Happy birthday Hafenstraße
Vom Wallfahrtsort für Autonome zum Sanierungsmodell für Altbauten
Die Verwirrung um den genauen Termin der Besetzung der Häuser markiert bereits einen wesentlichen Unterschied zu vielen anderen Hausbesetzungen und erklärt einen der Trugschlüsse, denen auch viele Linke erlegen sind. Die Besetzung war eine schleichende Inbesitznahme, bei der sich über Monate eine sehr heterogene Gruppe fand und ausbildete. In dem Sinn war die Hafenstraße ein sozialer Prozess, in dem die Homogenität nach außen immer einem kollektiven Willensakt und der Initiative von BewohnerInnen geschuldet war. Sie kämpften um ihr Überleben in den Häusern, bezogen dabei in ihrem Alltag oft radikal (politisch) Stellung und mussten sich erstmal kennen lernen und einigen. Einer der populärsten Irrtümer ist die Annahme, die Hafenstraße wäre ein Wohnprojekt gewesen. Höchstens ist sie vom Wallfahrtsort der autonomen Linken zum Instandsetzungsmodell für Altbauten geworden.
Wenn mensch die Geschichte des Hafens Revue passieren lässt, dann dürfen auch die weniger rühmlichen Kapitel nicht verschwiegen werden. Die wohl umstrittenste Wandparole an der Hafenstr. 108 "Boykottiert "Israel"! Waren, Kibbuzim und Strände! Palästina - Das Volk wird dich befreien! Revolution bis zum Sieg" führte zu heftigen Diskussionen um das Verhältnis zum israelischen Staat und nationalen Befreiungskämpfen sowie linken Geschichtsauffassungen und blinden Flecken im Gedächtnis (vgl. ak 298).
Die Wandbilder und -parolen waren ein beständiger Pol der politischen Positionierung der Hafenstraße innerhalb der Linken und gleichzeitige Frontstellung gegen die Stadt, das Establishment oder "das System". Viele Parolen entstanden oft spontan, während die Wandbilder oft unter Beteiligung vieler kreiert und später zunehmend als Projekte in Zusammenarbeit mit KünstlerInnen geplant wurden.
Das legendäre erste Wandbild am sogenannten 6er - Block sollte sogar ein öffentliches Kunstobjekt im Museum der deutschen Geschichte in Berlin werden. Es wurde angeboten, die Wand abzutragen, um sie restaurieren zu können. Zudem sollte ein Entgelt von ca. 100.000 DM gezahlt werden. Stücke der Wand sollten dann im Raum für bundesrepublikanische außerparlamentarische Opposition neben dem Plattenspieler von Andreas Baader aus seiner Stammheimzelle und einer Fahne von der ersten großen Demonstration der 80er Jahre Häuserkampfbewegung in Berlin ausgestellt werden. Nach kurzer Debatte wurde dieses Anliegen jedoch abgelehnt.
Heute ist die Hafenstraße ein Ort, an dem einige BewohnerInnen auf einer Baustelle arbeiten mit der Möglichkeit, Arbeit anders zu leisten und zu organisieren. Die Balduintreppe ist ein Platz, wo diesen Sommer die ART - Force (AntiRassistischeTat) einige kleine Begehungen unternahm, um die Polizeirazzien gegen SchwarzafrikanerInnen zu behindern. Ein Fortschritt, nachdem jahrelang BewohnerInnen eher zugeschaut oder selbst rassistische Übergriffe von einigen gestartet wurden. Der kollektive Anspruch artikuliert sich noch im Beharren auf gemeinsame Entscheidungen und Plena, die unregelmäßig und auf Einzelinitiative stattfinden. Die Selbstverwaltung, die einst von 30 Menschen organisiert wurde, findet heute mit fünf bis zehn Leuten statt. Im Alltag hat sich die Sehnsucht nach einem anderen Leben oft in sehr gewöhnliche Verhältnisse verkehrt. Ab und zu wird jedoch diese Routine durchbrochen, wie im April diesen Jahres, als BewohnerInnen und FreundInnen im Scharmützel mit der Polizei ihre Rechte verteidigten. Anlass war eine 500.000 Mark teure New-Media-Party, die der Käufer der Flora, Klaus Kretschmer, am Hafen veranstaltet hatte. Damit die Multimedia- und Yuppiszene ungestört feiern konnte, wurde der öffentliche Raum rund um die Kasematten von Polizei und Sicherheitskräften abgesperrt. Bei den Protesten gegen die Yuppisierung und Vermarktung des Hafens wurden mehrere DemonstrantInnen festgenommen.
Die Hafenstraße besteht aus zwei Institutionen: ein Verein, der die MieterInnenselbstbestimmung garantiert und eine Genossenschaft, die die Sanierung abwickelt. Tätigkeiten, die Arbeit bedeuten, oft auch Nervenkraft, jedoch inzwischen Routine sind. Im Gedächtnis mancher BewohnerInnen bedeuteten der Pachtvertrag von 1987 mit dem Senat und der Kauf der Häuser 1996 den faden Beigeschmack der verlorenen Utopie, nachdem einige zwischendurch einen anderen Horizont gesehen hatten. Im Laufe der Jahre sind viele BewohnerInnen ausgezogen, andere sind neu reingekommen. Dennoch gibt es angesichts der Flüchtigkeit in der Linken hier noch erstaunlich viele vom alten Stamm und einen Hort an Erfahrungen. Auf einer Talk-Show des Autonomieclub AHOI im Sommer ernteten einige BewohnerInnen mit ihren Darlegungen reges Interesse und Nachfragen. Gut möglich, dass nach Abschluss des Mittelblocks, wenn Zweidrittel der Häuser saniert sind, mal eine Party steigt, die diesen Namen auch verdient. Vielleicht mit einer Versteigerung alter Wandbildreste und einem Einblick in die Chancen und Möglichkeiten, die sich am Hafenrand weiterhin bieten. Die einzigartige Aussicht, ein neues Wandbild am 6er-Block, die Nutzung von Freiflächen im Rahmen von Park Fiction (vgl. ak 449), der Polizei auf die Füße treten und Veranstaltungen in den Läden und Kneipen sind nur einige der möglichen Projekte und Aktionen.
Frank John