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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 458 / 18.1.2002

Ostdeutsch, weiblich, arbeitslos

Union setzt auf Strauß-Effekt

Wie nominiert man einen Kanzlerkandidaten? Nie war das so schwierig wie heute. Monatelang beherrschte die Auseinander-setzung um die so genannte K-Frage die Unionsparteien und die Medien. Am Ende musste Angela Merkel das Handtuch werfen. Die Auseinandersetzungen in der Union verweisen dabei auf zweierlei: 1. Die Union hat noch immer nicht ihren "Machtverlust" von 1998 verdaut und steht - entgegen allen öffentlichen Beteuerungen - geschwächt da. 2. Die Selbstverständlichkeit, mit der der bayerische Ministerpräsident Stoiber als Kanzlerkandidat gehandelt und schließlich bestätigt wurde, zeigt deutlich, in welche Richtung sich die gesellschaftlichen Koordinaten verschoben haben.

Die Kandidatenfrage hatte sich zum Schluss in der Union zum Machtkampf zugespitzt. Beide hatten sich als Bewerber für die Kanzlerkandidatur bekannt. Die (naive) Hoffnung, die beiden Parteivorsitzenden von CDU und CSU könnten zu einer einvernehmlichen Lösung kommen, hatte sich zerschlagen. Nach dem erst durch massiven Druck führender CDU'ler erfolgten Verzicht Merkels geht es nun in der Union vor allem darum, wie man vermeidet, dass der unterlegene Kandidat, in diesem Fall also die nicht berücksichtigte Kandidatin, das Gesicht verliert.

Als Angela Merkel Ende 1999 den Parteivorsitz der CDU übernahm, war sie für viele in der Partei eine Lichtgestalt und Retterin in einer schier ausweglosen Situation. Als Frau, Protestantin und Ostdeutsche, ohne eigene Hausmacht, verkörperte sie einen Neuanfang für die vom Spenden- und Finanzskandal erschütterte Partei. Aus der Zeit der größten Verunsicherung konnte sie die CDU herausführen. Doch zur starken Parteiführerin wurde Merkel nicht. So musste sie zusammen mit Fraktionschef Friedrich Merz einige schwere Niederlagen hinnehmen, die ihre Position schwer erschütterten. Wie begossene Pudel stand am Schluss die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und die CDU-Parteichefin da, als es Bundeskanzler Schröder durch geschicktes Taktieren gelang, die Phalanx der Union bei der Steuerreform im Bundesrat zu brechen. Auch in der Frage des Mazedonien-Einsatzes der Bundeswehr, als es eine Zeit lang so aussah, als wollte sich die Union wegen der angeblichen Unterfinanzierung der Bundeswehr verweigern, wie auch in der Diskussion um das Zuwanderungsgesetz war die Performance der CDU-Führung nicht vom Besten. Die Union sprach nicht mit einer Stimme, maßgebliche Führungsleute in Partei und Fraktion taten sich mit widersprüchlichen Äußerungen hervor und die Öffentlichkeit fragte sich, was denn nun die Position der Partei sei.

Herz-Bube schlägt Kreuz Dame

Trotz der überraschenden Regierungsübernahme in Hamburg (die aber alleine durch den Durchmarsch der Schill-Partei ermöglicht wurde) und trotz momentaner Umfragewerte, in denen CDU/CSU seit Monaten erstmals fast gleichauf mit der SPD liegen, kann von einem Höhenflug der Union nicht die Rede sein. Die scheinbare Stärke der Union verdankt sie vor allem der Schwäche der Bundesregierung. Angesichts der schwächelnden Konjunktur und steigenden Arbeitslosenzahlen schlägt das vollmundige Wahlversprechen Schröders von 3,5 Millionen Erwerbslosen zum Ende der Legislaturperiode nun auf ihn zurück. Schröder hat aber schon des öfteren bewiesen, dass er mit überraschenden Entscheidungen das Ruder noch hat herumreißen können. Auch dieses Mal könnte dies gelingen. Schon kündigte Schröder Initiativen beim Kombi-Lohn und verstärkte öffentliche Investitionen an. Die "ruhige Hand" ist jedenfalls erstmal passé.

Stoiber siegt dank Schill

Die Union wittert aus guten Gründen dennoch ihre Chance im Bereich Wirtschafts- und Sozialpolitik. Egal ob Merkel- oder Stoiber-Unterstützer, alle in der Union sind sich einig, dass diese Themen im Zentrum des Wahlkampfs stehen sollen. Stoiber ist auch auf diesem Gebiet der bessere Kandidat. Kann er doch mit dem Bonus eines Ministerpräsidenten hausieren gehen, dessen Land die wenigsten Arbeitslosen, die höchste Wachstumsrate und die größte Dichte an High-Tech-Unternehmen aufzuweisen hat.

"Es soll der antreten, der die besseren Chancen gegen Schröder hat", so Merkel in für sie noch besseren Tagen. Nach der CSU-Klausurtagung in Wildbad Kreuth hat sie sich selbst beim Wort genommen. Zwei Drittel der Wahlberechtigten glauben, Stoiber habe die besseren Chancen gegen Schröder. Mit der Entscheidung zwischen den beiden Kandidaten ist auch die Entscheidung für die Wahlstrategie der Union gefallen. Merkel stand dabei für eine Strategie, die auf Wechselwähler in der ominösen "Mitte" zielte. Stoiber hingegen ist der Mann, mit dem die Stammwähler der Union am besten mobilisiert werden können.

Stoibers wie Merkels Plan war es eigentlich, die Entscheidung über die Kanzlerkandidatur erst im März/April zu fällen. Anfang März finden die bayerischen Kommunalwahlen statt. Das Abschneiden der CSU hätte Hilfestellung bei der eventuell notwendigen Nachfolgersuche für das Amt des Ministerpräsidenten geben können. Größere Bedeutung wäre allerdings den Ende April anstehenden Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt zugekommen. Auch wenn man die Entscheidung nicht bis zu diesem späten Zeitpunkt hätte hinausschieben können, so wäre dennoch absehbarer gewesen, welche Gefahr der Union von rechts in Gestalt von Ronald Schill droht.

Schill selber hat vor einigen Tagen angekündigt, seine Partei werde zur Bundestagswahl antreten, wenn Angela Merkel Spitzenkandidatin der Union werde. Falls Stoiber antrete, werde die Partei auf eine Kandidatur verzichten. Damit schaltete sich Schill direkt in die Kandidatenfindung der Union ein. Denn nie war die rechte Flanke der CDU offener. Will man ein Abbröckeln der rechten Ränder der Union verhindern, dann gibt es nur eine Wahl: Stoiber. Schills Ankündigung ließ der Union also eigentlich keine andere Wahl, wenn sie ernsthaft versuchen will, Schröder gefährlich zu werden. Auch wenn die Chancen der Schill-Partei bei der Bundestagswahl eher gering sind, könnte die Kandidatur entscheidende Stimmen kosten. Vor allem in den Direktwahlkreisen könnte ein Stimmensplitting im rechten Lager dem einen oder anderen Unionsabgeordneten den Sitz kosten. Kein Wunder also, dass die Mehrheit in der Bundestagsfraktion sich für Stoiber aussprach.

Die Unterstützung für Merkel in ihrer eigenen Partei nahm nach dem Dresdner Parteitag der CDU im im Dezember immer mehr ab. Ab diesem Zeitpunkt lief alles auf einen Spitzenkandidaten Stoiber hinaus. Am 11. Januar beugte sich dann Merkel dem zunehmenden Druck aus den eigenen Reihen und trug Stoiber offiziell die Kanzlerkandidatur an. Auch wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse des Jahres 2002 nicht mit 1980 vergleichbar sind, so ist mit dieser Entscheidung der Union ein polarisierender Wahlkampf verbunden wie bei der Kandidatur von Franz-Josef Strauß. Einen ersten Test, was man zu erwarten hat, wird die Haltung der Union zum Zuwanderungsgesetz sein. Wird das Gesetz nach einigen Änderungen mit den Stimmen der Union verabschiedet oder bleibt es beim Nein, für das die CSU steht? Dass Stoiber auf dieses Wahlkampfthema verzichtet, ist eigentlich auszuschließen. Allerdings würde sich damit die Union gegen das Unternehmerlager (und auch die Kirchen) stellen. Vielleicht gibt es also doch noch ein Zurückrudern? Denn die Verlautbarungen der Kapitalistenverbände, im zweiten Halbjahr würde die Konjunktur wieder anziehen, kann man durchaus so interpretieren, dass man weiterhin auf gute Zusammenarbeit mit Gerhard Schröder setzt.

mb.