Sturmreif geschossen
NATO und EU helfen Mazedonien entlang ethnischer Grenzen zu teilen
In Mazedonien droht jetzt das Worst-case- Szenario. Die albanischen Nationalisten der UCK haben den Staat und seine Allparteien-Regierung sturmreif geschossen. Die NATO-Regierungen tragen erhebliche Verantwortung für den nun drohenden Bürgerkrieg. Nachdem sie durch ihre widersprüchliche politische und diplomatische Intervention die Fronten eskaliert haben, planen sie nun eine Militärintervention, um einen Krieg zu stoppen, den sie mit verursacht haben. Die Bundeswehr soll mitmischen, wünscht sich Bundeskanzlers Gerhard Schröder.
Am Montag, den 25. Juni lief in Skopje das Fass über: Die mazedonische Regierung hatte nach Verhandlungen mit den Abgesandten der Europäischen Union (EU) einem "Friedensabkommen" zugestimmt, das etwa 400 schwerbewaffneten UCK-Kämpfern den freien Abzug aus Aracinovo versprach. Von diesem Vorort der Hauptstadt aus hatten sie wochenlang mit Angriffen auf Skopje gedroht. Dort wuchs in der slawisch-mazedonischen Bevölkerung von Tag zu Tag die Angst vor möglichen Terroranschlägen, welche UCK-Kommandanten offen angekündigt hatten. Unter dem Schutz von 80 US-Soldaten stiegen die Rebellen am folgenden Tag tatsächlich in 13 klimatisierte Busse, um ihre Stellung in Richtung Nikustak, einer Hochburg der UCK, zu verlassen. Ihre Waffen, welche sie während der Fahrt an die US-Begleiter abgegeben hatten, bekamen sie im Ankunftsort zurück.
Die Empörung unter den slawisch-mazedonischen EinwohnerInnen Skopjes über das Entgegenkommen der Regierung gegenüber der UCK und den Geleitschutz durch die NATO war groß. Noch am Montagabend versammelten sich mehr als 10.000 Menschen vor dem Parlament, durchbrachen einen schwachen Polizeikordon und drangen in das Gebäude in der Innenstadt ein. Präsident Boris Trajkovski gilt ihnen als "Verräter", der das Land den "albanischen Terroristen" ausliefere. Die wütenden DemonstrantInnen demolierten einige Staatskarossen und Büros. Auch NATO-Symbole und ein Bild des außenpolitischen EU-Koordinators Javier Solanas gingen in Flammen auf. Polizeireservisten, die sich dem Tumult angeschlossen hatten, feuerten unter dem Jubel der Tausenden einige Salven aus Maschinenpistolen in die Luft. Selbst Innenminister Ljube Boskovski, der sich als Hardliner im Kampf gegen die UCK zu profilieren versucht, konnte die Masse nicht beruhigen.
Seit vier Monaten legt die UCK im Norden und Westen des Landes mazedonischen Sicherheitskräften Hinterhalte, besetzt albanische Dörfer, zieht sich wieder in die Berge zurück, rückt bis in Schussweite vor die Hauptstadt vor und droht mit Angriffen auf die slawische Zivilbevölkerung. Die mazedonische Armee reagiert mit Gegenangriffen, beschießt Dörfer zuerst aus der Luft und versucht die Gebiete dann mit Bodentruppen wieder unter Kontrolle zu bringen. Aber sie wirkt hilflos. Sobald die Armee auftaucht, sind die Guerillas verschwunden. Ziehen die Regierungstruppen ab, ist die UCK wieder da. Über 100.000 Menschen aus dem Land mit zwei Millionen EinwohnerInnen mussten bis jetzt die Flucht vor den Kämpfen antreten.
Mission impossible
Die Provokationsstrategie der UCK, detailtreu nach den Handbüchern des Partisanenkampfes ausgeführt, hat zum Erfolg geführt. Die UCK-Kämpfer bewegen sich in den mehrheitlich albanisch besiedelten Gebieten wie der berühmte Fisch im Wasser. Die Bevölkerung hat sich entlang ethnischer Grenzen so weit radikalisiert, dass eine Verhandlungslösung kaum noch möglich scheint. Die Allparteien-Regierung, in der die mazedonisch-slawischen wie die albanischen Parteien vertreten sind, steckt dagegen in einer tiefen Krise. Unter dem Druck von NATO und EU war sie Mitte Mai gebildet worden. Doch sie ist weitgehend handlungsunfähig. Zu widersprüchlich sind die Interessen der darin vertreten Parteien. Die slawisch-mazedonischen Mehrheitsparteien drängen auf eine Bekämpfung der UCK, können dies aber auf Grund des Drucks von EU und NATO nicht umsetzten. Die beiden albanischen Minderheitsparteien agieren dagegen mittlerweile kaum verhüllt als Sprachrohr der UCK, um die schwindende Unterstützung ihrer Basis nicht gänzlich zu verlieren.
Mittlerweile erreicht die bisherige slawische Mehrheitspartei VMRO bei Meinungsumfragen nur noch acht Prozent Zustimmung. Insbesondere Präsident Boris Trajkovski hat seine Popularität verloren. Ihm lastet eine wachsende Zahl der slawischen MazedonierInnen an, dass die UCK nicht effektiv bekämpft werde. Rechte, nationalistische Strömungen, welche zum "Vernichtungskrieg" gegen die UCK aufrufen - und damit "die Albaner" meinen - gewinnen an Unterstützung. Eine paramilitärische Gruppe namens Mazedonien 2000 verschickt in Skopje Drohbriefe an albanische Geschäftsleute. Diese sollten die Stadt verlassen, ansonsten könne ihre Sicherheit nicht gewährleistet werden. In Bitola kam es bereits vor einigen Wochen zu pogromartigen Ausschreitungen gegen albanische EinwohnerInnen.
Die albanischen Parteien PDP und DPA andererseits können ohne die Zustimmung der UCK kaum mehr agieren. Die bewaffneten albanischen Nationalisten verweisen zu Recht auf den Erfolg ihrer Provokationsstrategie. In den vier Monaten des offenen Kampfes haben sie die Autonomieforderungen, die seit Jahren von der albanischen Bevölkerung erhoben werden, zu einem internationalen Thema gemacht. So treiben die Guerillas die Politiker von PDP und DPA vor sich her und gewinnen in der albanischen Bevölkerung umso mehr Unterstützung desto schärfer die militärischen Gegenschläge der Regierung ausfallen. PDP und DPA verlieren gleichzeitig als Regierungsmitglieder die Legitimität, für die albanische Bevölkerung zu sprechen. So gewinnen auf beiden Seiten die militaristischen Kräfte die Überhand.
Gemessen an dem selbstgesteckten Ziel, einen Bürgerkrieg in Mazedonien zu verhindern, mutet das Eingreifen von EU und NATO in die Krise einigermaßen absurd an. Bereits während des Kriegs um den Kosovo im Frühjahr 1999 war allgemein bekannt, dass sich ein erheblicher Teil der kosovarischen UCK aus mazedonischen Albanern rekrutierte. In Mazedonien selbst kam es bereits damals immer wieder zur Aushebung von Waffenlagern radikaler albanischer Nationalisten, die damals noch auf eine nur beschränkte Unterstützung der etwa 600.000 mazedonischen AlbanerInnen zählen konnten. Das Handeln der NATO-geführten Kosovo-Truppe KFOR und der UN-Übergangsverwaltung UNMIK im Kosovo musste auf sie wie eine Ermunterung wirken. Nach dem Abzug der serbisch-jugoslawischen Truppen aus der Provinz konnten dort UCK-Kommandanten ungehindert die lokalen Machtpositionen einnehmen. Unter den Augen der "internationalen Gemeinschaft" wurden seither über 200.000 Menschen, hauptsächlich SerbInnen und Roma, aus der Provinz gewaltsam vertrieben, ohne dass ernsthaft gegen die "ethnische Säuberung" vorgegangen worden wäre. Eine vorgebliche Entwaffnung der UCK fand nie wirklich statt. Stattdessen wurde sie unter der Befehlsgewalt des UCK Kommandanten Agim Ceku in das Kosovo-Schutz-Korps TMK umgewandelt, das hauptsächlich die materiellen Interessen seiner eigenen Mitglieder schützt.
Schritt für Schritt nähern sich gleichzeitig die drei albanischen Parteien PDK, LDK und AAK ihrem gemeinsamen Ziel - der vollständigen Unabhängigkeit Kosovos. Dieser wird zwar in der UN Resolution 1244, welche den Status des Kosovo für die Zeit nach dem Ende des Krieges 1999 regelt, eine Absage erteilt. De facto aber werden unter UN- und KFOR-Protektion die Bedingungen für eine Unabhängigkeitserklärung geschaffen. Nach den Kommunalwahlen, welche im Herbst vergangenen Jahres ohne die Beteiligung der serbischen Bevölkerung stattfanden, sollen nach dem Willen der UN-Übergangsverwaltung im November diesen Jahres auch Wahlen für ein Kosovo-Parlament stattfinden. Der Schritt zur verfassungsgebenden Versammlung ist dann nicht mehr weit. Dass bis dahin die vor Pogromen geflüchtete nicht-albanische Bevölkerung in den Kosovo zurückgekehrt sein wird, können nur realitätsferne BeobachterInnen glauben, die das Geschehen lediglich mit dem Finger auf der Landkarte nachvollziehen. Mit Hilfe der "internationalen Gemeinschaft" wird so ein ethnisch gesäuberter Staat geschaffen. Mit einer vorgeblichen "Demokratisierung", wie die UNMIK behauptet, hat dies alles nichts zu tun. Denn selbst albanische Oppositionelle können sich im gegenwärtigen repressiven politischen Klima im Kosovo nicht artikulieren. SerbInnen droht ohnehin im Wortsinn Mord und Totschlag, sobald sie sich außerhalb der abgesteckten Gebiete bewegen, welche die NATO für sie eingezäunt hat.
Ermuntert von der Entwicklung im Kosovo verstärkten sich seit 1999 auch in Mazedonien die Bemühungen um den Aufbau einer lokalen UCK. Als zu Beginn dieses Jahres die ersten Überfälle auf die mazedonischen Streitkräfte stattfanden, forderte die mazedonische Regierung wochenlang die KFOR-Truppen auf, den UCK-Nachschub aus Kosovo zu unterbinden. Ohne Erfolg allerdings. Die insgesamt 40.000 KFOR-Soldaten, welche im Kosovo stationiert sind, vermochten es nicht, effektiv gegen die Belieferung der UCK vorzugehen, oder behaupteten dies zumindest. Gleichzeitig mahnten NATO und EU allerdings die mazedonische Regierung zur militärischen Zurückhaltung gegenüber den UCK-Attacken. Nur politisch könne eine Lösung des Konfliktes zu erreichen sein, argumentierten sie.
Bundeswehr nach Mazedonien
Während in den ersten Wochen nach Beginn der Krise NATO-Generalsekretär George Robertson die UCK noch als eine "Bande bewaffneter Schläger" bezeichnete, die "eine mulit-ethnische Demokratie" zerstören wolle, hören sich seine Statements heute anders an. Jetzt wirft er der mazedonischen Regierung "kompletten Wahnsinn" vor, weil diese die Armee gegen die UCK-Verbände in Aracinovo einsetzte. Insgesamt hat der Westen seine Sprachregelung schon wieder neu festgelegt. Mittlerweile hat sich die UCK anscheinend zu legitimen Vertretern der albanischen Bevölkerung emporgeschossen. Der Ende Juni neu eingesetzte EU-Sonderbeauftragte für Mazedonien, Francois Leotard, fordert die mazedonische Regierung nun auf, direkte Verhandlungen mit der UCK aufzunehmen. Nur so könne ein "Konsens und eine friedliche Lösung erreicht werden", meinte er am 27.6. gegenüber der Presse.
Wenn man allerdings die bisherige Verhandlungstaktik der UCK betrachtet, wird schnell deutlich, dass diese der militärischen Strategie, die auf die Schaffung eines unter UCK-Kontrolle stehenden Territoriums zielt, untergeordnet ist. Die UCK Forderungen, welche nun von PDP und DPA weitgehend geteilt werden, zielen auf eine "Föderalisierung" des Landes. Jedes Entgegenkommen der mazedonischen Regierung, das freilich immer nur unter Druck von NATO und EU zu Stande kommt, beantworten die albanischen Kräften mit neuen weiterreichenden Forderungen. Harald Schenker, Chef der OSZE-Mission in Skopje, kommentierte dieses Vorgehen so: "Wenn die Albaner-Vertreter die Forderungen durchsetzen, wird die Zentralregierung praktisch keine Befugnisse mehr haben." (jungle world, 27.6.2001)
In dieser Situation drängen die NATO- und EU-Unterhändler auf ein praktisch unmögliches Friedensabkommen. Am 20. 6. erklärte der NATO-Rat, dass anschließend die Entsendung einer 3.000 Soldaten starken Truppe nach Mazedonien möglich sei, um die UCK zu entwaffnen. Die Mission soll innerhalb von 30 Tagen wieder beendet sein. Dass es sich bei dem geplanten Einsatz um eine mission impossible handelt, muss dabei eigentlich allen Beteiligten klar sein. Denn erstens möchte sich die UCK nicht entwaffnen lassen bis sie ihre Ziele erreicht hat, und zweitens reichten 3.000 Soldaten und eine Zeitfrist von 30 Tagen dazu auch in keinem Fall aus. Dennoch könnte sich die UCK auf ein Friedensabkommen einlassen: Denn ist die NATO erst vor Ort, könnten sie eine Situation ähnlich der in Kosovo herstellen: Ein NATO-Protektorat in den albanischen Landesteilen Mazedoniens, in denen die "internationale Gemeinschaft" auf die UCK als lokale Ordnungsmacht angewiesen ist. Sollte es so weit kommen, müssten die nach Mazedonien entsandten NATO-Truppen allerdings mit dem Widerstand slawisch-mazedonischer Nationalisten rechnen. Für diese gilt die NATO ohnehin als Schutztruppe der AlbanerInnen, die den Staat zerschlagen wollen.
Nicht zuletzt deshalb hält sich die Begeisterung für eine Beteiligung der Bundeswehr an dem NATO-Einsatz quer durch SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU in Grenzen. Aber Deutschland könne nicht "abseits stehen", falls es zum Einsatz käme, meint Bundeskanzler Schröder und ist sich sicher, eine Mehrheit im Bundestag zu finden. Ein UN-Mandat sei für den Einsatz nicht notwendig, wenn die mazedonische Regierung ihn fordere, erklärt er. An einer "politischen Definition dessen, was die NATO in Mazedonien erreichen will", mangele es allerdings noch.
Boris Kanzleiter