1.347 Millionen DM. Margret Mönig-Raane, stellvertretende ver.di-Bundesvorsitzende, sprach gar von "blankem Sozialdarwinismus" (Berliner Zeitung, 17.5.) und giftete, das Auftreten der Piloten würde "jedem Gedanken an Gerechtigkeit ins Gesicht schlagen." (Handelsblatt, 16.5.)
Klaus Zwickel sah durch die Forderung der Vereinigung Cockpit die "Gemeinwohlinteressen" gefährdet und benannte damit den Kern der vorherrschenden gewerkschaftlichen Tarifpolitik. Wer sich angesichts des Auseinanderdriftens von Gewinnen und Löhnen mit Tarifabschlüssen von 2 bis 3 Prozent zufrieden gibt, dem kann es nur um "Gemeinwohlinteressen" des Standortes Deutschland gehen. Dass es wegen der steigenden Inflation auch an der IGM-Basis rumort, bleibt einem Klaus Zwickel natürlich nicht verschlossen. "Es ist doch verständlich, dass ein Metaller am Fließband fragt, warum er mit weniger zufrieden sein soll", gab Zwickel zu bedenken. (Handelsblatt, 16.5.) Und Hubertus Schmoldt von der IG Bergbau, Chemie, Energie warnte, die "überzogenen" Forderungen der Piloten würden "Begehrlichkeiten wecken".
Sorge bereitet der DGB-Führungsetage, dass es nun zu Nachschlagforderungen kommen könnte. Allerdings fehlen innergewerkschaftliche Strukturen, die dies transportieren könnten. Nach einer Zunahme spontaner Arbeitskämpfe sieht es zur Zeit nicht aus. Der Frust und die Unzufriedenheit über die Tarifpolitik wird eher durch Gewerkschaftsaustritt ausgedrückt werden. An der einen oder anderen Stelle wird es darüber hinaus zu einer stärkeren berufsständischen Organisierung außerhalb des DGB kommen (wie jetzt auch beim Flugbegleitpersonal). Angesichts der gewerkschaftlichen Politik ist diese Entwicklung nicht verwunderlich.
In der Zwischenzeit ging VC mit ihren Forderungen schon auf 24 Prozent runter und wird wohl eher im 10-Prozent-Bereich abschließen. Aber egal welcher Abschluss bei Lufthansa nun zu Stande kommen wird - die Streiks der Piloten haben gezeigt, dass, an strategischen Stellen angesetzt, mit wenig Aufwand große Wirkung erzielt werden kann. Das wissen auch die Herrschaften Zwickel, Mönig-Raane, Rose oder Schmoldt. Aber Umverteilung zu Lasten der Unternehmen und der AktionärInnen ist in diesen Kreisen nicht gewollt - die "solidarische Tarifpolitik" der DGB-Gewerkschaften orientiert sich am "Gemeinwohl".
gw.
2.6.01