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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 455 / 25.10.2001

Bundeswehr in Führung

In Mazedonien ist Deutschland lead-nation

Die neue weltpolitische Konstellation nach Attentaten in den USA am 11. September verändert auch die Situation auf dem Balkan. Nach dem Ende des Nato-Einsatzes Essential Harvest (Notwendige Ernte), in dem bis zum 26. September über 4.000 UCK-Waffen eingesammelt wurden, läuft nun die Anschlussmission Amber Fox (Bernstein Fuchs). Die Bundeswehr stellt mit Brigadegeneral Heinz-Georg Keerl den Oberbefehlshaber der rund 800 Nato-Soldaten, von denen 450 aus Deutschland kommen. Frankreich, Italien und Polen stellen weitere größere Kontingente.

Deutschland darf so zum ersten Mal seit Bestehen der Nato einen Einsatz des westlichen Bündnisses führen. Gleichzeitig kündigte die US-Administration an, ihr Engagement in der Region zu verringern und Truppen in Richtung Afghanistan abzuziehen. An Amber Fox beteiligen sich weder US-Soldaten noch Truppen aus Großbritannien. Offizielle Hauptaufgabe des neuen Nato-Einsatzes ist der Schutz der insgesamt 284 zivilen BeobachterInnen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der Europäischen Union, die in den nächsten Monaten die Umsetzung des Abkommens von Ohrid beobachten sollen. In diesem hat sich die mazedonische Regierung im August nach langwierigen Verhandlungen auf eine Besserstellung der albanischen Minderheit verpflichtet. Besonderes Augenmerk sollen die "Monitore" auch auf das Verhalten albanischer Rebellen und mazedonischer Sicherheitskräfte richten. Außerdem sollen sie eine Rückkehr der mehreren zehntausend Flüchtlinge in ihre Dörfer gewährleisten. Von dort waren diese entweder vertrieben worden oder vor den Kämpfen geflohen. Durch "Vertrauensbildung" soll ein Wiederaufflammen von Gefechten zwischen den Konfliktparteien verhindert werden.

Um all das gewährleisten zu können, ist Amber Fox gegenüber Essential Harvest mit einem "robusteren" Mandat ausgestattet. Konkret heißt dies, dass die Nato-Soldaten nicht nur sich selbst, sondern jeden "schützen" dürfen. Bundesaußenminister Fischer sprach sogar von einer "ausgesprochenen Nothilfepflicht" im Falle "schwerer Menschenrechtsverletzungen". Zunächst dürfen die deutschen Bernsteinfüchse drei Monate durch Mazedonien pirschen und dabei 76 Millionen DM ausgeben, welche das Bundesfinanzministerium außerplanmäßig bewilligte. Dann wird über eine Verlängerung des Mandats verhandelt, das der UN-Sicherheitsrat bereits vorgesehen hat.

Während der neue Nato-Einsatz in Mazedonien für heftige politische Kontroversen sorgt, scheint die Mission in Deutschland auf eine fast ungeteilte Zustimmung zu stoßen. Weder in der Presse noch im Parlament löste die erste von Deutschland geführte Nato-Militärmission größere Kontroversen aus; dabei handelt es sich um eine außenpolitische Zäsur. Bei der Bundestagsabstimmung am 27. September erzielten Kanzler Gerhard Schröder und Außenminister Josef Fischer ein Traumergebnis: 528 Abgeordnete stimmten für Amber Fox, nur 40 votieren dagegen, zehn Abgeordnete enthielten sich der Stimme. Während die Bundesregierung bei der Abstimmung über Essential Harvest im Sommer noch erhebliche Widerstände in den eigenen Reihen zu bekämpfen hatte, stimmten nun 17 der 19 SPD-Abgeordnete, die vier Wochen zuvor nein gesagt hatten, zu. Zwei enthielten sich. Auch fünf Grüne, darunter der Berliner Abgeordnete Hans Christian Ströbele, Wortführer der kriegskritischen Gruppe der Partei, enthielten sich. Die PDS bleibt bei ihrer Ablehnung von Mazedonieneinsätzen der Bundeswehr.

Militarisierung der Außenpolitik

Verschiedene Faktoren scheinen den Konsens hergestellt zu haben. Zum einen haben die Anschläge vom 11. Septembers nachdrücklich die Militarisierung der Außenpolitik befördert. Schröders Rede vor dem Bundestag am 11. Oktober, einen Tag nach seiner Rückkehr von der Schadensbesichtigung in New York, macht dies überdeutlich. Nach der Erlangung seiner vollen Souveränität durch die Wiedervereinigung habe sich Deutschland "in neuer Weise" seiner internationalen Verantwortung zu stellen, fordert der Kanzler. Die Etappe, in der Deutschland lediglich strukturelle und finanzielle Hilfe für Militäreinsätze der Bündnispartner stellt, sei unwiederbringlich vorbei, jetzt stünden auch vermehrt militärische Einsätze auf der Tagesordnung. "Die Bereitschaft, unserer größer gewordenen Verantwortung für die internationale Sicherheit gerecht zu werden, bedeutet auch ein neues Selbstverständnis deutscher Außenpolitik", stellt so der Kanzler den Wendepunkt klar.

Ein zweiter Faktor für die im Vergleich zu Essential Harvest größere Akzeptanz von Amber Fox ist wohl der Beschluss des Uno-Sicherheitsrates vom 26. September. In der Resolution 1371 billigte das Gremium die Mission. Abgeordneter Ströbele sieht darin einen "sehr deutlichen Fortschritt". Wolfgang Gehrcke, außenpolitischer Sprecher der PDS-Fraktion, kritisiert dagegen, dass Amber Fox eben doch ein Nato-Einsatz bleibe, wenn auch mit UN-Mandat. Dadurch sei die Chance vergeben worden, die Nachfolgemission als klassischen Peace-keeping-Einsatz der UN zu organisieren. Dies hätte die Integration von Truppen aus Nicht-Nato-Staaten ermöglicht.

"Der Westen misst mit zweierlei Maß"

Während in Deutschland also weitgehend der Schulterschluss hinter der Bundeswehr geübt wird und die Anti-Kriegsbewegung mit der Eskalationsspirale um den Afghanistan-Konflikt beschäftigt ist, stößt die Nato-Mission in Mazedonien auf nachhaltige Widerstände. Eigentlich wollte die Nato bis zu 2.000 Soldaten stationieren mit einem sechs bis neun Monate währenden Mandat. Erst nach zähen Verhandlungen konnte die mazedonische Regierung Amber Fox auf die nun festgelegte Stärke und Dauer halbieren. Seit Beginn der bewaffneten UCK-Operationen im Februar und insbesondere seitdem Nato und EU sich im Konflikt teilweise offen auf Seiten der albanischen Nationalisten positionierten, wachsen anti-westliche Stimmungen unter der slawischen Bevölkerungsmehrheit.

Nur unter dem vielfältigen und konstanten Druck durch die EU- und US-Unterhändler unterschrieben die Vertreter der größten slawisch-mazedonischen Partei, der Regierungspartei VMRO-DPMNE, am 13. August das Rahmenabkommen über eine Besserstellung der albanischen Minderheit. Kernpunkte sind die Anerkennung des Albanischen als zweite offizielle Amtssprache. Lokalverwaltungen werden mehr Kompetenzen eingeräumt. Bei Gesetzen, die Fragen der Kultur und der Finanzierung der lokalen Selbstverwaltung berühren, muss dem Abkommen entsprechend nicht mehr nur die Mehrheit aller ParlamentarierInnen zustimmen, sondern auch die Mehrheit der Abgeordneten jeder ethnischen Gruppe. Weiterhin soll sich bis 2004 die ethnische Zusammensetzung der Polizeieinheiten nach dem Bevölkerungsproporz richten. Konkret heißt dies die Einstellung von etwa tausend albanischen PolizistInnen.

Besonders sensibel ist die geplante Veränderung der Verfassungspräambel. In ihr soll nicht mehr vom "Nationalstaat der Mazedonier" die Rede sein, sondern lediglich von einem Staat der "Bürger der Republik Mazedonien". Dies stellt einen Affront für die mazedonische Nationalbewegung dar, die die Existenz einer "mazedonischen Nation" gegenüber bulgarischen und serbischen Nationalisten mühsam legitimieren muss. Schließlich behaupten diese, dass es eine mazedonische Nation gar nicht gebe, und sehen in den MazedonierInnen wahlweise eigentlich BulgarInnen oder SerbInnen. Griechenland wollte das Land bei der Staatsgründung 1991 ebenfalls nicht anerkennen, weil es in Griechenland bereits eine Region mit gleichem Namen gibt. Und albanische Nationalisten haben die Abstimmung über die Unabhängigkeit schon damals boykottiert, weil sie sich lieber einem albanischen Nationalstaat angeschlossen hätten.

Zwar erteilt das Abkommen "territorialen Lösungen für ethnische Fragen" eine Absage. Es sieht also kein autonom verwaltetes Gebiet der hauptsächlich im Nordwesten und Westen Landes wohnenden Minderheit von etwa 500.000 AlbanerInnen vor. Viele slawische MazedonierInnen befürchten aber dennoch, dass das Land mit zwei Millionen EinwohnerInnen nach ethnischen Grenzen geteilt werden soll. Schließlich war das militärische Vorgehen der UCK teilweise mit der gezielten Vertreibung slawischer MazedonierInnen verbunden. Und es ist auch kein Geheimnis, dass zahlreiche albanische Gruppen die Errichtung eines Großalbaniens oder zumindest die Vereinigung des albanischen Teils Mazedoniens mit Kosovo betreiben.

Die Befürchtungen der slawischen MazedonierInnen mischen sich dabei nicht selten mit einer wachsenden anti-westlichen Stimmung, wird der Westen, und vor allem die USA, doch als Schutzpatron der albanischen Nationalisten betrachtet. Danilo Gligorovski, ein VMRO-DPMNE-Abgeordneter, der noch vor wenigen Monaten eine schnelle Anbindung Mazedoniens an die EU forderte, erklärt nun mit Blick auf die UCK: "Der Westen hat dem islamischen Fundamentalismus, finanziert mit dreckigem Geld aus dem Drogenhandel, erlaubt, die Prinzipien der westlichen Demokratie zu manipulieren und den Islam auf dem Balkan zu verbreiten." In Mazedonien blühen derzeit Spekulationen über eine angebliche Zusammenarbeit der UCK mit der al-Qaida-Organisation Osama bin Ladens. Auch den USA wird nachgesagt, die UCK in Mazedonien und Kosovo direkt mit Militärberatern, Waffen und Geld unterstützt zu haben. Gligorovski dazu: "Der Westen misst mit zweierlei Maß. Er unterstützt die Terroristen in Tschetschenien und Kosovo und kämpft gegen die Terroristen, welche die Attacken in New York und Washington ausgeführt haben."

Die Widerstände gegen das Eingreifen des Westens in die mazedonische Krise offenbaren sich im schleppenden Ratifizierungsprozess des Rahmenabkommens vom 13. August. Eigentlich sollte die phasenweise Waffenabgabe der UCK in den vergangenen Wochen mit einer schrittweisen parlamentarischen Zustimmung zu den Artikeln des Abkommens verbunden sein. Doch das Abkommen wurde vom Parlament bis heute nicht endgültig ratifiziert, da sich zahlreiche Abgeordnete der VMRO-DPMNE weigern zuzustimmen. Sie fordern stattdessen ein Referendum über die Gesetzesänderungen. Selbst Premierminister Georgievski hält dies für möglich. Dabei ist klar, dass das Ohrid-Abkommen bei einer Volksabstimmung höchstwahrscheinlich durchfallen würde.

Mittlerweile drohen die Abgeordneten der beiden albanischen Parteien PDP und DPA mit einem Boykott der parlamentarischen Arbeit, sollte das Gesetzespaket nicht bald abgestimmt sein. Völlig genervt sagten Anfang Oktober der EU-Kommissar für Außenpolitik, Chris Patten, und der Hohe Repräsentant für gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, eine für den 15. Oktober geplante Geberkonferenz, auf der über die Finanzierung des Staatshaushaltes verhandelt werden sollte, ab, nachdem es ihnen nicht gelungen war, den Ratifizierungsprozess zu beschleunigen. Doch auch in den nächsten Wochen ist nicht mit mehr Kompromissbereitschaft der VMRO-DPMNE zu rechnen, schließlich möchten die Abgeordneten bei der im Januar anstehenden Parlamentswahl wiedergewählt werden.

Bundeswehreinsatz mit "Risiken"

Während die slawisch-mazedonischen PolitikerInnen aus der Perspektive der westlichen Problemlöser bocken, präsentiert sich die UCK als Musterschüler der "internationalen Gemeinschaft". Die Waffenabgabe bis 26. September lief wie am Schnürchen, weit über die vereinbarten 3.300 Waffen lieferten die albanischen Nationalisten freiwillig ab. Und nur einen Tag später gab UCK-Chef Ali Ahmeti auf einer Pressekonferenz in seiner Hochburg Sipkovica die Auflösung der Organisation bekannt. Was von beidem zu halten ist, zeigt die Aushebung eines UCK-Waffenlagers im Dorf Tanuse durch die mazedonische Armee am 10. Oktober. In dem Lager sind laut Armeeangaben Raketenwerfer, Panzerabwehrminen, Maschinengewehre und eine "beträchtliche Menge Sprengstoff" gefunden worden. Dieses Depot dürfte kein Einzelfall sein. Die Option der UCK, sich neu zu formieren, besteht noch immer. Dies wird nicht nur von slawischen MazedonierInnen befürchtet, sondern auch von westlichen BeobachterInnen immer wieder eingeräumt.

Die Bundeswehr darf sich in den kommenden Monaten in Mazedonien beweisen. Wahrscheinlich hatte Verteidigungsminister Rudolf Scharping Recht, als er am 27. September im Bundestag sagte, die Gefahren von Amber Fox könnten "im Zweifel größer sein als bei Essential Harvest." Aber das ist durch die neue Linie in der Außenpolitik abgedeckt. Bundeskanzler hat vor dem Bundestag deutlich gemacht, dass Deutschland auch "Risiken" tragen muss, wenn es seiner neuen Rolle gerecht werden will.

Boris Kanzleiter