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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 457 / 20.12.2001

"Ehrliche Makler"

Fischer und Schröder in Bismarcks Fußstapfen

"Ich muss Ihnen sagen: Ich bin froh darüber, dass wir gute Gastgeber für diese Konferenz sein können und die Vereinten Nationen diese nach Deutschland gegeben haben", freute sich Kanzler Gerhard Schröder über den UN-Beschluss die "Talks on Afghanistan" Ende November auf dem Bonner Petersberg stattfinden zu lassen. Die zwei Millionen DM Konferenzkosten haben sich für die Bundesregierung gelohnt. Ob Afghanistan, Naher Osten oder Balkan: Etwas mehr als zehn Jahre nach dem Gewinn der vollständigen Souveränität durch die Wiedervereinigung profiliert sich Deutschland zunehmend mit einer eigenständigen politisch-diplomatische Position auf dem internationalen Parkett. Dabei präsentieren sich Bundeskanzler Schröder und sein Außenminister Josef Fischer als Konfliktmanager, die zwischen lokalen Streitparteien und den Großmächten vermitteln.

Das Auftreten der beiden rot-grünen Staatsmänner ruft historische Erinnerungen hervor. Bevor das wilhelminische Deutsche Reich ab 1890 mit dem "Neuen Kurs" eine zunehmend imperiale "Weltpolitik" zu verfolgen begann, folgte Reichskanzler Fürst Otto von Bismarck in seiner Amtszeit von der Reichsgründung 1871 bis zu seiner Entlassung 1890 einer eher zurückhaltenden und ausgleichenden Außenpolitik. Schließlich war es Bismarck als preußischem Ministerpräsident und Außenminister gelungen durch drei Kriege 1864 gegen Dänemark, 1866 gegen Österreich und 1870/71 gegen Frankreich - die "deutsche Frage" von oben zu lösen und unter preußischer Vorherrschaft das zweite Deutsche Reich zu schmieden. Dessen Existenz galt es nun in der neuen europäischen Kräftekonstellation abzusichern statt diese durch neue Forderungen wieder ins Wanken zu bringen.

Bismarck beschrieb das Bild der Außenpolitik, die ihm vorschwebte, während eines Kuraufenthaltes in Bad Kissingen im sogenannten "Kissinger Diktat" vom 15. Juli 1877 so: Es sei "nicht das irgendeines Ländererwerbs, sondern das einer politischen Gesamtsituation, in welcher alle Mächte außer Frankreich unserer bedürfen und von Koalitionen gegen uns durch ihre Beziehungen zueinander nach Möglichkeit abgehalten werden." (1) Die Zukunft des Deutschen Reiches sah er nicht in einem auf Expansion ausgerichteten Staat, sondern in einer selbst auferlegten Machtbeschränkung, um nach der durch "Blut und Eisen" hergestellten Reichseinigung internationale Akzeptanz für die deutsche Mittelage in Europa herzustellen. Das Erreichte, das "kleindeutsche" Reich unter Preußens Führung, sollte gewahrt werden. Die Rivalitäten zwischen Österreich-Ungarn und Russland sollten auf den Balkan abgelenkt werden. England und Frankreich sollten ihre Konflikte im Mittelmeer und in Afrika austragen. Einer eigenständigen deutschen Kolonialpolitik stand der Reichskanzler gerade deshalb lange Zeit ablehnend gegenüber. Mochten die anderen europäischen Mächte doch ihre Konflikte in den Kolonialgebieten austragen. Das Deutsche Reich profitierte von seinem durch die Reichseinigung gewonnenen größeren wirtschaftlichen, geographischen, militärischen und politischen Gewicht, indem es sich als Vermittler ins Spiel brachte.

Internationale Akzeptanz
für das Erreichte

Mit dem Berliner Kongress im Juni/Juli 1878, der zur Beilegung der sich zuspitzenden Interessenskonflikte der Großmächte Russland, Österreich-Ungarn, dem Osmanischen Reich und England auf dem Balkan einberufen wurde, erreichte Bismarck die erstrebte Rolle. Der Balkan sei zwar nicht "die gesunden Knochen eines einzigen pommerschen Musketiers werth", meinte er. (2) In einer Reichstagsrede am 19. Februar 1878 erklärte Bismarck aber die Bereitschaft, die Rolle eines "ehrlichen Maklers" zu übernehmen, "der das Geschäft zu Stande bringen will", und zwischen den Großmächten zu vermitteln. (3) Als Vorsitzender der Konferenz legte er größten Wert darauf, den Eindruck zu vermeiden, er gebe einer der Mächte den Vorzug.

Die vorzügliche organisatorische Vorbereitung und Durchführung des Kongresses fand den Beifall aller Beteiligten. Bismarck war als Konferenzvorsitzender bei jeder Sitzung anwesend, griff in den Ablauf ein und steuerte den Fortgang. Die Treffen der sieben Delegationen fanden im neu renovierten Palais Radziwill, dem Amtssitz des Reichskanzlers, statt. Das Buffet der Delikatessen- und Weingroßhandlung des Hoflieferanten F.W. Borchardt, an denen sich die Staatsmänner in den Pausen bedienen konnten, fand ebenso großen Applaus wie die reibungslose Erstellung von Sitzungsprotokollen. Der Gesandte von Radowitz beendete den Kongress in einer Tischrede mit den Worten: "Die Hoffnungen (...) wurden auf das glücklichste verwirklicht: Das von Europa so sehr ersehnte Friedenswerk hat soeben Ihre Anstrengungen gekrönt." (4) Tatsächlich allerdings markierte der Berliner Kongress im historischen Zusammenhang betrachtet den Beginn des Zeitalters des Imperialismus. Und der "Friede", welcher auf dem Balkan zwischen den Großmächten hergestellt worden war, beruhte auf der Unterdrückung der lokalen Bevölkerungen. Die neue Machtkonstellation mündete schließlich in die Balkankriege von 1912/13.

Den zweiten Höhepunkt Bismarcks außenpolitischer Intervention stellte eine weitere internationale Konferenz dar. Vom 15. November 1884 bis 26. Februar 1885 tagte in Berlin die Afrikakonferenz, an der Delegationen aller wichtigen Kolonialmächte teilnahmen. Anders als beim Berliner Kongress war diesmal der Wunsch nach dem Tagungsort von deutscher Seite ausgegangen. Die Konferenz bot der Elite des Deutschen Reiches die Möglichkeit auf der internationalen Bühne zu agieren, ohne sich in direkte überseeische Konflikte einlassen zu müssen. Bismarck präsentierte sich - ähnlich wie während des Balkankongresses - ein weiteres Mal als Mittler, obwohl der unmittelbare Anlass der Konferenz in deutschen Handelsinteressen im Kongo lag. Im "scramble for Afrika" wurde während der drei Monate unter deutscher Koordination der afrikanische Kontinent neu aufgeteilt. Eine mittelafrikanische Freihandelszone wurde beschlossen, die freie Schifffahrt auf dem Kongo und Niger garantiert, die Bedingungen für Waffenhandel geregelt und der Sklavenhandel verboten. Für "kolonialen Neuerwerb" galt nun das Prinzip der "effektiven Okkupation". Die Deutschen hatten es ins Spiel gebracht, um durch ein striktes Reglement Ordnung in die territorialen Streitigkeiten der Kolonialmächte zu bringen. Beanspruchter Besitz war fortan durch Besetzung und internationale Bekanntgabe anzuzeigen. Unpräzise Grauzonen sollten durch Demarkationslinien ersetzt werden. (5) Für die deutsche Diplomatie geriet die Konferenz ein weiteres Mal zum Erfolg. Der Kolonialhistoriker Wolfgang Reinhard beschreibt die Folgen für Afrika: "Der Imperialismus hatte sich in Berlin Verfahrungsgrundsätze gegeben; jetzt konnte die Teilung erst richtig beginnen!" (6)

"Weltpolitik"
heißt heute "global player"

Bis zur Afrikakonferenz war das Deutsche Reich lediglich als Kontinentalmacht aufgetreten, jetzt präsentierte es sich als international agierender Staat mit eigenen Kolonien. Der Schritt zum "global player" war erfolgt. Nur ein halbes Jahr vor der Konferenz hatte Bismarck am 24. April 1884 die ersten Gebiete in Afrika unter den "Schutz" des Reichs gestellt. Bismarck zog zwar den informellen und indirekten Freihandelsexpansionismus gegenüber direkt-formellem Kolonialbesitz immer noch vor, gab dem kolonialenthusiastischen Drängen stärker werdender Kräfte aber schließlich nach. Zu voller Blüte und imperialer Großmannssucht wuchs sich die Kolonialbewegung aber erst nach Bismarcks Abtritt 1890 aus. Mit der prosperierenden Wirtschaftskonjunktur im Rücken steigerte insbesondere der seit 1897 regierende neuen Reichskanzler Bernhard von Bülow den Kolonialenthusiasmus zu einer zunehmend aggressiven imperialen Außenpolitik. Die Flotte wurde energisch aufgerüstet, weitere Kolonialgebiete wurden beansprucht, und mit der Proklamation "Weltpolitik" betreiben zu wollen, die inner-imperialistischen Konflikte angeheizt, die schließlich in den Ersten Weltkrieg mündeten.

Doch zurück zu den "talks on Afghanistan" auf dem Petersberg. Was hat die Performance von Schröder und Fischer mit Bismarcks Pose des "ehrlichen Maklers" zu tun? Natürlich sind Analogien nur sehr begrenzt erlaubt, zu unterschiedlich sind die historischen Kontexte. Aber mindestens zwei Elemente der Bismarck'schen Außenpolitik sind der derzeitigen verblüffend ähnlich und legen nahe, Verbindungslinien aufzuzeigen.

Zunächst einmal ist da die Proklamation, ohne eigene politische oder wirtschaftliche Interessen auf dem internationalen diplomatischen Parkett als Schiedsrichter zu agieren. Einen ersten Schritt in diese Richtung ging Fischer mit der Forderung nach einer Konferenz zur Lösung der "Kosovo-Frage" Anfang 1999. Diese fand dann in Rambouillet in Frankreich statt, wurde aber stark von Deutschland in Anspruch genommen. Hier sei nach friedlichen Lösungsmöglichkeiten gesucht worden, heißt es seither immer wieder, die aber schließlich von Slobodan Milosevic vereitelt worden seien. Auch wenn das wenig mit dem tatsächlichen Geschehen im Schloss bei Paris zu tun hatte, Fischer konnte die Konferenz für die Inszenierung seiner angeblich vorrangig diplomatischen Krisenlösungsstrategien nutzen. In ähnlicher Weise bringt er die deutsche Diplomatie seit einigen Monaten im Israel/Palästina Konflikt ins Spiel, allerdings wesentlich direkter als noch vor dem Kosovo-Krieg.

Mit den "talks on Afghanistan" ist es der deutschen Außenpolitik seit der Wiedervereinigung 1989 nun erstmals gelungen, in einem weltpolitischen Konflikt, in den alle relevanten internationalen Mächte verwickelt sind, auf der politischen Ebene eine entscheidende Rolle zu spielen. Nicht nur, dass die effiziente Abwicklung und ausgezeichnete Regie der Konferenz - ähnlich wie beim Berliner Kongress 1878 - allenthalben Lob findet, Deutschland drängt sich mit dem Erfolg der Gespräche als Friedensbringer und Vermittler geradezu auf. Fast wäre Deutschland das Oberkommando der "UN-Friedenstruppe", welche in Kabul stationiert werden soll, übertragen worden. Das zumindest brachte US-Außenminister Colin Powell ins Spiel und Schröder/Fischer fühlten sich ungemein geschmeichelt. Nach der erstmaligen Übernahme der Führung eines Nato-Einsatzes in Mazedonien im September wäre dies auf der UN-Ebene der Durchbruch zur abngestrebten "Normalität" als allseits anerkannter Großmacht gewesen. Es fehlte nur noch ein Sitz im UN-Sicherheitsrat. Jetzt wird wohl Großbritannien die Führung der UN-Truppe übernehmen, dennoch war allein die Diskussion über die Möglichkeit, Deutschland diese Aufgabe zu übertragen, ein außenpolitischer Punktsieg.

Normalisierung durch politisches Primat

Ein zweiter historischer Bezug drängt sich auf. Die neu gewonnene politisch-diplomatische Rolle wäre ohne eine voran gegangene territoriale und wirtschaftliche Stärkung Deutschlands unmöglich gewesen. 1871 ist zwar nur begrenzt mit 1989 vergleichbar, schließlich musste die Wiedervereinigung nicht durch einen Krieg erreicht werden. Aber in beiden Fällen veränderte die Vergrößerung Deutschlands nachhaltig die Kräftegleichgewichte in Europa und damit weltweit. Während Bismarck mit seiner Politik des internationalen Ausgleichs nach 1871 darum bemüht war, das neu entstandene Gleichgewicht, von dem das Deutsche Reich profitierte, nicht zu gefährden, geht es den rot-grünen Modernisierern mit ihren politisch-diplomatischen Offensiven um die Wiedererlangung des Status' eines weltpolitischen Faktors. Dies kann heute aus zwei Gründen keine militärisch allzu offensive Politik sein, obwohl auch an dieser Komponente gearbeitet wird. Einerseits ist die Bundeswehr dafür nicht gerüstet. Andererseits wiegt das historische Erbe des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges und des Holocausts noch zu schwer. Erst mühsam muss der deutschen Öffentlichkeit eingebläut werden, dass es "normal" sei, wie Schröder kürzlich im Bundestag proklamierte, dass Deutschland eben auch auf eine militärische Außenpolitik nicht verzichten könne. Und nur langsam - aber immer schneller - können auch die Widerstände im Ausland überwunden werden. Menschenrechtsrhetorik und eben "ehrliches Maklertum" sind die Wegsteine auf dem erfolgreichen Weg der rot-grünen "Normalisierung".

Boris Kanzleiter/ Sherin Abu-Chouka

Anmerkungen:

1) zit. nach: Fröhlich Michael: Imperialismus. Deutsche Kolonial- und Weltpolitik 1880-1914, München 1994 (dtv), S.20.

2) zit. nach: Hampe, Karl-Alexander: Das Auswärtige Amt in der Ära Bismarck, Bonn 1995 (Bouvier Verlag), S.158.

3) zit. nach: Ebenda, S.158.

4) zit. nach: Ebenda, S.163.

5) vgl. Hildebrand, Klaus: Deutsche Außenpolitik 1871-1918. München 1989 (R. Oldenburg Verlag), S.15f.; Fröhlich 1994, S.34ff.; Hampe 1995, S.170ff.

6) Reinhard, Wolfgang: Geschichte der europäischen Expansion. Bd. 4: Dritte Welt Afrika, Stuttgart 1990, S.54.