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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 458 / 18.1.2002

"Der Gefangene selbst ist immer ein politischer Gefangener"

Ex-Black Panthers über das US-Gefängnissystem und den Widerstand dagegen

Im Dezember 2001 besuchten Robert "King" Wilkerson und Marion Brown die Bundesrepublik. Beide sind Ex-Mitglieder der Black Panther Party (BPP) und engagiert in der US-Kampagne zur Freilassung politischer Gefangener. Robert Wilkerson saß 31 Jahre in amerikanischen Gefängnissen, darunter im berüchtigten Staatsgefängnis von Louisiana, auch "Angola" genannt. Zusammen mit Herman Wallace und Albert Woodfox bildete er die so genannten Angola 3. Während Wilkerson im Februar 2001 den Knast verlassen konnte, sitzen Wallace und Woodfox weiterhin lebenslange Freiheitsstrafen ab. Das folgende Interview führte Lars Stubbe in Hamburg. Wilkerson und Brown äußern sich darin zur Geschichte der "Angola 3", zum Gefängnissystem in den USA und zu den politischen Perspektiven der Bürgerrechtsbewegung nach dem 11. September 2001.

ak: Hi, Robert, hi, Mary, bitte stellt euch kurz vor und sagt, warum ihr nach Hamburg gekommen seid.

Robert Wilkerson: Mein Name ist Robert K. Wilkerson. Ich bin einer der "Angola 3" und bin im Februar 2001 aus dem Staatsgefängnis "Angola" von Louisiana entlassen worden. Ich bin nach Hamburg aus dem selben Grunde gekommen, aus dem ich überhaupt zur Zeit innerhalb und außerhalb der USA unterwegs bin, nämlich um die Kampagne für meine beiden anderen Genossen der "Angola 3" bekannt zu machen und zu unterstützen. Sie sind genau wie ich Opfer des Justiz- und Knastsystems und eines durchsichtigen Komplotts im Knast.

Marion Brown: Mein Name ist Marion Brown. Ich war Mitglied der Black Panther Party in New Orleans. Die "Angola 3" waren Mitglieder unserer Gruppe. Sie wurden später Mitglieder der "Angola"-Zelle unserer Organisation, die einzige organisierte und anerkannte Knastgruppe der BPP. Bei der Kampagne zur Freilassung der "Angola 3" geht es gleichzeitig auch um die über 100 politischen Gefangenen aus den Kämpfen der 60er- und 70er-Jahre, die immer noch in den US-Gefängnissen sitzen, teilweise auf Grund des COINTELPRO-Programms (1), und deren Fälle nicht so bekannt sind wie etwa die von Mumia Abu Jamal oder Geronimo Pratt. Gleichzeitig legen wir im Zuge dieser Kampagne den Focus auf eine dringend notwendige Gefängnisreform, nicht nur in Louisiana, sondern in den gesamten USA. Unsere Kampagne richtet sich gegen den entstehenden "gefängnis-industriellen Komplex" in Amerika.

Robert, auf Grund welcher Anschuldigungen bist du überhaupt nach "Angola" gekommen?

RW: Das ging los 1970. Im Zusammenhang mit Ermittlungen wegen eines Überfalls hatte die Polizei von New Orleans mich auf Grund dubioser Zeugenaussagen verfolgt, Hausdurchsuchungen bei mir vorgenommen und mich verhaftet. Stichhaltige Beweise gab es nicht. Dennoch wurde ich mit zehn zu zwei Stimmen von den Geschworenen schuldig gesprochen und zu 35 Jahren verurteilt. Ich war sehr wütend, und ich denke, dass war der Beginn meiner Politisierung. Ich wusste zwar, dass etwas in dieser Gesellschaft falsch lief, ich sah auch die Spaltungen in dieser Gesellschaft, und ich wusste, dass ich ein Opfer des Rassismus war. Aber ich konnte diese Dinge nicht richtig definieren und beschreiben, meine Gefühle hatten keinen politischen Ausdruck. Dieses Urteil und die Zeit im Knast lösten bei mir einen tiefen Reflexionsprozess über mich, meine Lage, diese Gesellschaft und die politischen und sozialen Verhältnisse aus.

Wie bist du dann zu den Black Panthers gekommen?

RW: Irgendwann im September 1970 gab es eine Sondermeldung im Fernsehen. Eine Gruppe Militanter hatte sich in einem Wohnblock in New Orleans verbarrikadiert und sich mit der anrückenden Polizei eine Schießerei geliefert. Das war damals absolut ungewöhnlich. Ich fand das sehr aufregend und hatte den Wunsch, irgendwie bei den Leuten zu sein, die sich gegen die Polizei wehrten, irgendwie mitmachen zu können. Wie durch ein Wunder - und nicht zuletzt durch die Beteiligung der Community - sind die Besetzer nicht erschossen worden. Sie wurden verhaftet und kamen schließlich in den Knast von New Orleans, wo ich auch saß; neun Männer und drei Frauen. Es stellte sich heraus, dass sie der Kern der BPP in New Orleans waren.

Es gab damals eine Reihe von politischen Organisationen, aber die BPP hatte eine klare Strategie, eine klare ideologische und politische Plattform: Wir wollen Freiheit, politische Selbstbestimmung, Ende der Polizeibrutalität, Freiheit für alle politischen Gefangenen. Wir wollen menschenwürdige Wohnungen, Bildung für unsere Kinder; wir wollen ein Ende der politischen Entmündigung und der ökonomischen Ausbeutung. Das hat mich sehr beeindruckt. Ich habe dieses Programm nicht nur akzeptiert, ich habe es "geheiratet". Ich habe es wie eine zweite Haut getragen, und so wurde ich Mitglied der BPP. Und damit wurde ich gleichzeitig ein Ziel der staatlichen Repression. Ich habe vieles nicht verstanden und war bestimmt kein geschulter Kader, aber das hat den Staat nicht interessiert. Ich war Mitglied der BPP, und das zählte.

Wie sah die Situation bei Herman Wallace und Albert Woodfox aus?

RW: Im Grunde sind wir alle drei letztlich im Gefängnis politisiert worden. Herman und Albert waren auch eine Zeit lang im Knast in New Orleans. November 1971 sind sie dann nach "Angola" verlegt worden, nicht zuletzt auf Grund unseres politischen Engagements und unserer Kontakte zur BPP.

Als Herman und Albert nach "Angola" kamen, kamen sie in eine durch und durch alte und verrottete Institution. "Angola" war damals ziemlich hart und brutal. Die Gefangenen hatten keinerlei Rechte, sie waren praktisch Sklaven. Der Knastapparat und die Verwaltung waren rein weiß. Die Schließer, schwarze und weiße, waren bewaffnet und machten gnadenlos von der Schusswaffe Gebrauch. Gefangene wurden häufig zusammengeschlagen und vergewaltigt. Oft genug haben sich auch Gefangene an den Schikanen und Übergriffen beteiligt, "Angola" galt zu dieser Zeit als das blutigste Gefängnis der USA. Herman und Albert haben in dieser Umgebung mit politischer Schulung begonnen. Sie initiierten auch Kämpfe gegen die Zwangsarbeit im Knast. Der Arbeitstag in "Angola" war unglaublich lang und hart, 17, 18 Stunden am Tag für zwei Cent in der Stunde. Das alles war der Knastverwaltung natürlich ein Dorn im Auge.

Im April 1972 wurde ein Schließer tot aufgefunden, und die ersten, denen man diese Tat anhängen wollte, waren die politischen Aktivisten der BPP. Herman und Albert wurden sofort in Einzelhaft genommen. Obwohl keinerlei Beweise für ihre Tatbeteiligung vorlagen, wurden beide zu lebenslänglich verurteilt. Inzwischen liegen Beweise dafür vor, dass der Zeuge der Anklage vom Staat gekauft worden war. Herman und Albert sind Opfer einer staatlichen Verschwörung geworden, weil sie Black Panther waren.

Worum ging es in deinen späteren Auseinandersetzungen mit der Justiz in Louisiana?

RW: Ich bin kurz danach nach "Angola" verlegt worden. Im Sommer 1973 kam es im Isolationstrakt zu einer Messerstecherei. Wir hatten zu elft Ausgang, und zwischen zwei Gefangenen brach der Kampf aus, wobei einer ums Leben kam. Zunächst wurde gegen alle elf ermittelt, aber bereits nach wenigen Wochen ging es nur noch um mich und denjenigen, der den anderen in Notwehr erstochen hatte. Obwohl die Wunden eindeutig zu dem Messer gehörten, obwohl Schließer aussagten, dass ich nicht an dem Kampf beteiligt war, wollte mir der Staat diese Tat anhängen. Wir wurden beide zu lebenslanger Haft verurteilt. In den Berufungsverfahren hat der Mitangeklagte eindeutig für mich ausgesagt. Er hat bekundet, den Gefangenen in Notwehr erstochen zu haben. Die Aussage eines Belastungszeugen musste als offenkundig unglaubwürdig zurückgezogen werden. Dennoch wurde ich wieder verurteilt auf Grund der Aussage eines einzigen Zeugen. Andere Zeugen, die ursprünglich für mich ausgesagt haben, waren nicht mehr vorgeladen worden.

Ab 1987 ging es dann darum, ob in den bisherigen Prozessen meine verfassungsmäßigen Rechte verletzt worden waren. Schließlich wurde mir folgender Deal angeboten: Ich sollte die Klage in Bezug auf meine verfassungsmäßigen Rechte fallen lassen. Dafür wurde der ursprüngliche Fall von einem Mord in einen Totschlag umgewandelt, für den ich dann die Strafe abgesessen hätte. Ein Verfahren um meine verfassungsmäßigen Rechte hätte sich noch Jahre hinziehen können, ich hätte darüber im Knast sterben können. Mir war schon unbehaglich bei diesem Deal, aber Herman und Albert waren beide der Auffassung, dass es auch für sie besser wäre, wenn ich raus käme und von draußen ihren Kampf weiter unterstützen würde. Somit habe ich - obwohl unschuldig - diesen Deal akzeptiert und konnte im Februar 2001 "Angola" verlassen.

Welche Perspektive hat eigentlich der Kampf für die Freilassung der politischen Gefangenen in den USA?

MB: Ursprünglich lag unser Focus auf den "Angola 3" und damit der BPP in "Angola". Im Zuge unserer Kampagne haben wir Kontakt aufgenommen zu UnterstützerInnen für andere politische Gefangene. Es ist eine naturwüchsige Koalition, weil einfach so viele Menschen im Knast sind. Man kann sich einfach nicht nur um einen kümmern, und das war's dann. Es ist ein langsamer Graswurzelprozess, denn in vielen Fällen kann man einfach nicht mehr voraussetzen, dass die Leute wissen, warum wer einsitzt, welche staatlichen Konstrukte gegriffen haben usw.

Was wir immer wieder betonen, ist, dass das, was den politischen Gefangenen passiert ist, schnell auch anderen passieren kann. Das gilt erst recht nach den neuen Sicherheitsmaßnahmen nach dem 11. September. Die staatliche Suspendierung von elementaren bürgerlichen Freiheitsrechten ist nach dem 11. September von zentraler Bedeutung. Zumal die USA behaupten, sich im Krieg zu befinden. Damit können tendenziell alle Bürgerrechte außer Kraft gesetzt und durch Kriegsrecht ersetzt werden. Und diese Maßnahmen sind nicht nur kurzfristiger Natur, sie gelten für lange Zeit. Eine solche Außerkraftsetzung bürgerlicher Freiheitsrechte ist immer gefährlich.

Geht es bei eurer Kampagne hauptsächlich um die Freilassung der politischen Gefangenen?

MB: Über die Kampagne für die "Angola 3" sind wir mit vielen Menschen in Kontakt gekommen, die nicht unbedingt im engen Sinne politische AktivistInnen sind oder sich als politisch verstehen. Aber der Gefangene selbst ist immer ein politischer Gefangener, denn wenn man Geld und Macht und Einfluss hat, dann landet man nicht in "Angola". Louisiana hat pro Kopf die meisten Gefangenen aller Staaten der USA. In Louisiana werden die meisten lebenslangen Freiheitsstrafen verhängt. Und in Louisiana werden die wenigsten Bewährungen ausgesprochen. In Louisiana ist ein gewaltiger "gefängnis-industrieller Komplex" entstanden, der auch nationale Bedeutung gewinnt. Die meisten Staaten geben inzwischen mehr Geld für Gefängnisse als für Bildung aus. Über die "Angola 3" werden also immer mehr Dinge zum Thema, nicht nur die politischen Gefangenen im engeren Sinne. Selbst Leute, die mal die "One-Strike"- oder "Three-Strike"-Gesetze (2) unterstützt haben, sind inzwischen nachdenklich geworden, allein wegen der reinen Zahlen. Über zwei Millionen Menschen in den USA sitzen im Gefängnis! Und das am schnellsten wachsende Segment der Knastbevölkerung sind Frauen. Also gibt es jetzt eine wachsende Zahl von Kindern, deren Mütter (und oft genug auch Väter) im Knast sitzen. Angesichts dieser Domino-Effekte werden selbst Hardcore-Law-and-Order-Typen nachdenklich. Dies alles sind Gründe, warum unsere Bewegung wächst, zu einer Bürgerrechts- und Anti-Knast-Bewegung wird, die nicht nur traditionell linke Gruppen umfasst.

Wie sieht die Situation, nach dem 11. September aus? Gibt es neue politische Bewegungen, die ernsthaft in der Lage wären, den Krieg zu stoppen und die Law-and-Order-Spirale zurückzudrehen? Welche Kontakte und Verankerungen gibt es zwischen den "alten" AktivistInnen und neuen linken Organisierungsversuchen?

MB: Ich denke, es fängt langsam an, dass die Maßnahmen, die der Staat nach dem 11. September ergriffen hat, in Frage gestellt werden. Auf Dauer wird die gezielte Desinformation nicht aufrecht erhalten werden können. Ich bin auch deswegen zuversichtlich, weil es in Amerika eine lange bürgerrechtliche Tradition gibt, eine Tradition, sich bestimmte Schreckensbilder von Polizeibrutalität u.ä. nicht ewig anzugucken. Die Zahl der BürgerrechtsaktivistInnen hat in den letzten Jahren beständig zugenommen, nachdem "Linkssein" lange als ein als schlechter Witz betrachtet wurde. Viele der früheren AktivistInnen besinnen sich auf ihre Geschichte, man sieht sie wieder. Und viele Jüngere, die lange einfach nur eine unbestimmte Wut mit sich rumgetragen haben, suchen nach politischer Orientierung und interessieren sich für die alten Organisationen. Das schlägt sich in einem großen Interesse an der Geschichte der BPP nieder, aber auch in wachsenden Mitgliederzahlen - gerade von Jüngeren - bei Organisationen, die sich aus den 60er- und 70er-Jahren bis heute hinübergerettet haben.

Dazu eine abschließende Frage: Wie ist euer Verhältnis als ehemalige Black Panther zu der neu gegründeten New Black Panther Party?

RW: Vor drei, vier Wochen habe ich einige Führungsmitglieder der NBPP getroffen. Demnächst soll dort entschieden werden, ob sie sich politisch-ideologisch an die alte BPP anlehnen oder nicht. Ich kann mir da noch kein Urteil erlauben. Nach dem Gespräch habe ich aber schon den Eindruck, dass sie zum Dialog bereit sind, dass sie von der alten BPP lernen und ihrer Politik folgen wollen. Von meiner Seite aus will ich den Kontakt aufrechterhalten und mit offenen Armen auf sie zugehen. Selbst wenn sie einen anderen Weg gehen sollten, maße ich mir nicht an zu entscheiden, welcher richtig ist und welcher falsch. Darüber urteilt die Geschichte.

MB: Nun, ich bin wohl eher eine der alten AktivistInnen, die mit der gegenwärtigen so genannten NBPP nicht so glücklich sind. Wenn man etwas imitieren möchte, sollte man sich sehr genau anschauen, was man da imitiert, und man sollte damit zumindest ernsthaft umgehen. Ich freue mich, dass junge Leute etwas tun wollen, aber ich bin nie eine Anhängerin von Kuleev Muhammed gewesen, dem Gründer der NBPP. Wenn schon jemand wie Louis Farrakhan (3) meint, er sei zu rassistisch, um mit ihm zusammenzuarbeiten, dann sagt das eine ganze Menge aus. Es hat also immer ideologische Probleme mit Muhammed gegeben. Und es ist ein Problem, diese jungen Männer und Frauen zu sehen, die wie Panther aussehen und wie Panther handeln, aber kein wirkliches politisches Programm haben. Der Community dienen ist mehr als schwarze Baretts und schwarze Klamotten zu tragen und mit Knarren rumzulaufen. Und wenn die Community dich nicht einschätzen kann, bist du kein Black Panther. Denn die Community hat uns immer unterstützt. Wir haben uns um sie gekümmert und die Community sich um uns.

Anmerkungen:

1) Counter Intelligence Programme, illegales Aufstandsbekämpfungsprogramm des damaligen FBI-Direktors Edgar J. Hoover, mit dem gezielt der damalige "Staatsfeind Nr. 1", die Black Panther Party, zerstört und ihre führenden Kader "eliminiert" werden sollten.

2) Im Zuge Law-and-Order- und "Zero-Tolerance"-Politiken haben etliche Bundesstaaten Gesetze erlassen, nach denen auch bei geringfügigen Delikten im Wiederholungsfalle langjährige bis lebenslange Haftstrafen verhängt werden können.

3) Führer der Nation of Islam bzw. der Black Muslim. Bekannt und umstritten wegen seiner oft militanten rassistischen und antisemitischen Äußerungen.