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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 452 / 5.7.2001

Virtuosen der Taktik, Dilettanten der Strategie

Die Berliner PDS auf dem Weg in die rot-rote Koalition

Wenn die Zukunft mit der Vergangenheit nicht mehr viel gemein hat, schlägt die Stunde der Leichenfledderer. Im März ließ sich die neue grüne Vorsitzende Claudia Roth auf dem Bundesparteitag mit einem Lied der Ton, Steine, Scherben zu ihrem neuen Job beglückwünschen. Drei Monate später schwor der Berliner PDS-Fraktionschef Harald Wolf auf dem Landesparteitag die Delegierten mit einem Zitat aus dem selben Scherben-Stück auf die Regierungsbeteiligung ein:
"Wer, wenn nicht wir, wann,
wenn nicht jetzt!" Ende der Rede, tosender Applaus.

Doch Wolf ist auf solche rhetorischen Tricks gar nicht angewiesen. Die Parteibasis hält still und mobilisiert für den Wahlkampf. Und in der Stadt herrscht eine, wenn auch vorsichtige, Aufbruchstimmung, seitdem der "Putsch" (CDU-Spitzenkandidat Frank Steffel) der SPD die große Koalition beendete und nach den Neuwahlen im Herbst eine rot-rote Regierung, eventuell mit grüner Beteiligung, die Stadt regieren wird. Erste Umfrageergebnisse verheißen um die 30 Prozent (plus 7 Prozent gegenüber der letzten Wahl 1999) für die SPD, 22 Prozent (plus 4 Prozent) für die PDS, 9 Prozent (minus 1 Prozent) für die Grünen. Von Altötting oder Berlin-Zehlendorf aus betrachtet, müssen die Ereignisse als wahrer GAU erscheinen: Schwule, Juden und vor allem "Kommunisten" (B.Z.) übernehmen das Kommando in der Hauptstadt.

Entwicklungsland Hauptstadt Berlin

Angesichts der konservativen Untergangsszenarien freut sich die Berliner Linke. Michael Jäger schrieb im Freitag von der Hauptstadt, die wie zu preußischen Zeiten "anders tickt als der deutsche Westen und der Süden". Aber die PDS ist nicht die KPD, die CDU nicht die Deutschnationale Volkspartei - auch wenn dies einem der symbolisch hoch aufgeladene Wahlkampf glauben machen könnte. Der reale Konflikt lautet, ähnlich wie bei der Bundestagswahl 1998, weltoffene Modernisierer gegen konservative Besitzstandswahrer. Bei welcher Partei in dieser Auseinandersetzung das Thema "soziale Gerechtigkeit" besser aufgehoben ist, ist nicht pauschal, sondern nur an Einzelfragen zu beurteilen.

Das erste Opfer der Regierungsbeteiligung ist die Wahrheit. Die von der PDS derzeit verbreitete Version, Diepgen und Landowsky hätten mit ihrer Filz- und Schuldenpolitik das Berliner Desaster alleine zu verantworten, trifft nicht zu. Gedrängt von der scheinbaren Notwendigkeit, sich selbst im Parlamentarismus als politisch handlungsmächtig zu präsentieren, verkürzt die PDS die Berliner Probleme zur bloßen Frage des landespolitischen Führungspersonals. Doch Berlins Grundproblem bleibt, dass das zu Beginn der neunziger Jahre forcierte ökonomische Entwicklungsmodell für die neue Hauptstadt gescheitert und - auch von Seiten der PDS - kein anderes in Sicht ist.

Nicht einmal der Bundes-CDU will die Berliner PDS derzeit die Verantwortung zuschieben, obwohl die Kohl-Regierung den Grundstein für die gegenwärtige Misere gelegt hat. In Erwartung einer explosiven Wirtschaftsdynamik kürzte der Bund kurz nach der Vereinigung die Subventionen. Noch 1991 waren mit 19,87 Milliarden Mark mehr als die Hälfte des Landeshaushalts aus Bundesmitteln finanziert worden. Das Land nahm nun statt dessen Kredite auf - in der Hoffnung, sie im Rahmen des prognostizierten Aufschwungs zurückzahlen zu können. Doch der blieb aus, statt dessen verschwanden die Industriearbeitsplätze in Ost-Berlin ebenso wie in der zu Mauerzeiten durch Subventionen über Wasser gehaltenen West-Berliner Wirtschaft. Die Arbeitslosigkeit stieg. Steuereinnahmen fielen dadurch weg, gleichzeitig vergrößerten sich die vom Land zu tragenden Sozialhilfeausgaben. Mitte der neunziger Jahre begann der Wirtschaftsabschwung in ganz Deutschland.

Bis heute hat kein einziger Großkonzern seinen Sitz nach Berlin verlegt. Der Regierungsumzug brachte nicht wesentlich mehr neue Beschäftigte nach Berlin, als durch den gleichzeitigen Wegzug von anderen Bundeseinrichtungen verloren gingen. Im vergangenen Jahr brach mit der Rezession in der New Economy schließlich noch der letzte Rettungsanker für Berlin weg. Selbst Vorreiterunternehmen wie Pixelpark haben mit Entlassungen begonnen. Damit nicht genug: Einen großen Teil des öffentlichen Eigentums hat bereits die Große Koalition verkauft, die EU-Subventionen für Berlin werden im Rahmen der Osterweiterung sinken. Hinzu kommt, dass Berlin mit seinem Etat eines Bundeslandes zahlreiche Lasten der Hauptstadtfunktion zu tragen hat. "Deutschland muss zahlen - oder Abschied nehmen von den Illusionen der leuchtenden Metropolis", lautet richtigerweise das Fazit Konrad Schullers in der FAZ.

Die durch den Berliner CDU-Filz verursachten Milliardenverluste der Berliner Bankgesellschaft machen da nur einen Bruchteil der Gesamtprobleme aus. Und auch wenn die PDS in der Regierung das eine oder andere überdimensionierte Projekt verhindert hätte - die immense Berliner Verschuldung hätte sie nicht vermieden.

Berlin erinnert heute an ein Entwicklungsland, das sich im Versprechen auf eine große Zukunft verschuldet hat und dann von der Rezession heimgesucht wird. In solchen Fällen haben sich in der Vergangenheit zwei Lösungswege herausgebildet: Während der IWF für eine harte Konsolidierungspolitik plädiert, fordern Dritte-Welt-Initiativen eine Entschuldung, um so einen Neuanfang wagen zu können. Aufstände der Bevölkerung gegen die Politik des Währungsfonds fanden daher stets die Unterstützung der Linken. Die PDS scheint sich in Berlin nun ein Vorbild am IWF genommen zu haben: Keine Partei fordert so hohe Einschnitte wie die Sozialisten - 3,2 Milliarden Mark.

Die bisher vorgelegten Vorschläge sind durchaus richtig: so die Streichung der U-Bahn-Linie 5 oder der städtebaulichen Entwicklungsgebiete. Selbst die Verkleinerung des öffentlichen Dienstes in den Senatsverwaltungen macht Sinn, solange gleichzeitig in den Bezirken in bürgernahen Bereichen wie Jugend und Soziales personell aufgestockt wird. Welche Einschnitte auch im Sozialbereich fällig werden und ob öffentliche Einrichtungen wie die Verkehrs- und Reinigungsbetriebe privatisiert werden, wird sich dagegen wohl erst nach der Wahl herausstellen. Die Grünen profilieren sich bereits jetzt mit der Forderung nach einem Verkauf der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften im Rahmen einer Mieterprivatisierung.

Nur die Bildungspolitik soll von den Sparmaßnahmen ausgenommen und in den Mittelpunkt der PDS-Strategie gestellt werden. In der Tat sind die Zustände in den Berliner Schulen und Universitäten mittlerweile unerträglich geworden, die Stellensituation ebenso wie die verrotteten Anlagen.

PDS Berlin: Vorbild IWF

Was aber aus denjenigen wird, die aus dem Arbeitsmarkt bereits herausgefallen sind, sagt die PDS nicht: Das in der Partei breit diskutierte Konzept eines öffentlichen Beschäftigungssektors (ÖBS), das noch in Mecklenburg-Vorpommern umkämpfter Bestandteil der Koalitionsverhandlungen war, steht in Berlin erst gar nicht zur Debatte. Dabei wäre der ÖBS gerade in Berlin dringend vonnöten: Zahlreiche Tätigkeiten im Kultur- und Sozialbereich vor allem auf bezirklicher Ebene sind nur noch über die von allen Parteien geduldete Zweckentfremdung von ABM-Mitteln zu finanzieren. Nicht mehr die Wiedereingliederung der ABM-Beschäftigten in den ersten Arbeitsmarkt ist das Ziel dieser Beschäftigungsverhältnisse, sondern das dauerhafte Ersetzen regulärer Tätigkeiten, für die die Kommune kein Geld mehr hat. Für die Betroffenen bedeutet dies ein permanentes Pendeln zwischen Arbeitslosigkeit und ABM.

So ersetzt die PDS letztlich nur die harte Standortpolitik der großen Koalition (Konzentration auf Infrastrukturprojekte), durch eine weiche Standortpolitik (Bildung, Wissenschaft, Kultur). Gregor Gysi fand sich mit diesen Vorstellungen in der ARD-Talkshow "Sabine Christiansen" denn auch in schöner Übereinstimmung mit Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel. Eine Strategie für das untere Drittel der Bevölkerung hat die Partei, die sich immer stolz auf ihren hohen Akademikeranteil zeigte, nicht.

Die Berliner PDS-Fraktionäre könnten sich daher als Virtuosen der Taktik, aber Dilettanten der Strategie erweisen. Die PDS haben sie ausgerechnet in der ehemaligen Mauerstadt salonfähig gemacht. Gleichzeitig beginnt jedoch die Verwandlung in eine Partei, in der sich - wie auch bei Grünen und SPD - emanzipatorische und sozialdemokratische Elemente im ständigen Rückzugsgefecht gegen neoliberale Politikvorstellungen befinden. Die Berliner Entwicklung ist dabei richtungweisend für die Gesamtpartei - nirgendwo hat die Parteilinke größeren Einfluss. Fraktionschef Wolf beispielsweise war aus Enttäuschung über die rot-grüne Berliner Koalition, die er 1989 für die AL mitverhandelt hatte, zur PDS gekommen. Wenn es nicht einmal in Berlin gelingt, diese Entwicklung aufzuhalten, dann geht es nirgendwo in der PDS. Es ist das Problem der undogmatischen Parteilinken, dass sie nie zu einer eigenständigen Organisierung gefunden, sondern sich angesichts der indiskutablen Positionen der Kommunistischen Plattform stets auf die Seite des Reformerflügels geschlagen hat. Einen ernsthaften Kritiker hat die Berliner Parteilinke nicht zu fürchten gehabt, die eigenen Positionen und Vorgehensweisen standen daher nie auf dem Prüfstand.

So haben sich auch bei der Berliner PDS die im Umgang mit der KPF-nahen oder bloß desolaten Parteibasis eingeübten Methoden eingeschliffen - nämlich die Erneuerung der Partei über die Köpfe der Mitglieder hinweg zu betreiben. Für diese Art des Leninismus gibt es in der PDS wie in jeder Organisation gute Gründe: Stellt der desolate Teil einer Gruppe erst einmal die Mehrheit - wie in fast allen West-Bezirken bis Mitte der neunziger Jahre -, vertreiben sie automatisch alle übrigen Interessierten. So konnte Kreuzberg, der stärkste westliche Bezirksverband und lange Kristallisationspunkt der undogmatischen Berliner Parteilinken, erst 1995 eine politische Öffnung vollziehen. Damals entschied sich der Landesverband für die gezielte Unterstützung neuer Mitglieder gegen die Basis um den früheren AL-Abgeordneten und Stasi-Mitarbeiter Dirk Schneider.

Auch die Debatte um die Regierungsbeteiligung wird nun von oben vorangetrieben. Noch im März, als die PDS-Fraktion den Regierungswechsel mit Enthüllungen munter vorbereitete, musste das Abgeordnetenhausmitglied Stefan Liebich auf einer Veranstaltung einräumen, kein Konzept für eine Koalitionsbeteiligung zu haben. Die Fraktion wollte die Partei bei den anstehenden Beratungen dennoch möglichst außen vor halten: "Wir werden die Basis wohl beteiligen müssen", rutschte es einem linken Abgeordnetenhausmitglied auf Nachfragen schließlich heraus. Geschehen ist das nicht. Der Landesparteitag im Juni hatte nur noch die Aufgabe, die Entscheidungen der Fraktion abzusegnen. So halten sich die wenigen Gegner einer Koalitionsbeteiligung, wie der Abgeordnete Michail Nelken, zurück.

Kopflos, weil alternativlos

Und Gregor Gysi? Sein neues Buch gibt Auskunft darüber, wie sich die Positionen des PDS-Hoffnungsträgers verändert haben. Gysi entwickelt darin eine Elitentheorie. Die Vereinigung sei gescheitert, weil die ostdeutschen Eliten entmachtet wurden: Nur diese hätten aber "die ostdeutsche Bevölkerung von der Notwendigkeit der Umstrukturierungen einigermaßen überzeugen können". Regierungsbeteiligungen seien für die PDS auch deshalb von großem Wert, weil sie der Partei "den Kontakt mit den heutigen Eliten erleichtern und damit intellektuellen Stillstand verhindern".

Die Stimmung bei den wenigen skeptischen Parteilinken, mit ihren Bedenken angesichts eines fehlenden Diskurses auf sich selbst zurückgeworfen, zeugt derweil von Verwirrung. Symptomatisch die Reaktion einer jüngeren, durchaus koalitionsskeptischen Genossin auf die Austrittsankündigung eines langjährigen PDS-Mitglieds: "Ausgerechnet jetzt, wo es Stellen zu verteilen gibt." Ein im Wahlkampf überaus engagierter PDSler murmelte dagegen während Wolfs Rede etwas vom "Neoliberalismus mit menschlichem Antlitz". Dann klatschte er begeistert Beifall, als Wolf mit dem Scherben-Zitat seine Rede beendet. Es ist vorbei, bye, bye, Junimond.

M.R.