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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 453 / 30.8.2001

Säen und Ernten

NATO moderiert die ethnische Spaltung Mazedoniens

Mit der Operation Essential Harvest (Wesentliche Ernte) hat nach dem SFOR-Einsatz in Bosnien und dem KFOR-Einsatz im Kosovo am 21. August die dritte NATOgeführte militärische Mission auf dem Balkan begonnen. Die Bundeswehr ist wie immer mit dabei. Was von den NATO-PolitikerInnen als eine kurzfristige friedensstiftende Feuerwehraktion zur Vermeidung eines Bürgerkriegs verkauft wird, droht die ethnische Spaltung Mazedoniens zu verfestigen und mittelfristig eine territoriale Neuordnung der gesamten Region zu befördern.

Wir werden die UCK nicht dazu zwingen, uns irgendwelche Waffen auszuliefern", vertraute General Gunnar Lange, Kommandeur des NATO-Einsatzes in Mazedonien, JournalistInnen an. "Nicht nur haben wir dazu kein Mandat, das wäre auch falsch", erklärte er am 16. August. (1) Damit widersprach der NATO-Kommandeur bereits vor Beginn der offiziell auf 30 Tage Dauer befristeten Waffenkollekte den Verlautbarungen der PolitikerInnen, die den Mazedonien-Einsatz mit der angeblich beabsichtigten Entwaffnung der albanischen Separatistentruppe UCK begründeten. Kein Zweifel: Sicher werden die UCK-Kämpfer mit symbolischen Gesten freiwillig einige Waffen aushändigen. Aber niemand glaubt ernsthaft, dass sich die UCK vollständig entwaffnen lässt. Etwa um dann, nach einem eventuellen Rückzug der NATO, unbewaffnet der mazedonischen Armee gegenüberzustehen? Selbst General Lange erklärt freimütig, in der Region gäbe es inzwischen so viele Waffen, dass die UCK keine Schwierigkeit haben dürfte, sich neu aufzurüsten, falls es an Kriegsmaterial fehle. (2)

Niemand weiß so recht, wie viel Waffen die UCK gebunkert hat. Nach eigenen Angaben möchte sie 2.300 freiwillig abliefern. Die NATO erwartet 3.000. Das mazedonische Innenministerium wiederum nennt die Zahl von 85.000 abzugebenden Waffen. Ob damit schwere Waffen wie Mörsergranatwerfer gemeint sind oder leichte Feuerwaffen, bleibt in den Verlautbarungen unklar. Viele der Waffen stammen aus den Beständen der kosovarischen UCK, die vor 1999 von den NATO-Staaten bewaffnet worden war. Erst säen, dann ernten, könnte die Devise des NATO-Einsatzes lauten.

Vieles deutet aber darauf hin, dass die Ernte eher spärlich ausfallen wird und die Entwaffnung ähnlich gehandhabt werden soll wie die "Demilitarisierung" der Kosovo-UCK nach dem Ende des NATO-Luftkrieges gegen Jugoslawien 1999. Auch damals wurde die Abgabe der Waffen versprochen. Während ein paar Gewehre eingesammelt wurden, wandelte sich der harte Kern der UCK aber unter KFOR- und UN-Kontrolle in das Kosovo-Schutz-Korps (KPC) um, das heute 5.000 Mitglieder und 2.000 Reservisten umfasst. Eigentlich soll es zum Katastrophenschutz eingesetzt werden. Tatsächlich bildet es aber unter dem Kommando des ehemaligen Kosovo-UCK-Generalstabschefs Agim Ceku den Nukleus einer künftigen Kosovo-Armee. Die meisten Waffen wurden niemals abgegeben, sondern gebunkert. KPC-Kommandeure und Mitglieder sind nach zahlreichen Berichten an führender Stelle beim Aufbau der mazedonischen UCK beteiligt. Gzim Ostreni beispielsweise, früher führender Offizier der kosovarischen UCK und nach deren offizieller Demobilisierung des KPC, ist heute Generalstabschef der mazedonischen UCK. (3)

Die in Mazedonien eingesetzten westlichen Vermittler betonen immer wieder, dass die NATO-Mission der Aufrechterhaltung der territorialen Einheit des Landes diene. In dem am 13.8.2001 unter US- und EU-Aufsicht ausgehandelten Friedensabkommen zwischen slawisch- und albanisch-mazedonischen Parteivertretern, das als eine Vorbedingung für die Truppenentsendung galt, heißt es: "Mazedoniens Souveränität und territoriale Integrität sowie der einheitliche Charakter des Staates sind unverletzbar und müssen erhalten bleiben. Es gibt keine territorialen Lösungen ethnischer Fragen." (4) Genauso wenig wie es realistisch scheint, die NATO wolle die UCK entwaffnen, dürfte dieses Vorhaben ernst gemeint sein. Diesen Eindruck vermitteln zumindest die konkreten Reformvorhaben, welche das Abkommen vorsieht, und der politische Kontext, in dem es ausgehandelt wurde.

NATO kommt,
um zu bleiben

Die UCK konnte durch die Offensive der vergangenen sechs Monate große Teile des nördlichen und westlichen Mazedoniens unter militärische Kontrolle bringen. Ihre Führer machen keinen Hehl daraus, dass sie die Ankunft der NATO-Truppen freudig erwarten. UCK-Chef Ali Ahmeti gibt sogar Pressekonferenzen mit NATO-Fahnen im Rücken. (5) Ihr Kalkül: Die 3.500 NATO-Soldaten werden in den von der UCK kontrollierten Gebieten stationiert, die mehrheitlich von AlbanerInnen bewohnt sind. Damit wird eine Demarkationslinie zwischen der UCK-kontrollierten Region und dem restlichen Mazedonien gezogen. Die mazedonische Armee wird in dieser Region keine militärischen Operationen mehr durchführen können, um den UCK-Einfluss zurückzudrängen, da die NATO dies verhindern wird, schließlich ist sie ja zur Vermeidung eines Bürgerkriegs einmarschiert. De facto entsteht so ein NATO-Protektorat, in dem die UCK zur lokalen Ordnungsmacht wird, ganz ähnlich wie im direkt angrenzenden Kosovo. Die Regierung in Skopje wird die Kontrolle über die Gebiete weitgehend aus den Händen verlieren.

Ohrid-Abkommen: Ethnifizierung
der Politik

Vor diesem Hintergrund erscheint das Abkommen von Ohrid vom 13.8.2001 in einem anderen Licht, als die vordergründigen Verpflichtungen auf den Erhalt des mazedonischen Staates suggerieren. Nach siebenwöchigem Verhandlungsmarathon war es dem EU-Gesandten François Leotard und dem US-Sonderbotschafter James Pardew gelungen, die Vertreter der slawisch-mazedonischen Parteien VMRO-DPMNE und SDSM unter Einsatz aller möglichen diplomatischen Druckmittel zur Unterschrift des Dokumentes zu zwingen, das die komplette Ethnifizierung der Politik in Mazedonien bedeutet. Die Vertreter der albanischen Parteien DPA und PDP unterschrieben selbstverständlich ebenfalls, nicht ohne vorher grünes Licht von UCK-Chef Ahmeti bekommen zu haben. Wesentliche Kernpunkte sind: In Gebieten mit mindestens 20 Prozent albanischer Bevölkerung wird das Albanische auf lokaler Ebene zur gleichberechtigten Staatssprache. In den öffentlichen Verwaltungen und Behörden werden die Jobs entsprechend der ethnischen Zusammensetzung der lokalen Bevölkerung verteilt. Das bedeutet unter anderem, dass etwa tausend neue albanische Polizisten eingestellt werden müssen, die hauptsächlich in albanischen Gebieten eingesetzt werden sollen. Der Annex C des Abkommens schreibt außerdem vor, dass die lokalen Selbstregierungen gestärkt werden sollen. Im Parlament benötigen alle Gesetzesvorhaben mit "kultureller oder sprachlicher Bedeutung" eine Zweidrittelmehrheit und mindestens 50 Prozent der Abgeordnetenstimmen der Vertreter der betroffenen ethnischen Minderheit. (6)

Das Ohrid-Abkommen muss innerhalb von 45 Tagen nach der Unterzeichnung, also spätestens bis zum 27.9., im Parlament von einer Zweidrittel-Mehrheit ratifiziert werden, um in Kraft zu treten. Eine Voraussetzung dafür ist die zuvor erfolgte UCK-Entwaffnung, erklären die slawisch-mazedonischen Politiker. Es darf also bezweifelt werden, dass es jemals zur Ratfizierung des Abkommens kommen wird. Nicht zuletzt deshalb, weil die slawisch-mazedonischen Politiker unter wachsenden Druck großer Teile der Bevölkerung geraten, die das Abkommen als den Beginn der Teilung des Landes betrachten. Auch führende VMRO-DPMNE-Politiker, wie Premierminister Georgievski und Parlamentspräsident Andov, machen aus ihrer Abneigung gegen das Abkommen keinen Hehl. Der Druck der westlichen Diplomatie auf eine Unterzeichnung des Abkommens hat zu einer Radikalisierung weiter Teile der slawisch-mazedonischen Bevölkerung geführt. In den mehrheitlich von slawischen MazedonierInnen bewohnten Gebieten werden die NATO-Truppen als Besatzungsmacht betrachtet. Keine sonderlich guten Bedingungen für eine "Friedensmission".

Während in den meisten westlichen Medien die Furcht der slawisch-mazedonischen Bevölkerung vor einer ethnischen Teilung des Landes als paranoid abgestempelt wird, sprechen die Vorgänge innerhalb der UCK-kontrollierten Gebiete eine andere Sprache. Seit Beginn der UCK-Offensive Anfang des Jahres mussten über 100.000 Menschen vor Kampfhandlungen fliehen. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks befinden sich davon 53.000 im Kosovo, 60.000 Menschen sind innerhalb Mazedoniens auf der Flucht. In verschiedenen Dörfern hat die UCK allem Anschein nach "ethnische Säuberungen" durchgeführt, berichten hunderte slawisch-mazedonische Flüchtlinge, die in die Hauptstadt Skopje oder andere Orte geflüchtet sind. (7) Die Befürchtung der slawischen MazedonierInnen ist, dass nach dem Abzug der Armee und dem Einmarsch der NATO in die mehrheitlich albanisch bewohnten Gebiete Ähnliches passieren könnte wie im Kosovo. Dort terrorisieren albanische NationalistInnen unter den Augen der KFOR seit 1999 alle Nicht-AlbanerInnen, von denen die meisten flüchten mussten. Bis heute haben die 200.000 serbischen Kosovo-Vertriebenen keine Chance auf eine Rückkehr und fristen zum großen Teil in Flüchtlingsunterkünften in Serbien ein tristes Leben.

Erntehelfer Bundeswehr

Diese Perspektive vor Augen macht verständlich, warum slawisch-mazedonische NationalistInnen zur Volksbewaffnung aufrufen und seit Monaten wachsende Zustimmung finden. Dabei mobilisieren sie die ohnehin starken anti-albanischen Ressentiments in der slawischen Bevölkerung. Falls die NATO-Truppen nach der 30-Tage-Frist tatsächlich wieder aus Mazedonien abziehen werden, wird das Land vor tieferen ethnischen Gräben stehen als jemals zuvor seit der Unabhängigkeitserklärung 1992. Doch allem Anschein nach kommen die NATO-Truppen, um zu bleiben. Das verlautbaren hohe NATO-Offiziere bereits jetzt. (8)

Im Kontext der gesamten Situation auf dem Balkan deutet der NATO-Einsatz in Mazedonien darauf hin, dass der Weg zur territorialen Neuordnung entlang ethnischer Grenzen weiter beschritten wird. Eine Teilung Mazedoniens würde die Auflösungstendenzen des jugoslawischen Reststaates beschleunigen. Sowohl in Montenegro als auch im Kosovo würden die sezessionistischen Kräfte weiter Auftrieb erhalten, zumal der Machtkampf zwischen dem noch-jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica und dem serbischen Premier Zoran Djindjic den Bestand der ohnehin fast nur noch formal bestehenden Föderation, die Serbien, Montenegro und Kosovo vereint, endgültig auf das Spiel setzt. Neue Unabhängigkeitsproklamationen wiederum würden die Grundfesten Bosnien-Herzegovinas erschüttern. Hier offenbart sich das Scheitern des Dayton-Abkommens von 1995 immer deutlicher. Auch sechs Jahre nach dem Ende des Krieges ist das Land ethnisch und politisch in einen kroatischen, serbischen und muslimischen Teil gespalten. Sowohl auf kroatischer als auch auf serbischer Seite wachsen die Kräfte, welche eine Angliederung an das jeweilige "Mutterland" fordern.

Bei Redaktionsschluss (24.8.) hatte der Bundestag noch nicht über den Mazedonien-Einsatz beschlossen. Deutlich ist aber in jedem Fall, dass die Mazedonien-Mission zur weiteren Militarisierung der Außenpolitik genutzt wird. 500 Bundeswehr-Soldaten, darunter 300 von der neuen Division Spezielle Operationen (DSO) aus Regensburg und den Kommando-Spezialkräften (KSK) aus Calw, sollen die NATO-Truppe verstärken. Trotz erheblicher Bedenken aus allen Bundestagsfraktionen stand für die Schröder/Fischer-Regierung eine Beteiligung an Essential Harvest nie in Frage. Auch ohne Parlamentsbeschluss stimmte der deutsche Botschafter bei der NATO dem Einsatz am 22.8. zu. Die unklaren Mehrheitsverhältnisse im Bundestag nutzend, machten die CDU-Außenpolitiker Wolfgang Schäuble und Karl Lamers gleich den Vorschlag, das Parlamentsvotum gänzlich abzuschaffen. Dem Spiegel sagte Lamers: "Der Parlamentsvorbehalt beeinträchtigt die Handlungsfähigkeit unseres Landes ... Die operative Leitung militärischer Einsätze muss Sache der Regierung und der Bundeswehr sein." (9) Bei Außenminister Fischer und Bundeskanzler Schröder stößt der Vorschlag auf Zustimmung.

Boris Kanzleiter, 24.8.2001

Anmerkungen:

(1) taz, 17.8.2001

(2) Reuters, 22.8.2001

(3) Dnevnik, 17.8.2001; Süddeutsche Zeitung 1.8.2001

(4) www.president.gov.mk

(5) Balkan Report 273, 21.8.2001

(6) www.president.gov.mk; ICG Balkans Briefing Paper, 15.8.2001: Macedonia War on Hold.

(7) www.realitymacedonia.org.mk/; Neue Züricher Zeitung, 22.8.2001

(8) taz, 23.8.2001

(9) Spiegel, 20.8.2001