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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 453 / 30.8.2001

Tod im Transit

Ein internationales Hearing zum Flughafenverfahren

Sitzfleisch haben die GrenzcamperInnen bereits auf dem mehrstündigen Eröffnungsplenum bewiesen. Am 3. August brachen sie aber alle Rekorde: Sieben Stunden lang lauschten, referierten und diskutierten die TeilnehmerInnen des Hearings "Tod im Transit - Menschenrechtsverletzungen an Flughäfen" in der Frankfurter Universität. Im Rahmen des antirassistischen Grenzcamps versammelten sich ExpertInnen, Betroffene und antirassistische AktivistInnen, um eine kritische Bilanz der mehrjährigen Erfahrungen mit Flughafenasylverfahren, Abschiebepraxis und Polizeigewalt gegen Flüchtlinge zu ziehen. Den 150 ZuhörerInnen bot das Hearing fundierte Informationen, unter die Haut gehende Betroffenenberichte und einen sonst oft vernachlässigten internationalen Austausch. Das Hearing war ein inhaltlicher Höhepunkt des antirassistischen Grenzcamps, auch wenn es wegen der kurzfristigen Kündigung durch die Fraport AG nicht wie geplant "in der Höhle des Löwen", im Airport Center des Flughafens, abgehalten werden konnte.

Zu Beginn des Hearings zogen die Moderatorinnen Regine Trenkle-Freund und Danielle Hermann vom Aktionsbündnis gegen Abschiebungen Rhein-Main eine Bilanz aus acht Jahren Flughafenverfahren, Internierungslager und Abschiebungen: BGS-Beamte wenden bei Abschiebungen nachweislich Gewalt an durch verbale Einschüchterungen, Stockschläge, Knebelungen, Klebeband, Motorradhelme und Ähnliches. Die Asyl-AnhörerInnen des Bundesamts prüfen wie der BGS vornehmlich den Fluchtweg, um eine Einreise möglichst zu verhindern. Die RichterInnen am Verwaltungsgericht hören in der Regel nicht persönlich an und übernehmen meist die Einschätzungen des Bundesamts. Das medizinische Abschiebebegleitpersonal und die Fluggesellschaften machen sich zu Handlangern der Abschiebemaschinerie. Seit der Regierungsübernahme durch Rot-Grün hat sich am Verfahren außer leichter Kosmetik nichts geändert. Im Gegenteil: Seit etwa einem Jahr laufen im Innenministerium Planungen für ein neues Internierungslager mit Abschiebetrakt innerhalb des Frankfurter Flughafens für 100 Gefangene.

Der juristische Umgang mit den Flüchtlingen im Internierungslager spottet rechtstaatlichen Grundsätzen. Rechtsanwalt Helmut Bäcker, der seit 1993 Flüchtlinge im Flughafenverfahren vertritt, zweifelt am juristischen Sinn dieses Sonderverfahrens, weil dem weitaus größten Teil der Flüchtlinge die Einreise gestattet werden müsste. Das in der deutschen Rechtskultur "noch einzigartige Verfahren" werde wegen seiner überaus kurzen Fristen zur reinen Schikane für die Flüchtlinge und deren AnwältInnen. Bäcker belegte anhand von länderspezifischen Daten des Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR), dass es im Flughafenverfahren zu einem weitaus größeren Anteil an Ablehnungen als "offensichtlich unbegründet" kommt als bei den anderen Asyl-Bundesämtern: "Dies zeigt, dass in diesem Verfahren ein anderer Maßstab in den Köpfen der Entscheider herangezogen wird", so Becker. Für diejenigen Flüchtlinge, die direkt aus dem Flughafenverfahren abgeschoben werden, hat das Verfahren noch einen besonderen verfassungswidrigen Hammer zu bieten: Das im Artikel 60, Abs.5 des Ausländergesetzes geregelte Abschiebehindernis bei Gefahr für Leib und Leben im Herkunftsland gilt im Flughafenverfahren nicht.

Wie es den Flüchtlingen ergeht, die vom BGS vom Flughafen oder aus der Abschiebehaft abgeschoben werden, referierte die Rechtsanwältin Susanne Rohfleisch. Die von ihr zusammengetragenen Fälle zeigen auf, warum der Grenzcampparole "Menschenjäger BGS" noch der Hinweis auf die körperverletzende und tödliche Gewalt fehlt: "Abschiebehäftlinge kommen zurück von der Abschiebung und sind mal mehr, mal weniger schwer verletzt. Es handelt sich unter anderem um Prellungen, Schädelprellungen, Hämatome und gebrochene Arme." Die misshandelten Flüchtlinge haben meist kein Geld, um sich juristisch verteidigen zu lassen, und: "Jeder Flüchtling, der eine Strafanzeige gegen BGS-Beamte stellt, hat automatisch eine Gegenanzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte." Dabei besonders perfide: Das Grenzschutzamt Frankfurt hat ein "Dezernat Verbrechensbekämpfung" eingerichtet, das in solchen Fällen im Auftrag der Staatsanwaltschaft ermittelt. Dort werden zwar die prügelnden Beamten und die Flüchtlinge vernommen, aber damit hört es auf. Es werden keine ärztlichen Gutachten in Auftrag gegeben, neutrale Zeugen werden abgelehnt und schließlich das Verfahren eingestellt. Der Korpsgeist lässt grüßen. Bislang wurde noch kein einziger BGS-Beamter wegen der Misshandlung eines Flüchtlings verurteilt. Abzuwarten bleibt zur Zeit allerdings die Aufklärung des Abschiebetods von Aamir Ageeb.

Hämatome und gebrochene Arme

In der Regel holen sich die BGS-ErmittlerInnen amtsärztliche Gutachten nicht von unabhängigen ÄrztInnen, sondern von KnastärztInnen in der Abschiebehaft. Diese seien, so die Rechtsanwältin, "gelinde ausgedrückt nicht besonders hilfreich". Ein solches ärztliches Berufsethos kritisierte Claus Metz von der internationalen Organisation Ärzte gegen Atomkrieg (IPPNW) vehement. Die beiden am Flughafen angestellten Abschiebegleitärzte würden vor allem dann hinzu gezogen, wenn das "BGS-Gewaltarsenal aus teils knochenbrechender oder hodenquetschender Schmerzzufügung und den variantenreichen Methoden der Atembehinderung oder Fesselung zur Abschiebungserzwingung nicht ausreichen", sagt Metz. Oft schauten die Ärzte der BGS-Gewalt nicht nur tatenlos zu, sondern leisteten "ärztliche Abschiebehilfe" durch Beruhigungstabletten oder -spritzen.

Wie sieht es im Innern des Frankfurter Internierungslagers aus? Die iranische Staatsbürgerin Fereshte Taie beschrieb das Transitlager, in dem sie fast drei Monate lebte, als eine Art Gefängnis: "Da wir in einem Sechsbettzimmer und einem Gemeinschaftsraum eingesperrt waren, kam eine sehr aggressive Stimmung auf. Bei den Frauen äußerte sich das vor allem in hysterischem Lachen oder Weinen. Ich war zu der Zeit im Transitlager, als Naimah Hadjar dort war. Ich habe ihre Schreie und Anfälle mitbekommen." Zum Alltag gehörte auch die permanente Furcht vor Abschiebungen und die täglichen Zähl-Appelle. "Es war immer am schlimmsten, wenn sich die Leute gegen die Abschiebung gewehrt haben, auch für die Kinder, die das mit ansehen mussten. Schlimm waren auch die regelmäßigen Zählungen. Morgens und abends wurden vom BGS alle durchgezählt."

Der algerische Staatsbürger Mokhda Dahmane ist ein Opfer von BGS-Gewaltexzessen bei mehrfachen Abschiebeversuchen. In einem Fall wurde er wie ein Paket am ganzen Körper zugeklebt und von vier BGS-Beamten in den Gepäckraum einer Lufthansa-Maschine getragen. Von Rom aus sollte er in einer Air-Algerie-Maschine abgeschoben werden. Die BGS-Beamten verboten ihm unter Androhung von Schlägen, zu sprechen: "Mir wurde gesagt, ich hätte keine Chance. Wenn ich versuchen sollte, mit Passagieren oder dem Piloten zu reden, dann würde es mir schlecht gehen. Die haben mir die Ohren zugedrückt. Ich konnte überhaupt nicht mehr reden und habe kaum Luft bekommen. Der Pilot hat sich geweigert, mich mitzunehmen. In Rom habe ich Schläge von italienischen Beamten bekommen. Als ich zurück war, haben mich die Deutschen geschlagen. Sie haben mich in einen Aufzug gesteckt, in dem keine Kamera war. Da drin haben sie mich geschlagen, das konnten andere Leute nicht sehen. Am Schluss haben sie mich in eine Einzelzelle gesteckt, dort habe ich wieder Schläge bekommen, meistens in den Rücken, in den Magen und auf die Schläfen."

Die Gewalt bei Abschiebungen ist international. Für augenauf, die zur Zeit größte antirassistische Organisation in der Schweiz, berichteten Michi Stegmaier und Yves Kramer über die dortigen Polizeiübergriffe gegen Flüchtlinge. Besonders perfide sind in der Schweiz die gewaltsamen Abschiebemethoden spezieller Anti-Terror-Einheiten der Grenzbehörden. Gängige Praxis sind Ganzkörperverschnürungen mit Klebeband. Einzige Verschlimmbesserung: Motorradhelme wurden durch Sparringshelme ersetzt, weil mit diesen die Erstickungsgefahr geringer sei.

Flughafenverfahren in Zürich und Paris

Auch die Schweiz hat, wen wundert es, ihre Abschiebetoten. Am 3. März 1999 erstickte der Algerier Khaled Abuzarifa am Flughafen Zürich-Klothen an Knebelung und der Verklebung des ganzen Körpers. Am 1. Mai 2001 wurde der Nigerianer Samson Chukwu von einer Antiterroreinheit im Wallis aus der Abschiebezelle geholt, überwältigt und zum Anlegen von Handschellen auf den Boden gedrückt. Als die Beamten von ihm abließen, war er tot. Diagnose wie bei Abuzarifa: "Plötzlicher Erstickungstod." In der Schweiz konzentriert sich die Abschiebepolitik auf den Flughafen Klothen. Seit einigen Monaten wird ein ausgeklügeltes gesamtschweizerisches Abschiebesystem entwickelt. Ein spezieller "jail train", betrieben von der Bahngesellschaft und dem größten privaten Sicherheitsunternehmen Securitas soll Abzuschiebende aus dem letzten Winkel der Schweiz nach Klothen bringen. Yves Kramer: "Der Flughafen Klothen ist Angelpunkt einer größeren Abschiebemaschinerie in der Schweiz, die laufend perfektioniert wird und die mehr und mehr industrielle Dimensionen annimmt." Im letzten Jahr wurden von Klothen aus 13.454 Abschiebungen vorgenommen. 1.950 Menschen ohne (gültige) Papiere sind im Transit angekommen. Insgesamt haben 600 einen Asylantrag gestellt, von denen nur hundert einen Rechtsbeistand erhielten, davon fünfzig von augenauf.

In Frankreich werden fast alle Asylanträge am Flughafen Paris-Roissy gestellt. "Zones d'attente" werden die Wartezonen im Transitbereich von Roissy genannt, in denen beispielsweise 1999 12.500 Asylsuchende unter Polizeischutz festgehalten wurden, davon 1.663 Minderjährige. Die meist überfüllte "Zone dattente" befand sich bis Anfang 2001 in zwei abgeschotteten Stockwerken des Hotel Ibize mit geschlossenen Fenstern, schmalen Gängen und permanenten Polizeikontrollen. Seitdem gibt es ein neues Gebäude mit dem Namen ZAPI 3. Ein kleiner Unterschied zu Deutschland und der Schweiz besteht darin, dass Einreisende ohne Papiere in Paris-Roissy höchstens vier Tage festgesetzt werden können. Wer einen Asylantrag stellt, wird einem Untersuchungsrichter vorgeführt, der innerhalb von vier Tagen entscheiden muss. Die Gewalt ist aber auch in Frankreich groß: Nur zufällig hatte ein Mitarbeiter des Außenministeriums beobachtet, wie eine junge kongolesische Frau von Polizeibeamten auf den Boden gestoßen und an den Haaren über den Flur gezogen wurde. Ein Polizist sprang auf ihre Beine, um ihr diese zu brechen. Es ist einer der wenigen Fälle, in denen es zu einer Anklage kam, und "nur die Spitze des Eisbergs", sagte Anne-Marie Parodie vom Comité Anti-Expulsion aus Paris. Die französischen GenossInnen zeigten sich hoch erfreut über den starken antirassistischen Widerstand in Frankfurt im Vergleich zu Paris. Dieser Eindruck dürfte aber auch durch die Sonnenbrille des Grenzcamps entstanden sein. Das Verhältnis zwischen Flüchtlingswiderstand und UnterstützerInnengruppen ist in Frankreich allerdings genau umgekehrt wie in Deutschland und der Schweiz. Dort wird der Widerstand gegen Abschiebungen hauptsächlich von Flüchtlingsorganisationen wie den Sans Papiers selbst getragen und findet Unterstützung durch Antirassismus-Gruppen wie dem Comité. In Deutschland und in der Schweiz ist der autonome Flüchtlingswiderstand weniger stark entwickelt. Alle vereint jedoch die bürokratische Kälte des Abschiebesystems und die nahezu identischen Gewaltmethoden der Abschiebepolizei.

Andreas Linder