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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 456 / 22.11.2001

"Eine absolute Zockerei"

Interview mit Lothar Evers zur Entschädigung der ZwangsarbeiterInnen

Von der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft wurde die Einrichtung einer Zwangsarbeiterstiftung als große Wiedergutmachung, als quasi humanitärer Akt gefeiert. Die Tatsache, dass viele Opfergruppen per se von Entschädigungszahlungen ausgeschlossen werden, und die Tatsache, dass durch Missmanagement Teile des Stiftungsvermögen bei Umtauschgeschäften flöten gingen, zeigen, wie ernst es die deutschen Eliten mit der Entschädigung ehemaliger ZwangsarbeiterInnen meinen. Lothar Evers ist Kuratoriumsmitglied der Bundesstiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", die das Stiftungsvermögen von 10 Milliarden Mark verwaltet.

ak: Warum fühlen sich polnische ZwangsarbeiterInnen bei der Auszahlung der Entschädigungsgelder durch die deutsche Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" betrogen?

Lothar Evers: Das hängt damit zusammen, dass die deutsche Stiftung über zehn Prozent ihrer Stiftungsmittel, nämlich 1,325 Milliarden DM, an dem Tag, an dem die polnische Währung Zloty auf seinem Höchstkurs aller Zeiten war, umgetauscht hat. Der Zloty ist heute zwischen 13 und 16 Prozent weniger wert. Nun versucht man, dieses durch das Missmanagement der deutschen Stiftung - wenn nicht sogar durch Betrug - viel zu teuer eingekaufte Zloty-Vermögen den Opfern anzudrehen. Und das bedeutet für jeden einzelnen polnischen KZ-Häftling 2.000 DM weniger. Darüber sind die Betroffenen in Polen mit Recht empört.

Sie haben als Mitglied der Zwangsarbeiterstiftung Klage gegen Unbekannt wegen Verdachts des Betrugs und der Untreue eingereicht. Wer ist für das Finanzdesaster bei dem Währungsgeschäft verantwortlich?

Anfang des Jahres hat die Stiftung einen Haushalt in DM und nicht in Zloty verabschiedet. Trotzdem sind über zehn Prozent unseres Vermögens einfach in Zloty umgetauscht worden. Dabei haben die beteiligten Banken, insbesondere die Deutsche Bank, einen Provisionsgewinn von fast vier Millionen Mark erzielt. Es ist höchst zweifelhaft, ob überhaupt Geld getauscht worden ist oder ob die Banken längst bei ihnen vorhandene Zloty an die Stiftung losgeschlagen haben. Über den Sommer habe ich verschiedene Fragen gestellt, um aufzuklären, wie so etwas passieren konnte. Und als ich dabei innerhalb des Stiftungsvorstandes auf Granit gebissen habe, erstattete ich Anzeige.

Die Deutsche, Dresdener und die Commerzbank sind mit der Abwicklung der Geldgeschäfte beauftragt. Hätte der Kursverfall des Zloty nicht für die Währungsexperten absehbar sein müssen?

Eine der mysteriösesten Geschichten in diesem ganzen Zloty-Umtauschgeschäft ist, dass ich in einer einzigen Nacht Internet-Recherche vier bis fünf Quellen allein bei der Deutschen Bank gefunden habe, in denen bereits seit Januar vor der Volatilität des Zloty gewarnt wird. Volatilität heißt nichts anderes als ein extremes Auf und Ab des Kurses. Wie die Banken dieses gegenüber der Stiftung bewusst vertuscht haben oder wie man das gemeinsam geflissentlich übersehen hat, ist eine der spannenden Geschichten in diesem Zusammenhang. Ich glaube, die Deutsche Bank hätte keinem zweiten ihrer Kunden geraten, zehn Prozent seines Vermögens in die Weichwährung Zloty zu tauschen, nur weil die Zinsen dort etwas höher sind. So drängt sich der Verdacht auf, dass bei der Deutschen Bank ganz andere Interessen ausschlaggebend waren: nämlich das Interesse an Provisionsgewinnen von fast vier Millionen DM, vielleicht aber auch das Interesse, durch Billigeinkauf und späteres teures Losschlagen des Zloty einen Gewinn im zweistelligen Millionenbereich zu machen.

Gibt es für betroffenen polnischen Nazi-Opfer eine Möglichkeit der Kompensation für die ihnen vorenthaltenen 2.000 Mark?

Der einzige Vorschlag zur Kompensation für die Opfer, den die Stiftung bisher gemacht hat, ist mit vielen Haken und Ösen versehen. Der lautet ungefähr so: Wir haben jetzt diese Milliarde in Zloty umgetauscht und der Zloty verzinst sich höher als die DM, nämlich mit 14 statt mit vier bis fünf Prozent. In einem Jahr kann man theoretisch bis zu zehn Prozent mehr Zinsen erwirtschaften. Das Kompensationsgeschäft basiert also auf dem Liegenlassen des Zloty und der vagen Hoffnung, dass der Zloty nicht weiter fällt. Ich empfinde das als eine absolute Zockerei.

Bestimmte Gruppen, wie die italienischen Militärinternierten, die 1943 von der Wehrmacht nach Deutschland verschleppt und zum Arbeitseinsatz gezwungen wurden, sollen von Entschädigungszahlungen ausgeschlossen werden. Wie wird dieses Vorgehen begründet?

Dass die italienischen Militärinternierten nun mit einem höchst fragwürdigen Rechtsgutachten aus der Entschädigung herauskatapultiert werden sollen, hat zwei Gründe: Erstens ist es mit über 70.000 Menschen eine relativ große Gruppe. Der zweite Punkt ist, sie gehören zu den nicht-jüdischen Opfern außerhalb von Mittel- und Osteuropa. Man hat, als die Stiftungsmittel aufgeteilt wurden, bestimmte Opfergruppen nicht beteiligt. Wenn man jetzt nicht auf irgendeine Art die Opfer loswerden kann, würde sich am Ende die Unterfinanzierung des Fonds herausstellen. Wenn es aber gelingt, die Opfer geschickt aus dem Gesetz heraus zu manipulieren, sieht es so aus, als würde das Geld reichen.

Die Bundesregierung argumentiert bei der Verweigerung der Entschädigungsleistungen, dass die Nazis bei der Umdeklarierung dieser Kriegsgefangenen in Zivilgefangene gegen Völkerrecht verstoßen hätten, und dass deswegen im Nachhinein diese Maßnahme für ungültig erklärt werden kann. Was halten Sie von dieser Argumentation?

Die Argumentationsstrategie der Bundesregierung und des von ihr mit einem sogenannten Gutachten beauftragten Völkerrechtlers Professor Christian Tomuschat ist einfach abenteuerlich. Dass es nicht zulässig war, Menschen in KZs zu verschleppen und Soldaten die Rechte als Kriegsgefangene zu verweigern, das weiß jedes Kind. Die neuen Strategie der Bundesregierung ist nun zu sagen, weil die Nazis das Recht gebrochen haben, haben sie dich zwar real missachtet, in Wirklichkeit bist du aber Kriegsgefangener geblieben. Nun sind aber Kriegsgefangene nicht Leistungsberechtigte im Sinne dieses Gesetzes. Real hast du zwar Zwangsarbeit geleistet, in Wirklichkeit, als rechtliches Subjekt, warst du aber Kriegsgefangener.

Das ist ein ganz besonderer Zynismus, der nur in dieser etwas autistischen Kumpanei zwischen Bundesfinanzministerium und einem wahrscheinlich sehr gut bezahlten Völkerrechtler passieren kann. Es ist ein übles Auftragsmachwerk, das so durchsichtig dem Zweck dient, eine Opfergruppe loszuwerden.

Das Interview führte Tom Binger