Selektion in der Petrischale
Die Präimplantationsdiagnostik wird als Alternative zur Pränataldiagnostik für sogenannte "Risikopaare" gehandelt. Das sind Paare, die meist schon ein Kind mit einer bestimmten genetisch bedingten Krankheit bekommen haben und statistisch ein "Wiederholungsrisiko" von 25-50% bei jedem weiteren gemeinsamen Kind tragen. Bisher hatten diese Paare, nachdem ihnen in der humangenetischen Beratung ihr "Risikostatus" erläutert worden war, die Möglichkeit, gegebenenfalls ein weiteres krankes oder behindertes Kind anzunehmen, auf weitere gemeinsame Kinder zu verzichten, auf eine Samenspende zurückzugreifen oder eine Präntaldiagnostik in Anspruch zu nehmen. Letzteres bedeutet für die betroffene Frau unter Umständen den Abbruch der Schwangerschaft mit einem eigentlich gewünschten Kind.
Die Präimplantationsdiagnostik, so die Befürworter, verfolge dasselbe Ziel und sei für die Frau weniger belastend. Dabei wird meist unterschlagen, dass die Belastungen für die Frau auch bei einer Präimplantationsdiagnostik erheblich sind. Um eine Präimplantationsdiagnostik durchführen zu können, muss sich die Frau extra hierfür einer In-vitro-Fertilisation (IVF) unterziehen.
Für die Befruchtung im Labor wird die Frau mit Hormonen behandelt, damit mehrere Eizellen gleichzeitig reifen. Die Eizellen werden dann entnommen und im Labor mit dem Sperma des zukünftigen Vaters befruchtet. Am dritten Tag nach der Befruchtung, wenn die Embryonen ungefähr aus sechs bis zehn Zellen bestehen, werden ein bis zwei Zellen entnommen. Diese einzelnen Zellen werden auf eine gesuchte genetische Veränderung hin untersucht. Die nicht "betroffenen" Embryonen werden in die Gebärmutter der Frau übertragen, die anderen "verworfen".
Die Belastungen für die Frau gehen in erster Linie von der Eizellgewinnung aus. 3-5% der Frauen bekommen in Folge der Hormonbehandlung ein im Extremfall lebensbedrohliches Hyperstimulationssyndrom. Darüber hinaus stehen die Hormone im Verdacht, Eierstockkrebs hervorrufen zu können.
Die Chance, dass eine IVF tatsächlich zur Geburt eines Kindes führt, beträgt nur etwa 14 %! Der größere Teil der Paare wird also trotz mehrerer Versuche ohne das ersehnte Wunschkind bleiben. Außerdem führt die hohe Rate an Mehrlingsschwangerschaften (ca. 23 % Zwillings- und 4 % Drillingsgeburten nach IVF) im "Erfolgsfall" zu vermehrten Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen - um die genannte Erfolgsrate zu erreichen, werden nämlich bis zu drei Embryonen in die Gebärmutter der Frau übertragen.
Verfahren: verfassungswidrig
Dazu kommt die Unzuverlässigkeit der Diagnostik selbst, weshalb zur Überprüfung der Präimplantationsdiagnostik später während der Schwangerschaft eine Pränataldiagnostik empfohlen wird. In einer kürzlich veröffentlichten internationalen Erhebung der Erfahrungen von 26 Diagnose-Zentren wurde die Präimplantationsdiagnostik bei 116 Föten durch eine Fruchtwasseruntersuchung während der Schwangerschaft überprüft. Dabei stellten sich vier Fehldiagnosen heraus. Zwei Frauen bekamen "geschädigte" Kinder, zwei Frauen brachen die Schwangerschaft ab.
Objektiv gesehen, kann die Präimplantationsdiagnostik damit kaum als "bessere Alternative" im Namen der betroffenen Frau gelten. Beide Methoden, die Pränataldiagnostik wie die Präimplantationsdiagnostik, sind psychisch und körperlich hochbelastend für die Frau. Das ist auch der Grund, warum sich der Deutsche Ärztinnenbund im Gegensatz zur Bundesärztekammer gegen die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik ausspricht. Dass derzeit im Namen der betroffenen Paare so viel Werbung für die Präimplantationsdiagnostik gemacht wird, ist bei genauerer Betrachtung der Erfahrungen mit der Technik in anderen Ländern jedenfalls fragwürdig.
Auch die Selbsthilfeverbände haben bislang keine Zulassung der Präimplantationsdiagnostik gefordert. Stephan Kruip wehrt sich für die Selbsthilfegruppe Mukoviszidose e.V. dagegen, dass Mukoviszidose als Paradebeispiel für die Notwendigkeit der Präimplantationsdiagnostik angeführt wird. Dabei würde eine verzerrte Vorstellung vom Leben mit dieser Krankheit vermittelt, die den heutigen Behandlungsmöglichkeiten nicht entspricht.
Für die Forderung nach Zulassung des Verfahrens sind vor allem forschungspolitische Gründe entscheidend. Endlich auch das tun zu dürfen, was die ausländischen Kollegen können, ist ein wichtiges Motiv in der Debatte. Außerdem ist die In-vitro-Fertilisation in Deutschland bislang so geregelt, dass "überzählige Embryonen" vermieden werden müssen. Mit der Präimplantationsdiagnostik aber würden erstmals im großen Stil "überzählige Embryonen" anfallen. Und an diesen hat die Forschung ein erhebliches Interesse (siehe den Artikel von Ingrid Schneider auf S. 8).
Die aktuelle Debatte dreht sich vor allem um die Frage, welcher moralische Status dem menschlichen Embryo zukommt. Diese Eingrenzung ist jedoch unbefriedigend. Erstens, weil Einwände jenseits der Lebensschutzkontroverse nicht ernsthaft diskutiert werden. Dazu gehören feministische Positionen und Positionen von Behinderten. Und zweitens, weil sich zunehmend eine ausgesprochen problematische Gleichsetzung mit dem Schwangerschaftsabbruch durchsetzt. Noch nie wurde in einer Debatte, zumeist von männlicher Seite, so häufig auf die Selbstbestimmung der Frau Bezug genommen - vor allem nicht als die Reform des § 218 auf der Tagesordnung stand. Alleine das sollte misstrauisch stimmen.
Recht aus Selbstbestimmung
Es sei inkonsistent, so wird argumentiert, Schwangerschaftsabbrüche gesellschaftlich zu tolerieren - bei einer "drohenden" Behinderung sogar ohne "Pflichtberatung" bis zur Geburt -, die "Selektion" im Labor vor einer Schwangerschaft aber zu verbieten. Dem wird von feministischer Seite entgegengehalten, dass die leibliche Beziehung der Frau mit dem Ungeborenen in der Schwangerschaft eine mit keiner anderen Situation vergleichbare Situation darstellt. Weil die Rechte der Frau auf Selbstbestimmung und körperliche Integrität nicht verletzt werden dürfen, muss ihr alleine die Entscheidung über Fortsetzung und Abbruch der Schwangerschaft überlassen werden. Das gilt auch, wenn einer Frau ein auffälliger Befund nach einer Pränataldiagnostik mitgeteilt wurde und deshalb ein Schwangerschaftskonflikt besteht.
Bei einer Entscheidung für eine Präimplantationsdiagnostik dagegen ist die Frau (noch) nicht schwanger und daher nicht in gleicher Weise in ihrer körperlichen und psychischen Integrität betroffen. Es besteht keine unausweichliche Konfliktsituation. Es gibt Handlungsalternativen wie der Verzicht auf leibliche Kinder, ein Kind in Pflege zu nehmen oder zu adoptieren. Die hohe Präferenz, die der Wunsch nach einem eigenen gesunden Kind für die betroffenen Paare haben kann, soll damit nicht in Frage gestellt werden. Mit dem existenziellen Erleben eines Schwangerschaftskonflikts für die Frau ist dies aber nicht vergleichbar.
Sich für das alleinige Entscheidungsrecht der Frau im Fall eines Schwangerschaftskonflikts auszusprechen, heißt aber nicht zwangsläufig, die Pränataldiagnostik für unproblematisch zu erklären. Die Erfahrungen mit der Pränataldiagnostik zeigen, dass individuelle Entscheidungen zu ihrer Inanspruchnahme internalisierte gesellschaftliche "Lebenswertzuschreibungen" ausdrücken oder sogar unter direktem Druck des sozialen Umfelds zu Stande kommen. Gleichzeitig wirken derartige individuelle Entscheidungen auf die Entwicklung gesellschaftlicher Wertvorstellungen zurück. Dieses Phänomen wird häufig als "freiwillige Eugenik" bezeichnet. Mit der Pränataldiagnostik sind für werdende Eltern und besonders für Frauen nicht nur neue Handlungsspielräume, sondern gleichzeitig auch neue Handlungszwänge entstanden. Eine ähnliche Entwicklung wäre für die Präimplantationsdiagnostik zu erwarten.
Dazu kommt, dass die Präimplantationsdiagnostik mit einer neuen Qualität der "Selektion" verbunden ist. Die Präimplantationsdiagnostik ermöglicht, unter mehreren Embryonen diejenigen auszuwählen, für die der Wunsch besteht, eine Schwangerschaft einzugehen. Dabei können mit zunehmendem Wissen um genetische Veranlagungen diejenigen ausgewählt werden, die den Vorstellungen der Eltern am ehesten entsprechen. Der französische Fortpflanzungsmediziner Jacques Testard vertritt deshalb die These, dass durch die Präimplantationsdiagnostik erstmals eine effektive, positive Eugenik möglich sein wird. Der Perfektionsdruck auf werdende Eltern, was ihr zukünftiges Kind betrifft, erhält damit eine neue Qualität.
Der Gefahr einer "neuen Eugenik" wird in der Diskussion meist damit begegnet, dass die Präimplantationsdiagnostik nur für wenige Einzelfälle - im Gespräch sind 50-100 Paare jährlich - zugelassen werden soll. Allerdings gibt es erhebliche Zweifel daran, ob dies gelingen kann. Einen Indikationskatalog mit schweren Krankheiten und Behinderungen würden Menschen, die selbst mit den genannten Krankheiten oder Behinderungen leben, berechtigterweise als diskriminierend empfinden. Diese Lösung wird daher für politisch nicht durchsetzbar gehalten. Die Bundesärztekammer macht deshalb den Vorschlag, dass die Präimplantationsdiagnostik nur bei sehr schweren, lebensbedrohlichen Krankheiten und Behinderungen nach einer Einzelfallprüfung durch eine zentrale Kommission erlaubt werden soll. Das wäre aber eine kaum zu rechtfertigende paternalistische Bevormundung der betroffenen Paare. Die Kommissionsmitglieder müssten ja deren subjektiv empfundene Belastung unter Umständen in Frage stellen. Wie sollten die Kommissionsmitglieder eine solche Entscheidung gegenüber dem betroffenen Paar rechtfertigen?
Diskriminierung von Behinderten
Außerdem kann die Präimplantationsdiagnostik eingesetzt werden, um die Erfolgsrate der In-vitro-Fertilisation zu erhöhen. Viele frühe Fehlgeburten geschehen auf Grund von Chromosomenstörungen des Embryos. Wenn man solche Embryonen schon im Labor erkennen würde, wäre die Wahrscheinlichkeit einer Erfolg versprechenden Schwangerschaft nach einer künstlichen Befruchtung höher. Wenn die Präimplantationsdiagnostik erst einmal für die sogenannten Risikopaare zulässig ist, scheint es kaum gute Gründe dafür zu geben, warum sie Frauen, die sich wegen ungewollter Kinderlosigkeit einer In-vitro-Fertilisation unterziehen, nicht angeboten werden darf. Realistisch betrachtet heißt das, dass die Präimplantationsdiagnostik auf Dauer entweder ganz oder gar nicht zu haben ist.
Das Hauptargument der Behindertenverbände gegen die Zulassung der Präimplantationsdiagnosik ist die drohende Veränderung gesellschaftlicher Wertvorstellungen durch eine neue Qualität von "Lebenswertentscheidungen". Es wird befürchtet, dass eine Etablierung der Präimplantationsdiagnostik in der medizinischen Praxis diskriminierende Tendenzen gegenüber chronisch Kranken und Behinderten in der Gesellschaft verstärken wird. Dabei geht es nicht darum zu behaupten, die individuelle Entscheidung eines Paars oder einer Frau sei an sich ein diskriminierender Akt, wie der Philosoph Dieter Birnbacher meint. Und geradezu zynisch ist in diesem Zusammenhang die Aussage von Hubert Markl, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, "an Behinderten wird es der Gesellschaft" auch zukünftig "nicht mangeln". (FAZ, 25.6.)
Ausdruck der Behindertenfeindlichkeit ist eine medizinische Praxis, welche die Verhinderung der Existenz behinderter Menschen als Teil des ärztlichen Handlungsauftrags institutionalisiert. Wer versucht, das im Namen der Selbstbestimmung zu rechtfertigen, schiebt die Verantwortung hierfür den Frauen in die Schuhe.
Sigrid Graumann