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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 457 / 20.12.2001

Wunder gibt es immer wieder

Statt Ampel nun Rot-Rot in Berlin

Wunder gibt es immer wieder: Am 4. Dezember platzten die Gespräche über die Berliner Ampelkoalition. Die FDP lehnte Steuererhöhungen auf Motorboote, Getränke und Grundstücke ab, die Grünen wollten Autobahnausbau und Olympiabewerbung nicht mittragen und die SPD hatte ohnehin auf ein Linksbündnis mit der PDS statt die von der Bundespartei aufgedrückte Ampelkoalition hingearbeitet. Dass Koalitionsgespräche aus inhaltlichen Gründen scheitern, nachdem sie einmal aufgenommen wurden, schien dabei im Selbstverständnis deutscher Parteien bislang nicht recht vorgesehen.

Nun kommt es doch zu Rot-Rot in der Hauptstadt. In den Verhandlungsrunden, die bis Mitte Januar abgeschlossen sein sollen, präsentiert sich die PDS - anders als im Frühjahr, als sie wusste, dass sie in die Koalition wollte, nicht aber wozu - bislang gut vorbereitet. Das Gesprächsklima mit der SPD ist konstruktiv. Beide Seiten verzichten darauf, sich entlang von Symbolthemen vorzuführen. So handelte die PDS den Sozialdemokraten den Verzicht auf eine Olympia-Bewerbung für 2012 ab, im Gegenzug stimmte sie dem Ausbau des Flughafens Schönefeld zu.

Im Bereich der Inneren Sicherheit einigten sich die Parteien auf die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte. Statt der Videoüberwachung öffentlicher Plätze, wie sie beispielsweise Brandenburg praktiziert, soll die PDS-Idee von mehr Beamten auf der Straße umgesetzt werden. Die "Verwaltung der Verwaltung" (PDS) wird zu Gunsten des Streifendienstes reduziert. Die Verkrustungen, die die große Koalition hinterlassen hat, machen es der PDS leicht, sich zugleich als Bewahrer der Bürgerrechte und als Ordnungspartei zu präsentieren. Die "Law-and-order"-Innensenatoren der CDU hatten es zehn Jahre lang nicht einmal vermocht, die Polizeidienststellen mit Computern auszustatten, statt dessen aber sinnlose Repräsentationseinrichtungen wie die Reiterstaffel und das Polizeiorchester beibehalten. Nun modernisiert die PDS die Berliner Polizeistruktur.

Die eigentliche Auseinandersetzung um die Haushaltskonsolidierung steht der neuen Koalition jedoch noch bevor. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit sprach nach den Wahlen von notwendigen Sparmaßnahmen, angesichts derer die ganze Stadt "quietschen" werde. Die PDS plädiert für "sozial gerechtes Sparen". Bereits wenige Tage nach der Abgeordnetenhauswahl hatte die SPD ihr Versprechen gebrochen, den Bildungsetat von Kürzungen auszunehmen. So sahen die Ampel-Vereinbarungen die Privatisierung sämtlicher Kindertagesstätten vor. Eltern befürchteten steigende Beiträge, die Gewerkschaften die Flucht aus den Tarifverträgen. Nach Angaben der GEW hat die SPD in den laufenden Koalitionsverhandlungen die Streichung von 300 Lehrer- und Erzieherstellen vorgeschlagen. Die Ver.di-Landeschefin Susanne Stumpenhusen kündigte Streiks für den Fall einer Kita-Privatisierung an. Bereits 1989 hatte das Kita-Thema die rot-grüne Koalition an den Rand des Scheiterns gebracht, als der Senat trotz eines wochenlangen Streiks der Beschäftigten Lohnerhöhungen ablehnte und damit die ureigenste Klientel der Alternativen Liste gegen sich aufbrachte.

Berlin, Berlin,
wie wirste dir verändern

Offen ist auch noch, wie das von SPD und PDS beschlossene Sparziel von einer Milliarde Mark jährlich bei den Beschäftigten im Öffentlichen Dienst umgesetzt werden soll. Während die SPD betriebsbedingte Kündigungen nicht ausschließen will, sperrt sich die PDS dagegen. Seit 1990 wurden bereits 50.000 Stellen in der Verwaltung gestrichen - allerdings ohne eine gleichzeitige Verwaltungsreform. In einzelnen Bereichen wie den Sozialämtern müssen nun weniger Beschäftigte die gleiche Leistung erbringen, während anderswo Prestigeposten in der oberen Verwaltungshierarchie nach der Bezirksfusion doppelt besetzt blieben. Ver.di-Landeschefin Stumpenhusen hat auch gegen betriebsbedingte Kündigungen Widerstand angekündigt. Angesichts ihrer Biografie kann man darauf hoffen, dass es sich nicht um das übliche wortgewaltigen Säbelrasseln der Gewerkschaften handelt, dem das ebenso übliche baldige Einknicken folgt. Stumpenhusen entstammt nicht dem verkrusteten Gewerkschaftsapparat, sondern kennt das Berliner Elend aus eigener Erfahrung: Nach zehnjährigem geisteswissenschaftlichen Studium hangelte sie sich von einer ABM-Stelle zur nächsten.

Mit Sparmaßnahmen alleine ließe sich der Haushalt nicht sanieren, so Stumpenhusen: "Berlin muss langfristig sein Einnahmeproblem lösen, die Wirtschafts- und Finanzkraft der Stadt ist viel zu gering." Der rot-roten Koalition fehlt aber jedes Konzept, wie die wirtschaftliche Misere der Hauptstadt zu ändern wäre. Das ist schon deshalb kein Wunder, weil alle möglichen Ideen schon in den letzten Jahren verbraucht wurden, aber nicht aufgingen oder nur einen geringen Effekt hatten - von der Olympiabewerbung über Regierungsumzug und Ansiedlung der New Economy bis hin zu massiven Infrastrukturinvestitionen. Was der neuen Koalition noch bleibt, sind kleinteilige Maßnahmen: Förderung einzelner Projekte, Abbau von Bürokratie in den Genehmigungsverfahren, Aufbau Berlins als Bildungsmetropole mit dem Standortfaktor "Human Resources". Dass Berlin vermehrt Investoren anziehen wird, ist nicht völlig auszuschließen, aber nur wenig vom Senat zu beeinflussen.

Der PDS-Kurs des "sozial gerechten Sparens" leitet daher ein neues Kapitel in der Konzeption linker Regierungsbeteiligungen ein. Waren die ersten rot-grünen Koalitionen noch von einem "Sofortismus" begleitet ("Sofortiger Ausstieg aus der Atomenergie") - so als sei ein parlamentarischer Regierungswechsel eine Revolution mit der Wahlurne - richtete sich die Regierungslinke von PDS und Grünen auf nachhaltige Reformen in einem Zeithorizont von ein bis zwei Legislaturperioden ein. Davon ist seit Amtsantritt der rot-grünen Bundesregierung keine Rede. Die wenigen Reformprojekte in Bereichen wie der Energiepolitik sind auf 20-30 Jahre angelegt. Bei der Berliner PDS bleibt nun jedoch nicht mehr als das vage Versprechen, dass es der nächsten Generation einmal besser gehen möge.

M.R.