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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 457 / 20.12.2001

Herrschaftskritik und Handlungsangebote

Perspektiven und Grenzen der "Antiglobalisierungsbewegung"

Nach dem ,Summer of Resistance` und den massiven internationalen Protesten in Barcelona, Göteborg, Salzburg und Genua wird allenthalben über die sogenannte Anti-Globalisierungsbewegung diskutiert und spekuliert. Was hat es mit dieser ominösen Bewegung auf sich? Welches Kapitalismusverständnis zeichnet Gruppen wie ATTAC aus? Wie wirken sich die Anschläge vom 11. September auf diese Bewegung aus? ak sprach mit Markus Wissen vom Arbeitsschwerpunkt Weltwirtschaft des Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen über Anti-Globalisierung, ATTAC und Antisemitismus.

ak: Handelt es sich bei der sogenannten Antiglobalisierungsbewegung tatsächlich um eine neue internationale soziale Basisbewegung gegen die desaströsen Folgen des kapitalistischen Weltmarktes, oder ist der ganze Hype um die GlobalisierungskritikerInnen eher als Medienphantom anzusehen?

Markus Wissen: Ich sehe schon einen neuen Ansatz für eine internationale Protestbewegung. Und zwar aus zwei Gründen: Einmal ist es eine Bewegung die sich international organisiert und sich darin von den eher national organisierten sog. neuen sozialen Bewegungen der 70er und 80er Jahre unterscheidet. Zum anderen ist es eine Bewegung, die versucht eine Kritik von Unten zu formulieren, und die sich dabei den institutionellen Zentren neoliberaler Globalisierung - also IWF, Weltbank, WTO, G8 und dergleichen - zuwendet und versucht diese Zentren symbolisch anzugreifen und dadurch zu delegitimieren. Dadurch unterscheidet sie sich von den NGOs, die sozusagen die internationale Protestkultur in den 90er Jahren geprägt haben und die sich dabei vor allem an den großen UN-Konferenzen zu Umwelt und Entwicklung, zu Menschenrechten, zu Wohnen und zu ähnlichen Themen orientiert haben. UN-Konferenzen, die sich dann im Nachhinein eher als Spielwiesen symbolischer Politik herausstellten. Diese Konferenzen konnten auch nicht mit dem typischen Politikansatz der NGOs, also dem Vertrauen auf die Kraft des besseren Argumentes, erreicht werden. Insofern liegt ein neuer Politikansatz vor, der eine Reihe von Widersprüchen neoliberaler Globalisierung zu artikulieren versucht und der durchaus Hoffnung macht.

Allerdings stellen sich eine Reihe von Herausforderungen an die Anti-Globalisierungsbewegung, damit diese es auch wirklich schafft eine dauerhafte Bewegung zu sein. Vor allem - und dies gilt besonders für den deutschen Kontext - bedarf es einer stärkeren Verankerung der globalen Aktivitäten, der Aktivitäten die sich jetzt unmittelbar gegen internationale Großereignisse richten, mit Aktivitäten vor Ort. Da ist noch einiges an Arbeit zu leisten.

Den GlobalisierungskritikerInnen wird von linker Seite häufig eine verkürzte Kapitalismuskritik vorgehalten. Worauf bezieht sich dieser Vorwurf?

Dieser Vorwurf bezieht sich vor allem auf bestimmte Spektren der globalisierungskritischen Bewegung. Ich möchte als ein Beispiel ATTAC als ein sehr heterogenes Bündnis herausnehmen. Es ist innerhalb Deutschlands heterogen und es ist dann noch mal unterschiedlich, wenn man die verschiedenen Länder in denen ATTAC aktiv ist, in Betracht zieht. Aber ATTAC hat sozusagen seine Geburtsstunde erlebt mit der Forderung nach einer Tobin-Tax, also nach einer Besteuerung internationaler Devisentransaktionen. Das ist eine Forderung, der implizit die Annahme zu Grunde liegt, dass es ein Regulierungsdefizit gäbe. Das heißt, dass die Weltwirtschaft gewissermaßen aus ihren Fugen geraten ist, vom Staat dereguliert wurde; dass der Markt entfesselt und von seinem gesellschaftlichen Bett befreit wurde. Und nun komme es darauf an, den Markt wieder in sein gesellschaftliches oder politisches Bett einzubetten, um seine destruktiven Konsequenzen im Rahmen zu halten. Das ist meiner Ansicht nach eine verkürzte Kapitalismuskritik, da sie die Rolle des Staates im Prozess neoliberaler Globalisierung herunterspielt.

Es ist keineswegs so, dass der Staat nur die Märkte dereguliert hat, sondern der Staat spielt auch heute nach wie vor eine sehr wichtige Rolle. Ich denke, Genua ist das beste Beispiel dafür, dass der Staat eben nicht die Instanz ist, die gegen die neoliberale Globalisierung in Anschlag gebracht werden kann. Sondern er ist die Instanz, die die neoliberale Globalisierung, bei allen Widersprüchen innerhalb des Staates, notfalls mit Gewalt verteidigt und durchsetzt.

Aber haben die GlobalisierungskritikerInnen nicht Recht, wenn sie auf die desaströse Rolle des verselbstständigten internationalen Finanzsystems hinweisen?

Das ist richtig. Die Folgen des internationalen Finanzsystems sind für sehr viele Menschen desaströs. Doch es sollte nicht der Eindruck entstehen, als handele es sich hier um eine Sphäre, die völlig frei von politischer Regulierung ist. Es lassen sich durchaus politische Regulierungen des internationalen Finanzsystems feststellen. Regulierungen, die aber weniger den Menschen zugute kommen, die unter den Folgen internationaler Finanzkrisen zu leiden haben, sondern eher den hauptsächlichen Akteuren auf den internationalen Finanzmärkten, deren Zahlungsfähigkeit durch diese Regulierungen aufrecht erhalten werden soll.

Außerdem ist davor zu warnen, dass internationale Finanzsystem als eine gänzlich von der realwirtschaftlichen Sphäre losgelöste Sphäre zu betrachten. Die Tatsache, dass auf den internationalen Finanzmärkten Milliarden von Dollars und D-Marks hin und her transferiert werden, ist auch vor dem Hintergrund realwirtschaftlicher Krisentendenzen oder auch vor dem Hintergrund der Absicherung realökonomischer Geschäfte zu sehen. Insofern spielen die Finanzmärkte eine wichtige Rolle. Sie haben durchaus desaströse Konsequenzen, aber sie sind auch nicht losgelöst von staatlichen Regulierungen und realökonomischen Krisentendenzen zu betrachten.

Hat eine solche Kritik an den krisenhaften Konsequenzen des Finanzsektors zwangsläufig eine antisemitische Komponente?

Eine Globalisierungskritik, die sich rein auf die internationalen Finanzmärkte bezieht, hat eine offene Flanke Richtung Antisemitismus, ohne jetzt notwendigerweise unbedingt antisemitisch zu sein. ATTAC etwa, stellt die internationalen Finanzmärkte in den Vordergrund, seine Kritik ist aber nicht antisemitisch. Aber es gibt durchaus Anti-Globalisierungskritik von Rechts, die versucht die Finanzmärkte auf eine antisemitische Weise zu besetzen. Das passiert dann, wenn man falsche Dichotomien, falsche Gegenüberstellungen, aufmacht: wenn man etwa das internationale Finanzkapital dem sogenannten produktiven Kapital gegenüberstellt und dann sehr schnell bei der Unterscheidung zwischen dem "schaffenden" und dem "raffenden" Kapital ist, die eine eindeutig antisemitische Unterscheidung ist. Insofern ist da Vorsicht geboten. Ich sehe allerdings bei ATTAC jetzt nicht die Gefahr in antisemitische Argumentationen abzugleiten. Ich sehe hier eher auch eine gewisse Sensibilität für dieses Thema. Trotzdem sollte diese Gefahr immer bedacht und bei Argumentationen gegen Globalisierung berücksichtigt werden. Vor allen Dingen sollte in diesem Zusammenhang gegen rechte Globalisierungskritik vorgegangen werden.

ATTAC scheint immer mehr zu einer Art Sammlungsbewegung für GlobalisierungskritikerInnen zu werden. Bei dem Berliner ATTAC-Kongress haben im Oktober ca. 4000 Menschen unter dem Motto "Eine andere Welt ist möglich" über politische Perspektiven diskutiert. Eine zentrale Forderung von ATTAC ist die schon erwähnte Tobin-Steuer und eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte. Hältst du diese Forderungen für contraproduktiv, oder können das nicht erste Schritte sein, auf dem Weg zu einer besseren Kontrolle des "Casino-Kapitalismus"?

Ich halte diese Forderungen nicht für contraproduktiv, aber ich halte sie von falschen Grundannahmen ausgehend und ich halte sie für nicht weitgehend genug. Von falschen Grundannahmen ausgehend deshalb, weil diese Forderung implizit die Botschaft transportiert, der Markt ist dereguliert und der muss jetzt sozusagen wieder durch staatliche Regulierungen eingefangen werden. Nicht weitgehend genug deshalb, weil diese Forderung mittlerweile keine herrschaftskritische Komponente mehr hat. Die Forderung nach Tobin-Tax oder allgemein nach Regulierung der internationalen Finanzmärkte, ist mittlerweile eine Forderung die sich mehrere Regierende zu eigen gemacht haben. Ich verweise auf den französischen Ministerpräsidenten Jospin. Ich verweise auf jüngste Äußerungen von Gerhard Schröder. Ich denke, dass ist keine Forderung, die langfristig über das Bestehende hinausgehen würde.

Meine Position ist die - und das ist auch eine Position die im BUKO sehr stark vertreten wird - das ich sage, dass es nötig ist, nicht nur die neoliberalen Auswüchse des Kapitalismus zu kritisieren und Forderungen nach Re-Regulierungen aufzustellen, sondern den Kapitalismus selbst wieder zum Gegenstand der Kritik zu machen. Und sich zu überlegen welche Forderungen wir aufstellen können, die über das Bestehende hinausweisen, die eine grundlegende Herrschaftskritik transportieren, die aber gleichzeitig einer Vielzahl von Menschen - und das ist der Vorteil der Tobin-Steuer - auch konkrete Handlungsangebote machen.

Ist die bei den Protesten des Sommers zu spürende Aufbruchstimmung nach den Attentaten auf die USA und dem folgenden Krieg gegen Afghanistan schon wieder beendet? Haben sich die Handlungsspielräume der Bewegung nicht dramatisch eingeengt angesichts der zugespitzten Weltlage?

Die Handlungsspielräume haben sich eingeengt und dies auf zweierlei Art und Weise: einmal sozusagen auf der diskursiven Ebene. Es ist doch zu spüren, dass die internationale Protestbewegung unter gewisse Legitimationszwänge gesetzt wird. Das herausragende und drastischste Beispiel ist die Äußerung von Silvio Berlusconi, der die Terroristen von New York und Washington in einem Zuge mit der Anti-Globalisierungsbewegung genannt hat. Ich denke, dass deutet darauf hin, dass sich gewisse diskursive Spielräume, die sich mit Genua geöffnet haben, wieder zu verengen drohen. Andrerseits haben sich auch materielle Spielräume verengt. Ich verweise auf die Anti-Terror-Gesetzgebungen und verwandte Vorhaben, die plötzlich in den Innenministerien, aber auch seitens der Europäischen Kommission, aus der Schublade gezogen wurden und die sich weniger gegen den Terror richten, sondern die gute Instrumente darstellen, um gegen die internationale Protestbewegung vorzugehen. Wenn also etwa die Europäische Kommission vorsieht, künftig die sogenannte widerrechtliche Inanspruchnahme öffentlichen Raumes unter Strafe zu stellen, dann ist das mit Sicherheit nichts, was sich gegen Terroristen richtet, oder mit dem Terror bekämpft werden könnte, sondern etwas, was sich bestens eignet, um künftig Proteste gegen internationale Großereignisse zu kriminalisieren.

Andrerseits muss man auch feststellen, dass die Terror-Angriffe von New York und jetzt der Krieg gegen Afghanistan der internationalen Protestbewegung in gewisser Weise Recht gegeben haben. Nämlich insofern als diese sagt, wir müssen gegen neoliberale Globalisierung und die katastrophalen Auswirkungen, die dieser Prozess in sehr vielen Ländern hat, vorgehen, und damit in gewisser Weise dazu beitragen dem Terrorismus den sozialen Nährboden zu entziehen. Ich will damit nicht sagen, dass die Anschläge in New York und Washington in irgendeiner Weise ein emanzipatorischer Protest gegen die desaströsen Auswirkungen neoliberaler Globalisierung waren. Es hatte nichts Emanzipatorisches an sich. Es war ein Anschlag von faschistischer Qualität. Aber es war durchaus ein Anschlag, den man in den Kontext der Problematik weltweiter Ungleichheit stellen kann und der die Herausforderung deutlich macht, jetzt auch mit Nachdruck gegen Neoliberalismus und neoliberale Globalisierung vorzugehen.

Das Interview führte Tom Binger