Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 455 / 25.10.2001

Blinde Gefolgschaften

Aufgeklärter Westen, feindlicher Islam - und wie das eine das andere bedingt

Der Antiislamismus hat, so paradox es klingt, seine Wurzeln in vorislamischer Zeit. Der Islamforscher Gernot Rotter führt die vorislamische Araberfeindlichkeit auf eine Abneigung sesshafter gegen Nomadenkulturen zurück - "arab" bedeutet Nomade. Bereits im 8. Jahrhundert lassen sich Quellen finden, die die Sarazenen, also die Araber, als Bedrohung des Abendlandes schlechthin konstruieren. Ähnlich bezeichnet ein englischer Historiker einige Jahrhunderte später im 16. Jahrhundert das Osmanenreich als "Terror of the World". Das Stereotyp von der islamischen Gefahr ist also vor allem eins: uralt; seine Kehrseite auch: die Faszination. Faszination und Schrecken bestimmten die unterschiedlichen Varianten kolonial-orientalischer Stereotypen. Sexuelle Freizügigkeit und Lasterhaftigkeit; Luxus und Dreck, Toleranz und Despotismus - und so weiter. Der Orient war Anlass für wuchernde Fantasieergüsse unzähliger Maler und Literaten. Im gegenwärtigen Diskurs ist das Faszinierende scheinbar vollständig dem Schrecken gewichen - oder besser gesagt: Der Schrecken fasziniert in seiner Größe, der Potenz des islamischen Terrorismus.

Jedenfalls ist offensichtlich, dass der antiislamische Orientalismus bestimmte Ähnlichkeiten mit anderen rassistischen Logiken hat. Da gibt es erstens die Gleichsetzung partikularer Phänomene mit einem allgemeinen Wesen des "Anderen". Zwar weist man derzeit hier und da darauf hin, dass es ja darauf ankäme, zwischen islamistisch-fundamentalistischen und anderen islamischen Strömungen zu differenzieren. In manche Talkrunde lädt man auch einen Islamexperten ein, der sich bemüht, diese Differenzierungsarbeit zu leisten (in andere lädt man, mit gegenteiligen Effekten, Scholl-Latour ein). Doch die Mühe scheint vergebens. Die Angst vor der Bedrohung "Islam" grassiert, und auch wenn manch eine/r weiß, dass es zwischen Islam und Fundamentalismus eine Differenz gibt, so erscheint der islamistische Terrorist inzwischen als ein so übermächtiger, weil unsichtbarer Feind, dass diejenigen Muslime, die anders glauben und denken als dieser, im kollektiven Imaginären des Westens immer weniger Platz haben.

Das heißt nicht, dass diese Simplifizierung bloß in eine Richtung wirksam ist: Gerade gut gemeinte, tolerante oder sogar antirassistisch motivierte Diskurse über die "Differenz von Kulturen" können sich ja mit einem Handstreich - dem Hinweis auf die "andere kulturelle Identität" - jeglicher Differenzierungsanforderung entledigen. Sabine Kebir weist darauf hin, dass auch die Linke bei diesem "identitätspolitischen Mummenschanz" mitgemacht habe; nicht nur der Westen an sich, auch ein Großteil der Linken hätte die Demokratiebewegung in der islamischen Welt, z.B. in Algerien ihrem Schicksal überlassen. Die Gleichung islamischer Fundamentalismus gleich muslimische Identität weltweit kann eben in unterschiedlichen Weisen wirksam werden, auch, indem man sich davor drückt, sich eindeutig von faschistisch-islamistischen Politiken zu distanzieren. Zynisch ist sie allemal.

Der Orient als Gegen-Vernunft

Zweitens dient, wie in jedem Rassismus, die Konstruktion des islamischen Anderen vor allem der Konstruktion des Eigenen. Je religiöser, fanatischer, rückständiger und gefährlicher der Islam, desto säkularisierter, vernünftiger, fortschrittlicher und humaner der Westen. Und damit vollzieht sich spiegelbildlich wiederum auch auf der eigenen Seite eine selbstgefällige Vereinfachung und Verallgemeinerung: Die Frage nach christlichen oder säkularen Fundamentalismen im Westen erübrigt sich; der Westen und alle, die ihn als legitime Staatsbürger bevölkern und regieren, geraten zum personifizierten Synonym für Aufklärung und Menschenrecht. Zum Beispiel ist ja gerade das Stereotyp vom "Heiligen Krieg" zum Synonym für die Gefahren des Islam schlechthin geworden. Dabei handelt es sich beim Heiligen Krieg, wie Klaus Mellenthin bereits in ak 370 feststellte, um eine originär christliche Auffassung - nicht zufällig wird derzeit erfolgreich mit Kreuzzug-Rhetorik zwecks Mobilmachung für den Kampf gegen "das Böse" gearbeitet.

Die These von der Höherwertigkeit der eigenen Kultur wird im Kontext rassistischer Logiken üblicherweise als objektiv erwiesen konstruiert. Diese Überlegenheit wird in antiislamischen Stereotypen insbesondere auf dem Gebiet der Moral konstatiert: War es während der Kolonialzeit insbesondere die "Zügellosigkeit" des Orients, die man von einer moralisch überlegenen Position aus zu kritisieren können glaubte, so verwandelte sich der Anlass für die eigene moralische Überlegenheit im Verlauf des 20. Jahrhunderts in eine "kulturelle und soziale Rückständigkeit". Diese Transformation lässt sich gut an antiislamischen Geschlechterstereotypen nachzeichnen: Wurde in Reiseberichten aus und Fantasien über die Wirklichkeit in den Orient-Kolonien vor allem die sexuelle Freizügigkeit und Lasterhaftigkeit der Orientalin durchaus lüstern beschworen, so gilt die Muslimin heutzutage als Musterbeispiel für die unterdrückte und gefangen gehaltene Frau. Und auch hier kann die "gut gemeinte" Kehrseite die sein, sich zur Unterdrückung von Frauen z.B. in Afghanistan lieber nicht zu äußern, um sich nicht den Vorwurf des Kulturimperialismus einzuhandeln. Gemeinsamer Fluchtpunkt beider Argumentationstypen ist die Annahme von der gänzlich fremden, zugleich abgeschlossenen und im Prinzip unveränderlichen "islamischen Kultur".

Zügellos, gefährlich, despotisch

Eine besondere politische Funktion kommt dem Antiislamismus seit dem Krieg gegen den Irak 1991 zu: Der Antiislamismus löste den Ost-West-Gegensatz ab, er füllte gewissermaßen ein politisch historisches Vakuum, das seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion entstanden war. In diesem Sinne dient das antiislamische Feindbild der Durchsetzung einer neuen geopolitischen Aufteilung der Welt, wie es Verena Klemm für den Krieg gegen den Irak feststellt. Löste der Islam als Feindbild den "kommunistischen" Osten ab, so blieb doch die politische Funktion des ehemaligen Feindbildes erhalten: die Selbstlegitimation als "freier" Teil der Welt.

Die geopolitische Sichtbarkeit ist ein wichtiges Element des Antiislamismus. Die Bedrohung der (zivilisierten) Welt hat einen geographischen Platz auf der Weltkarte, und zwar einen bedrohlich großen. Die geopolitische Aufteilung der Welt in Freund und Feind steht so im Vordergrund und dient als Legitimation für Krieg. Im Antisemitismus z.B. steht dagegen die vermeintliche Bedrohung durch "den Juden", der "unter uns" ist und auf geheimen, anonymen Wegen seine Weltherrschaft ausübt, im Vordergrund, und gerade seine Anwesenheit im Innern macht die Gefährlichkeit "des Juden" aus. Nimmt man grob vereinfachend an, dass der Antisemitismus die abstrakte Bedrohung von innen und der Antiislamismus die konkrete Bedrohung von außen beschwört, so stimmt das einerseits und stimmt doch andererseits nicht mehr. 1992 meinte noch der ak-Autor K., der Hauptunterschied zwischen dem Feindbild Kommunismus und dem Feindbild Islam sei, dass der kommunistische Feind seit der Oktoberrevolution in Gestalt großer kommunistischer Parteien von außen und von innen als bedrohlich galt. Es bestehe aber kaum Gefahr, dass auch der Islam erfolgreich zum inneren Feind hochstilisiert werden könne. Dies ist insofern richtig, als auch die "Gefahren", die von hier lebenden Menschen ohne deutschen Pass angeblich ausgehen, immer noch als Bedrohung von außen konstruiert werden, wie es etwa die Rede von der "Überfremdung" verdeutlicht. Aber spätestens seit dem 11. September droht eine umfassende Gleichsetzung islamisch-fundamentalistischer Terroristen mit potenziell allen muslimischen oder muslimisch aussehenden Menschen. Der Westen wäre dann permanent von innen heraus gefährdet, denn "sie" sind ja schließlich auch mitten unter uns: als Nachbarn, Kommilitonen oder sogar Freunde. Die optimistische Prognose von K., es bestehe keine Gefahr, dass die Islam-Feindlichkeit die Züge einer "Weltanschauung" , vergleichbar dem Antisemitismus annehmen könne, lässt sich dann mit Gewissheit heute kaum noch vortragen.

Wenn es sich beim Antiislamismus um Rassismus handelt, dann sicherlich nicht um einen dumpf-biologistischen Rassismus, der von der genetischen Überlegenheit der eigenen "Art" ausgeht. Islamfeindlichkeit ist eigentlich ein Musterbeispiel für neorassistische Argumentationen, die die Abgeschlossenheit und Unvereinbarkeit der Kulturen beschwören. Wobei im Unterschied zu manchen Multi-Kulti-Verfechtern, die eben diese Unvereinbarkeit, zugleich aber die prinzipielle Gleichwertigkeit aller Kulturen zumindest behaupten, hier von einer klaren kulturellen bzw. zivilisatorischen Unterlegenheit der anderen Kultur ausgegangen wird. Die differenzierte Variante: Man besteht auf der Unterscheidung zwischen Kultur (Islam) und Zivilisation (Westen). Konsequent erhebt z.B. Gerd Held in der Kommune die Forderung nach einem "Zivilisationspatriotismus": Dieser Patriotismus beruhe idealerweise auf einer derart "tiefen Bindung", dass er "auch ein Angebot für die Menschen aus der islamischen und arabischen Kultur darstellt, den Schritt von der kulturellen Identität zur zivilisierten Welt zu machen."

Kultur oder Zivilisation?

Insofern ist der Antiislamismus eher ein Musterbeispiel für die Verbindung von "altem" und "neuem" Rassismus: Die Annahme von der prinzipiellen Unter- bzw. Überlegenheit bestimmter Menschengruppen (alt) wird losgekoppelt von der Idee der "Rasse" und in einen kulturalistischen Rahmen gesetzt (neu).

Wahr bleibt, was Edward Said nach dem 11. September schrieb - und zwar eingedenk sowohl der Feindbilder des Westens wie auch der des "Orients", die einen so tumb und gefährlich wie die anderen: Als Banner, dem man blinde Gefolgschaft leistet, taugen weder "der Islam" noch "der Westen".

Stefanie Gräfe

Literatur:

Peter Heine: Im Visier: Die üblichen Verdächtigen, taz, 24.09.2001

Gerd Held: Zivilisationspatriotismus. Moderne Zivilisation versus Exklusivität der Kulturen?, in: Kommune 10/2001

Sabine Kebir: Tritt in den Spiegel. Die Schlacht gegen das "Böse". Der Westen attackiert seine Helfer von einst. Freitag, 12.10.2001

K., Das alt-neue Feindbild "Islam", Teil 2: Vom Antikommunismus zur Islamfeindlichkeit, ak 347, 21.10.1992

Verena Klemm; Karin Hörner (Hrsg.): Das Schwert des "Experten": Peter Scholl-Latours verzerrtes Araber- und Islambild. Heidelberg 1993

Klaus Mellenthin: Die Welten des Islam, ak 370, 21.09.1994

Gernot Rotter: Europa und der Orient: Geschichte und Wiedergeburt eines alten Feindbildes, in: Klemm/Hörner (Hrsg.), a.a.O., S.44-58