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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 453 / 30.8.2001

Berlins besondere Orte

Städtische Politik zwischen Bürgergesellschaft und Polizeistaat

Das Territoriale feiert in den bundesrepublikanischen Städten und Möchtegern-Metropolen fröhliche Urständ. "Kleinräumig" und "projektbezogen" habe es zuzugehen, wenn den Auswüchsen von Arbeitslosigkeit und Armut in den Quartieren auf den Leib gerückt und den Folgen neoliberaler Großstadtpolitik eine gelegentlich sozial verbrämte Reißleine angelegt werden soll. Die Entdeckung von "überforderten Nachbarschaften", "sozialen Brennpunkten" oder "Ghettoverdachtsgebieten" geht mit der Installierung neuer gebietsbezogener Instrumente einher, die unter der Fahne der Integration segeln. Die von der Europäischen Union angeschobenen Territorialen Beschäftigungspakte (TEP) sollen Arbeitslose wie Sozialhilfeempfangende in den Quartieren um jeden Preis "beschäftigen"; das mittlerweile mit dem Bund-Länderprogramm "Soziale Stadt" unterfütterte und in Berlin als Quartiersmanagement bezeichnete Aktivierungskonzept für "benachteiligte Nachbarschaften", konzentriert sich auf die Armutsverwaltung; die Kommunalen Kriminalpräventionsräte (KKP) und die auf Straßenzüge ausgerichteten Sondereinheiten der Polizei - in Berlin Operative Gruppen (OP) geheißen - gehen kiezgenau gegen die Armutsbevölkerung vor.

Ein eher klassisch zu nennendes Kontroll- und Ausgrenzungsinstrument in Berlin, weil es nicht auf die Mobilisierung einer "guten Gemeinschaft" abhebt und offen rassistisch daherkommt, ist der im Oktober 1996 ins Leben gerufene "gefährliche Ort". Nach Paragraf 21 des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) dürfen Ordnungsbehörden und Polizei ohne Anhaltspunkte für eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit Identitätsfeststellungen durchführen, "wenn die Person sich an einem Ort aufhält, a) von dem Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass aa) dort Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung verabreden, vorbereiten oder verüben, bb) sich dort Personen treffen, die gegen aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften verstoßen, cc) sich dort gesuchte Straftäter verbergen, b) an dem Personen der Prostitution nachgehen." Von "gefährlichen" Orten ist also direkt keine Rede; überhaupt ist es der Indiskretion einer großen Berliner Boulevardzeitung zu danken, dass überhaupt die betroffenen Orte und mit ihnen die dortige Aushebelung von Grundrechten 1996/97 zur Sprache kamen.

Gefährliche Orte und ...

Ein seinerzeit als "vertrauliche Liste" gehandeltes Polizeipapier umfasste seinerzeit zunächst 14, dann 20 Straßen, Plätze und Parks, die als "gefährliche Orte" zählten: Dazu gehörten das Kottbusser Tor in Kreuzberg (Begründung: Drogen-Szene), der Stuttgarter Platz in Charlottenburg (Prostitution und Glücksspiel), der Breitscheidplatz, ebenfalls Charlottenburg und Aushängeschild der Stadt (Fixer, Dealer, Taschendiebe) und der Nollendorfplatz in Schöneberg (Prostitution, Dealer, Fixer), den Alexanderplatz (Punks, Trebekids) nicht zu vergessen.

Auf dem Herrmannplatz in Neukölln, auf dem es regelmäßig zu Übergriffen durch die Polizei vor allem gegen Migranten kommt, war unlängst ein 37-jähriger farbiger US-Amerikaner mit Handschellen gefesselt und im Polizeiwagen bedroht worden, hatte sich jedoch mit einer Anzeige gewehrt und einen Teilerfolg erzielen können. Eine ohne Verhandlung gegen ihn festgesetzte Strafe von 1.600 Mark braucht er nicht zu zahlen, seine Anzeige wegen Körperverletzung im Amt jedoch wurde ohne Begründung schon vor Verhandlungsbeginn abgewiesen. Der zuständige Zugführer der Polizeieinheit pocht lapidar auf die Rechtmäßigkeit: "Wir müssen den Bürgern nicht erklären, warum sie kontrolliert werden." Der US-Amerikaner habe "einfach Pech gehabt", da er als Farbiger in das Täterbild passe: "Auf der Straße können wir keine Sozialarbeiter sein."

Was der gute Mann meint, versteht, wer die U-Bahnlinie 8 benutzt. Sie durchquert den Hermannplatz kreuzend Teile Kreuzbergs und Neuköllns und gilt als Umschlagplatz für Drogen, seit die Operativen Gruppen oberirdisch mit regelmäßigen Razzien und Überfallkommandos die Drogenszene zunächst von einem Ort zum anderen und sodann in die U-Bahnschächte getrieben haben. Die U8 ist damit der einzige mobile "gefährliche Ort" - allerdings nur ohne Polizei. Die nämlich stoppt ganze Züge, und 30 bis 50 Beamte treiben aus den Waggons alle jugendlichen Migranten. Mit erhobenen Armen und breit gespreizten Beinen müssen sie an den Wagenwänden stehen. Taschen- und Ausweiskontrollen folgen, wer keine Papiere bei sich hat oder sonst in Verdacht steht, muss auf die Wache oder wird direkt mit einer Hausdurchsuchung bedacht. Diese Praxis, ähnlich schon 1993 auf dem Breitscheidplatz vorexerziert, (1) wurde seinerzeit als "Apartheid am Breitscheidplatz" durch antirassistische Gruppen attackiert.

Versuche, das Instrument "gefährlicher Ort" mit Quartiersmanagement zu verbinden, werden gerade am Helmholtzplatz im Bezirk Prenzlauer Berg erprobt. (2) Dem staatlichen Credo folgend, dass gefälligst alle - auch die vielgerühmte Zivilgesellschaft - zusammen zu arbeiten und Netzwerke auszubilden hätten, ist der Helmholtzplatz nicht nur Quartiersmanagementgebiet, sondern zugleich auch ein "gefährlicher Ort". So ist hier auch die Polizei zentraler Akteur bei der Herstellung "sozialen Zusammenhalts" wie ihn sich die dort organisierte Mittelklasse vorstellt: Die etwa 50 Punks, Trinker und Obdachlose wurden im Rahmen einer als Platzverschönerung bezeichneten Sanierung vertrieben. Mit der Gestaltung des Platzes stellten Polizei und Ämter Regeln zur Benutzung auf, um das "Funktionieren des Stadtplatzes" zu gewährleisten. Vor allem das "Niederlassen zum Alkoholverzehr außerhalb zugelassener Schankflächen" (Berliner Straßengesetz § 11 Abs. 2) gilt als Problem. Der zuständige Dienstgruppenleiter der Polizeidirektion 7 hat angekündigt, zusätzliche Kräfte für diese Aufgabe freizustellen und z.T. stündliche Kontrollen auf dem Platz durchzuführen.

Gefährliches Quartiers- management

Auf Betreiben der "Sozialen Runde" - einer Koordinationsrunde der professionellen und administrativen Akteure auf dem Platz - soll zudem eine Stelle für einen sogenannten "Platzdienst" eingerichtet werden. Durch dessen ständige Präsenz und eine intensive Zusammenarbeit mit der Polizei wird eine "entlastende Wirkung" erwartet. Der verantwortliche Koordinator des Platzkonzeptes sieht in der "Entlastung des Platzes von der Gruppe" die Voraussetzung für eine integrative Sozialarbeit: "erst wenn positive Nutzungen störungsfrei auf dem Platz stattfinden können, können Versuche unternommen werden, die Personengruppe und ihr abweichendes Verhalten zu integrieren."

Ermöglicht die Festlegung von Orten als "gefährlich" das Vorgehen gegen Trinker, Obdachlose, Punks, Migranten oder andere als überflüssig gehandelte zu Gruppen stilisierte Menschen ohne lästige Bürgerrechtsbelastung, so bietet das Quartiersmanagement die Möglichkeit, diese Ausgrenzungsprozesse gleich noch als Gemeinwesenorientierung zu verkaufen. Berlin baut derzeit beide Instrumente aus - sie stehen als Arsenal getrennt (3) und als Kombipack weitgehend unhinterfragt zur Verfügung.

ve

Anmerkungen:

1) Vgl. Eick, V.: Die "Operative Gruppe City West". Polizeiarbeit auf Zuruf des Einzelhandels, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 51 (02/95).

2) Vgl. Holm, A.: "Behutsame Verdrängung" am Helmholtzplatz: Ausgrenzung im Aufwertungsgebiet. Trinker, Punks und Obdachlosen im Zangengriff von Polizei, Sozialarbeit und Quartiersmanagement, in: MieterEcho Nr. 286 (Juli/August 2001), Berlin.

3) Vgl. Eick, V.: Land unter in Neukölln? Die Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land spielt "Soziale Stadt", in: MieterEcho Nr. 285 (Mai/Juni 2001), Berlin.