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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 458 / 18.1.2002

Leben gegen den Strom

Zum Tod von Stefan Heym

Mit eisigem Schweigen bedachten die Unionspolitiker jene Rede, die Stefan Heym im November 1994 als Alterspräsident vor dem Bundestag gehalten hat. Die gesamte Industriegesellschaft befinde sich in einer strukturellen, bleibenden Krise, und zwar weltweit, sagte Heym. "Wie lange wird der Globus noch, der einzige, den wir haben, sich die Art gefallen lassen, wie diese Menschheit ihre tausenderlei Güter produziert und konsumiert? Wie lange wird die Menschheit sich die Art gefallen lassen, wie diese Güter verteilt werden?" Dass Heym auch die sozialen Missstände in Deutschland anprangerte, dass er Solidarität zunächst im eigenen Lande forderte und Erfahrungen aus dem Leben der früheren DDR für die gemeinsame Zukunft Deutschlands nutzen wollte - das wurde ihm von vielen verübelt. Es war nicht das erste Mal, dass der Schriftsteller und Zeitkritiker Anstoß erregte, weil er sagte und schrieb, was er dachte.

In Chemnitz, wo er 1913 geboren wurde, flog er vom Gymnasium, weil er ein antimilitaristisches Gedicht verfasst hatte. Weil er Jude war und seine ersten Publikationen den Linken verrieten, geriet er schon früh ins Visier der Nazis. Nach dem Reichstagsbrand floh der damals neunzehnjährige Helmut Flieg aus Deutschland. Um seine Angehörigen zu schützen, legte er sich den Namen Stefan Heym zu. Seine Familie überlebte nicht: der Vater tötete sich selbst, die anderen Familienmitglieder kamen in den Vernichtungslagern der Nazis um. Heym selbst konnte über Prag und Paris in die USA emigrieren. Dort war er von 1937 bis 1939 Chefredakteur der antifaschistischen New Yorker Deutschen Volkszeitung, dort schrieb er seinen Erstling "Hostages" (1), einen Bestseller im Stil eines Krimis, der die Geschichte einer Widerstandsgruppe in Prag erzählt. Heym verarbeitete darin Erfahrungen aus seiner Zeit im Prager Exil, der Held des Romans bekennt sich am Schluss zum Kommunismus - Leben, Werk und Politik bildeten für Stefan Heym stets eine Einheit.

Vertrauen in
die menschliche Vernunft

1943 trat er in die US-Army ein und kehrte 1945 als Sergeant einer Psychological-Warfare-Kompanie in das vom Krieg zerstörte Deutschland zurück. Was er während des Siegeszugs der US-Armee von der Landung in der Normandie bis zur Errichtung der Militärregierung im besetzten Deutschland erlebte, bildet den Hintergrund für seinen zweiten Roman, "The Crusadors" (2), der ein Weltbestseller werden sollte. Im Mittelpunkt des Romans steht der deutschstämmige Sergeant Bing, der das Vorrücken der US-Truppen mit Lautsprecherreden an die deutschen Soldaten und Flugblätter unterstützt. Die Frage nach dem Sinn des Krieges jedoch kann sich Sergeant Bing nicht beantworten, er findet im eroberten Deutschland nur Unbelehrbarkeit, Opportunismus und Korruption, während seine Kameraden in der US-Army kurzsichtig die eigenen Interessen verfolgen.

Ähnlich war es dem Besatzungsoffizier Stefan Heym ergangen, der im Bereich Umerziehung tätig war und dann unter Hans Habe Mitbegründer der in München erscheinenden amerikanisch lizenzierten Neuen Zeitung wurde. "Fest steht, dass er sich damals als Amerikaner fühlte", schreibt er in seiner Autobiografie "Nachruf" (1988) in etwas affektiert wirkender dritter Person über sich, "das gab ihm ein Stück der bitter benötigten inneren Sicherheit. (...) Was an ihm deutsch war, und er hoffte, es wäre nicht viel, wurde verdrängt." Er war angewidert von der Liebedienerei der Deutschen gegenüber dem jüdischen Besatzungsoffizier und von ihrem Selbstmitleid: "Immer noch, auf ihren Ruinen hockend, glauben sie, dass sie im Grunde nichts Böses wollten und niemandem ein Übel tun, und dass sie's nicht besser wussten, und dass ihnen jetzt großes Unrecht geschieht. Welch ein Verdrängungsmechanismus!"

Trotzdem stürzte er sich mit großem Enthusiasmus in die Arbeit für die Neue Zeitung. Doch schon bald sollte er die Grenzen der von ihm so bewunderten amerikanischen Freiheit und Demokratie spüren. In der Redaktion kam es zu politischen Spannungen, Heym wurde wegen "prokommunistischer" Haltung in die USA zurückversetzt und aus der Armee entlassen. Als in den fünfziger Jahren unter Senator McCarthy die Hexenjagd begann, stufte der FBI ihn als Kommunisten ein, seine Erwerbsmöglichkeiten als Journalist und Schriftsteller wurden zunehmend eingeschränkt, seine rechtliche Lage als naturalisierter US-Bürger war unsicher, er selbst voller Ängste. Nach Beginn des Korea-Krieges beschloss er, mit seiner amerikanischen Frau nach Prag zu gehen, dorthin, wo er 1933 erstmals Asyl gefunden hatte. Trotz allem fühlte er sich weiterhin als Amerikaner, und sobald als möglich wollte er wieder in die USA zurückkehren.

Dazu sollte es jedoch nicht kommen. 1952 übersiedelten die Heyms in die DDR. Ein Jahr später, im April 1953, als auch seine Mutter und sein Sohn David in die DDR gekommen waren, begründete er öffentlich seine zweite Emigration: "Der Kurs auf Faschismus und Krieg, den die Regierung der Vereinigten Staaten in ständig verschärftem Maße einschlägt, macht es einem ehrlichen Menschen so gut wie unmöglich, auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten schriftstellerisch tätig zu sein und sein Werk der amerikanischen Öffentlichkeit nahe zu bringen." (3) Gleichzeitig sandte er Präsident Eisenhower, seinem ehemaligen Oberkommandierenden, sein Offizierspatent zurück.

Warum er die DDR und nicht die BRD als neue Heimat gewählt hatte, erklärte Heym im "Nachruf" damit, "dass die DDR in jener Zeit noch attraktiv war, und nicht nur für ausgesprochene Kommunisten; (...) hier, im Gegensatz zu der von den Amerikanern im Verbund mit recht zweifelhaften deutschen Gestalten verwalteten Bundesrepublik, experimentierte man mit neuen gesellschaftlichen Strukturen und suchte nach neuen Mustern menschlichen Verhaltens, oder gab zumindest vor, es zu tun, und die nur allzu offensichtlichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die Versorgungsmängel, und sogar die bereits beginnende Gängelei des Geisteslebens ließen sich glaubwürdig entschuldigen als Folgeerscheinungen des Hitlerkrieges; zum Teil waren sie es ja auch." (4)

Heym selbst allerdings war von den ökonomischen Problemen der DDR kaum betroffen, im Gegenteil, er genoss etliche Privilegien. So wurde ihm eine Villa in der Intellektuellensiedlung Grünau bei Berlin zur Verfügung gestellt, außerdem ein Auto. Die Führung der SED bedachte ihn mit vielerlei Ehren: 1954 erhielt er den Heinrich-Mann-Preis, 1956 den Literaturpreis des FDGB und 1959 den Nationalpreis Zweiter Klasse. Bis 1956 arbeitete er als Kolumnist für die Berliner Zeitung, außerdem veröffentlichte er in dieser Zeit eine Reihe von Reportagebänden. Auch als er in der DDR nicht mehr mit der Veröffentlichung seiner Bücher rechnen konnte, ging es ihm wirtschaftlich gut: Inzwischen war er in der BRD bekannt und erhielt Honorare und Tantiemen aus dem Westen, wo seine Bücher nun erschienen. Heym verstand es, den Markt, aber auch die Medien der "Klassenfeinde" vom Spiegel über Stern bis zur FAZ zu nutzen, freilich ohne sich von deren Ideologie beeinflussen zu lassen.

Während der ersten Jahre in der DDR setzte er jedoch große Hoffnung in den jungen Staat und seine Organe. Allerdings brachten ihn einige Äußerungen über den 17. Juni bereits 1953 in erste Konflikte mit der SED-Führung. In der DDR konnte sein Buch "Der Tag X" über den Arbeiteraufstand nie erscheinen. Heym führte den Anlass für die Erhebung auf Agententätigkeit der Westmächte zurück, folgte darin also den offiziellen Erklärungen des Politbüros, er ging aber auch auf die tieferen Ursachen des Aufstands ein - daher der Zugriff der DDR-Zensur.

Hatte er noch 1956 behauptet, es gäbe keine Zensur in der DDR, so sah er dies zehn Jahre später ganz anders. Offensiv nahm er zu den offiziellen Verlautbarungen gegen seinen Roman "Der Tag X" und gegen Vorwürfe Stellung, er gehöre "zu den ständigen negativen Kritikern der Verhältnisse in der DDR". (5) Als der Roman 1974 nach etlichen Umarbeitungen, doch in der Grundaussage unverändert, unter dem Titel "Fünf Tage im Juni" in der BRD veröffentlicht wurde, war das Verhältnis zwischen Autor und SED-Führung vollends zerrüttet.

1976 gehörte Heym zu den Initiatoren des Protestes gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann. In seinem letzten Buch, "Der Winter unseres Missvergnügens" (1996), hat er die Biermann-Affäre dokumentiert. Er hatte inzwischen seine Stasi-Akten eingesehen, ein dickes Konvolut über einen "feindlich-negativen Schriftsteller", das ihn, obwohl er jahrelang die Stasi-Posten vor seiner Haustür gesehen hatte, doch erschreckte. Heym war im Grunde ein ängstlicher Mann, das hat er auch immer wieder zugegeben; er agierte vorsichtig. Dass er gleichzeitig ungewöhnlich mutig war, verdankte er seinem Vertrauen in die Aufklärung und die Vernunft der Menschen. Jedenfalls war er im Biermann-Konflikt bemüht, mit den Herrschenden in der DDR im Gespräch zu bleiben, er nahm ihre sozialistischen Ideen beim Wort und forderte immer wieder deren Einlösung ein.

Seine kritische Position der DDR gegenüber formulierte er in den siebziger und achtziger Jahren allerdings vor allem in historisierenden Arbeiten, die zum Besten und zugleich Unterhaltsamsten gehören, was er geschrieben hat: In der "Schmähschrift" (1970), einer Erzählung über den Konflikt des englischen Schriftstellers Daniel Defoe mit Queen Anne, thematisiert er die Zensur; im "König David Bericht" (1972) die Geschichtsklitterung zu Gunsten der Mächtigen. "Ahasver" (1981) schildert die deutsche Geschichte aus der Sicht des Teufels und des Ewigen Juden Ahasver, "wobei sich am Ende erweist, dass der Staat DDR des Teufels ist". (6) Weniger ausgearbeitet und eher kolportagehaft geschrieben - hier macht sich die amerikanische Schule Heyms bemerkbar - sind die Romane, in denen er die Zustände in der DDR direkt auf- und angreift. "Collin" (1979), die Geschichte eines Kommunisten und Spanienkämpfers, der während eines Krankenhausaufenthaltes mit dem siechenden Chef des DDR-Sicherheitsdienstes konfrontiert wird, ist eine Abrechnung mit der stalinistischen Vergangenheit der DDR. Der Roman gibt sich als Schlüsselroman, ist es aber nicht - wie "Architekten", ein Buch über Konflikte zwischen systemtreuen und oppositionellen Kommunisten und eine Prachtstraße in der DDR, die an die Stalin-Allee erinnert. Heym hatte es gerade fertig gestellt, als er auf dem 11. Plenum des ZK angegriffen wurde, es erschien nicht mehr in der DDR (7); auch "Collin" verfiel der Zensur.

Den Mächtigen
in Ost und West ein Ärgernis

1979 wurde Heym aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen und damit seiner Existenzgrundlage in der DDR beraubt, seine Romane kamen nur noch in der BRD heraus, wo sich die Verlage zunehmend für die Schriften von DDR-Dissidenten zu interessieren begannen. Obwohl er in der DDR nur noch geduldet wurde, dachte Heym nicht daran, wie viele seiner KollegInnen in den Westen zu gehen. Bis zuletzt blieb er der sozialistischen Idee treu. Am 4. November 1989 plädierte er in einer Rede auf dem Alexanderplatz für einen nicht-stalinistischen Sozialismus zum Nutzen ganz Deutschlands, und auf einer Demonstration im Dezember 1989 beschwor er ein vereintes Deutschland - kein Viertes Reich, sondern ein neues, "in das auch die Bürger der DDR ihre Erfahrungen mit eingebracht haben werden". (8)

Seine Visionen haben sich nicht verwirklicht, doch das hat ihn weder entmutigt noch verbittert. Heym hatte Witz und Humor, seine Kritik wurde daher gern gehört. Auf einer letzten Lesung vor seinem Tod am 16. Dezember 2001 hat er über das Alter gesprochen, unter anderem auch über die Mühsal, mit Prothesen zu leben. Er habe immer eine Tasche mit Ersatz bei sich, erklärte er verschmitzt, mit Brille und mit Gebiss, falls jenes versage, das er gerade im Munde trage. "Beißt in die Brötchen, solange ihr könnt", forderte er seine ZuhörerInnen auf. Wir werden beißen, nicht nur in Brötchen. Und dabei mit Vergnügen und Achtung an ihn denken.

Angela Martin

Anmerkungen:

1) New York 1942, dt. "Der Fall Glasenapp" Leipzig 1958, München 1976

2) Boston 1948; dt. "Kreuzfahrer von heute", Leipzig 1950, bzw. "Der bittere Lorbeer", München/Freiburg i.Br. 1950

3) Stefan Heym, Nachruf, Frankfurt a.M. 1988, 3. Aufl. 1993, S. 558

4) A.a.O., S. 543

5) Stefan Heym, Rede vor der Vollversammlung des Berliner Schriftstellerverbandes im Februar 1966, zitiert nach General/ Sabath, Stefan Heym, S. 113

6) Sabine Brandt, Der große Einäugige. Sozialist bis zuletzt: Der Schriftsteller und Zeitkritiker Stefan Heym ist in Israel gestorben, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.12.2001

7) Nach einer Überarbeitung wurde es im letzten Jahr veröffentlicht

8) Stefan Heym, Rede auf einer Demonstration am 9.12.1989, zitiert nach General/Sabath, Stefan Heym, S. 133