Umzingelt von Feinden
BND nimmt "Illegale Migration" ins Visier
Anfang Mai tauchte ein "Geheimpapier" des Bundesnachrichtendienstes (BND) auf, in dem sich über die "Bedrohung" durch "illegale Migration" ausgelassen wird. Substanzielles zum Thema haben die deutschen AgentInnen nicht beizutragen. Aber der Bericht ist ein weiterer deutlicher Hinweis dafür, wie Migrationsbekämpfung mittlerweile zum Bestandteil staatlicher Machtpolitik geworden ist, die dementsprechend auch abgesichert wird.
Wer zahlt, kommt rein", so der Titel eines Spiegel-Artikels vom 30. April über "den Handel mit Menschen, die in die reichen EU-Länder drängen". Weiter war dort zu lesen, dass alleine in Osteuropa "ein Millionenheer auf die Einreise in den goldenen Westen" warte. Die Quelle des Artikels: ein "Geheimpapier des BND". Die Lage ist ernst, so signalisieren die Spiegel-Autoren, so ernst, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst es für nötig hält, "Alarm zu schlagen" und "akribisch die Methoden der weltweit agierenden Schleuserbanden und die Routen, auf denen sie Flüchtlinge nach Europa bringen", zu analysieren. Bei so viel Ernsthaftigkeit rückt die Frage, was die Geheimdienstler eigentlich mit Migration am Hut haben, weit in den Hintergrund.
Einige Tage nach Erscheinen des Spiegel konnte das gesamte "Geheimpapier" bei Spiegel-Online heruntergeladen werden. Eine Ankündigung war weder dem besagten Artikel zu entnehmen, noch gab es andere Hinweise auf die anstehende Veröffentlichung. Trotzdem waren einige JournalistInnen und ExpertInnen zu Migrationsfragen vorab informiert. Und so kommt es, dass inzwischen genügend Kopien des Papiers im Umlauf sind.
Ein Konzentrat polizeilicher Erkenntnisse
Knapp 100 Seiten umfasst das Dossier, bei dessen Lektüre mensch auf jeder Seite durch den Vermerk "VS-Vertraulich amtlich geheim gehalten" an dessen Herkunft erinnert wird. Die "Illegale Migration in den Schengenraum" soll darin schwerpunktmäßig "aufgeklärt" werden. Nach einem kurzen Einführungskapitel mit dem Titel "Allgemeine Aspekte der Migration", erklären die Geheimdienstler, dass sie es für notwendig erachten, einen Beitrag zur "Aufklärung" der "Illegalen Migration" - im weiteren Text kurz mit "IM" abgekürzt - zu leisten. Diese werde schließlich "in großem Umfang von international organisierten Schlepperbanden gesteuert", die die Notsituation "fluchtwilliger" Menschen ausnützten und einige, insbesondere "Kurden", gar zur Migration überredeten. Insgesamt sei die "Illegale Migration" als eine "potenzielle Bedrohung der sozialen Stabilität und der außenpolitischen Handlungsfähigkeit" Deutschlands anzusehen. Langfristige Ziele des BND seien die "Frühwarnung vor sich abzeichnenden Krisen und deren mögliche Auswirkungen im IM-Bereich", die "Einschätzung der IM-Potentiale", das "Erkennen der häufigsten Migrationsrouten" und die Aufklärung der im IM-Sektor aktiven OK-Gruppen."
Dem folgt die eigentliche "Studie", ein Galopp durch die vom BND "aufgeklärte" Situation in verschiedenen Ländern. Auf jeweils drei bis vier Seiten werden unter den Stichworten "Migrationspotenzial", Schleuserorganisationen", "Migrationsrouten" und Bekämpfungsmaßnahmen" Informationen über insgesamt 23 Länder zusammengetragen. Dabei hecheln die Geheimdienstler von den Ländern der südlichen Peripherie der Europäischen Union zu den Staaten "Osteuropas" inklusive der GUS-Staaten, machen einen kurzen Zwischenabstecher nach "Asien" - gemeint ist damit China, Afghanistan, Pakistan -, um schließlich auf den letzten zwei Seiten mit der "Besorgnis erregenden Situation" in "Schwarzafrika" abzuschließen. Überall entdecken sie "Sprungbretter", "Sammelbecken" oder gar "Drehscheiben" "Illegaler Migration". So bilden Italien und Spanien "Einfallstore" in die EU. In Osteuropa bilde die "Region Moskau, Kiew, Minsk" ein "Schwarzes Dreieck", in dem MigrantInnen zu Hunderttausenden "abtauchen", und China wird als "typisches Ursprungsland" der "Illegalen Migration" bezeichnet, das jährlich von einer Million Menschen (!) verlassen würde.
Um es kurz und knapp zu machen: Weder die Lektüre noch die Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der "Studie" sind der Mühe wert. Die dargestellten Zusammenhänge sind sattsam bekannt. Sie sind, ohne dass dies gekennzeichnet wäre, den zahlreichen Papieren der supra- und halbstaatlichen Organisationen entnommen, die in den letzten Jahren im Windschatten des Schengener Abkommens entstanden sind. Das gleiche gilt für die verwendeten Zahlenangaben, die übrigens alle im oberen Bereich, der in den genannten Papieren verwendeten Schätzungen angesiedelt sind. Was hier veröffentlicht wurde und als "Studie" daherkommt, ist ein Konzentrat politisch motivierter polizeilicher "Erkenntnisse". Ein nicht ernst zu nehmendes Pamphlet aus Geheimdiensthirnen also?
Das Papier hat einen Vorlauf: Im Oktober 1999 lud der BND zum ersten Mal in seiner Geschichte zu einem internationalen Symposium. Das Thema: "Illegale Migration". An der Veranstaltung, die im "Bürgerhaus Pullach", nahe des BND-Sitzes südlich von München stattfand, nahmen 300 Personen teil, darunter MitarbeiterInnen anderer Geheimdienste, ExpertInnen in Migrationsfragen, einige PolitikerInnen und geladene JournalistInnen. Ein Novum für die ansonsten streng abgeschottete Behörde, so der damalige Tenor in der Presse. BND-Präsident August Hanning, der sich die Tagung 120.000 DM kosten ließ, erläuterte in seiner Eröffnungsrede, dass sich der "Dienst" mit dem Thema beschäftige, da die Sicherung der Grenzen alleine mit polizeilichen Mitteln nicht mehr zu gewährleisten sei. Daher - so der BND-Chef - "müssen wir die Probleme dort angehen, wo sie entstehen, nämlich in den Herkunfts- und Transitländern. Ist der illegale Immigrant erst einmal an der Grenze angelangt, hat die Prävention versagt." (jW, 30.10.99)
BND sucht zukunftssicheres Aufgabenfeld
Ein Jahr zuvor, im Dezember 1998 hatte Gerhard Schröder auf Grund der "weltpolitischen Umwälzungen und Veränderungen" ein verändertes "Auftragsprofil" des BND angekündigt. Anlass war die Übergabe der Amtsgeschäfte an den eben zitierten neuen Präsidenten des Geheimdienstes. "Deutschland" könne und wolle sich - so Schröder - "seinen internationalen Verpflichtungen für friedenserhaltende, friedensstiftende und humanitäre Einsätze" nicht entziehen. Um die "Sicherheitsvorkehrungen für die gegebenenfalls eingesetzten deutschen Soldaten treffen zu können", bräuchte es umfassender Informationen. "Dazu kann und muss der BND wertvolle Beiträge liefern." Der frisch gewählte Kanzler kündigte weiter an, aus dem BND ein "effizientes und flexibles Dienstleistungsunternehmen für die Bundesregierung" machen zu wollen, das mit "einer deutlich stärkeren Kopfstelle als bisher" die Regierung in der Hauptstadt beraten soll. So hat der Umzug eines Teils der 1.000 Mitarbeiter der sogenannten Abteilung 3 ("Auswertung") von Pullach nach Berlin inzwischen begonnen und soll bis 2003 abgeschlossen sein.
Der neu von Rot-Grün ins Amt berufene Präsident Hanning scheint dem von Schröder beschriebenen "Auftragsprofil" entsprechend ausgewählt. Der BND-Chef, dessen Konterfei die seit 1999 existierende Homepage des Geheimdienstes ziert (www.bundesnachrichtendienst.de) was wohl als Zeichen für Offenheit und Transparenz verstanden werden soll, kommt nicht aus dem "Dienst", sondern hat als promovierter Jurist seine Karriere in der Verwaltung durchlaufen. Er soll den alten krisengeschüttelten Geheimbetrieb, der mit dem Ende der Sowjetunion zunehmend unter Legitimationsdruck geraten war, nach sozialdemokratischen Vorgaben modernisieren.
Noch in der ersten Hälfte der 90er Jahre hatte es für den BND gar nicht gut ausgesehen. Das Budget, das in seinen wesentlichen Teilen im Bundeshaushalt nur verdeckt ausgewiesen wird, soll seit 1990 bei jährlich knapp 700 Millionen eingefroren worden sein, gleichzeitig schrumpfte das Personal um 1.000 auf rund 6.000 MitarbeiterInnen. Die krampfhafte Suche nach neuen Gefahren für Deutschland hatte zudem im August 1994 zum "Plutoniumskandal" geführt, der in der Öffentlichkeit wohl als bisher größte Pleite des "Dienstes" wahrgenommen wurde: Unter dem Codenamen "Hardes" hatten Geheimdienstmitarbeiter den Schmuggel von Plutonium von Moskau nach München mit finanziert. Gleich zwei parlamentarische Untersuchungsausschüsse brachte dieser schlecht organisierte Coup hervor. In der Folge wurde es still um die Gefahr des Handels mit dem waffenfähigen spaltbaren Material, einer Gefahrenquelle, die Anfang der 90er Jahre breite Schlagzeilen machte. Ein Arbeitsfeld, in das die Pullacher vermutlich viel Zeit und Energie gesteckt hatten, war verloren. Es folgte eine Phase massiver Kritik am BND. So forderte die FDP mehr Transparenz, die Sozialdemokraten wollten effektivere Leistungen via Reformen und Manfred Such, Kerstin Müller und Joseph Fischer zeichneten 1996 federführend für einen parlamentarischen Antrag der Grünen, in dem gar die schrittweise Auflösung des BND "bis zum 31. Dezember 1998" gefordert wurde.
Vor allem Fischer wird dieses Ansinnen inzwischen korrigiert haben, schließlich - so die Quintessenz der oben zitierten Rede von Schröder - braucht eine Weltmacht, die Krieg führen will, einen ordentlichen Geheimdienst. So darf denn auch angenommen werden, dass mit Rot-Grün und dem durch den Kosovo-Krieg vollzogenen Eintritt in die neue Rolle als Weltmacht die Talsohle der BND-Krise durchschritten war.
Auch wenn das "Geheimpapier" zur "Illegalen Migration" ein Flickwerk unzusammenhängender, schlecht recherchierter Informationen ist, die Art seiner Lancierung ist geschickt gewählt, um das Thema in den Medien zu pushen und gleichzeitig dem BND ein neues Arbeitsfeld zu erschließen. Eine Lesart allerdings, die alleine das Interesse an Bestandserhaltung des "Dienstes" ursächlich dafür sieht, dass sich der Auslandsgeheimdienst in die Diskussion zur Bekämpfung staatlich unkontrollierter Migration aktiv einmischt, greift zu kurz. Derart bleibt die Frage unbeantwortet, was denn die Geheimdienstler mit Migration am Hut haben. Ihre Expertise kann es schließlich nicht sein. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der BND kein von der amtierenden Regierung vollkommen losgelöster Machtapparat ist, der ohne politische Rückversicherung in der Lage wäre, neue Arbeitsfelder zu besetzen.
Eine zentrale Rolle in der Entscheidung, den BND zur "Aufklärung" von "Schlepper- und Schleuserbanden" einzusetzen, dürfte der Nato-Krieg gegen Jugoslawien und um den Kosovo gespielt haben. Zum ersten Mal gelang es der Europäische Union in diesem Zusammenhang, eine flüchtlingspolitische Strategie umzusetzen, an der u.a. verschiedene Gremien des Schengener Abkommens seit Beginn der 90er Jahre gearbeitet hatten. In großem Umfang wurden Flüchtlinge in ihrer Herkunftsregion mit Hilfe des Militärs und in diese Strategie weitgehend eingebundene NGOs festgehalten. (vgl. Dietrich/Glöde: Kosovo - der Krieg gegen die Flüchtlinge, FFM-Heft 7) Diese Politik der "Regionalisierung" von Flüchtlingsbewegungen ist Teil einer systematischen Flüchtlingsabwehrpolitik, die im Laufe der 90er Jahre entwickelt wurde und im Krieg gegen Jugoslawien durch den "Druck der Ereignisse", eine wahrnehmbare Gestalt bekam. Der Zusammenhang zwischen Kriegführung und Flüchtlingspolitik ist als die eigentliche Ursache für die Einbindung des BND in die Bekämpfung staatlich nicht kontrollierter Migrationsbewegungen anzusehen: Wenn "Regionalisierung" von Flüchtlingsbewegungen immanenter Bestandteil von Kriegsplanungen darstellt, so macht es - innerhalb dieser Logik - auch Sinn, den Bundesnachrichtendienst mit der "Aufklärung" dieser Form staatlich nicht kontrollierter Migration zu beauftragen.
Flüchtlingspolitik, Kriegsstrategien, Aufklärungsarbeit
Über den Krieg hinaus bildet eine Abschottungspolitik, die in den Herkunftsländern ansetzt, sich über die Transitländer erstreckt und die Überwachung der eigenen Grenzen und des Landesinneren beinhaltet, den flüchtlings- und migrationspolitischen Konsens der 90er Jahre. Sie ist auch das Pendant zu einer Einwanderungspolitik, die rein an ökonomischer Verwertbarkeit orientiert ist und damit staatliche Kontrolle voraussetzt.
Damit ist der BND auf einen Zug aufgesetzt worden, der - anders als der Plutoniumhandel - Zukunft hat. Die "Migrationsexperten" des BND konnten es denn auch nicht lassen, an mehreren Stellen darauf hinzuweisen, dass "ein Rückgang Illegaler Migration (...) selbst ohne krisenhafte Massenbewegungen kurz- und mittelfristig eher unwahrscheinlich" erscheint.
Dominique John,
Forschungsgesellschaft
Flucht und Migration (FFM)