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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 456 / 22.11.2001

6 für 50

Verbote und Verzögerungen beim Castortransport nach Gorleben

Zum zweiten Mal in diesem Jahr rollte Atommüll aus der französischen Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague in das Zwischenlager nach Gorleben. Auch wenn die Gegenaktivitäten der Anti-Atom-Bewegung geringer ausfielen als im Frühjahr: 16.000 PolizistInnen im Wendland und weitere 14.000 bundesweit waren nötig, um die sechs Atommüllbehälter ins Wendland zu bringen.

Mit einer vollen Breitseite von Verbotsverfügungen reagierten die Behörden im Landkreis Lüchow-Dannenberg und die Bezirksregierung Lüneburg auf die Demonstrationen und Aktionen der Anti-Atom-Bewegung. Schon Wochen vor dem für den 12. November geplanten Start der Castortransporte nach Gorleben verfügte die Bezirksregierung ein Demonstrationsverbot jeweils 50 Meter links und rechts der Transportstrecke zwischen Lüneburg und dem Zwischenlager. Die geplante Auftaktkundgebung vor dem Sitz der Bezirksregierung in Lüneburg wurde verboten und konnte nur abseits, im sogenannten Liebesgrund, begleitet von massiven Schikanen der Polizei durchgeführt werden. Auf den Straßen ins Wendland kam es zu umfangreichen Personen- und PKW-Kontrollen. Zwei Busse aus Berlin wurden mehrfach kontrolliert und die Leute mehrere Stunden festgehalten. Geplante Kundgebungen der BI Lüchow-Dannenberg in Splietau und anderen Orten wurden verboten. Auf Grund der umfangreichen Kontrollen verzögerte sich die Anreise deutlich, so dass viele DemonstrantInnen erst mit großer Verspätung vor Ort ankamen. Zutreffend heißt es im Wendland: "Der Castor kommt - die Demokratie geht."

Jeder Bahnübergang zwischen Lüneburg und dem Verladebahnhof in Dannenberg wurde von Polizeieinheiten oder Bundesgrenzschutz bewacht. Mit Absperrgittern wurden große Teile der Straßenstrecke von Dannenberg bis zum Zwischenlager Gorleben abgeriegelt, Panzerspähwagen, Wasserwerfer und schweres Räumgerät standen überall auf Parkplätzen, Waldwegen und am Straßenrand bereit. Immer wieder kam es zu Einsätzen von Reiterstaffeln, die in sitzende und vollkommen gewaltfreie DemonstrantInnen getrieben wurden. Intensiv wurden auch (Kampf-)Hunde eingesetzt. Das Ergebnis: zahlreiche Bissverletzungen. Dabei stellten sogar viele JournalistInnen fest, dass es so gut wie keine gewaltbereiten DemonstrantInnen gab. Gerade diese Einsätze gegen gewaltfreie DemonstrantInnen lassen das Gerede von der Deeskalation durch die Polizei zur Farce werden. Die überall anzutreffenden Konfliktmanager von Polizei und BGS gelten schon seit dem Castortransport im Frühjahr zu Recht als Witz.

Insgesamt 16.000 Polizei- und BGS-Beamte sollen allein im Wendland zusammen gezogen worden sein. Bundesweit waren weitere 14.000 erforderlich, um einen möglichst reibungslosen Ablauf des zweiten großen Atommülltransportes nach Gorleben in diesem Jahr durchzusetzen. Immer wieder kontrollierten PolizistInnen die Bahnstrecke, immer auf der Suche nach unterhöhlten Schienen oder in das Gleisbett versenkten Stahlrohren. Eine Schlappe wie beim letzten Transport, als sich AktivistInnen von Robin Wood an die Schienen ketteten und dadurch erreichten, dass der Castorzug erstmals in der Geschichte den Rückwärtsgang einlegen musste, sollte in jedem Fall verhindert werden. Und tatsächlich wurden von der Polizei auch drei Stahlrohre gefunden. Über die vier Aktionstage von Samstag bis Mittwoch wurden mehrere hundert Menschen in Gewahrsam genommen.

Die Auftaktkundgebung in Lüneburg war mit etwa etwa 7.000 TeilnehmerInnen schlechter als im Frühjahr besucht. Auch an den Aktionen im Wendland haben weniger Leute teilgenommen als noch im März. Doch ob daraus zu schließen ist, dass die Anti-Atom-Bewegung erlahmt - wie es JournalistInnen, Polizeiführungsstäbe und bestimmte PolitikerInnen zu hoffen scheinen -, ist zumindest fraglich. Immerhin handelte es sich im Frühjahr um den ersten Castor-Transport unter einer rot-grünen Bundesregierung. Seitdem rollen die Atomtransporte auch wieder von den AKWs zu den Wiederaufarbeitungsanlagen in La Hague (Frankreich) und Sellafield (England). Im Unterschied zu den Jahren zuvor mussten jeweils Großaufgebote von Polizei und BGS bundesweit die Gleisstrecken schützen. Jochen Stay auf der Auftaktkundgebung in Lüneburg: "Kein Transport konnte reibungslos rollen. Die geplante Durchführung in Regelgüterzügen scheiterte. Statt wie vorgesehen 94 Behälter konnten in diesem Jahr erst 41 abtransportiert werden. Damit ist es uns gelungen, mehr als die Hälfte der für 2001 geplanten Atommülltransporte zu verhindern. So hat die Anti-Atom-Bewegung in diesem Jahr zu einer größeren Entlastung der Bevölkerung rund um die Plutoniumfabriken beigetragen, als die ganze rot-grüne Atompolitik." Möglicherweise sind also die AktivistInnen, die seit Monaten bundesweit immer wieder Aktionen gegen die WAA-Transporte vorbereitet und durchgeführt haben, zwar nicht ins Wendland gefahren. Aber insgesamt wurde der Widerstand gegen die Atomtransporte in diesem Jahr deutlich ausgeweitet.

Hinzu kommt sicherlich, dass nicht wenige Menschen nach den Anschlägen in New York und Washington und dem nun stattfindenden Krieg gegen die Taliban in Afghanistan andere Dinge im Kopf haben und deshalb nicht ins Wendland aufgebrochen sind. Hier könnte man die Vorbereitungsgruppe für die Kundgebung in Lüneburg kritisieren. Eine aktivere Orientierung auf die Friedensbewegung - z.B. durch die Einladung von ausgewiesenen FriedensaktivistInnen als RednerInnen zur Kundgebung - hätte vielleicht ein wenig mehr Menschen mobilisieren können. Vielleicht!

Und vielleicht hat sich die Anti-Atom-Bewegung in manchen Regionen ein wenig überschätzt. Denn parallel zu den Aktivitäten im Wendland hatten die süddeutschen Gruppen zu Aktionen in der Nähe des deutsch-französischen Grenzüberganges in Wörth aufgerufen. An der parallel zur Lüneburger Kundgebung durchgeführten Demonstration in Karlsruhe beteiligten sich allerdings "lediglich" 800 Leute. Fest steht vor allem: Die süddeutschen AktivistInnen waren im Wendland kaum vertreten. Und schließlich ist vielen Anti-Atom-Bewegten auch bekannt, dass schon wieder Castortransporte Richtung WAA rollen sollen. Mindestens sieben solcher Castoren sollen noch im November aus den AKWs Brunsbüttel, Stade und Krümmel auf die Reise geschickt werden.

Von Frust oder Aktionsmüdigkeit war im Wendland jedenfalls kaum etwas zu spüren. Trotz des martialischen Polizeiaufgebots gelang es DemonstrantInnen immer wieder, Straßen oder Gleise für mehrere Stunden zu besetzen. Angekündigte Aktionen im Raum Uelzen zwangen die Einsatzleitung, den Castorzug über den bei Hamburg gelegenen Rangierbahnhof Maschen umzuleiten. Dort musste dann obendrein noch die Lok wegen eines Radlagerschadens ausgewechselt werden. Erst kurz nach neun Uhr am Dienstag morgen konnten die mit BGS schwerbewachten Castoren Richtung Lüneburg weiter fahren. Noch auf der ICE-Strecke kurz vor Lüneburg konnte der Zug von zwei AktivistInnen, die sich im Gleisbett angekettet hatten, für über eine Stunde gestoppt werden. Die fast 50 km lange Bahnstrecke zwischen Lüneburg und dem Verladebahnhof in Dannenberg legte der Castorzug weitgehend im Schneckentempo zurück, und immer wieder versuchten AtomkraftgegnerInnen, auf die Schienen zu gelangen teilweise erfolgreich. Polizei und BGS hatten alle Hände voll zu tun, den Weg frei zu halten. Erst am späten Nachmittag traf der Zug in Dannenberg ein. Dort wurden die sechs Behälter für den Straßentransport auf Tieflader verladen. Am Abend demonstrierten über 1.000 Menschen in Dannenberg. Parallel versammelten sich jeweils mehrere hundert DemonstrantInnen in Splietau und in Laase zu Sitzblockaden auf der Straßenstrecke. Immer wieder versuchten die wendländischen Bauern, mit Treckern auf die Straße zu kommen. Erst gegen vier Uhr morgens gelang es der Polizei schließlich, diese Blockaden aufzulösen. Um kurz vor sechs Uhr war der Weg dann so weit frei, dass sich die Tieflader mit dem Atommüll auf die Straße trauten. Das massive Aufgebot von Polizei und BGS, der Einsatz von Hunden und Pferdestaffeln und die endlosen Absperrgitter ließen die AktivistInnen nur noch vereinzelt auf die Strecke kommen, wo sie dann auch nichts mehr ausrichten konnten. Nach nur wenig mehr als einer Stunde Fahrtzeit, kurz nach sieben Uhr morgens, fuhren die sechs Atommüllbehälter auf das Gelände des Zwischenlagers in Gorleben. Rund 50 Millionen DM hat der Polizeieinsatz diesmal gekostet .

Deutlich geworden sein dürfte jedenfalls, dass der Konflikt um die Atomenergienutzung in diesem Land noch lange nicht vorbei ist. Im Kontext mit den zahlreichen Aktionen gegen die WAA-Transporte, mit Blick auch darauf, dass sich seit diesem Jahr auch in Frankreich der Widerstand gegen Atomtransporte deutlich intensiviert hat, kann es sein, dass die zentrale Bedeutung von Gorleben für die Anti-AKW-Bewegung ein wenig nachlässt. Das dürfte aber für Polizei und Politik kein Grund zur Entspannung sein. Auch für die nächsten Castor-Transporte - egal mit welchem Ziel - müssen sich Innenbehörden, Polizei und BGS bereit halten, flächendeckenden Geleitschutz für die hochradioaktiven Frachten zur Verfügung zu stellen. Nicht zuletzt deshalb wird das Klagen der Polizeigewerkschaft immer lauter, mindestens für den Rest des Jahres alle weiteren Atomtransporte abzusagen.

DSe

Alle Fotos auf dieser Seite: T. Vogt, Randbild.