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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 455 / 25.10.2001

Brüchige US-Allianzen

"Anti-Terror-Bündnis" muss Feuerprobe bestehen

Je länger der von den USA geführte Krieg gegen das Taliban-Regime in Afghanistan dauert, desto heftiger werden die Widersprüche innerhalb des eilig zusammengeschusterten internationalen "Anti-Terror-Bündnisses". Auch innerhalb der US-Administration klaffen die Meinungen auseinander. Am Ende des von US-Präsident George Bush ausgerufenen "ersten Krieges des 21. Jahrhunderts" drohen zahlreiche Folgekonflikte.

Das Vorgehen der US-Administration nach den Anschlägen des 11. September löste zunächst eine Kette von Überraschungen aus. Nach dem ersten Schock über die Angriffe auf das World Trade Center und das Pentagon sah sich die Welt einer seit Ende des Kalten Krieges nicht gekannten aggressiven Rhetorik der US-Führung gegenüber und reagierte ungläubig bis perplex. Über das "Auslöschen von Staaten" schwadronierte der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz, während Präsident George Bush nicht müde wurde, bei jedem Fernsehauftritt einen "weltweiten Kreuzzug gegen den Terrorismus" anzukündigen. Doch hinter der brachialen verbalen Drohkulisse gelang es der US-Administration mit diplomatischem Geschick eine internationale Allianz gegen das Taliban-Regime zu schmieden. Schnell wurde nun in Europa die unerwartete "Besonnenheit" der US-Reaktion gelobt. Doch schon folgen seit dem 7. Oktober die Militärschläge gegen Afghanistan, welche erhebliche Eskalationsrisiken bergen, wie viele KommentatorInnen befürchten, die zuvor noch die militärische Zurückhaltung der Supermacht gelobt hatten.

Die Widersprüche im Vorgehen der US-Administration sind vielfältig. Da ist einerseits der nach dem 11. September streckenweise offen ausgetragene interne Konflikt zwischen den "Falken" um Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, seinen Stellvertreter Wolfowitz und Vizepräsident Richard Cheney einerseits und dem von Außenminister Colin Powell geführten Lager der "Tauben". Die "Falken" propagierten direkt nach dem 11. September öffentlich einen sofortigen allein von den USA geführten lang anhaltenden militärischen Schlag gegen verschiedene arabische Länder, die sie bezichtigten, "terroristischen Organisationen" Unterstützung zu gewähren. Dabei argumentierten sie, dass die USA nicht auf die Formierung einer internationalen Allianz warten sollten. Mit dieser Position sind die "Falken" tief in der Politik eines US-amerikanischen "Unilaterismus" verhaftet, dem zu Folge US-Hegemonie weltweit nur im Alleingang und selbst gegen die Interessen der engsten Verbündeten durchzusetzen ist.

Auf der Seite der "Tauben" profilierte sich dagegen Außenminister Powell mit seiner diplomatischen Einbindungstrategie der arabischen Welt, der NATO-Staaten und Russlands in eine US-geführte Allianz. Wie schon im zweiten Golfkrieg steht der Vier-Sterne-General einem Einsatz des Militärs zurückhaltend gegenüber. Powell befürwortet den Einsatz von Truppen nur unter der Bedingung, dass US-Soldaten minimal gefährdet werden und beharrt auf einer restriktiven Medienpolitik, wenn es zum Kriegsfall kommt. Beide Elemente gehen auf Erfahrungen aus dem Vietnamkrieg zurück. Damals wurde deutlich, dass ein Krieg auch an der Heimatfront verloren werden kann, wenn die Opposition zu Hause angesichts von Bildern getöteter US-Soldaten wächst, so Powells Auffassung, die zuletzt durch die panische Reaktion der amerikanischen Öffentlichkeit nach der Gefangennahme von drei US-Soldaten durch die jugoslawische Armee 1999 bestätigt worden war.

"Falken"
und "Tauben"

Mit dem Beginn der militärischen Kampagne der US-Streitkräfte und der Briten gegen die Taliban in Afghanistan scheint sich innerhalb der US-Administration zunächst eine Kombination beider Linien durchgesetzt zu haben. Powell gelang es, eine US-geführte internationale Allianz von nie da gewesener Breite aufzubauen. Die NATO-Länder proklamierten zum ersten Mal seit der Gründung der Allianz den Bündnisfall und erklärten damit die Anschläge in den USA zu einem Angriff auf alle NATO-Partner. Der US-Diplomatie gelang es auch, Russland in ihre Allianz einzubeziehen. Eine Annäherung der beiden Staaten schien noch vor wenigen Wochen angesichts der heftigen Auseinandersetzungen um das amerikanische Raketenabwehrschild undenkbar. Damals war noch von einem drohenden zweiten Kalten Krieg die Rede, jetzt bezeichnet Bush Russland als "wichtigsten Verbündeten". Auch China, ein weiterer bisheriger Kontrahent der USA, unterstützt die Anti-Terror-Allianz. Selbst die Führungen der arabischen und islamischen Welt setzen sich mit der Ausnahme von Irak ins Anti-Terror-Boot. Gleichzeitig hat die USA aber fast ausschließlich gestützt auf die eigenen Strukturen die Bombenangriffe auf Afghanistan begonnen, agiert militärisch also klassisch unilateral. Die britische Unterstützung und eventuell auch die anderer NATO-Staaten, Deutschland eingeschlossen, flankieren dieses Vorgehen nur.

Mit der vermeintliche Geschlossenheit der US-Administration nach den ersten Angriffswellen kann es allerdings schnell vorbei sein. Spätestens wenn sich die Frage stellt, wie umfangreich ein Einsatz von Bodentruppen in Afghanistan aussehen soll und vor allen mit welchem Ziel er verbunden ist - dem Sturz der Taliban und der Installierung eines US-freundlichen Regimes oder lediglich der Festnahme von "Terroristen" - wird der nicht ausgeräumte Widerspruch zwischen "Falken" und "Tauben" wieder auftauchen.

Doch vor allem auf internationaler Ebene droht die Einheitsfront gegen den Terror schnell in ihr Gegenteil umzukippen, falls die Militärschläge gegen Afghanistan länger andauern. Zu konträr und widersprüchlich sind die Interessen der Koalitionsmitglieder. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die USA müssen in großem Umfang die afghanische Nord-Allianz in ihrem Kampf gegen die Taliban unterstützen, wollen sie das Regime in Kabul stürzen. Dabei gerät die USA aber ins Gehege mit ihrem zweiten strategisch wichtigen Verbündeten in der Region, nämlich der pakistanischen Militärdiktatur unter General Musharraf. Diese hat bisher die Taliban unterstützt und fürchtet eine Machtübernahme der unter Einfluss von Iran und Russland stehenden Nord-Allianz in Afghanistan.

Einheitsfront droht umzukippen

Doch die USA stehen noch vor einem weiteren grundlegenden Dilemma. Wollen sie den Krieg gegen die Taliban in Afghanistan gewinnen und ihre lokalen Verbündeten, die Nord-Allianz und den Ex-König Mohammed Sahir Schah an die Macht bringen, müssen sie militärisch in einer Weise vorgehen, die die internationale Allianz zu sprengen droht. Das Maharraf-Regime in Pakistan steht bereits jetzt unter dem wachsenden Druck der islamistischen Opposition. Aber auch das autoritäre Regime in Saudi-Arabien, einer der engsten US-Verbündeten in der arabischen Welt, signalisiert wachsende Missgunst. So kritisierte der saudische Innenminister Prinz Naif die US-Angriffe bereits nach der ersten Woche: "Das bedeutet die Tötung unschuldiger Menschen. Die Situation gefällt uns gar nicht." Es muss nicht weiter erwähnt werden, dass das saudische Regime selbst mehr als genug "unschuldiger" Menschen auf dem Gewissen hat, gilt es doch als eines der repressivsten in der ganzen Region. Was dem Regime allerdings tatsächlich nicht gefällt ist, dass es sich einer wachsenden inneren Opposition gegenüber sieht, je länger die US-Angriffe dauern. In der selben prekären Zwickmühle sitzen die Herrscher in Ägypten und Indonesien, um nur zwei der wichtigsten und explosivsten islamischen Länder zu nennen.

Die von westlichen PolitikerInnen gepriesene "Solidarität" Russlands mit den USA bedeutet in erster Linie eine Solidarität des Putin-Regimes mit sich selbst. Der russische Präsident nutzt die Anti-Terrorkampagne, um sich freie Hand bei der militärischen Bekämpfung der tschetschenischen Rebellen zu verschaffen. Mittelfristig allerdings droht eine um so direktere Konfrontation zwischen Russlands Interessen im rohstoffreichen Raum um das Kaspische Meer und den USA, die nun durch die Stationierung von Bodentruppen in Turkmenistan Mitten im Hinterhof der einstigen Weltmacht sitzen. Hier baut sich ein Konfliktpotenzial auf, das noch schwer zu bewerten ist.

Boris Kanzleiter,
19.10.2001