Der Haider von der Elbe
Richter Schill mischt die Hamburger Polit-Landschaft auf
Die Faszination des Schreckens hat einen Namen: Roland Barnabas Schill. Der Mann ist Amtsrichter und kandidiert bei den nächsten Hamburger Bürgerschaftswahlen. Und inzwischen gilt sein Einzug ins Parlament als sicher. Zwischen zehn und zwölf Prozent der Stimmen werden dem "Richter Gnadenlos" und seiner "Schill-Partei" in den Umfragen zur Zeit zugetraut.
Roland Schill bringt die Hamburger Verhältnisse zum Tanzen. In einer Mischung aus Faszination und Panik schauen Medien und politische Beobachter auf das Phänomen Schill, nämlich dass ein offenkundiger politischer Scharlatan mit ausgeprägt neurotischen Zügen aus dem Stand zum politischen Hoffnungsträger für viele Menschen in dieser Stadt werden kann. Schill hat sich in den letzten Jahren vor allem als Strafrichter mit haarsträubenden bis skurrilen Urteilen einen Namen gemacht. Seine Entscheidungen wurden in schöner Regelmäßigkeit von den höheren Instanzen kassiert. Nichtsdestotrotz waren sie Schills Eintrittskarte für die Medien. Nun will er nichts Geringeres als Innensenator werden, in einer Koalition mit der CDU oder einem "Bürgerblock" mit CDU und FDP.
"Richter Gnadenlos"
Nach politischen Kriterien ist Schill ein Rechtspopulist, seine Welt ist die eines autoritären Polizei- und Obrigkeitsstaates. Die Bekämpfung von "Subversion" und von "subversiven Kräften", der Schutz einer imaginären "Gemeinschaft", die rigorose Unterordnung von Minderheiten, ihren Interessen und ihren Rechten unter die allgewaltigen Normen einer "Allgemeinheit", die ständige Betonung von Repression, die Beschimpfung und Verächtlichmachung von Liberalität in der Sozialpolitik, der Kriminalpolitik, der Kinder- und Jugendpolitik - dies alles zieht sich wie ein roter Faden durch das Programm der Schill-Partei.
Bereits die Präambel des Parteiprogramms bringt das "besondere Anliegen" der Schill-Partei auf den Punkt: "Der Schutz der Gemeinschaft vor kriminellen und/oder subversiven sowie autonomen Kräften". Der "Schutz der Gemeinschaft" genießt auch "Vorrang vor dem Gedanken der Resozialisierung". Das Recht auf Asyl soll aus der Verfassung gestrichen werden und "subversive Kräfte ... und sonstige gewaltbereite Kriminelle müssen die gesamte Härte der staatliche Organe spüren". Schill will das "Kartell strafunwilliger Jugendrichter" auflösen, "geschlossene Heime für den harten Kern von Intensivgewalttätern unter Kindern und Jugendlichen" ebenso einführen wie "unwirtliche Einzelzellen, Abschiebungen, Sanktionen gegen Eltern, Anhebung der Höchststrafe für Jugendliche und die Herabsetzung der Strafmündigkeit. Zum Schillschen Repertoire gehören auch der Brechmitteleinsatz gegen vermeintliche Drogendealer, die Verpachtung und damit Privatisierung öffentlicher Räume, die umfassende Überwachung aller "Verbrecher" in einer Gen-Datei, die drakonische Verschärfung des Strafvollzuges und die Einschränkung der Rechte von Gefangenen.
Über die Hälfte des Parteiprogrammes beschäftigt sich mit Kriminalitätsbekämpfung. Zweifellos ist Schill ein Demagoge. Auf alle Problemlagen hat er eine simple Antworten parat: (Polizei-)Knüppel aus dem Sack. Schill reduziert Politik und Gesellschaft auf ein einfaches Begriffspaar: Law and Order. Dabei ist er gänzlich unverfroren. Er macht sich nicht den Hauch irgendeiner Mühe, zu gesellschaftlichen Problemen irgendwelche programmatischen Aussagen zu treffen. Polizei, Knast, Repression ist ihm Programm genug.
Roland Barnabas Schill ist kein Faschist, und seine Partei ist keine Neonazi-Truppe. Es gibt eindeutige und auch glaubhafte Unvereinbarkeitsbeschlüsse gegenüber NPD, DVU oder Republikanern. Schill fordert nicht "Ausländer raus!" oder "Arbeitsplätze zuerst für Deutsche". Nein, genau wie die Süssmuth-Kommission und die große Allianz der Einwanderungsfreunde findet auch Schill, dass die braven, fleißigen und nützlichen MigrantInnen natürlich hier bleiben dürfen. Rigoros vertreiben will er die "Unnützen", die Flüchtlinge, "Scheinasylanten" und "kriminellen Ausländer".
And the winner is - Schill
Schill bedient die Stammtische der "ganz normalen Deutschen". Und er bedient eine in Hamburg weit verbreitete Unzufriedenheit mit sozialdemokratischer Selbstgefälligkeit und Filzokratie. Schill verspricht glaubhaft "frischen Wind" und "reinen Tisch". Es ist die Kombination von rechtspopulistischen Inhalten und "jugendlichem Tatendrang gegen verkrustete Strukturen", die alle Parteien der Mitte vor Schill erzittern lassen. CDU, SPD und Grüne - Schill treibt sie alle vor sich her. Er diktiert nicht nur das Thema des Wahlkampfes. Er diktiert auch, wie es besprochen wird. Und er diktiert die Richtung, in die "Lösungen" nur noch diskutiert werden können bzw. dürfen. Egal, wie erfolgreich Schill also am 23. September tatsächlich sein wird: Er prägt das Klima in Hamburg schon jetzt und in Zukunft. Er steht für einen politischen und klimatischen Rechtsruck, der CDU, SPD und Grüne auf breiter Front miterfasst hat.
Das grundsätzliche Problem der "Neuen Mitte" ist, dass sie sich das autoritäre Gemeinschaftsdenken, das Schill so vehement bedient, selbst ein gutes Stück weit zur Norm gemacht hat. Der neu-sozialdemokratische "aktivierende Staat" ist ein Staat, der die Rechte von Individuen systematisch gegenüber den so genannten Gemeinschaftspflichten negiert. Gerade die Rechte von Schwachen, Minderheiten, von Jugendlichen, Erwerbslosen, SozialhilfeempfängerInnen, Marginalisierten, MigrantInnen, Flüchtlingen - einschließlich ihres Anspruchs auf gesellschaftliche Solidarität - gelten nur dann, wenn sie vorher "verdient" worden sind - durch Wohlverhalten, durch "Nützlichkeit", durch Arbeitswilligkeit Gerade in dem Maß, wie die "Neue Mitte" die sozialen Grundrechte und Freiheitsansprüche von Individuen denunziert und ihre angebliche Pflichterfüllung gegenüber der "Gemeinschaft" betont, hat sie jede klare Scheidelinie zu Rechtspopulisten wie Schill aufgeweicht.
dk