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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 458 / 18.1.2002

Ashcrofts Otto-Katalog

Die Einwanderungspolitik der USA hat eine Kehrtwende vollzogen

Im vergangenen Sommer sah es so aus, als werde die US-Regierung ihre Einwanderungspolitik liberalisieren und Millionen "Papierlose" legalisieren. Seit dem 11. September ist aber wieder Repression angesagt. Praktisch über Nacht verwandelten sich arabisch-stämmige Immigranten von einer "model minority" zu potenziellen "Schläfern".

Der Sommer hatte nicht schlecht begonnen. Im Mai verloren die rechten Republikaner ihre Mehrheit im US-Senat. Im Juni bekräftigte der Oberste Gerichtshof, dass die Grundrechte der US-Verfassung auch für die schätzungsweise neun Millionen "papierlosen" ImmigrantInnen in den USA gelten. Im Juli empfahl eine Regierungskommission unter Leitung von Außenminister Colin Powell und Innen- und Justizminister John Ashcroft, mindestens eine Million "Illegale" zu "regularisieren". Die Einwanderungspolizei hatte ihre Razzien praktisch eingestellt. Vier US-Bundesstaaten (North Carolina, Tennessee, Utah und Virginia - normalerweise nicht gerade Bastionen von Aufklärung und Liberalismus) begannen damit, Führerscheine ausdrücklich auch an "Papierlose" auszustellen. Die nüchterne Begründung des Leiters der Führerscheinbehörde von North Carolina: "Es liegt im Interesse aller Einwohner, wenn wir sie (die ImmigrantInnen) dazu veranlassen, die Verkehrsregeln zu lernen und eine Versicherung abzuschließen. Es ist nicht unsere Aufgabe, uns um die nationale Einwanderungspolitik zu kümmern. Es ist eine rein pragmatische Entscheidung."

Am 6. September sprach der mexikanische Präsident Vicente Fox vor beiden Häusern des US-Kongresses und forderte, "undocumented" MexikanerInnen in den USA zu legalisieren. Bei einer Anhörung vor einem Kongress-Ausschuss plädierten einen Tag später auch der Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbandes und der Sprecher der nationalen Industrie- und Handelskammer für ein Legalisierungsprogramm. Die Unternehmer-Lobbyorganisation "Essential Worker Immigration Coalition" (EWIC) verlangte die verstärkte Einwanderung und Legalisierung von "unverzichtbaren Arbeitskräften" - und zwar ausdrücklich sowohl von Fachkräften als auch von Geringqualifizierten. Denn in manchen Regionen sei es mittlerweile schwer, ausreichend Arbeitskräfte (zu den angebotenen Löhnen) zu finden. Sollte der irrationale Kapitalismus wenn schon nicht zu einer humanen, so zumindest zu einer rationalen Einwanderungspolitik in der Lage sein?

Mit der beginnenden Rezession und der sinkenden Nachfrage nach billigen und willigen Arbeitskräften schien allerdings auch der Reform-Eifer der Regierung wieder nachzulassen. Schon im Juli machten die Konservativen gegen den Legalisierungsplan von Powell und Ashcroft mobil. Man dürfe "Rechtsbrecher" (also Leute, die ohne Papiere die Grenze überquert oder ihre Touristenvisa eigenmächtig verlängert hatten) nicht belohnen, schimpfte der republikanische US-Senator Phil Gramm. Allenfalls befristete Saisonarbeiter-Kontingente für die Landwirtschaft und die Gastronomie wollten die Hardliner akzeptieren. Die US-Regierung ruderte zurück. Als der mexikanische Präsident Fox Anfang September seinen Kollegen "Jorge" Bush aufforderte, noch vor Jahresende ein Legalisierungsgesetz zu unterzeichnen, wiegelte dieser ab. Es gebe noch Beratungsbedarf, hieß es.

Kurze Zeit der Hoffnung für "Papierlose"

Trotzdem setzten US-amerikanische Bürgerrechts-Organisationen gelassen auf Zeit. Schon aus wahltaktischen Gründen, so dachte man, werde die Bush-Administration die wachsende Zahl von Latinos mit einer liberalisierten Einwanderungspolitik umwerben. Denn die restriktive Politik der 90er Jahre, in denen der republikanisch dominierte Kongress diverse Verschärfungen beschlossen und der republikanische Gouverneur von Kalifornien mit offen einwanderungsfeindlicher Hetze Politik gemacht hatten, erwies sich als kontraproduktiv. Immer mehr ImmigrantInnen ließen sich einbürgern und wurden als "angry new citizens" in manchen Bundesstaaten zu einem wichtigen Wählerreservoir für die Demokraten.

In der anti-rassistischen Bewegung drehte sich die Debatte bald nur noch darum, ob man eher eine Legalisierung bereits eingewanderter "Papierloser" fordern sollte (was eher Latinos zugute käme) - oder nicht auch eine Ausweitung des Familiennachzugs (wovon vor allem asiatische Einwanderer profitieren würden). Diese Debatten haben sich mittlerweile erübrigt.

Denn dann kam der 11. September und das einstürzende World Trade Center begrub unter sich nicht nur gut situierte Banker und "papierlose" ImmigrantInnen, sondern auch die Hoffnung auf ein liberaleres Migrationsregime. Seither vergeht kaum eine Woche ohne neue Repressalien gegen Einwanderer: Massenfestnahmen, Verhöre, Rasterfahndung, Abschiebungen und - nach einem Erlass von Präsident Bush von Mitte November - geheime Militärtribunale (nicht nur für Kriegsgefangene aus Afghanistan, sondern potenziell auch für die rund 20 Millionen EinwohnerInnen ohne Staatsbürgerschaft). Die Grenzkontrollen wurden überall verschärft.

In den Tagen nach den Anschlägen wurden rund 1.200 Immigranten interniert, also ohne Haftbefehl zum Teil monatelang festgehalten. Viele hatten wochenlang keinerlei Kontakt zu Verwandten oder Rechtsanwälten. In Anspielung auf lateinamerikanische Militärdiktaturen der 70er Jahre sprach die New York Times in einem Leitartikel sogar von "Verschwundenen". Die Mehrzahl der 1.200 soll mittlerweile wieder freigelassen sein, einige Hundert kamen in Abschiebehaft, andere warten weiterhin auf eine offizielle Anklage. Genaue Angaben verweigert die US-Staatsanwaltschaft bis heute.

Besonders krass geht man nun gegen illegalisierte ImmigrantInnen vor. So können "Papierlose" nun auch wegen kleiner Gesetzesverstöße monatelang in Abschiebehaft gehalten werden. Für die BRD ist diese Praxis schon seit langem gang und gäbe, in den USA gilt sie - immerhin - manchen noch als Skandal. Bis die angekündigten Bürgerrechts-Klagen das Oberste Gericht erreichen, werden aber wohl Jahre vergehen.

Mit einer Reihe von schnell durchgepaukten Gesetzen und Dekreten habe die Bush-Regierung innerhalb weniger Wochen ein "paralleles Rechtssystem für Nicht-US-Bürger geschaffen", in dem die üblichen rechtsstaatlichen Garantien nicht mehr gelten, stellte die New York Times beunruhigt fest. Der konservative Kolumnist William Safire sprach sogar von "diktatorischer Macht", die der Präsident an sich gerissen habe.

Generalverdacht gegen Arab Americans

Die schlagartig verschärfte Einwanderungspolitik hat allenfalls am Rande mit Vorsichtsmaßnahmen gegen weitere Terror-Anschläge zu tun. Die Bundespolizei FBI räumt ein, dass von den 1.200 "internierten" Immigranten höchstens ein Dutzend "möglicherweise" Kontakte mit dem Islamisten-Netzwerk Al Qaida gehabt habe. Der bisher einzige "echte" Verdächtige, der Franzose Zacarias Moussaoui, den das FBI für den verhinderten "zwanzigsten Flugzeugentführer" hält, flog nicht etwa im Rahmen dieser Massenfestnahmen auf, sondern ging der Polizei schon im August ins Netz - wegen Verstößen gegen Einreise-Bestimmungen.

Weil die Gelegenheit günstig ist, lässt John Ashcroft gleich noch ganz andere Dinge erledigen. Kurz vor Weihnachten gab der Minister höchstpersönlich bekannt, die Einwanderungspolizei INS habe eines der größten Strafverfahren ihrer Geschichte eingeleitet - nicht etwa gegen potenzielle Flugzeugentführer, sondern gegen 32 Angestellte der Busfirma Golden State Transportation aus Los Angeles, die in ihren Linienbussen gegen einen relativ geringen Aufpreis mehrere Tausend illegale GrenzgängerInnen aus Mexiko ins US-Landesinnere befördert haben sollen. Ashcrofts Begründung: "Die terroristischen Angriffe des 11. September haben die Amerikaner schmerzlich an die Notwendigkeit erinnert, unsere Staatsgrenzen zu verteidigen."

Seither zeigen viele kleine Schikanen, wie sich das politische Klima verändert hat. Zum Beispiel verabschiedete der US-Kongress im Herbst ein Gesetz, nach dem beim Check-In an den Flughäfen künftig nur noch US-BürgerInnen arbeiten dürfen. Die Folge: Tausende Immigranten verlieren ihre Jobs. An der City University of New York sollen künftig alle Studierenden, die keine Aufenthaltspapiere vorlegen, die höchste Gebührenstufe (also mehrere Tausend Dollar) bezahlen. Bisher spielte der Aufenthaltsstatus an der Uni keine Rolle. Zumal in einer Stadt, die sich so viel auf ihre Einwanderungs-Tradition zugute hält, dass selbst der bisherige Law-and-Order-Bürgermeister Rudy Giuliani immer für die Rechte von Illegalisierten eintrat.

Den "Papierlosen" hielt man noch vor wenigen Wochen zugute, dass sie notwendige Arbeiten übernehmen, Steuern zahlen und womöglich sogar "Unternehmergeist", "Familiensinn" und andere amerikanische Sekundärtugenden beweisen. Ähnlich wie etwa koreanische Immigranten galten auch Arab Americans bisher nicht etwa als potenzielle "Schläfer" sondern als eine "model minority" - mit überdurchschnittlichen Einkommen und ungewöhnlich vielen Selbstständigen und kleinen Gewerbetreibenden.

Seine Wahlpropaganda im Herbst 2000 richtete Bush ausdrücklich auch an arabisch-stämmige WählerInnen. So verurteilte er die umstrittene Praxis der Clinton/Gore-Regierung, bei einigen Abschiebe-Verfahren den Richtern geheime Beweismittel ("secret evidence") vorzulegen, aber den Angeklagten/Abzuschiebenden und ihren Anwälten vorzuenthalten - womit eine juristische Verteidigung unmöglich gemacht wurde. "Arab Americans are racially profiled", werden also aus rassistischen Gründen anders behandelt, kritisierte der republikanische Kandidat. Nun will Bush die selbe Praxis fortführen. "Racial profiling", also das weit verbreitete Vorgehen der Polizei, bei Personenkontrollen vor allem dunkelhäutige Menschen zu überprüfen, war eigentlich ziemlich in Verruf geraten. Nun billigen in Meinungsumfragen auch Schwarze, die bisher zu den am meisten Schikanierten gehörten, mehrheitlich das "racial profiling". Das zeigt, wie sehr sich das politische Klima geändert hat - natürlich immer mit der Annahme, dass sich die verschärfte Repression gegen eine relativ kleine Bevölkerungsgruppe richtet (arabische Immigranten - oder wer dafür gehalten wird).

Die Bürgerrechts-Gruppen stehen nun wieder am Anfang. Statt beim Ausfüllen von Einbürgerungs-Anträgen zu helfen, verteilen sie nun Ratgeber zum Verhalten bei einer Razzia oder bei einem Polizeiverhör ("Know your rights" unter www.aclu.org/library). Die Bundespolizei FBI "befragte" im Dezember 5.000 junge Männer, die in den vergangenen zwei Jahren aus moslemisch geprägten Ländern legal in die USA eingereist sind (über etwaige Ergebnisse ist noch nichts bekannt - aber vermutlich wird man bei dieser Gelegenheit zumindest einige neue arabisch-sprachige FBI- und CIA-Agenten angeworben haben). Mehr als 200 Universitäten und Colleges stellten dem FBI ihre Daten über arabische und asiatische Studierende zur Verfügung. Eine nationale Datenbank soll künftig alle ausländischen Studierenden erfassen. Damit will man feststellen, wer vorgeschriebene Seminare nicht belegt oder gar nach Ablauf seines Visums nicht ausreist.

Doch sobald es ans Geld geht, hört auch für die Rektoren der Fahndungsspaß auf. Als die demokratische Senatorin Dianne Feinstein Ende September vorschlug, "aus Sicherheitsgründen" ein halbes Jahr lang keine neuen Studenten-Visa auszustellen, stieß sie auf erbitterten - und erfolgreichen - Widerstand. Denn die Universitäten befürchteten, sie könnten zu viele gebührenzahlende Studierende verlieren.

Massenfestnahmen und alltägliche Schikanen

Auch John Ashcrofts "Otto-Katalog" beginnt, sich in internen Widersprüchen zu verheddern. Wegen Kompetenzgerangels wird die nationale Studentenvisa-Datenbank wohl erst in zwei Jahren einsatzbereit sein. Die mächtige rechtslastige Waffenlobby (normalerweise eine wichtige politische Stütze für Ashcroft) verhinderte, dass das FBI Zugriff auf computerisierte Listen von Schusswaffen-Besitzern bekam. So konnte nicht überprüft werden, ob die gut 1.200 ausländischen Internierten jemals Waffen erworben hatten.

Und Bushs Militärtribunal-Erlass wurde mittlerweile deutlich entschärft - unter anderem wegen der Proteste von Offizieren, die den "guten Ruf" der regulären Militärgerichtsbarkeit für gefährdet halten. So sollen die Tribunale (anders als zunächst geplant) öffentlich tagen und dürfen Todesurteile nur einstimmig fällen. Angeklagte können unabhängige Rechtsanwälte beauftragen. Die Militärtribunale bleiben zwar ein rechtsstaatlicher Skandal, aber dank dieser Entschärfungen wird Bush voraussichtlich die Unterstützung der Demokraten erhalten. Ganz sicher scheint sich die Administration ihrer Sache aber weiterhin nicht zu sein. So wurde der angebliche "zwanzigste Entführer" Zacarias Moussaoui nicht vor einem Militärtribunal, sondern vor einem zivilen Bundesgericht angeklagt.

Vereinzelt werden auch moralische Bedenken gegen die pauschale Stigmatisierung von moslemischen Immigranten laut. Und zwar von der Polizei. Als Innen- und Justizminister Ashcroft seine 5.000 Verhöre anordnete, verweigerten ihm eine Reihe von örtlichen Polizei-Chefs die Gefolgschaft. Die Liste der "Verdächtigen" sei ja wohl nur nach dem Kriterium der Herkunftsländer zusammengestellt und nicht nach konkreten, individuellen Anhaltspunkten, ließen sie das FBI wissen. Das erinnere an "racial profiling". Einer der Verhör-Verweigerer war Andrew Kirkland, der Polizei-Chef von Portland (Oregon), dem das FBI die Namen von 23 arabisch-stämmigen Männern vorgelegt hatte, die verhört werden sollten. Der New York Times sagte er: "Da habe ich nicht lange überlegen müssen. Wir werden es nicht tun." Solche Redlichkeit kann man sich in einer deutschen Polizeidirektion nur schwer vorstellen.

Auch die oben genannte Unternehmerlobby EWIC (für "essential workers") hat offensichtlich jede Hoffnung auf eine liberale Einwanderungspolitik und eine Legalisierung von "Papierlosen" aufgegeben; sie hat ihre Arbeit praktisch eingestellt. Auf ihrer Internet-Seite heißt es nur noch lapidar: "Wenn Regierung und Kongress die schwierige Aufgabe (der Terrorismus-Bekämpfung) abgeschlossen haben und wenn sie entscheiden, dass die Zeit wieder reif ist für eine Reform der Einwanderungspolitik, dann werden wir von EWIC wieder da sein, um sie dabei zu unterstützen."

Michael Hahn