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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 457 / 20.12.2001

Moderater Paukenschlag

IG Metall bereitet die kommende Tarifrunde vor

Der Vorstand der zweitgrößten Gewerkschaft der Welt, der IG Metall, gab am 10. Dezember seine Forderungsempfehlung an die Bezirke für die kommende Tarifrunde bekannt. Die Arbeitgeberseite schäumte und sprach von "traumtänzerischen" Forderungen. Dabei ist der vorgelegte Forderungskorridor von 5-7% Lohn- und Gehaltssteigerung in 2002 bloß eines: moderat. Entgegen dem Geschrei der Arbeitgeberpräsidenten bleibt diese Vorgabe auf dem Niveau der letzten Jahre. Dennoch gibt es für die kommende Tarifrunde einige Besonderheiten. Das Land befindet sich in einer wirtschaftlichen Rezession, die anderen kapitalistischen Zentren ebenfalls; die Tarifrunde findet unter dem Vorzeichen einer bevorstehenden Bundestagswahl statt und nicht zuletzt ist die Forderung nach höheren Tarifabschlüssen aus kampfstarken Betrieben laut und deutlich zu vernehmen. Die IG Metall steht deshalb unter besonderer Beobachtung.

Es ist allgemein bekannt: Eine Forderung ist kein Abschluss, und aus Erfahrung weiß man, dass sich die Tarifabschlüsse in der Regel bei der Hälfte der ursprünglichen Forderung bewegen - also würde das Ergebnis hier zwischen 2,5% und 3,5% liegen. So wird auch mit diesen Forderungen der IG Metall einmal mehr der kostenneutrale Verteilungsspielraum (Inflationsrate plus Produktivitätssteigerung) nicht einmal ausgeschöpft; von einer Umverteilung hin zu den Löhnen ganz zu schweigen. Legt man einen Anstieg der Inflationsrate um 2% und einen Produktivitätsanstieg von ebenfalls 2% zu Grunde, würde also mit einem Abschluss von maximal 3,5% de facto eine weitere Umverteilung hin zu den Unternehmensgewinnen stattfinden. Trotz aller Aufgeregtheiten und Beschimpfungen aus dem Unternehmerlager und den weisen Empfehlungen aus den wirtschaftswissenschaftlichen Instituten über die "traumtänzerischen" Forderungen der IG Metall: Von den Empfehlungen der Wirtschaftsforschungsinstitute liegt die IG-Metall-Forderung gar nicht weit entfernt. Diese halten Abschlüsse von bis zu 3% für akzeptabel.

"Traumtänzerische Forderungen"

Die Bundesregierung geht in ihrer Konjunkturprognose für das Jahr 2002 von einen Anstieg der Lohnzuwächse um 2,7% aus. Eine Prognose, die die stellvertretende DGB-Vorsitzende Engelen-Kefer "für eine realistische Einschätzung" hält. (Handelsblatt, 12.11.) Auch wenn Meldungen über Lohnabsprachen zwischen Gewerkschaften und Bundesregierung für die Tarifrunde 2002 seitens des DGB dementiert wurden, zumindest der Handlungsrahmen dürfte doch abgesteckt worden sein. Die Gewerkschaften sind sich ihrer "gesamtgesellschaftlichen Verantwortung" brav bewusst und haben kaum ein Interesse, die Vorgaben aus den Instituten zu überschreiten.

Doch in dieser Tarifrunde bleibt eine Komponente nur schwer einschätzbar: die Stimmungslage in den Betrieben. Zumindest in den größeren Unternehmen scheint es heftig zu gären. Forderungen zwischen 9% und 12%, im Durchschnitt 10,4% forderte beispielsweise die Vertrauensleute-Vollversammlung bei DaimlerChrysler aus dem Werk Wörth am 1. Dezember für die nächste Tarifrunde. (1) Forderungen in dieser Größenordnung sind keine Seltenheit. Sie können sich auch auf Aussagen ihres Ersten Vorsitzenden berufen, der vor noch nicht allzu langer Zeit Lohnerhöhungen von 10% als durchaus angemessen ansah. In der Zwischenzeit ist Klaus Zwickel wieder zurückgerudert.

"Zwickel verspricht Tarifrunde mit Augenmaß", titelte das Handelsblatt Anfang Oktober und zitierte den IG-Metall-Vorsitzenden folgendermaßen: "Seine Gewerkschaft werde die wirtschaftlichen Risiken infolge der Terroranschläge bei ihrer Lohnforderung berücksichtigen. Für den Fall einer Rezession kündigt Zwickel tarifpolitische Alternativszenarien an." Zwickel wörtlich: "Es gibt keinen Anlass davon auszugehen, dass wir in der anstehenden Tarifrunde unvernünftig handeln werden." (Handelsblatt, 4.10.) Davon brauchte bisher niemand auszugehen; die Gewerkschaften wurden ja schon immer ihrer "gesamtwirtschaftlichen Verantwortung" gerecht.

Nur muss Klaus Zwickel und mit ihm andere gewerkschaftliche Verhandlungsführer in der bevorstehenden Tarifrunde berücksichtigen, dass der Unmut in vielen Betrieben über die Lohn- und Gehaltsentwicklungen der letzten Jahre doch sehr stark ist. An die "Absprachen" im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit hielten sich zwar die Gewerkschaften, nicht aber die Unternehmen. Im Bündnis traf man zum Beispiel die Verabredung, den durch den Produktivitätsanstieg zur Verfügung stehenden Verteilungsspielraum für beschäftigungswirksame Vereinbarungen zu nutzen. Die IG Metall stimmte einer zweijährigen Laufzeit des Tarifvertrages zu, mit einer Erhöhung der Tarifgehälter von 3% zum 1. März 2000 und 2,1% zum 1. Mai 2001. Doch selbst der Vorsitzende der IG Bergbau, Chemie, Energie ( IG BCE), Hubertus Schmoldt, musste feststellen: "Die Arbeitgeber haben uns im Bündnis zugesagt, dass sie die durch niedrige Lohnabschlüsse entstehenden Spielräume für die Schaffung neuer Arbeitsplätze nutzen wollen. Diese Zusage haben sie bislang nicht eingehalten." (Handelsblatt, 6.7.)

"Ertragsabhängige Komponenten berücksichtigen"

Aus der Kombination von Reallohnverlusten bei gleichzeitiger Intensivierung der Arbeitshetze speist sich der Unmut in den Betrieben. Sieht man sich die Entwicklungen bei den Einkommen aus abhängiger Beschäftigung und bei den Gewinnen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen an, so ist ein stetiges Auseinanderdriften zu Gunsten der Gewinne festzustellen. Dieser Unmut der "Basis" über die Vereinbarungen im Bündnis für Arbeit kam auch bei der Gewerkschaftszentrale in Frankfurt am Main an. Deshalb lehnte Klaus Zwickel schon Anfang Oktober diesen Jahres eine ähnliche Vereinbarung wie die von Anfang 2000 im Bündnis für Arbeit ab. Nachdem die Vorschläge von Zwickel (kurzfristige Tarifverträge, differenziertere Tarifpolitik) auf erheblichen Gegenwind aus den Betrieben stießen, wurde das von Kanzler Schröder gewünschte neuerliche Zusammentreffen im Bündnis für Arbeit seitens der Gewerkschaften abgesagt.

An der Tariffront hätte Schröder gerne Ruhe gehabt. Aber jetzt, nach der Empfehlung des IG-Metall-Vorstandes an die Bezirke, herrscht, trotz der überaus moderaten Forderungen, allenthalben Unruhe. "Trotz Konjunkturflaute wollen die Gewerkschaften von moderaten Lohnrunden nichts wissen", stellt die Frankfurter Rundschau (8.12.) fest.

Dabei besteht mehr als genug Aufholbedarf. Gesamtwirtschaftlich betrachtet, stiegen die nominalen Bruttolöhne und -gehälter zwischen 1991 und 2000 um jährlich 2,5%. Rechnet man nur die Preissteigerungsrate heraus, bleibt im gleichen Zeitraum ein Anstieg der jährlichen realen Bruttolöhne und -gehälter je Beschäftigten von 0,2% übrig. Seit 1991 hat die Kaufkraft der abhängig Beschäftigten um 5,9% abgenommen. Einen wesentlichen Anteil an dieser Umverteilung hatte die staatliche Politik: Lagen die Abzüge an Steuer- und Sozialversicherungsbeiträgen von den Bruttolöhnen und -gehältern 1991 noch bei 30,5%, so stiegen sie bis 2000 auf 35,8%. Und weil ja entscheidend ist, was hinten rauskommt, sei zuschlechterletzt die Entwicklung der realen Nettolöhne und -gehälter benannt: Da ergibt sich eine jährliche durchschnittliche Reduzierung von 0,7%.

Der umgekehrte Trend ist bei der Besteuerung der Bruttogewinne festzustellen: Die privatunternehmerischen Bruttogewinne stiegen im Zeitraum von 1980 bis 2000 um 71,4%. Dagegen stiegen die Nettogewinne (auf Grund ständig sinkender Steuerbelastung) real im gleichen Zeitraum sogar um 96,5%. Eine gelungene Form staatlicher Umverteilungspolitik zu Gunsten der Gewinneinkommen. Schaut man sich noch die Kapitalrendite an (also die Entwicklung der Gewinne im Verhältnis zum eingesetzten Kapital), so kommt Erstaunliches zu Tage. Seit 1988 (und mit Ausnahme der Rezessionsjahre 1992/93) bewegt sich die Netto-Kapitalrendite im zweistelligen Bereich. Im Verlauf der 90er Jahre wurde damit deutlich der Durchschnittswert der 70er und 80er Jahre überschritten. (2)

Der Ausgang der Tarifrunden im nächsten Jahr wird nicht unwesentlich davon abhängen, ob die IG BCE oder die IG Metall den ersten Abschluss vorlegt. Sowohl die Tarifverträge in der Metall- als auch in der Chemieindustrie laufen zum 1. März aus. Der Vorsitzende der IG BCE, Hubertus Schmoldt, hält sich bisher mit Stellungnahmen zu den IG-Metall-Empfehlungen vornehm zurück und will die Tarifforderung erst Ende Januar bekannt geben. Die IG BCE wird wesentlich stärker auf betriebliche Belange eingehen und eine "ertragsabhängige Komponente" mit in den Tarifverhandlungen berücksichtigen. Das Stichwort lautet "differenziertere Tarifabschlüsse". Bei der IG BCE ist davon auszugehen, dass sie einem wesentlich niedrigeren Abschluss zustimmen würde. Wird dieser vor dem Abschluss in der Metallindustrie vereinbart, so sinken die Chancen für die IG Metall, einen höheren Abschluss durchzusetzen.

Angesichts der Gefahr eines weiteren konjunkturellen Abschwungs und eines Verharrens in der Rezession wird der IG Metall trotz der niedrigen Forderung ein rauer Wind ins Gesicht blasen. Dies könnte dann wiederum auch Auswirkungen auf die Kampfbereitschaft in den Betrieben haben.

Dazu kommt, dass auch das Gegeneinanderausspielen der Belegschaften aus den großen Automobilunternehmen gegen die Belegschaften aus den Zulieferunternehmen in den nächsten Wochen einsetzen wird. Dass die (Gewinn-)Situation in Zuliefererunternehmen, wesentlich schlechter als in den Endunternehmen ist, liegt im Wesentlichen an den Knebelverträgen der Endabnehmer. Jüngstes Beispiel - aus dem Handel - ist die Vorgehensweise des KarstadtQuelle-Konzerns, der von seinen Lieferanten eine dreiprozentige "Rückvergütung" des bisherigen Jahresumsatzes "erbat" und seine "Bitte" mit "In Hoffnung auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit" beschloss - eine auch den Zuliefererbetrieben in der Metallbranche nicht unbekannte Methode der Risiko- bzw. Kostenverlagerung. Dies zu thematisieren, wäre eigentlich Aufgabe der Gewerkschaften, und nicht das Jonglieren mit Arbeitgebervorschlägen wie etwa ertragsabhängige Lohnabschlüsse.

Oder doch etwa Klassen-
bewusstsein?

Ende Oktober hatte Klaus Zwickel variable Lohnabschlüsse bei der Strategiefindung für die nächste Tarifrunde ins Spiel gebracht. Sein Vorschlag: In der ersten Stufe eine Lohnerhöhung für alle Beschäftigten, in der zweiten Stufe eine Orientierung am wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens. Ein durchaus nicht neuer Vorschlag, sieht man von dem kleinen Unterschied ab, dass er bislang von den Unternehmen vorgelegt und von der IG Metall abgelehnt worden war. Klaus Zwickel und der Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg, Berthold Huber, konnten sich bei ihrer Basis damit ebenso wenig durchsetzen wie mit dem Vorschlag, Tarifabschlüsse mit kurzer Laufzeit zu vereinbaren. Letzteres stößt allerdings auch auf Arbeitgeberseite nicht auf Gegenliebe.

Variable Tarifabschlüsse bedeuten letztlich nichts anderes als die Aufgabe einer gemeinsamen Tarifpolitik in einer Branche. Dass diese Vorgehensweise in den Bezirken nicht aufgegriffen wurde, deutet durchaus auf eine Art, nennen wir es mal so, "Klassenbewusstsein" hin. Die nächste Tarifrunde wird zeigen, ob sich dieses Bewusstsein trotz Rezession, trotz Gegenwind, trotz gewerkschaftsinterner Widersprüche materialisiert. Das Ende der Bescheidenheit wurde schon oft ausgerufen. Voraussetzung dafür wäre allerdings nicht ein Abschluss bei der Hälfte der jetzigen Forderung, sondern die volle Ausschöpfung des Forderungsrahmens. Daran darf, wer die gewerkschaftliche Landschaft kennt, zweifeln. Aber vielleicht melden sich ja die Vertrauensleutekörper mit ihren zweistelligen Forderungen noch einmal deutlicher zu Wort.

Georg Wißmeier

Anmerkung:

1) Weitere Informationen zur Tarifrunde unter: www.labournet.de/gewlinke/tarpo

2) Die Angaben beruhen auf der Studie des DGB "Zur Einkommensentwicklung in Deutschland: Arbeitnehmerkaufkraft seit 1991 stetig gesunken" Herausgeber: DGB-Bundesvorstand Abt. Struktur- und Umweltpolitik; www.dgb.de/idaten/einkommen.pdf