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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 455 / 25.10.2001

In Sachen Frieden macht der PDS niemand etwas vor

Dresdener Parteitag diente vor allem dem Parteifrieden

Am Ende des Kuschelparteitags stand der große Krach: Parteichefin Gabi Zimmer entließ ihren Pressesprecher. Hanno Harnisch habe interne Informationen über Zimmer an den Spiegel weitergegeben. Tenor des Artikels: Die Parteivorsitzende sei ideenlos und ohne Durchsetzungskraft; selbst die eigenen Leute versuchten, sie vor der Öffentlichkeit zu verstecken. Zu Zimmers Kündigung mag auch beigetragen haben, dass Harnisch während ihrer zweistündigen Parteitagsrede am Samstag in einen tiefen Mittagsschlaf versank.

Und zwar zu Recht. In die Geschichte der zahlreichen langweiligen PDS-Parteitage wird Dresden als einer der langweiligsten eingehen. Im Frühjahr hatten die GenossInnen die Debatte um ein neues Programm für den Parteitag angesetzt, doch dann machten ihnen die Berliner Neuwahlen - zwei Wochen nach Dresden - einen Strich durch die Rechnung. Die zu erwartenden Kontroversen mussten vermieden werden. Kaum waren die Formelkompromisse gefunden, um die Programmdebatte ohne großen Streit zu vertagen, kam der 11. September. "Seitdem herrscht in der Parteiführung eine Stimmung, als seien die Flugzeuge ins Karl-Liebknecht-Haus gestürzt", ist aus der PDS zu erfahren.

Die Parteispitze befürchtete nun eine Auseinandersetzung wie auf dem Parteitag in Münster 2000, als sie bewaffnete Einsätze unter UNO-Kommando befürwortete und erstmals in einer entscheidenden Frage unterlag. Gysi kündigte daraufhin resigniert seinen Rücktritt als Fraktionsvorsitzender an, der Hamburger Sektiererflügel klatschte begeistert - der erste Parteitag im Westen, mit dem die Parteiführung ihr Ankommen in der westlichen Demokratie signalisieren wollte, war grandios gescheitert. Eine Wiederholung solcher Bilder, zwei Wochen vor der Berlin-Wahl, wäre ein Desaster für die Spitzenkandidatur von Gregor Gysi geworden.

So wurde Dresden zum Friedensparteitag, der vor allem dem Parteifrieden diente. Friedensbarden sangen, blaue Luftballons mit Friedenstauben stiegen nach oben, "Frieden!" stand auf dem Leittransparent hinter der Bühne und selbst Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, einer der Befürworter des UNO-Kampfeinsatz-Antrages von Münster, trat den Gang nach Canossa an: "Ich bin froh, dass sich unser Parteitag klar positioniert hat: Die PDS ist und bleibt die Friedenspartei in Deutschland." Die Militäreinsätze der USA gegen Bin Laden lehnte der Parteitag ohne Wenn und Aber ab.

Die PDS bietet derzeit ein merkwürdiges Bild: In Mecklenburg-Vorpommern hat die Partei erste Skandale zu überstehen, die Zweifel am moralischen Fundament ihrer Funktionäre nahe legen. In Berlin propagiert sie eine harte Konsolidierungspolitik. Der Brie/Brie/Klein-Entwurf für das neue Parteiprogramm enthält Vorstellungen der Neuen Mitte. Und in der Innenpolitik übernimmt die PDS unter dem Schock der Hamburg-Wahl erstmals Momente autoritärer Sicherheitspolitik. Gysi forderte den verstärkten Einsatz von Polizei in öffentlichen Verkehrsmitteln, um das Sicherheitsbedürfnis der BürgerInnen zu befriedigen. All diese Veränderungen vollziehen sich ohne parteiinterne Debatte. Nur die Außenpolitik ist zum letzten Hort des "linken Fundamentalismus" geworden.

Außenpolitik: Hort des "linken Fundamentalismus"

Dabei sorgt nicht die Ablehnung der US-Militäreinsätze gegen Afghanistan für Befremden, sondern die parteiliche Geschlossenheit. Der 11. September hat ebenso wie zuvor die Konflikte in Ex-Jugoslawien überall in der Linken zu Debatten über Ursachen und mögliche Lösungswege geführt. Wie können die Täter dingfest gemacht und ihre Netzwerke zerschlagen werden? Hilft eine gerechte Weltwirtschaftsordnung, um al-Qaida den Boden zu entziehen, oder hat sich die islamistische Ideologie in breiten Bevölkerungsschichten längst verselbstständigt und mit erlittener Armut nur noch vermittelt zu tun? Handelt die USA in Afghanistan aus ökonomischen Interessen oder tatsächlich, um den Terror zu bekämpfen? In der PDS aber gibt es scheinbar keinen Diskussionsbedarf - und weil es keine Fragen gibt, sind auch die Antworten dürftig: Mit ihrer Selbststilisierung als einzige "Anti-Kriegs-Partei" hat die PDS einen Bruch mit ihrer Geschichte vollzogen, für den sie bis heute keine stichhaltige Begründung zu geben vermag. Wenn kollektive Sicherheitsstrukturen, auch die der UNO, wie es in Dresden erneut beschlossen wurde, nur nicht-militärischer Art sein dürfen - wie beurteilt die PDS dann heute beispielsweise den Beistandspakt Frankreichs und Großbritanniens mit Polen anno 1939? Es ist ein geborgter Pazifismus, der die Partei eint und der im Grunde nichts anderes als eine Anti-NATO- und Anti-Bundeswehr-Position darstellt.

Die außenpolitische Lage ist seit 1989 etwas kompliziert geworden - zu kompliziert für die PDS. Natürlich ist es richtig, dass sich "die NATO anmaßt, die Rolle einer globalen Ordnungsmacht zu spielen", wie es in einem Beschluss des Parteitags heißt. Richtig ist aber auch, dass seit 1989 die Zahl ethnischer und anderer Konflikte, die auf dem Rücken der Zivilbevölkerung ausgetragen werden, zugenommen hat. Eine linke Partei kommt nicht umhin, eine Strategie zu entwickeln, wie die Zivilbevölkerung geschützt werden kann. Die Parteispitze hatte in Münster mit dem Antrag, Militäreinsätze unter UNO-Kommando zuzulassen, einen Ausweg aus diesem Dilemma zu formulieren versucht. Demnach wären UNO-Einsätze zur Friedenserzwingung wie in Haiti nach Kapitel VII der UN-Charta legitim. In Ruanda hätte die PDS demnach die USA und Frankreich sogar drängen müssen, ihre UN-Truppen gegen den Völkermord einzusetzen, statt das Land aus fehlendem strategischen Interesse sich selbst zu überlassen.

Einzig Gregor Gysi wagte auf dem Dresdener Parteitag noch einen Vorstoß: Ein Kommandounternehmen "so wie damals zur Ergreifung von Adolf Eichmann" sei legitimiert, die Täter vom 11. September festzunehmen und vor einen internationalen Gerichtshof zu stellen. "Durchgeführt werden müsste die Aktion zwar vom Militär, aber vom Charakter her wäre es eine polizeiliche Aktion", so Gysi. Unbeteiligte dürften dabei nicht gefährdet werden. Den Realitätsgehalt dieser Vorstellungen kann man sicher diskutieren - schließlich handelt sich vermutlich nicht um Einzeltäter, sondern um eine Terrororganisation, bei der mit der Verhaftung einzelner Beschuldigter noch nicht viel gewonnen sein dürfte.

Befreiungsschläge der Parteiführung

Vielleicht aber ist es eine unrealistische Erwartungshaltung an die PDS-Führung, solche Fragen offen zu debattieren, solange in Teilen der Partei der Glaube herrscht, der Zweck heilige die Mittel und Menschenrechte seien ein bloßer Propagandatrick des Westens. So rief ein PDS-Mitglied, ein durchaus angesehener Direktkandidat für das Berliner Abgeordnetenhaus, am 11. September seine Bekannten an und berichtete mit freudig erregtem Unterton, die "Kathedralen des Spätkapitalismus" würden brennen. Offensichtlich steht die PDS-Führung vor jeder politischen Debatte noch immer vor der Aufgabe, ihren Mitgliedern ein gewisses zivilisatorisches Grundverständnis beizubringen: Man schießt nicht auf Menschen, bloß weil sie über eine Staatsgrenze wechseln wollen, und man tötet keine Zivilisten, bloß weil sie am falschen Tag im falschen Flugzeug oder in einem symbolisch wichtigen Gebäude sitzen. Gysis Satz in Dresden, für die Linke sei das "erste Menschenrecht das Recht auf Leben" zielt daher zuallererst auf die Mitglieder der eigenen Partei. Es dürfte noch lange dauern, bis ein solches Denken bei der PDS-Basis in die emotionale Tiefenstruktur eingedrungen ist.

Die Linke und eine Basis, die nicht diskutieren will

Die eigentliche Auseinandersetzung über den außenpolitischen Kurs wird die PDS, so steht zu befürchten, vertagen, bis sich auf bundespolitischer Ebene die Koalitionsfrage stellt. Dann aber werden sich taktische Notwendigkeiten mit der Suche nach einer richtigen PDS-Position unrettbar vermischen und wie schon bei den Grünen den Eindruck hinterlassen, es handele sich bei den Änderungen der Parteilinie um reinen Opportunismus.

Die Parteilinke, so hat sich in Dresden gezeigt, wird diesen Prozess nicht aufhalten können. Und zwar nicht nur, weil sie ihren inhaltlichen Schwerpunkt in der bedingungslosen Ablehnung jeglicher Militäreinsätze sieht - eine Position, die perspektivisch auf Grund ihres Dogmatismus nicht zu halten sein wird - sondern auch, weil ihre Vorgehensweise entweder zur Isolierung oder zur mangelnden Wahrnehmung führen muss.

Winfried Wolf, der in Dresden einen Alternativentwurf zum Brie/Brie/Klein-Entwurf der Parteiführung vorlegte, ist vielleicht der einzige Trotzkist in der PDS, der bei der Taktikschulung nicht aufgepasst hat - und deshalb ein Bündnis mit Vertretern der Kommunistischen Plattform und Teilen des noch sektierischeren Hamburger Landesverbandes eingegangen ist. Innerparteilich gelten sie als das Musterbeispiel einer rechthaberischen und missratenen Westlinken, deren Konfrontationspolitik mit der Parteiführung dem Harmoniebedürfnis vieler Ostmitglieder widerspricht. In Dresden kam die Retourkutsche der Parteiführung. Wolf und die HamburgerInnen wurden zum Sündenbock - wenn die Parteispitze Positionen der Basis attackieren wollte, griff sie stellvertretend Wolf und die HamburgerInnen an. Sogar Gabi Zimmer nutzte deren Isolierung zum Befreiungsschlag. Die Parteichefin beschuldigte Wolf, er habe eine merkwürdige Vorstellung von "Ostweibern", weil er sich nicht vorstellen könne, dass sie sich ihre Positionen selbst erarbeitet habe und nicht die Meinung einer hinter ihr stehenden Männerriege vertrete. Wolfs Programmentwurf fiel, wie zu erwarten war, durch. Der Parteitag beschloss, den von Gabi Zimmer im Frühjahr vorgestellten Brie/Brie/Klein-Entwurf zur weiteren "Diskussionsgrundlage" zu machen. Das überarbeitete Programm soll nun 2003 beschlossen werden, so dass der PDS im Wahljahr 2002 eine quälende Debatte erspart bleibt.

Im Gegensatz zur Konfrontationspolitik der Wolf-Fraktion steht das überaus vorsichtige Taktieren der Strömung um Bundestagsabgeordnete wie Uwe Hiksch und Ulla Lötzer, die sich erstmals anlässlich der Programmdebatte zusammenfanden. Obwohl sie dem vorgelegten Brie/Brie/Klein-Entwurf ablehnend gegenüberstehen, ließen sie sich in Dresden in einen Formelkompromiss einbinden, wonach der Entwurf zukünftig alleinige "Arbeitsgrundlage" sein soll. Das Vorgehen erinnert an SPD und Grüne, wo solche Kompromisse heute schon gang und gäbe sind. Der verbliebenen Parteilinken bereitet solches Parteichinesisch das Gefühl, irgendwie eingebunden zu sein, während die Führung ungehindert weiterarbeiten darf. Man muss der Strömung allerdings zu Gute halten, dass sie sich noch im Findungsprozess befindet und es zudem mit einer autoritätshörigen Partei zu tun hat - einer Basis, die sichtlich nach einem "guten Vorsitzenden" sucht und deshalb gerne auf inhaltliche Debatten verzichtet.

Wer aber nach Vorsitzenden Ausschau hält, tut sich mit Basisbewegungen schwer: In dem Dresdener Beschluss heißt es auch, die PDS werde ihre außerparlamentarische Arbeit aktivieren, damit dem Regierungswechsel 1998 endlich der Politikwechsel folge. "Die PDS wendet sich mit Konsequenz der Problematik ,Anti-Globalisierungs-Bewegung zu", heißt es weiter. Das könnte man bloß für missglücktes Deutsch halten, es drückt aber recht genau das gespaltene Verhältnis der PDS zu den GlobalisierungskritikerInnen aus. So bestellte die PDS im Juli einen bereits georderten Bus für Genua wieder ab - offenkundig aus Angst, nach Göteborg und vor der Berliner Abgeordnetenhauswahl mit Krawall in Verbindung gebracht zu werden. In Genua selbst war von Seiten der PDS nur eine Hand voll Offizielle zu sehen. Die Basis wurde stattdessen in wochenlangen Anzeigenkampagnen in der taz und anderen Medien mobilisiert, zum Sommerfest der portugiesischen KP zu fahren. Nun ist, Bin Laden sei Dank, der Globalisierungsprotest wieder von der Tagesordnung gedrängt - die Friedensfrage steht auf dem Programm. Und in Sachen "Frieden" macht der PDS ja niemand etwas vor.

M.R.